„Nutzlose Mathematik“
In den späten 1970er Jahren stellte die dänische Vereinigung der Mathematiklehrer ihren Mitgliedern eine delikate Frage: Sie sollten eine Anwendung der Lösung quadratischer Gleichungen finden, die innerhalb des Horizonts ihrer Schüler liegt.
Ein Mitglied fand eine solche Anwendung: das Verhältnis zwischen der Zeitdauer und dem Zähler eines Kassettenrekorders (also eine Anwendung, an welche sich höchstens die Eltern der heutigen Schüler erinnern werden!). Dies war die einzige Antwort.
Viele Schüler werden sicherlich erstaunt sein zu hören, dass nicht einmal ihre Lehrer echte Anwendungen quadratischer Gleichungen kennen. Schüler ebenso wie Lehrer werden nicht weniger erstaunt sein wenn sie erfahren, dass solche Gleichungen seit 1800 v. Chr. unterrichtet werden, und zwar 2500 Jahre lang mit keinerlei Bezug auf praktische Anwendungen (erst um das Jahr 700 n. Chr. begannen möglicherweise persische und arabische Astronomen damit, diese in trigonometrischen Rechnungen zu benutzen.
Wir werden auf die Frage, warum man quadratische Gleichungen unterrichtet hat und sie immer noch unterrichtet, zurückkommen. Aber zuerst werden wir uns anschauen, wie die ältesten quadratischen Gleichungen, einige Gleichungen ersten Grades und eine kubische Gleichung ausgesehen haben, und wie man sie gelöst hat.
Wir werden dabei zu beachten haben, dass manche Probleme zwar den Anschein
erwecken,
Geschichte Mesopotamiens
Mesopotamien (das „Land zwischen den Flüssen“)
bezeichnet seit dem Altertum das Gebiet um die beiden großen Flüsse
Euphrat und Tigris – ganz grob das Gebiet des heutigen Irak. Um 3500
v. Chr. war der Meeresspiegel im Persischen Golf weit genug gefallen, um
im südlichen Teil des Landes eine großflächige Landwirtschaft mit einem
ausgefeilten Bewässerungssystem zu ermöglichen, und bald darauf erschien
die erste „Zivilisation“,
Die älteste Keilschrift war rein
ideographisch
Um 2340 eroberte ein akkadischer Herrscher ganz Mesopotamien
(Akkadisch ist eine semitische Sprache und gehört zur selben
Sprachfamilie wie Arabisch und Hebräisch; es wurde in manchen
Gegenden Mesopotamiens seit mindestens 2600 gesprochen).
Dieser akkadische Staat hielt sich bis etwa 2200 und wurde für
ein Jahrhundert durch konkurrierende Stadtstaaten abgelöst.
Um 2100 etablierte sich Ur als Zentrum eines neuen Regionalstaats,
dessen offizielle Sprache Sumerisch war, obwohl der Großteil der
Bevölkerung einschließlich der Könige vermutlich akkadisch gesprochen
hat. Dieser Neu-Sumerische Staat
Langfristig war die Bürokratie zu teuer, und um 2000 zerfiel das
Neu-Sumerische Reich in kleinere Staaten. Zwei Jahrhunderte später setzt
eine Phase der Zentralisierung um die Stadt Babylon ein; erst ab diesem
Zeitpunkt kann man sinnvoll von Süd- und Zentralmesopotamien als
„Babylonien“
Den Zeitraum ab 2000 bis zum endgültigen Kollaps des babylonischen
Zentralstaats um 1600 nennt man die altbabylonische
Epoche
Algebra: Die erste Interpretation
Bevor wir von Algebra sprechen sollten wir klären, was unter diesem
Wort zu verstehen ist. Vorläufig wollen wir diese Frage aber
nicht beachten; wir werden am Ende dieses Buchs darauf zurückkommen.
Im Moment müssen wir nur wissen, dass Algebra mit
Gleichungen
Abb. 1.1: Die Keilschriftversion des Problems BM 13901 #1.
Als nämlich Mathematikhistoriker in den späten 1920er Jahren entdeckten,
dass manche Keilschrifttafeln (siehe den Kasten „Keilschrift“
auf S.
Wir wollen dies erst einmal so hinnehmen, um uns in deren Denken
hineinversetzen zu können, und betrachten ein sehr einfaches Beispiel
aus einem im 18. Jahrhundert v. Chr. geschriebenen Text in der
Transliteration, wie sie für gewöhnlich von Assyriologen benutzt wird
(was die Funktion von Kursivschrift und Kapitälchen angeht verweisen
wir auf S.
(1)a.šàl[am] ù mi-it-ḫar-ti ak-m[ur-m]a 45-e 1 wa-ṣi-tam
(2)ta-ša-ka-an ba-ma-at 1 te-ḫe-pe [3]0 ù 30 tu-uš-ta-kal
(3)15 a-na 45 tu-ṣa-ab-ma 1-[e] 1 íb.si8 30 ša tu-uš-ta-ki-lu
(4)lìb-ba 1 ta-na-sà-aḫ-ma 30 mi-it-ḫar-tum
Unvorbereitete Leser, welche dies als kompliziert empfinden, sollten
sich vor Augen halten, dass es für die ersten Wissenschaftler fast genauso
kompliziert war. 90 Jahre später verstehen wir die technische
Terminologie
Keilschrift
Von Anfang an hat man in Mesopotamien auf plattgedrückten Tafeln aus
Ton geschrieben,
Die Zeichen für Zahlen und Maße wurden jedoch durch vertikale oder schräge Einkerbungen mit einem zylindrischen Griffel gemacht.
Im Laufe der Zeit änderte sich der Charakter der Schrift in zweierlei Hinsicht. Zum Einen wurden die Bilder nicht mehr gezeichnet, sondern durch einen Griffel mit scharfen Kanten durch Zeichen symbolisiert, die aus geraden Strichen bestanden. Dadurch erscheinen die Zeichen aus kleinen Keilen zusammengesetzt, was zum Namen Keilschrift führte.
Ab der zweiten Hälfte des dritten Jahrtausends wurden numerische und
metrologische Zeichen auf dieselbe Art und Weise geschrieben. Die Zeichen
wurden zunehmend stilisiert und verloren ihre piktographischen Eigenschaften;
es ist daher nicht möglich, deren Bedeutung zu erraten, wenn man nicht die
historische Entwicklung
Betrachten wir beispielsweise das Zeichen, das ursprünglich durch ein Gefäß mit Ausguss dargestellt wurde (linkes Bild).
In
Die zweite Änderung betrifft den Gebrauch der Zeichen (wir sollten aus
diesem Grund eher von „Charakter“ reden).
Das sumerische Wort für Gefäß ist dug. Weil sich neben der
Buchhaltung weitere literarische Gattungen entwickelten (beispielsweise
königliche Inschriften, Verträge, Sammlungen von Sprichwörtern), mussten
die Schreiber Wege finden, Silben zu schreiben, welche der Kennzeichnung
grammatikalischer Deklinationen von Wortstämmen dienten. Dieses System
einer Silbenschrift
Wörter, die als
Assyriologen unterscheiden zwischen
Es war bereits bekannt, dass diese Zahlen in einem Stellenwertsystem
mit Basis 60 geschrieben wurden, allerdings ohne Angabe der Größenordnung
der Zahl (siehe den Kasten
Für den nächsten Schritt braucht man etwas Fantasie. Wenn man bemerkt, dass 30′ gleich und ist, dann liegt es nahe, an die Gleichung
zu denken. Heute lösen wir eine solche Gleichung mit den folgenden Schritten (wir betrachten dabei keine negativen Zahlen – diese sind eine moderne Erfindung):
Wie wir sehen können, basiert diese Methode auf der Addition des Quadrats des halben Koeffizienten des linearen Terms , hier also , zu beiden Seiten der Gleichung. Dies erlaubt uns, die linke Seite als das Quadrat eines Binoms zu schreiben:
Dieser kleine Trick heißt „quadratische Ergänzung“
Wenn wir den antiken Text und die moderne Lösung vergleichen, dann
bemerken wir, dass dieselben Zahlen in fast derselben Reihenfolge auftreten;
Ähnliches gilt für andere Texte. In den frühen 1930er Jahren gelangten
Mathematikhistoriker deshalb zu der Überzeugung, dass die babylonischen
Schreiber zwischen 1800 und 1600 v. Chr. etwas ganz Ähnliches wie unsere
algebraische Methode zum Lösen quadratischer Gleichungen besessen hatten.
Diese Periode macht die zweite Hälfte der altbabylonischen Epoche
(siehe den Kasten „Geschichte Mesopotamiens“ auf
S.
Der nächste Schritt war die genaue Interpretation der Texte.
Aus diesem Grund wählten die Wissenschaftler der 1930er Jahre eine rein
arithmetische
(1)Ich habe die Fläche und [die Seite] ein[es] Quadrat[s] addiert: 45′.
(2)Du nimmst 1°, die Einheit. Du brichst entzwei . Du multiplizierst [30′ und] 30′:
(3)15′. Du fügst 15′ zu 45′ hinzu: 1°. 1° ist das Quadrat von 1°.
30′, was du (mit sich selbst) multiplizierst hast,
(4)von 1° subtrahierst du: 30′ ist die Seite des Quadrats.
Solche Übersetzungen findet man auch heute noch in Büchern über die
Geschichte der Mathematik. Sie erklären die Zahlen, welche in den
Texten auftauchen, und sie geben einen fast modernen Eindruck der
altbabylonischen Methoden. Es gibt keinen wesentlichen Unterschied
zwischen der obigen Übersetzung und der Lösung mit Hilfe von Gleichungen.
Ist die Seite des Quadrats gleich
, dann ist die Fläche
. Also entspricht die erste Zeile des Texts – des zu
lösenden Problems – der Gleichung
.
Wenn wir die Übersetzung weiterverfolgen, dann sehen wir, dass sie der
symbolischen Umformung auf Seite
Obwohl jedoch die vorliegende Übersetzung ebenso wie andere, die nach denselben Prinzipien erstellt wurden, die Zahlen des Texts erklären, stimmen sie weniger gut mit den Wörtern, und manchmal auch nicht mir der Reihenfolge der Operationen überein. Zum Einen berücksichtigen diese Übersetzungen nicht den geometrischen Charakter der Terminologie, indem sie davon ausgehen, dass Wörter und Ausdrücke wie „die Seite meines Quadrats“, „Länge“, „Breite“ und „Fläche“ eines Rechtecks nichts als unbekannte Zahlen und deren Produkte bezeichnen. Man muss dabei beachten, dass dies in den 1930ern a priori nicht unmöglich erschien – auch wir reden von als dem „Quadrat von 3“, ohne dabei an ein geometrisches Quadrat zu denken.
Allerdings gibt es andere Probleme.
Das Sexagesimalsystem
Die
Ähnlich kann ein „45“ eines babylonischen Schreibers 45 bedeuten; es kann aber auch für (also ), für usw. stehen. Kein Dezimalkomma bestimmt den „wirklichen“ Wert. Dieses System entspricht demjenigen, das Ingenieure mit dem Rechenstab vor dem Aufkommen von Taschenrechnern benutzt haben. Der Rechenstab besaß ebenfalls kein Dezimalkomma und zeigte somit auch nicht die wahre Größe eines Ergebnisses an. Um herauszufinden, ob ein bestimmtes Ergebnis nun 3,5 m³, 35 m³ oder 350 m³ bedeutete, musste der Ingenieur Kopfrechnen.
Um die Zahlen zwischen 1 und 59 zu schreiben benutzten die Babylonier
einen senkrechten Keil (), der bis zu
neun mal wiederholt mit bestimmten Mustern wurde, um die Zahlen von
1 bis 9 darzustellen, und einen Winkelhaken
(), der bis zu fünf Mal wiederholt
wurde, um die Zahlen
Heutige Leser sind es nicht gewohnt, Zahlen unbestimmter Größe zu lesen. In Übersetzungen babylonischer mathematischer Texte ist es daher üblich, die Größenordnung einer Zahl anzugeben. Dafür sind verschiedene Methoden in Gebrauch. Im vorliegenden Buch werden wir eine Verallgemeinerung der Grad-Minute-Sekunde-Notation benutzen. Wenn den Bruch bedeutet, werden wir die Zahl als 15′ transkribieren, bedeutet es , werden wir 15″ schreiben. Wenn es für steht, schreiben wir 15‵ usw. Steht es für 15, so schreiben wir 15 oder, falls dies notwendig ist, um Missverständnisse zu vermeiden, 15°. Wenn als zu verstehen ist, wird es also als 10°5′ transkribiert.
aufgefasst als 30′ bedeutet daher .
aufgefasst als 45′ bedeutet .
aufgefasst als 12′ bedeutet ; aufgefasst als 12‵ bedeutet es 720.
aufgefasst als 10′ bedeutet .
kann oder usw. bedeuten.
kann , usw. bedeuten.
Außerhalb der Schreiberschulen benutzten die Babylonier das Stellenwertsystem ausschließlich für Zwischenrechnungen (auf dieselbe Art wie ein Ingenieur vor 50 Jahren einen Rechenschieber benutzt hat). Wenn ein Ergebnis in einen Vertrag oder einen Bestand einzufügen war, konnte man sich offensichtlich keine Mehrdeutigkeit erlauben; andere Notationen erlaubten ihnen, die gewünschte Zahl genau aufzuschreiben.
Sicherlich kennen auch wir Synonyme
Es ist richtig, dass es Synonyme auch in der altbabylonischen Mathematik gibt. Die
Verben „ausreißen“
Eine Übersetzung, welche Operationen vermischt, die die Babylonier als verschieden betrachtet haben, kann erklären, warum die babylonischen Rechnungen zu korrekten Ergebnissen führen; aber sie kann deren mathematische Schlussweise nicht durchdringen-
Außerdem mussten traditionelle Übersetzungen manche Worte auslassen,
die keinen Sinn zu ergeben schienen.
Andere Wörter wurden auf Arten übersetzt, die so stark von ihrem
üblichen Gebrauch abwichen, dass es Verdacht erregen musste.
Normalerweise bezieht sich das Wort waṣītum (von
waṣûm, hinausgehen), welches Thureau-Dangin
Endlich ist auch die Reihenfolge, in welcher die Operationen ausgeführt werden, manchmal von derjenigen verschieden, die bei einer arithmetischen Interpretation als die natürliche empfunden wird.
Trotz dieser Einwände war die arithmetische
Interpretation
Eine neue Lesart
Wie wir eben gesehen haben, kann die arithmetische Interpretation die Wörter, mit welchen die Babylonier ihre Operationen bezeichneten, nicht vollständig erklären. Zum einen vermengt sie Operationen, welche die Babylonier als verschieden angesehen haben. Zweitens entspricht die dadurch nahegelegte Reihenfolge der Operationen nicht immer derjenigen der babylonischen Rechnungen. Streng genommen stellt sie keine Interpretation dar, sondern eine Kontrolle der Korrektheit der babylonischen Methoden mit Hilfe moderner Techniken.
Eine echte Interpretation
In den folgenden Kapiteln werden wir eine Reihe von Problemen analysieren, und zwar in einer Übersetzung, die einer solchen Interpretation entspricht. Zuvor ist noch angebracht, auf einige allgemeine Informationen hinzuweisen.
In unserer Algebra benutzen wir x und y als Namen für
unbekannte Zahlen. Wir benutzen Algebra als Hilfsmittel
zum Lösen von Problemen über alle Arten von Größen, etwa Preisen,
Entfernungen, Energiedichten usw.; aber in all diesen Fällen betrachten
wir diese Größen als durch Zahlen repräsentiert. Für uns sind Zahlen die
fundamentale Darstellung
Bei den Babyloniern war die fundamentale Darstellung geometrischer Natur.
Die meisten ihrer „algebraischen“ Probleme betreffen Rechtecke
mit Länge,
Es ist eine wichtige Eigenschaft der babylonischen Geometrie, dass sie als „algebraische“ Darstellung dienen kann: sie dreht sich immer um gemessene Größen. Die Maßzahl von Strecken und Flächen kann also als Unbekannte verwendet werden – aber selbst dann existiert sie als numerische Maßzahl, und das Problem besteht darin, ihren Wert zu finden.
Jede Messung setzt eine Metrologie
Die Standardeinheit für horizontale Entfernung
Die Standardeinheit für Flächen
Die Standardeinheit für Hohlmaße
Die Standardeinheit für Gewichte
Es gibt zwei additive Operationen
„Anhäufen“
Die Summe, die aus einem „Hinzufügen“ resultiert, hat
keinen besonderen Namen: tatsächlich erschafft diese Operation nichts
Neues. Andererseits hat die Summe
Es gibt auch zwei subtraktive Operationen
Der Unterschied bei der ersten Subtraktion heißt „der Rest“
Es gibt diverse Synonyme oder Fast-Synonyme für „herausreißen“.
Wir werden davon „abschneiden“ (ḫarāṣum) (AO 8862 #2,
Seite
Vier verschiedene Operationen
Die erste Version taucht auf altbabylonischen Tafeln auf, welche
das Gegenstück des kleinen Einmaleins enthalten.
Der sumerische Ausdruck (a.rá, abgeleitet vom sumerischen Verb
rá, „gehen“) kann als
„Schritte von“ übersetzt werden.
1 Schritt von 6 ist 6
2 Schritte von 6 sind 12
3 Schritte von 6 sind 18
…
Drei der Texte, auf die wir unten eingehen werden
(TMS VII #2
Die zweite „Multiplikation“ ist durch das Verb
„erhöhen“
Die dritte Multiplikation (šutakūlum/gu7.gu7),
„p und q enthalten lassen“
Die letzte Multiplikation (eṣēpum) ist ebenfalls keine wirkliche numerische Multiplikation. „Wiederholen“ oder „Wiederholen bis n“ (wo n eine ganze Zahl ist, klein genug, um sie sich vorzustellen, nämlich höchstens 9) steht für eine „physikalische“ Ver-n-fachung, zum Beispiel die Verdopplung eines rechtwinkligen Dreiecks mit den Katheten a und b zu einem Rechteck .
Das Problem „Was muss ich zu d erhöhen um P
zu erhalten?“ ist eine Divisionsaufgabe mit der Antwort
. Offenbar kannten die altbabylonischen Rechner solche
Aufgaben sehr gut. Diese tauchten in ihrer „Algebra“
(wir werden unten viele Beispiele dafür sehen) ebenso auf wie beim
praktischen Planen: Ein Arbeiter kann an einem Tag N nindan
eines Bewässerungskanals graben; wie viele Arbeiter braucht man, um
30 nindan in 4 Tagen zu graben? In diesem Beispiel taucht
das Problem zwei Mal auf; das Ergebnis ist
.
Aber Division
Um 30 durch 4 zu teilen, benutzten sie eine Tafel (siehe Tabelle 1.1), aus der sie, falls sie die Tafeln nicht auf der
Schreiberschule
von 1, dessen 2/3 | 40 | 27, dessen IGI |
2 13 20 |
dessen Hälfte | 30 | 30, dessen IGI |
2 |
3, dessen IGI |
20 | 32, dessen IGI |
1 52 30 |
4, dessen IGI |
15 | 36, dessen IGI |
1 40 |
5, dessen IGI |
12 | 40, dessen IGI |
1 30 |
6, dessen IGI |
10 | 45, dessen IGI |
1 20 |
8, dessen IGI |
7 30 | 48, dessen IGI |
1 15 |
9, dessen IGI |
6 40 | 50, dessen IGI |
1 12 |
10, dessen IGI |
6 | 54, dessen IGI |
1 6 40 |
12, dessen IGI |
5 | 1, dessen IGI |
1 |
15, dessen IGI |
4 | 1 4, dessen IGI |
56 15 |
16, dessen IGI |
3 45 | 1 12, dessen IGI |
50 |
18, dessen IGI |
3 20 | 1 15, dessen IGI |
48 |
20, dessen IGI |
3 | 1 20, dessen IGI |
45 |
24, dessen IGI |
2 30 | 1 21, dessen IGI |
44 26 40 |
25, dessen IGI |
2 24 |
Tab. 1.1: Übersetzung der altbabylonischen Reziproken-Tafel (igi).
In erster Linie steht
igi
Allerdings war dies nur möglich, falls n in der igi-Tafel
auftauchte.
Für die üblichen Rechnungen hat dies in der Regel ausgereicht. Man hat
die technischen Konstanten – etwa der Betrag an Erde, den ein Arbeiter
an einem Tag ausgraben konnte – tatsächlich als einfache reguläre Zahlen
gewählt. Die Lösung „algebraischer“
Probleme führen andererseits oft auf Divisionen durch einen nicht
regulären Divisor d. In solchen Fällen liest man in den Texten
„was soll ich zu d setzen, das mir A gibt?“,
unmittelbar gefolgt von der Antwort: „Setze
kann ein Bruch wie jeder andere sein:
,
,
,
usw. Diese Art der Hälfte, falls es die Hälfte von etwas und nicht
einfach ein Bruch ist. wird durch Erhöhen auf 30′ gefunden. Ähnlich
erhält man
durch Erhöhen auf 20′ usw. Diese Art
der Hälfte taucht in AO 8862 #2
Aber (in diesem Fall notwendig die Hälfte von etwas) kann auch eine „natürliche“ Hälfte sein, also eine „eindeutige“ Hälfte. Der Radius eines Kreises ist etwa die „natürliche“ Hälfte des Durchmessers: kein anderer Teil kann dieselbe Rolle spielen. Ganz ähnlich ist es auch genau die Hälfte der Grundseite eines Dreiecks, welche zur Höhe erhöht werden muss, um die Fläche zu erhalten, wie man an der Figur ablesen kann, welche gewöhnlich zum Beweis der Formel benutzt wird (siehe Abb. 1.2).
Abb. 1.2
Diese „natürliche“ Hälfte hatte einen besonderen Namen
(bāmtum), den wir mit „Halbe“ übersetzen können.
Das Produkt
spielte keine besondere Rolle,
weder als Ergebnis von „Erhöhen“
Dieses geometrische Quadrat hatte allerdings einen Sonderstatus. Man
konnte sicherlich „a und a enthalten
machen“ oder „a mit sich selbst enthalten
machen“; aber man konnte auch “a sich
gegenüberstellen“ (šutamḫurum,
von maḫārum, „jemanden annehmen, empfangen,
willkommen heißen“). Das Quadrat als geometrische Figur war
eine „Gegenüberstellung“
Um zu sagen, dass s die Seite eines Quadrats mit der Fläche
Q ist, wurde die folgende sumerische Redewendung (bereits auf
Tafeln von Quadratwurzeln, die wahrscheinlich aus der Epoche
Ur III
Genauso wie es Multiplikations- und Reziprokentafeln gegeben hat,
gab es auch Tabellen von Quadraten und ihren „Gleichen“
Diese benutzten die Wendungen „n Schritte
von
Die Texte und ihre Übersetzungen
Die Texte, die im Folgenden präsentiert und erläutert werden,
sind in Babylonisch geschrieben, der Sprache, die in Babylonien
während der altbabylonischen Epoche gesprochen wurde. Im Wesentlichen
sind sie in (phonetischer) Silbenschrift
Wir wir bereits erwähnt haben, stammen unsere Texte aus der zweiten Hälfte der altbabylonischen Epoche, wie man an der Handschrift und der Sprache erkennen kann. Leider ist es oft unmöglich, Genaueres zu sagen, weil fast alle dieser Tafeln aus Raubgrabungen stammen und von Museen auf dem Antiquitätenmarkt in Bagdad oder Europa gekauft worden sind.
Wir haben keine direkten Informationen über die Autoren der Texte.
Sie stellen sich nie vor, und keine andere Quelle spricht von ihnen.
Da sie die Schrift beherrschen (und zwar besser als nur die Grundlagen
der Silbenschrift, die auch manche Laien schreiben konnten), müssen
sie zur Kategorie der Schreiber
Alle diese Informationen basieren auf indirekten Argumenten. Vermutlich
hat die Mehrzahl der Schreiber nie Mathematik jenseits einfacher Berechnungen
getrieben; wahrscheinlich waren nur sehr wenige auf dem hohen mathematischen
Niveau unserer Texte ausgebildet. Es ist sogar wahrscheinlich, dass nur eine
Minderheit der Lehrer solche Dinge unterrichtet hat.
Folglich, und weil mehrere Stimmen aus diesen Texten sprechen (siehe
Seite
Die Übersetzungen in diesem Buch, die alle auf Grundlage der englischen
Übersetzungen des Autors gemacht worden sind, unterscheiden
nicht zwischen Wörtern, die in Silbenschrift oder in Logogrammen geschrieben
sind (Leser, die dies wissen möchten, müssen die Transliterationen in
Anhang B konsultieren). Bis auf diese
Ausnahme sind sie „konform,“
Damit will nicht gesagt sein, dass die Babylonier keine technische Terminologie über ihre Umgangssprache hinaus besaßen; aber es ist wichtig, dass die technische Bedeutung eines Wortes aus dem Gebrauch in altbabylonischen Texten gelernt und nicht von unserer modernen Terminologie übernommen wird (mit dem Risiko, dass diese Übernahme schlecht ist, wie es oft vorgekommen ist).
Die Struktur der babylonischen Sprache ist sehr verschieden von der
Struktur des Deutschen; deswegen sind die
konformen
Um vollkommen unleserliche Übersetzungen zu vermeiden, wird das Prinzip der Konformität nicht auf die Spitze getrieben. Im Deutschen muss man wählen, ob man einem Substantiv einen bestimmten oder einen unbestimmten Artikel voransetzt; im Babylonischen, ebenso wie im Lateinischen und Russischen, ist dies nicht der Fall. Auch gibt es im Altbabylonischen keine Satzzeichen (außer Zeilenumbruch und ein Partikel, den wir mit „:“ wiedergeben), und die absolute Größenordnung von Zahlen im Sexagesimalsystem wird nicht angezeigt; minimale Interpunktion sowie Angaben der Größenordnungen (′, ‵ und °) wurden hinzugefügt. Zahlen, die im Original als Zahlen geschrieben sind, wurden mit arabischen Ziffern übersetzt, während Zahlen, die durch Wörter (oder Logogramme) gegeben sind, als Wörter übersetzt wurden; gemischte Schreibweisen erscheinen gemischt (z.B. „die 17te“ oder sogar „die 3te“ für die dritte).
Beschriftete Tontafeln überleben besser als Papier, insbesondere wenn
die Stadt zusammen mit ihren Büchereien und Archiven abbrennt, aber
auch wenn sie als Müll weggeworfen werden. Dennoch sind fast alle Tafeln,
auf die wir Bezug nehmen, beschädigt.
Tontafeln haben Namen, meist Museumsnummern. Das kleine Problem, das wir oben zitiert haben, ist das erste auf der Tafel BM 13901, also Tafel #13901 in der Sammlung der Keilschrifttafeln des Britischen Museums. Andere Namen beginnen mit AO (Antiker Orient, Louvre, Paris), VAT (Vorderasiatische Texte, Berlin) oder YBC (Yale Babylonian Collection). TMS bezieht sich auf die Edition Textes mathématiques de Suse, einer Sammlung des Louvre von Tafeln aus Susa, einer iranischen Grabungsstätte in der östlichen Nachbarschaft von Babylon.
Die Tafeln sind zum großen Teil auf beiden Seiten beschriftet (auf Vorderseite (abgekürzt mit Vs.) und Rückseite (Rs.), manchmal in mehreren Spalten, und bisweilen auch auf der Kante. Die Texte sind in Zeilen eingeteilt, die von links nach rechts gelesen werden. Den Originaleditionen folgend geben die Übersetzungen die Zeilennummern und, falls vorhanden, die Vorderseite, Rückseite und Spalte.
Fußnoten
Um 1930 musste man mit Texten beginnen, die weitaus komplexer waren als das Beispiel, das wir gerade betrachten; dieses wurde erst 1936 entdeckt. Die Prinzipien waren aber dieselben. Die wichtigsten Beiträge in den frühen Jahren stammen von Otto Neugebauer, ein Historiker der antiken Mathematik und Astronomie, und dem Assyriologen François Thureau-Dangin.
Eine wörtliche Rückübersetzung von François Thureau-Dangins französischer Übersetzung. Otto Neugebauers deutsche Übersetzung stimmt bis auf einen Punkt damit überein: wo Thureau-Dangin „1°, die Einheit“ übersetzt, schlägt Neugebauer „1, der Koeffizient“ vor. Außerdem transkibiert er Zahlen im Sexagesimalsystem anders.
Niemandem außer vielleicht Neugebauer, der bei einer Gelegenheit (völlig zu Recht) bemerkte, dass ein Text eine falsche Multiplikation benutzt. Jedenfalls muss man bemerken, dass weder er noch Thureau-Dangin jemals eine falsche Operation gewählt haben, wenn sie fehlende Teile einer zerbrochenen Tafel rekonstruiert haben.
Genau gesagt steht das Wort, das wir mit Länge übersetzen, für „Entfernung“, „Länge“ oder „Ausdehnung“ während „Breite“ eigentlich „Vorderseite“, „Stirn“ oder „Kopf“ bedeutet. Sie beziehen sich auf die Idee der Länge und Breite eines bewässerten Feldes. Das Wort für Fläche bedeutet ursprünglich „Feld“, sodass die Texte andere, weniger geeignete Wörter benutzen, wenn es um die Teilung von echten Feldern geht. Im Folgenden werden wir das Wort mit „Fläche“ übersetzen. Dieses Wort hat einen ähnlichen Wandel der Bedeutung durchgemacht und steht sowohl für die räumliche Ausdehnung als auch für seinen Flächeninhalt.
Eine ähnliche Unterscheidung wurde für Längen und Breiten geschaffen. Wenn diese für „algebraische“ Variablen stehen, dann wurden sie mit den Logogrammen uš und sag̃ geschrieben; wenn sie für allgemeine Zwecke (Länge einer Mauer, eine Entfernung) benutzt werden, werden sie mit phonetischen Komplementen oder in Silbenschrift als šiddum und pūtum geschrieben.
Wegen des Fehlens eines Sexagesimalpunkts ist es nicht möglich zu sagen, ob die Grundeinheit 1 nindan, 60 nindan oder nindan ist. Die Wahl von 1 nindan erscheint (zumindest uns) als die natürlichste Wahl für einen babylonischen Rechner, weil sie bereits als Einheit existiert (dies gilt auch für 60 nindan, aber nicht für nindan) und weil Entfernungen, die in nindan gemessen wurden, vor der Einführung des Sexagesimalsystems jahrhundertelang ohne expliziten Verweis auf die Einheit aufgeschrieben worden sind.
Wir sollten nicht ausschließen, dass die Babylonier die Mine als Standardeinheit betrachteten, oder dass sie beide Möglichkeiten zuließen.
Die gebräuchliche Verbform wäre ein Kausativ-Reziprokativ. Gelegentlich ist der gebrauchte Ausdruck aber „Lass p zusammen mit q enthalten“, was die reziprokative Interpretation auszuschließen scheint.
Wenn wir von einer „Schule“ im babylonischen Kontext sprechen, dann müssen wir uns der Tatsache bewusst sein, dass wir Schulen nur aus Texten kennen. Kein Raum ist von Archäologen jemals als Schulzimmer identifiziert worden (was man zeitweilig einmal für ein Schulzimmer gehalten hat, hat sich später als Lagerraum herausgestellt). Wir wissen also nicht, ob die Schreiber im Palast oder Tempelschulen unterrichtet wurden, oder Schreiber-Lehrer in ihren privaten Häusern jeweils ein paar Schüler ausbildeten. Wahrscheinlich wurden viele von Privatlehrern unterrichtet. Die große Zahl an fast identischen Kopien von Reziprokentafeln, die zum Zwecke des Auswendiglernens erstellt wurden, zeigen aber, dass künftige Schreiber nicht (oder nicht allein) Lehrlinge eines Schreibers waren, sondern nach einem genau definierten Lehrplan unterrichtet wurden. Dies legen auch andere Quellen nahe.
Es erscheint seltsam, dass die Multiplikation von igi 4 mit 30 durch „Erhöhen“ ausgeführt wurde. Geht es hier nicht um ein Produkt einer Zahl mit einer anderen? Nicht notwendig: der Ausdruck im Text, wo igi 4 gesucht ist, zeigt, dass es „abgespalten“ wird. Die Idee ist also ein Aufteilen in 4 Teile, von denen einer abgespalten wird. Es sieht so aus, dass das, was ursprünglich abgespalten wurde (zu den Zeiten, als das Sexagesimalsystem entwickelt wurde), eine Länge war – nämlich 1‵ [nindan] , nicht 1 [nindan]. Diese Vorstellung aus den Zeiten von Ur-III war in der altbabylonischen Epoche sicherlich vergessen; aber die terminologische Gewohnheit hatte überlebt.
Außerdem versteht es sich von selbst, dass n selbst in dieser Form geschrieben werden kann. Man überzeugt sich leicht davon, dass alle „reguläre Zahlen“ in der Form geschrieben werden können, wobei p, q und r ganze Zahlen sind. 2, 3 und 5 sind in der Tat die einzigen Primzahlen, welche die Basis 60 teilen. Die „regulären Zahlen“ in unserem Dezimalsystem lassen sich analog in der Form schreiben, und 2 und 5 sind die einzigen Primteiler von 10.
Der Ausdruck „setzen zu“ bezieht sich auf die Art und Weise, wie einfache Multiplikationsaufgaben in der Schreiberschule gestellt wurden: Die beiden Faktoren wurden übereinander geschrieben (die zweite wurde zur ersten „gesetzt“), und das Ergebnis wurde unter die beiden Faktoren geschrieben.
Genauer steht das babylonische Wort für eine „Situation, bei welcher sich Gleiche gegenüberstehen“.
Im Akkadischen steht das Verb am Ende des Satzes. Diese Struktur erlaubt es, eine Zahl ein einziges Mal zu schreiben. zuerst als das Ergebnis einer Rechnung und dann als das Objekt einer weiteren Rechnung. Um diese Architektur des Texts (Zahl/Operation: Ergebnis/neue Operation) zu bewahren wird die Stellung des Verbs am Ende in den Übersetzungen respektiert, auch wenn es ungrammatisch ist. Die Leser werden sich daran gewöhnen müssen.