Der
Die germanischsprachigen Völker kamen im Verlauf ihrer Geschichte immer wieder in engen Kontakt mit anderssprachigen Völkern und Kulturen und haben von diesen Wörter zusammen mit den damit bezeichneten Sachen und Verhaltensweisen übernommen. Zu den frühesten nachweisbaren Entlehnungen
3.1 Gliederung des Lehnwortschatzes nach Werner Betz
Am folgenreichsten für den Wortschatz der von Haus aus schriftlosen Germanen war der Kontakt mit der antiken Schriftkultur

Abb. 3.1: Entlehnungsvorgänge nach Betz (1974, 137).
1. Lehnwort | |
Fremdwort | assimiliertes Lehnwort |
Palais | Pfalz, mhd. palas, Palast |
2. Lehnbildung mit Beispielen von Lehnübersetzungen | |
paen-insula | Halb-insel |
con-scient-ia | ahd. ga-wizzan-i |
3. Lehnbedeutung | |
got. daupjan | 1. *eintauchen (vgl. engl. to dip) |
2. *taufen gr.-lat. βαπτίξειν / baptizare | |
ahd. touffan | *taufen |
Tab. 3.1: Die drei zentralen Termini, die den drei wichtigsten Formen der Entlehnungen entsprechen, sind hier mit Beispielen wiedergegeben.
Tab. 3.1: Die drei zentralen Termini, die den drei wichtigsten Formen der Entlehnungen entsprechen, sind hier mit Beispielen wiedergegeben.
Es sind also im Wesentlichen drei Möglichkeiten, die für die Lehnvorgänge eine Rolle spielen. Zunächst das LehnwortFremdwort, dessen Aussprache, Flexion und Betonung meist ein gewisses Maß an Bildung voraussetzt, um der Gefahr eines Malapropismus im Gebrauch des Wortes zu entgehen (z. B. eine Verkaufsbude ein Fiasko zu nennen statt Kiosk oder eine Sisyphosarbeit als Syphilisarbeit zu bezeichnen).
Das entlehnte Wort kann aber auch phonetisch und morphologisch dem System der entlehnenden Sprache assimiliert werden und dadurch alle seine fremden Merkmale einbüßen. Ein assimiliertes Lehnwort
Eine zweite Hauptart von Entlehnungsvorgängen bezeichnet Betz als LehnprägungLehnbildung differenziert er in Lehnübersetzung
Eine dritte Art von Entlehnungsvorgängen, die zum Bereich der LehnbildungenLehnbedeutung
3.2 Entlehnungen aus dem Lateinischen in das Alt- und Mittelhochdeutsche
3.2.1 Erste Welle von Entlehnungen 1. bis 5./6. Jahrhundert
Die Kontakte zwischen den Römernersten Welle von Wortentlehnungen aus dem Lateinischen
Das wahrscheinlich älteste deutsche Lehnwort
Von den mehreren Hundert Wörtern, die in den ersten vier Jahrhunderten nach Chr. zu den Germanen und in den althochdeutschen Wortschatz gelangten, ist ein großer Teil noch heute erhalten. Die Entlehnungswege von der Romania in die Germania hat Theodor Frings erforscht.10 Aufgrund der Verteilung bestimmter Bezeichnungen wie z. B. der verschiedenen lateinischen Wörter für *Kelter
Die lateinischen Lehnwörter der ersten Welle sind überwiegend Bezeichnungen, die mit den neuen, den Germanen bisher unbekannten Sachgütern und Gegenständen übernommen wurden. Mit den neuen Sachen kamen also die neuen Wörter, die im Althochdeutschen wie in den benachbarten germanischen Sprachen, dem AltenglischenHolzbauweise. In den Sagas findet sich die vollständige Terminologie für das Haus und seine Teile in der Holzbauweise. Die Fachwerkbauten sind im Grunde die Fortsetzung der altererbten Bauweise. Von den RömernSteinbauweise kennen; mit den dafür nötigen neuen Baustoffen und Bauformen wurden auch die neuen Fachausdrücke importiert. Die meisten davon sind bis heute erhalten geblieben. Oft steht die alte germanische oder althochdeutsche Bezeichnung für einen Hausteil neben der entlehnten römischen, so steht z. B. ahd. wand, nhd. Wand für das aus Flechtwerk gewundene und mit Erde verschmierte Hausteil neben der neuen Bezeichnung ahd. mūra (aengl. mūr), nhd. Mauer aus lat. mūrus, die Steinmauer eben. Abweichend vom Lateinischen, aber analog zu wand ist das neue Wort ein Femininum.
Die heutigen Umgangssprachen
Weitere Wörter, die mit dem römischen Bauwesen ins Althochdeutsche gekommen sind und im heutigen Deutsch überregional gebraucht werden, sind: Ziegel (ahd. ziagala < lat. tēgula), Kalk (ahd. kalc < lat. calx), Mörtel (ahd. mortāri < lat. mortārium *Mörser und metonymisch für den Inhalt des Mörsers *Mörtel), Pfeiler *Stütze, Säule (ahd. phīlāri, mhd. phîlære < vulgärlat. *pīlāre, eine Ableitung von lat. pīla *Pfeiler), Pfahl (ahd. mhd. phâl < lat. pālus), Pfosten *Stützpfeiler (ahd. phosto, mhd. phost[e] < lat. postis *Türpfosten), Keller (ahd. kellāri, mhd. keller < lat. cellārium *Vorratskammer), Kamin *offene Feuerstelle mit Rauchfang; Schornstein (mhd. kámîn, kémîn < lat. camīnus *Feuerstätte, Schmelzofen [< griech. κάμινος]), Kammer (ahd. kamara, mhd. kamer[e] < lat. camara), Küche (ahd. kuhhina, mhd. küche[n] < vulgärlat. cucīna, cocīna).
Bei Wörtern wie Pfeiler, Pfahl, Pfosten zeigt die anlautende Affrikata pf-, dass sie vor der Zweiten oder althochdeutschen Lautverschiebung übernommen worden sind, obwohl sie zum Teil erst spät belegt sind; ebenso bei Ziegel aus lat. tēgulum. Diese Wörter waren schon im voralthochdeutschen Wortschatz vorhanden und wurden seit dem 6./7. Jahrhundert mit den Affrikaten gesprochen, als vermutlich zuerst die Alemannen
Auch das Wort Fenster ist bereits im 8. Jahrhundert als ahd. finestra und um 1000 als fenstar belegt, es ist aus lat. fenestra *Öffnung in einer Wand oder Mauer, Fenster entlehnt. Daneben gab es in den germanischen Sprachen aber auch altererbte Wörter für Fenster: got. auga-dauro,17 altengl. eaȝ-duru und eagh-þyrl18 ahd. auga-tora,19 *Tür in Form eines Auges oder wie umgangssprachlich
Die aus dem Lateinischen entlehnten Wörter wurden, wie bereits bemerkt, von den Germanen mit germanischen Artikulationsgewohnheiten ausgesprochen, und die vor der Zweiten Lautverschiebung ins Voralthochdeutsche gelangten Lexeme unterlagen dem historischen Lautwandel. Die Lehnwörter wurden auf der ersten Silbe betont und sind im 8./9. Jahrhundert dem morphologischen System des Althochdeutschen angepasst. Sie sind also völlig assimiliert, sind keine Fremdwörter mehr; sie werden von allen sozialen Schichten gebraucht, auch von denjenigen, die des Lateinischen nicht mächtig sind.
Mit der ersten lateinischen Welle von Lehnwörtern kamen zusammen mit den Sachen noch zahlreiche neue Wörter für weitere Bereiche, so für den Gemüse- und Gartenbau, den Obst- und Weinbau, für Kochkunst und Küche. Die Weinbauterminologie stammt fast gänzlich aus dem Lateinischen
3.2.2 Zweite Welle von Entlehnungen 8. bis 11. Jh.
Ganz anderer Art sind die Entlehnungsvorgänge, die eine zweite Welle des lateinischen
Die Prägung neuer Ausdrücke für die neuen Inhalte erforderte von den Missionaren eine hinreichende Kompetenz im Lateinischen, der Sprache also, in der die neue Lehre abgefasst war, und zugleich im Deutschen, der Sprache der zu Missionierenden. Nicht nur die christliche Lehre hatten die MissionareBuchreligion
Die altnord. Bezeichnung für das Lesen von Runen
Anders werden aber im AlthochdeutschenLehnwörternneue Gebrauchsweise eines vorhandenen Wortes. Ein vorhandener Ausdruck wird mit einem neuen Inhalt verwendet. Die neue Kulturtechnik konnte man auf diese Weise ganz oder—wie im Althochdeutschen—zumindest zum Teil mit vorhandenen Wörtern bezeichnen.
Wie am Beispiel von got. daupjan, ahd. touffan gezeigt wurde, wird dann nur die Bedeutung eines fremden Wortes übernommen und als Lehnbedeutung
Die neue Religion und die spezifischen Inhalte ihrer Lehre wurden ebenso wie die neuen KulturtechnikenLehnprägungenLehnbedeutungen
Bisweilen versuchten sie es zunächst mit einem Lehnwort
Aber auch die Erbwörter
Ahd. | 1. anst stF. *Gunst (wie got. ansts für griech. χάρις *Gnade) |
2. geba stF. *Gabe (wie altengl. gifu *(Gnaden-)Gabe) | |
3. huldî stF. *Zuneigung, Geneigtheit | |
4. trôst stM. *Zuversicht, Hilfe | |
5. gimuati stN. *Wohlwollen | |
6. ginâda stF. *Geneigtheit, Ruhe und Glück |
Von diesen sechs Äquivalenten setzt sich ginâda zum Mittelhochdeutschen
Es gibt zahlreiche weitere Beispiele, anhand derer wir das Wählen und Probieren, das Experimentieren der benediktinischen Gelehrten gut beobachten können anhand der überlieferten Texte, die wir der neuen Buchkultur verdanken. Die lexikalisch fruchtbare Periode des Experimentierens mit Lehnbedeutungeneinen Ausdruck.
Die Vermittlung der christlichen Zentralbegriffe, wie sie im Credo und im Neuen Testament vorkommen, erfolgte über die Lehnbedeutung, dies war für die nicht lateinkundigen Laien der gegebene Weg, um den Inhalt eines neu gebrauchten Ausdrucks zu erfassen. Eine Zweisprachigkeit
Die Übersetzung der Benediktinerregel ins Althochdeutsche26 war dagegen für das Kloster bestimmt, für einen kleinen exklusiven Kreis von Lehrern und Schülern. Obwohl die Lehrer im benediktinischen Kloster mit einer Zweisprachigkeit, die ja auch das Ziel der Schüler war, rechnen konnten, haben sie nur wenige Wörter aus dem LateinischenWortbildungLehnbildung
3.2.3 Dritte Welle von Entlehnungen im Hochmittelalter
Bereits in der Zeit des Althochdeutschen beginnt im Bereich des von der Zweisprachigkeit geprägten klösterlichen Schulbetriebs mit den Lehnbildungen ein Prozess, der die Latinisierungsbewegung des Hochmittelalters bestimmt und für die Geschichte des deutschen Wortschatzes folgenreich wird. Vor allem in der reichen Glossenüberlieferung
Wie bei den Lehnbedeutungen

Abb. 3.2: Konkurrierende Lehnübersetzungen im Alt- und Mittelhochdeutschen.
Letzten Endes hat sich unter den konkurrierenden Bildungen diejenige durchgesetzt, die dem lateinischen
Im Althochdeutschen zeigen sich die bekannten Übersetzer mit ihren Vorlieben für bestimmte Bildungsweisen ihrer Lehnübersetzungen
Für die Geschichte der deutschen Wortbildung aufschlussreich ist das bereits von den Glossatoren
Gleichzeitig mit der durch die LehnbildungenDeutschen als Wortbildungssprache nutzen. In der heroischen Dichtung wie dem Nibelungenlied ist ein großer Teil des alten Wortschatzes aus heimischer Tradition bewahrt, die höfischen Dichter dagegen gebrauchen mit Vorliebe neumodische Lehnwörter aus dem Französischen, die in der Sprechsprache der feudalen Oberschicht bereits im Umlauf waren (s. u. unter IV). Die höfischen Dichter erfinden zugleich aber auch eine höchst differenzierte Sprache, mit der sie beschreiben, was im Innern ihrer Figuren vor sich geht; sie können Gedanken, Gefühle und Einstellungen genau analysieren und ausdrücken, was die Figuren im Innern bewegt. Dazu brauchen sie einen differenzierten Wortschatz, den sie sich vor allem dadurch schaffen, dass sie die Möglichkeiten der Wortbildung nutzen.
Von den Möglichkeiten des Deutschen als einer ausgesprochenen Wortbildungssprache machen in den beiden Jahrzehnten nach 1200 Wolfram von Eschenbach
Es gibt kühne Neubildungen bei Wolfram, Zusammensetzungen und Ableitungen, darunter viele ad-hoc-Bildungen, die nicht lexikalisiert sind. Dazu einige Beispiele:33 Es gibt substantivische Komposita wie ûz-gesinde *Ausgesinde, eine Analogiebildung zu in-gesinde; valken-sehe *Falken-blick; valschheit-swant *der die Falschheit (Untreue) zum Verschwinden bringt; Adjektive wie ougest-heiz *august-heiß, freuden-flühtic *die Freude fliehend, walt-müede *von der Reise durch den Wald erschöpft; Partizipialadjektive wie be-kerzet *mit Kerzen versehen, ge-naset *mit einer Hundenase ausgestattet, ge-îsert *mit Eisen (Rüstung) versehen, gerüstet, ge-orset *mit einem ors = Pferd ausgestattet, beritten.
Gottfried von Straßburg
Die Neuerungen in der Wortbildung und die Aktivierung der deutschen Wortbildungsmöglichkeiten gehören zu den sprachgeschichtlich bemerkenswerten Leistungen der höfischen Dichter. Nicht nur weltliche Stoffe bearbeiten sie, sondern auch geistliche wie die Legenden von Gregorius oder die apokryphen Stoffe von der Kindheit Jesu und des Marienlebens. Vielfach ist Weltliches und Geistliches gar nicht rein zu scheiden: Die Thematik des *Parzival
Das Neue an den volkssprachigen Werken, die seit dem 12. Jahrhundert auf das Pergament kommen, ist aber vor allem, dass sie weitgehend unabhängig von der lateinischen
Während das Althochdeutsche der Glossenchristlichen Lehre über den rechten Weg zum Heil ist ein besonderes Anliegen auch in der Zeit, in der die höfischen Dichter versuchen, den Konflikt zwischen dem Einzelnen und Gott oder der Gesellschaft zu gestalten, wie wir das bei Parzival oder Tristan und Isolde sehen. Die Ausleger der Bibel versuchen ebenso, die Beziehung der Einzelseele zu Gott zum Thema ihrer Predigten zu machen. Das Private ist die große Entdeckung des 12. Jahrhunderts, dazu gehören die Liebe ebenso wie das Heilsstreben des Einzelnen, der für sich auf Gnade und Erlösung hofft.
Die dritte Welle des lateinischen Einflusses wird nun wieder getragen von den zweisprachigen Gelehrten der neuen Orden, zu deren Hauptaufgaben die Seelsorge gehörte. Die neuen Orden, die zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstehen, versuchen, das in den Ketzerbewegungen offenbar gewordene Heilsstreben großer Laiengruppen auf die Wege der Kirche zurückzulenken. Die neuen Orden sind die FranziskanerDominikanerBettelorden
Mit der Aufgabe der Seelsorge war für die Bettelorden zugleich die Predigt
Aus den beiden neuen Orden gehen die Hauptvertreter der ScholastikMystik
In den Werken Mechthilds und der Bettelordenstheologen stehen mystische Erfahrung und scholastische Lehre in einem vielfältigen Zusammenhang. Die Mystik wird von dem großen Franziskanertheologen
Das scholastische Latein ist geprägt durch die enormen Bereicherungen, die es durch die Rezeption der antiken Philosophie erfuhr, insbesondere der Werke des Aristoteles. Mit den lateinischen Übersetzungen der griechischen Philosophen und Kirchenväter werden auch die Wortbildungsmuster des GriechischenLehnübersetzung
Im scholastischen Latein werden massenhaft neue Verbalabstrakta auf -io und Adjektivabstrakta auf -tas gebildet, die in den entsprechenden Lehnbildungen der deutschen Übertragungen mit -unge und -heit nachgebildet werden und sich dann unabhängig vom Latein zu den produktivsten Ableitungssuffixen im System der deutschen Wortbildung etablieren.
Schwieriger zu fassen ist in den Texten der deutschen Mystik die Rolle der Lehnbedeutungen
Lehnbildungen
Im Bereich der Derivation im Wortbildungssystem des hochmittelalterlichen Deutsch ist der lateinische Einfluss am deutlichsten zu fassen. Im Bereich der Komposition sind aber ebenfalls Neubildungen zu beobachten, die wohl vom Inhalt der lateinischen Quelle inspiriert sind, aber in der Form an die Wortbildungskünste der höfischen Dichter erinnern, wenn z. B. die geistliche Trunkenheit in inebriare mit himeltrunken werden übersetzt wird oder—anknüpfend an die Stelle im Evangelium Lukas 24,32 Nonne cor nostrum ardens erat ...?—das Kompositum herz-brennung gebildet wird.45
Die mystische Prosa der Predigten
3.2.4 Entlehnungen aus dem Französischen in das mittelalterliche Deutsch
Die seit dem 11. Jahrhundert nachweisbaren Lehnbeziehungen zwischen dem Französischen und dem Deutschen unterscheiden sich von denen zwischen dem Lateinischen und Deutschen der zweiten und dritten Welle grundsätzlich, sind aber wieder teilweise vergleichbar mit den unter beschriebenen Entlehnungen der ersten lateinischen Welle, denn aus dem Französischen werden ebenfalls erstmals in großem Umfang Wörter direkt entlehnt und nicht nur durch Wortbildungsmöglichkeiten neu geschaffen, wie das für den unter und beschriebenen lateinisch-deutschen
Die französischen Entlehnungen im Mittelhochdeutschen haben finnische Germanisten seit der Jahrhundertwende systematisch erforscht, gesammelt und in umfassenden Inventaren publiziert.46 In den Verzeichnissen von Hugo Palander
Aus Suolahtis Verzeichnissen ergibt sich für Heinrich von Veldeke (Eneit) und die bereits oben genannten Autoren um 1200, nämlich Hartmann von Aue
Eneit (um 1170–74/85) | 70 |
Erec (um 1180) | 71 |
Iwein (um 1190/1200) | 35 |
Parzival (um 1200/10) | 385 |
Willehalm (um 1210/20) | 294 |
Tristan (um 1210) | 220 |
Suolahti teilt die Entlehnungen in drei Kategorien, von denen nur die erste mit ihren Belegzahlen in dem Überblick berücksichtigt ist. Diese erste Kategorie umfasst alle Lehnwörter, sowohl die eigentlichen Fremdwörter, d. h. die lautlich nicht oder nur teilweise assimilierten, als auch die nicht so zahlreichen Lehnwörter im engeren Sinne, d. h. die lautlich vollständig assimilierten Wortentlehnungen, deren Ausdrucksseite nichts Fremdes mehr aufweist.
Charakteristisch für die ausdrucksseitig nicht mehr fremden Lehnwörter ist, dass sie früh übernommen wurden und in vielen Texten zahlreich belegt sind und dass schon eigene Wortfamilien um sie existieren. Dies gilt z. B. für prîs und prîsen nach frz. pris und priser. Das deutsche Verb lautet nicht prisieren, ist also nicht mit dem neuen, unter dem Einfluss des entlehnten frz. Nomen agentis-Suffixes -ier (aus lat. -arius) erst gegen Ende des 12. Jahrhunderts entstandenen deutsche Verbalsuffix -ieren48 gebildet wie tjostieren nach frz. joster. Das gilt auch nicht für prüeven, das mit frz. prover in Verbindung gebracht wird, aber nicht als probieren oder provieren im Mittelhochdeutschen erscheint. vælen = nhd. fehlen aus frz. faillir erscheint ebenfalls in der älteren Form und nicht in der neuen mit -ieren gebildeten Form als failieren, die bei Wolfram zuerst belegt ist. Man kann also auch das relative Alter einiger Entlehnungen bestimmen und eine frühe Schicht mit vollständiger Assimilierung unterscheiden von einer späteren, die teilassimiliert ist. Das Verbalsuffix -ieren gehört ähnlich wie die Suffixe -unge und -heit zu den folgenreichsten Neuerungen der deutschen Wortbildungssystems; -ieren ist heute das produktivste Suffix zur Ableitung von Verben mit fremdsprachiger Basis.
In der Übersicht sind nur die in Suolahtis erster Kategorie gesammelten eigentlichen Wortentlehnungen, assimilierte wie nichtassimilierte, erfasst, also auch die Belege für prîs, prîsen und prüeven mit ihren Zusammensetzungen und Ableitungen. Die Entlehnungen, die Suolahti in der zweiten Kategorie erfasst, nämlich die recht häufigen französischen Floskeln, Formeln und Titel, sind ebenso wenig berücksichtigt wie die Belege seiner weniger häufig belegten dritten Kategorie mit den Lehnprägungen
Der höfische Roman ist nach Theodor Frings breites Einfallstor für französisch-höfisches Wortgut aus dem Bereich des höfisch-ritterlichen Lebens.49 Unter den höfischen Romanen ist der *Erec Hartmanns von Aue der erste deutsche Artusroman; er geht zurück auf den um 1170 entstandene französische Roman von *Erec et Enide des Chrétien de Troyes
Woher kennt Hartmann nun die von ihm benutzten französischen Wörter? Die zunächst naheliegende Antwort auf diese Frage aus der Schreibtischperspektive des Forschers wäre, dass Hartmann diese französischen Fremdwörter aus seiner französischen Quelle übernommen hat. Emil Öhmann charakterisierte die Entlehnungsvorgänge aber nicht als rein literarisch, sondern als mündlich-literarisch oder halbschriftlich.51 Theodor Frings bettete die Entlehnungswege in die *Kulturströmungen von West nach Ost ein. Danach scheinen die Entlehnungsprozesse nicht von den Dichtern gesteuert und rein literarischer bzw. buchsprachlicher Natur gewesen zu sein; mündliche Entlehnung über Wege, die durch die Kontaktzonen von Romania und Germania führen, dürften für die Entlehnungen um 1200 die Regel gewesen sein. Pragmatische Überlegungen, wie sie vor allem Theodor Frings52 anstellte, machen es von vornherein unwahrscheinlich, dass bloß von den Dichtern neu eingeführte Wörter ohne weiteres von einem nicht zweisprachigen Hofpublikum, den Erstrezipienten also, verstanden werden konnten. Es handelt sich also keineswegs nur um literarische Einflüsse von Pergament zu Pergament, von Buch zu Buch, sondern teilweise sicher um persönlichen Verkehr, dessen Einfluß [von Frankreich aus, K. G.] immer weiter ostwärts vordrang.53
Unter den Entlehnungen aus dem Französischen im *Erec bilden die zahlreichen Ausdrücke des Turnierwesens die umfangreichste Gruppe:54 baneken, baniere, bûhurt und bûhurdieren, buckel, enschumphieren, harnasch, tjost und tjostieren, kastelân, kovertiure, panel, panzier usw. Aber auch Bezeichnungen für Stoffe, Schmuck, Speisen usw. sind darunter: kulter, rubîn, samît, safervar, schapel, sigelât, vâsân usw. Die Liebenden in den höfischen Romanen werden nicht mehr nur vriunt und vriundinne genannt, sondern auch auf Französisch amîs und amîe. Fast all diesen Entlehnungen ist gemeinsam, dass sie mit der Hofkultur zu tun haben und zur Hofsprache gehören, zur Sprechweise der feinen Gesellschaft also. Dies lässt sich sogar beweisen, wenn man Hartmanns *Erec mit Chrétiens *Erec et Enide, seiner französischen Quelle, vergleicht: Der weit überwiegende Teil der französischen Lehnwörter im *Erec kommt in der französischen Quelle überhaupt nicht vor. Das ist besonders deutlich in den Turnierschilderungen, die bei Hartmann
Die Forscher der finnischen Schule, die sich mit den mittelhochdeutschen Entlehnungen aus dem Französischen beschäftigt haben, haben zwischen literarischer Entlehnung und mündlicher Entlehnung unterschieden. Literarische Entlehnungen sind 1. französische Wörter, die der deutsche Autor aus seiner französischen Vorlage direkt übernimmt, und 2. französische Wörter des deutschen Autors, der das Französische zwar beherrscht, es aber nur durch die schriftlich verbreitete Literatur kennt. Für die Zeit der höfischen Klassik um 1200 spielt die literarische Entlehnung—wie schon bemerkt—noch kaum ein Rolle.
Auf mündliche Entlehnung zurückführen kann man besonders all jene Wörter, die ihrer lautlichen Form nach aus den an das deutsche Sprachgebiet angrenzenden Mundarten des Französischen stammen und durch Sprachkontakte
Zur Veranschaulichung dieses Sachverhaltes ein Beispiel: mhd. kolze schw. Mask. *Fuß- und Beinbekleidung des Ritters entspricht altfrz. chauce (< lat. calceus); das mittelhochdeutsche Wort muss wegen des anlautenden k- aus dem Pikardischen oder Wallonischen stammen. Nach Öhmann57 wurde vermutlich pik. *cautse (> chauche) als *coutse ins Mittelniederländische
Die französischen Lehnwörter gehörten nach Öhmann also zunächst einmal der Sprechsprache der höfischen Oberschicht im Grenzgebiet von Romania und Germania an, bevor sie über die Wege durch das Grenzgebiet zu den höfischen Dichtern gelangten und von ihnen für ihre Buchepen benutzt wurden und danach auch als Buchwörter weiterwirken konnten. Direkte Entlehnungen aus den französischen Vorlagen lassen sich kaum nachweisen.58 Da trotzdem die literarischen Beziehungen für die nachweisbare Geschichte der Entlehnungen eine Rolle gespielt haben müssen, spricht Öhmann59 von mündlich-literarischer Entlehnung; eine Kompromissformel also, welche nicht ausschließlich für mündlich entlehnte und dann in die Literatursprache aufgenommene Wörter gilt.
Anders als in der ersten Welle des lateinischenLehnprägungen
Die Lehnbeziehungen zwischen dem mittelalterlichen Deutsch und dem Altfranzösischen setzen in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts ein und erreichen im 13. Jahrhundert einen Höhepunkt. Zu den Hunderten von Lehnwörtern, die in dieser Zeit übernommen werden, kommen zahlreiche Französische Redensarten, wie Suolahti
Mit diesem sehr verkürzten Blick auf die Entlehnungen
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Vgl. Lindqvist (1936, 39–41).
*Bewußtsein, als *Mitwissen zusammen mit anderen, ein aus σύν-οιδα *mitwissen abgeleitetes Substantiv; got. miþ-wiss-ei Fem. ist eine Lehnübersetzung von συν-είδη-σις.
βαπτίξειν, *wiederholt ein-, untertauchen, eine Erweiterung von griech. βάπτειν *untertauchen.
Abgeleitet davon βαπτισμός und βάπτισμα *Taufe, βαπτιστής *Täufer (der Beiname des Johannes), die als Lehnwörter baptismus und baptista ins Lateinische übernommen werden.
Pfeifer (1989 [1813]).
Frings (1957, 25 und Karte 21).
Frings (1966, 66–80).
Vgl. Frings (1957, 109); Müller und Frings (1968, 101–103).
Müller und Frings (1968, 463–466).
Zur Verteilung der Wörter für Dachboden in den heutigen Umgangssprachen des Deutschen vgl. Eichhoff (1977, 26f. und Karte 24).
Zur Datierung der Zweiten oder Althochdeutschen Lautverschiebung vgl. Braune (2004, §§ 83ff., 82ff).
Der got. Beleg in der Übersetzung von θυρίς *Fenster(öffnung), 2. Korinther 11,33.
Die Form eaȝduru nach Feist (1908, 35a). Im OED3 (online) ist diese Form nicht nachgewiesen, sondern nur die Form eagh-þyrl (ca. 890) *an eye-hole, a window s. v. eyethurl.
Ahd. augatora im *Vocabularius S. Galli, Ende 8. Jh. (St. Gallen, Cod. 913, S. 183), einem Sachglossar, das unter den Bezeichnungen für die einzelnen Teile des Steinhauses die heimischen Wörter überliefert.
Die alte Bedeutung von rîȥan ist noch in Riß, Grundriß, Aufriß, Reißbrett erhalten.
Betz (1974, 146, 150).
Vgl. Lindqvist (1936, 21f.).
von der Hagen (1808, V. 3568).
Daab (1959). Die althochdeutsche Übersetzung der Regula Benedicti, enstanden Anfang des 9. Jh. in St. Gallen, ist eine Interlinearversion, eine Form-für-Form Übersetzung des lat. Textes. Die Lehnprägungen spielen dabei eine zentrale Rolle.
Schätzungen bei Splett (2000, 1196f).
Für die aktuelle Zusammenstellung der althochdeutschen Belege danke ich Brigitte Bulitta von der Akademie-Arbeitsstelle des Althochdeutschen Wörterbuchs in Leipzig.
Vgl. Grimm und Grimm (2007, 468–470).
Lindqvist (1936, 127f.).
Die im Folgenden genannten Beispiele aus den Dichtungen Wolframs von Eschenbach und Gottfrieds von Straßburg sind alle mit Belegstellen nachgewiesen in den mittelhochdeutschen Wörterbüchern von Lexer und Benecke/Müller/Zarncke, die auf CD und im Netz zugänglich sind, s. Burch, Fournier und Gärtner (2002) und http://woerterbuchnetz.de, (27 April 2017).
Marold und Schröder (1969 [1906], V. 4636–39).
Die Deutung der Stelle ist umstritten, ist aber wohl nicht wörtlich aufzufassen. Wolfram hat kaum am Schreibtisch gedichtet, aber verfügte über ein detailliertes Fachwissen, das ihm nur durch lateinische Quellen vermittelt sein konnte. Verglichen wird in der Forschung eine Parallele aus dem Psalm 70,15 non cognovi litteraturam; litteratura kann sowohl die Schrift als auch metonymisch das in der Schrift niedergelegte und durch die Schrift vermittelte Wissen über die Regeln der Rhetorik und Poetik bedeuten, von dem sich Wolfram distanzieren könnte. Vermutlich handelt es sich um eine polemische Übertreibung, die gegen Hartmann von Aue gerichtet ist, der seine Buchgelehrsamkeit nachdrücklich hervorhebt.
Lachmann (1965 [1833], V. 115, 27–30).
Paul und Gaertner (2010 [1882], V. 1–4).
Zu Mechthild von Magdeburg und zur franziskanischen Theologie und Mystik vgl. Ruh (1993, 526–540); zu den drei Dominikanern Ruh (1996).
Ruh (1956, 39f.).
Vgl. die Literaturübersicht bei Öhmann (1974, 323–325).
Vgl. Öhrnann (1970, 337–339).
Frings und Schieb (1950, 52 und 58f.)
Die Schilderung des Turniers von Prurin ist das fremdwörterreichste Stück in Hartmanns Werken, es umfasst im *Erec, Leitzmann und Gärtner (2006 [1939], V. 2135–2292) 600 Verse, bei Chrétien, Foerster (1890, V. 2135–2292) dagegen nur gut 150 Verse. Bis auf wenige Ausnahmen sind die knapp 100 Stellen mit frz. Lehnwörtern ohne jedes direkte Vorbild in der Quelle.
Gärtner (1991, 85–87).
Öhmann (1974, 331ff.).
Pfeifer (1989 [1813]); Öhmann (1974, 331).
Suohahti (1929, 220, 225).