6 Von der villa des cenobium de Clunneg zur Stadt Cluny
Siedlungsgeschichte und Stadtanlage

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10.34663/9783945561058-08

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Flüge, Bernhard (2015). Von der villa des cenobium de Clunneg zur Stadt Cluny Siedlungsgeschichte und Stadtanlage. In: Domus solaratae: Untersuchungen zu Steinhaus und Stadtentstehung um 1100 in Cluny. Berlin: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften.

6.1 Vorbemerkungen

Abb. 6.1: Cluny, Status quo der Siedlungsgeschichte und Stadtanlage Clunys gemäß Dixon et.al. 1997 bzw. Méhu 2002b.
Schwarze Bänder: die Gewässer Médasson (von unten) und Grosne (rechts)
Méhu 2002b, S. 133, Karte n. Dixon et.al. 1997, S. 96 Abb. 63, graphisch geringfügig abgeändert und mit neuer Bildunterschrift versehen (vgl. Kap. 1.3.1, S. 14 Abb. 1.5). Ergänzung des Nordpfeils: Verfasser.

Abb. 6.1: Cluny, Status quo der Siedlungsgeschichte und Stadtanlage Clunys gemäß Dixon et.al. 1997 bzw. Méhu 2002b.
Schwarze Bänder: die Gewässer Médasson (von unten) und Grosne (rechts)
Méhu 2002b, S. 133, Karte n. Dixon et.al. 1997, S. 96 Abb. 63, graphisch geringfügig abgeändert und mit neuer Bildunterschrift versehen (vgl. Kap. 1.3.1, S. 14 Abb. 1.5). Ergänzung des Nordpfeils: Verfasser.

Die Stadt Cluny, die die gleichnamige Abtei umgibt, ist kein Neuland für historisch motivierte Betrachtungen und Analysen. Doch blieb bislang die Siedlungsgeschichte vor etwa 1150 nicht so recht greifbar. Damit stand Cluny nicht allein, sondern in Gesellschaft fast aller hochmittelalterlichen Stadtgründungen des mittel– und westeuropäischen Kulturraums. Daran ändert nichts, dass seit den 1930er Jahren eine Reihe von schematischen Rekonstruktionsvorschlägen der Siedlungsgeschichte vorliegt (Abb. 1.41.6 und Abb. 6.1).1 Diese bauen aufeinander auf und gehen von wenigen Konstanten aus, die allerdings fast sämtlich als Annahmen einzustufen sind.2 Es ist das spätmittelalterliche Cluny, das bisher unter Beachtung früherer Textüberlieferungen sowie Kataster– und Planzeichnungen des 18.–19. Jahrhunderts die Basis für Erklärungen der Stadtentstehung bildete.3

Es geht im Folgenden weniger um die Überprüfung der Richtigkeit dieser Hypothesen als der Aussagekraft des unterlegten Quellenmaterials. Zu diesem sind vorliegend neue Gebäudebefunde sowie eine Vielzahl begleitender Beobachtungen getreten (vgl. z. B. Abb. 6.2), die nicht in die überlieferte Rekonstruktion der Stadtentstehung eingeordnet werden können; diese muss, auch in Reaktion auf die vorliegenden Hypothesen, vollkommen neu entwickelt werden. Zusammen mit der Streuung und Datierung der untersuchten Gebäude dienen der Annäherung an die Siedlungsgenese und Stadtanlage von Cluny zwei neuartige Forschungsansätze, zum einen der beispielsweise für Freiburg i. Br. herausgearbeitete, starke topographische Bezug mittelalterlicher Stadtanlagen, zum andern die spezifische geometrische Ordnungsweise und Raumbewältigung, wie sie der Planung und Aufführung der ältesten Häuser Clunys zugrunde liegt.4 Diese Ordnungsweise ist im Maßstab der Gesamtsiedlung zu ergründen.5 Es liegt in der Natur des komplexen Gegenstands einer hochmittelalterlichen Stadtentstehung, dass für deren Erklärung eine Vielzahl von Indizien zusammengetragen und –gefügt werden müssen, etwa aus Bauuntersuchung und –archäologie, siedlungsgeographischer Beobachtung sowie Schriftüberlieferung. Neu ist im speziell diskutierten Zusammenhang die komplementäre Betrachtung von Bauwerk, Topographie und Schrifttum als gleichwertige Quellen. Eine derart verzahnte Quellenauswertung hat vorliegend beispielsweise bei der Untersuchung und Bestimmung der Aula von 1107/08 (d) zur Lösung zentraler Forschungsfragen geführt.6

Abb. 6.2: Cluny aus der Vogelschau (von Süden).
Rechte Bildhälfte: Talboden der Grosne mit der Abtei.
Linke Bildhälfte: Hügel von Saint-Mayeul (oben) und Saint-Odile (unten), dazwischen Tal des Médasson mit der Hauptstraße, die zwischen Marienkirche und Tour des Fromages (Bildmitte) ins Grosne-Tal eintritt.
Von oben (Norden) die Talrandstraße präurbanen Ursprungs, die bei Tour des Fromages und Marienkirche den Nukleus der Siedlung erreichte, sich mit der Querstraße überschnitt und in der Nähe des „Farinier“ (großes Gebäude rechts unten) nach Süden fortsetzte (Häuserzeile der rechten unteren Bildecke, auf den Betrachter zuführend).

Abb. 6.2: Cluny aus der Vogelschau (von Süden).
Rechte Bildhälfte: Talboden der Grosne mit der Abtei.
Linke Bildhälfte: Hügel von Saint-Mayeul (oben) und Saint-Odile (unten), dazwischen Tal des Médasson mit der Hauptstraße, die zwischen Marienkirche und Tour des Fromages (Bildmitte) ins Grosne-Tal eintritt.
Von oben (Norden) die Talrandstraße präurbanen Ursprungs, die bei Tour des Fromages und Marienkirche den Nukleus der Siedlung erreichte, sich mit der Querstraße überschnitt und in der Nähe des „Farinier“ (großes Gebäude rechts unten) nach Süden fortsetzte (Häuserzeile der rechten unteren Bildecke, auf den Betrachter zuführend).

Die nur metaphorische Interpretation einer nachrichtlich überlieferten „aula imperialis“ als „kaiserliche Wohnung“7 kann durch ein nachgewiesenes, sogar zu guten Teilen erhaltenes und bis heute den Ort Cluny prägendes Bauwerk ergänzt, wenn nicht von ihm abgelöst werden. Darüber hinaus wurden die technischen Inhalte der einzigen hochmittelalterlichen Schriftquelle, die unmittelbar die Planung von Cluny III berührt, durch die baugeschichtliche Auswertung dieses Baus überhaupt erst verständlich.8

Die Auswertung des Schrifttums der quellenarmen Zeit des Früh– und Hochmittelalters bildet nach allem nur einen – unbestreitbar wichtigen – Sektor innerhalb der methodischen Annäherung an Architektur und Stadtentstehung. Für den großen Rest bedarf die Bauforschung, wie Wulf Schirmer es formuliert, des Instrumentariums der prähistorischen Forschung.9 Als Grundlage der Analyse dient deshalb eine Befundsammlung im topographischen Kontext, die erstmalig Stadt und Abtei in gleicher Schärfe umfasst und die Interdependenz der Entwicklung beider Siedlungsteile thematisiert (vgl. Pl. 9.1 und Abb. 6.3). Unter Hinzuziehung von Schrift– und Kartenquellen sowie (siedlungs-)geographischen Beobachtungen wird dann versucht, die vorhandenen Fakten zu einem System zu verdichten, dessen Bedingungsgefüge Interpretationssicherheit für die Siedlungs- und Stadtgenese von Cluny erzeugt.

Abb. 6.3: Cluny, Kernbereich der Stadt.
Unten die Kirche Notre-Dame mit westlichem Vorplatz, am Südrand des Platzes (unten) der ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1136.
In der Bildmitte die Hauptstraße Rue Mercière, parallel dazu die Umfassung der Abtei III (weiß markiert) mit Tour des Fromages. Auf dem Abteigelände (Mitte oben) der noch stehende Teil der Aula von 1108 (helles Dach).
Pl. 9.2, Ausschnitt.

Abb. 6.3: Cluny, Kernbereich der Stadt.
Unten die Kirche Notre-Dame mit westlichem Vorplatz, am Südrand des Platzes (unten) der ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1136.
In der Bildmitte die Hauptstraße Rue Mercière, parallel dazu die Umfassung der Abtei III (weiß markiert) mit Tour des Fromages. Auf dem Abteigelände (Mitte oben) der noch stehende Teil der Aula von 1108 (helles Dach).
Pl. 9.2, Ausschnitt.

6.2 Stadt und Abtei: Befundübersicht und Topographie

6.2.1 Einzelbefunde und Zeittafel bis ca. 1200

Die für die Stadtentstehung wichtigsten Einzelbefunde von Stadt und Abtei wurden in eine systematische Karte eingetragen, die auf der Grundlage des Ortskatasters im selben Maßstab (1:1000) erstellt wurde. Eine derartige katasterscharfe Übersicht der bekannten Monumente der Stadt und der Abtei auf einem gemeinsamen Blatt, das die Interdependenz der jeweiligen Flächenentwicklung von Abtei und Stadt thematisiert, gab es für Cluny bislang nicht. Außerdem werden die Einzelbefunde im Zusammenhang mit den topographischen Gegebenheiten und mit dem Straßen– und Gewässernetz des Orts betrachtet. Insofern hat der Übersichtsplan Pl. 9.1 nicht nur illustrativen Sinn, sondern ist selbst Dokument. An wenigen Stellen sind Ergänzungen eingetragen, meist nach historischen (Plan-)Darstellungen, die sich bei der Behandlung von Einzelbefunden als verlässliche Quellen erwiesen haben. Die betreffenden Ergänzungen sind, wie eigens die wenigen, didaktisch notwendigen hypothetischen Eintragungen, entsprechend gekennzeichnet. Die Befunde sind auf Pl. 9.1 mit Zahlen codiert, die die Verbindung zur folgenden Zeittafel herstellen und das relative Baualter widerspiegeln. Die für den jeweiligen Befund gültige bzw. wahrscheinliche Datierung ist kursiv hervorgehoben.

Zeittafel zu Pl. 9.1

1Gallo-römischer Horizont, etwa 2 m unter Platzniveau 2008.10 Zu beachten die unmittelbare Lage an dem der Topographie folgenden hypothetischen Wegdreieck (Punktlinie), dessen südlicher Schenkel bis heute besteht und bereits seit dem 19. Jahrhundert als Teil der Römerstraße von Belleville-sur-Saône nach Autun angesehen wurde.11

2Abbatiale Cluny II, Bauzeit um 948 bis um 981 (Weihe), vielleicht Veränderungen im 11. Jh.. Bauumriss und verschiedene Details durch Grabung (vor allem durch Kenneth John Conant, Untersuchungen 1928–1950) gesichert. Errichtet im Bereich des Schwemmkegels des Medasson auf älteren Fragmenten (Abteigründung 909 oder 910 in bestehender Ansiedlung, eigener Abt ab 927).12

Abb. 6.4: Cluny II, Tour des Fromages von Westen.
Der abgebildete, untere Teil des heutigen Turms stammt aus der Zeit um oder kurz nach 1000, entsprechend der Zeitstufe Cluny II. Das Gardegeschoss mit Rundbogenfenstern schloss damals den Turm nach oben hin ab. Es handelt sich nach den neuen Beobachtungen um einen Eckturm der Abteiumfassung II, hier die SW-Außenecke.

Abb. 6.4: Cluny II, Tour des Fromages von Westen.
Der abgebildete, untere Teil des heutigen Turms stammt aus der Zeit um oder kurz nach 1000, entsprechend der Zeitstufe Cluny II. Das Gardegeschoss mit Rundbogenfenstern schloss damals den Turm nach oben hin ab. Es handelt sich nach den neuen Beobachtungen um einen Eckturm der Abteiumfassung II, hier die SW-Außenecke.

3Tour des Fromages (Prévost 1670), früher Tour des Fèves, Abb. 6.4. Turm der Abteiumfassung der Periode Cluny II.13 Die ursprüngliche Traufhöhe gibt Jean-Denis Salvèque mit ca. 20.50 m an.14 Fast quadratischer Grundriss, ca. 8 x 8 m, drei annähernd rechtwinklige, im NO, zur Abtei hin, leicht stumpfer Winkel15 (Vergleichbar dimensionierte Turmfundamente von K. J. Conant unter dem großen Querschiff von Cluny III identifiziert, von Anne Baud dort Fragmente einer Umfassungsmauer festgestellt, deshalb im Plan hypothetisch mit der Umfassung II verbunden). Errichtung des Turms wohl um 1000. Die Datierung folgt derjenigen des Westbaus von Tournus (St-Philibert): charakteristische nüchtern-kubistische Bauauffassung. Struktur des Mauerwerks mit Tournus vergleichbar. Im Sturzstein des Schlitzfensters im Gewölbegeschoss des Turms ist mit Kerbschnitt die Stirn eines Bogens imitiert; diese Dekortechnik zeichnet früh– und hochmittelalterliche Bauten bis zum 11. Jahrhundert aus. Auffallend und ebenfalls Zeichen der genannten frühen Zeitstellung ist die innerhalb Clunys einzigartige Zusammensetzung des Mauerwerks aus Steinmaterial unterschiedlicher Herkunft (Abb. 6.5, 6.6; vgl. auch S. 105 mit Anm. 106), besonders die weißen Einschüsse, teils in kurzen Reihen, zum Beispiel mittig über dem Fensterschlitz des EG. Es scheint sich um Nachklänge römischer Dekortechnik zu handeln.16

Im EG gequaderte Außenecken nach SO, NW und besonders massiv SW, nach NO spätere Baueingriffe. Senkrechte Schlitzfenster-Achsen nach W und S nachgewiesen, nach N fehlend, nach O nicht (mehr) nachweisbar (In der schwächeren Ostwand 2013 neu identifizierter Hocheingang im 1. OG, zur Abtei hin orientiert): Hinweis auf Ecksituation des Turms in der Abteiumfassung II (castrum / castellum), diese dann konsequent mit Abstand zum Talrand und begleitet von älteren Verkehrswegen.17 Keinerlei bauliche oder nachrichtliche Indizien für Conants Interpretation als Torflankenturm an einer hypothetischen „porta meridiana“.18 Gardegeschoss vierseitig befenstert, Positionierung des Turms innerhalb der Abteiumfassung im Zentrum des burgus mit Überblick über die Hauptwege der Siedlung. Im EG bauzeitliche, von N nach S tonnengewölbte Turmhalle mit noch ungeklärter Funktion.19

Ummauerte Fläche der Klosteranlage Cluny II wahrscheinlich um 2 ha (vgl. Tournus: ca. 1,6 ha; dort etwas größere Kirche als Cluny II). Tour des Fromages wohl im 13. Jh. um ca. 12.80 m erhöht, mit innenliegendem Pultdach und Ablaufrinne mit Speier nach W versehen (Detail siehe Pl. 9.45, Vergleich Dachstuhlquerschnitte).20

4Hügelkapelle Saint-Mayeul (4. Abt, † 994 im Ruf der Heiligkeit). Ca. 27.50 x 10.50 m, einschiffig mit 3 gestaffelten Apsiden. Anf. 11. Jh.21 Wohl seit Beginn Begräbnisse. Exemtion 1075.22 Pfarrei erst seit dem 13. Jh., Abbruch 18. Jh., nur Südwand teilweise aufrecht erhalten (Fischgrätverband, vgl. Cluny II (10. oder 11. Jh.), auch: Chorkapellen Tournus, 1. H. 11. Jh.,23 St-Clément-sur-Guye, 11. Jh., ansatzweise am Grauen Haus, Oestrich-Winkel (Rheingau), um 1175 (d).24

Abb. 6.5: Cluny II, Tour des Fromages von Westen.
Gardegeschoss und oberer Abschluss des vorromanischen Turms.
Das Fenster ganz rechts mit Begleitband der Bogenstirn, einem ursprünglich römischen Motiv.

Abb. 6.5: Cluny II, Tour des Fromages von Westen.
Gardegeschoss und oberer Abschluss des vorromanischen Turms.
Das Fenster ganz rechts mit Begleitband der Bogenstirn, einem ursprünglich römischen Motiv.

Abb. 6.6: Cluny II, Tour des Fromages von Westen.
Im EG Schlitzfenster mit graviertem Bogensturz, hammerrechter Verband mit eingeschossenen Kimmeridgium-Blöcken, im Ansatz flächenbildende Werkstein-Außenecke: spezifisch früh– bis hochmittelalterliche Interpretation römischer Vorbilder (vgl. S. 104). Im Inneren nach S (rechts) zum angrenzenden Haus hin anscheinend sekundär geöffnete Turmhalle. Bauzeitlicher Verkehrshorizont ca. 1.00 m unter Straßenniveau.

Abb. 6.6: Cluny II, Tour des Fromages von Westen.
Im EG Schlitzfenster mit graviertem Bogensturz, hammerrechter Verband mit eingeschossenen Kimmeridgium-Blöcken, im Ansatz flächenbildende Werkstein-Außenecke: spezifisch früh– bis hochmittelalterliche Interpretation römischer Vorbilder (vgl. S. 104). Im Inneren nach S (rechts) zum angrenzenden Haus hin anscheinend sekundär geöffnete Turmhalle. Bauzeitlicher Verkehrshorizont ca. 1.00 m unter Straßenniveau.

5Trikonchos östlich der Abbatiale II (hypothetische Friedhofskapelle, Conant 1968). Nur NO-Fundamentstück ergraben, von Conant nach „Plan anonyme“ (Anonymus nodate) ergänzt. Vielleicht Mitte 11. Jh.25

6Kapelle Sainte-Marie, wohl 11. Jh., Exemtion 1075,26 Pfarrei spätestens 1120 (Bulle von Papst Calixtus II., zuvor burgundischer Graf und Erzbischof von Vienne), gotischer Neubau Notre-Dame ab Ende 12. Jh.

7Hügel-Kapelle Saint-Odilon (5. Abt, † 1049, Vita ab 1063). Demnach wohl 3. V. des 11. Jh.s., Exemtion 1075, erstmalige Nennung.27 Einschiffig, flacher Chorabschluss. Nur Ostteil erhalten. Friedhof (genannt um 1510),28 später Begräbnisplatz der Calvinisten („Eglise ruinée“, „Cimetiere des Huguenots“, Prévost 1670)

8Église Sainte-Marie („du cloître“; Abtei), auf älterer Kapelle (zu Cluny II oder früher?) errichtet, einschiffig, 3 gereihte Halbrundapsiden, Weihe wahrscheinlich 1085.29

9Médasson (Bezeichnung seit dem 19. Jh., zuvor Merdasson), kleiner, natürlicher Bach, Zufluss der Grosne, spätestens seit dem Ende des 11. Jh. (Haus 20, rue du Merle, 1090/91 d) zur Entwässerung und Abwasserentsorgung der Siedlung genutzt (daher der Name). Bis in die Neuzeit häufiger Überschwemmungen, da offenbar nicht ausreichend reguliert. Kanalführung in der Rue du Merle unter der südlich angrenzenden Häuserzeile seit Ende 17. Jahrhundert nachgewiesen, möglicherweise auf das 12. Jahrhundert zurückgehend. Der vorhandene Kanal wurde nach der Stratigraphie neuzeitlich angelegt. Die tiefste Stelle des Talbodens bildet heute die Straße. Für die Zeit der Stadtentstehung ist eine zunächst offene Bachführung wahrscheinlich, die die Straße begleitete.30

10Haus mit Rundbogentor von 1090/91 (d). Kernbau der Parzelle 20, rue du Merle, zweigeschossiges Rechteckhaus mit exakt abgestecktem Grundriss, Vorhof und mittigem Rundbogentor (EG erhalten). Ältestes datiertes Stadthaus des Mittelalters in Frankreich. Ergrabung des Vorhofs, dort u. a. Silexabschläge. (Vgl. detaillierte Baudokumentation Pl. 9.79.20 und Einzelbeschreibung).

11Kapelle Saint-Odon (2. Abt, † 942/944, Verehrung eingeführt durch Abt Hugo seit ca. 1050 (bis ca. 1120), Bau der Kapelle wohl Ende 11. Jh.31 1120 Pfarrei (Bulle Papst Calixtusʼ II., wie Kapelle Ste-Marie). Umbau und Umwidmung (Saint-Marcel) ab ca. 1159.

12Saalhaus mit Treppenvorbau. Kernbau der Parzelle 1–3, rue de la Chanaise, Westwand erhalten. Bauzeit um oder kurz nach 1100 (nach Bautyp, Konstruktionsmerkmalen und gekehltem Biforien-Kämpferprofil, letzteres vergleichbar den Profilen der Chapelle St-Odilon, vor 1077). Spätromanischer Totalumbau unter grundsätzlicher Beibehaltung des Haustyps gegen 1200. Ebener Grubenboden im Hof, ca. 1.20 m unter Straßenniveau: 14C-Kohlenstoff-Datierung 1019–1211 cal AD.32 Grubenboden evtl. bis unter OK Rue de la Chanaise reichend, Straße demnach erst mit Cluny III angelegt. (Pl. 9.369.37 und Einzelbeschreibung).

13Haus 10, rue St-Odile, Hinterhaus eines Reihenhauses. Einfaches, von der Straße weit zurückgesetztes Rechteckhaus. Datierung nach Typus und Mauerbild gegen 120033 (vgl. Pl. 9.42 und Einzelbeschreibung).

14Abteikirche Cluny III, „fundatio“ 1088, Chorweihe 1095, Einzug der Mönche in den Chor spätestens 1120/21, Schlussweihe ca. 1130, Narthex nach 1130, Narthexgewölbe fortgeschrittenes 12. Jh., Westportal mit Rose Mitte bis 2. H. 13. Jh, Westturmaufstockung 14./15. Jh., Kapellenum– und –anbauten 13.–15. Jh.34

15Aula der Periode Cluny III, querrechteckiger Saalbau mit Sockelgeschoss und Vorbau mit solarium, rückseitig Anbauten. Lage axial im W gegenüber bestehender Galiläa von Cluny II an dem mit Cluny III neu angelegten Haupthof der Abtei. EG-Decke und Dachstuhl bauzeitlich 1107/08 (d). Weitere baugeschichtliche Ergebnisse (vgl. Pl. 9.35 und ausführliche Einzelbeschreibung).

16Haus Place du Commerce, wiederverwendete Kanthölzer 1118/19 (d) bei Umbau um 1213 (d) im rückwärtig gelegenen Hausteil; dieser vielleicht ursprünglich romanisches Rechteckhaus mit Vorhof. Älteste präzise Datierung im Quartier St-Marcel.35

17‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1135/36 (d) auf den Parzellen 11–13, pl. Notre-Dame / 3, rue de la Barre. Kombinierter Typus eines Feudalbaus mit zweigeschossigem Saal– und viergeschossigem Wohnhaus, Treppenvorbau und innenliegender ‚Treppenbrücke‘. Nach dem ‚Haus mit Rundbogentor‘ von 1091 zweitältestes datiertes Stadthaus des MA in Frankreich. Ältester d•etailliert rekonstruierbarer Dachstuhl eines Stadthauses. Ergebnisse zu Bauproportion und –dimensionierung. (Pl. 9.219.34 und Einzelbeschreibung).

18Portes d’Honneur, Haupttor der Abtei der Periode Cluny III. An römische Vorbilder angelehntes Doppeltor, nicht vor 1120 bis ca. Mitte 12. Jh.

19Saalhaus mit Treppenvorbau gegenüber den Portes d’Honneur. Fragment eines spätromanischen Saalgeschossbaus mit zusätzlichem, straßenseitigen Kaminsaal. Nach Typus, Bogenlinie der erhaltenen Arkaden, Sturzkonsolen des Saaleingangs gegen 1200 (vgl. Pl. 9.43 und Einzelbeschreibung).

20Reihenhaus, zweigeschossiger, straßenbegrenzender Kernbau der Parzelle 9, rue du Merle. Typus in Anlehnung an ältere Saalhäuser, reiche Bauornamentik (Arkadenfenster) in Anlehnung an Cluny III, ebenso die gespitzten Mauersteine der Fassade. Zwischen 116036 und ca. 1180.37 Aufstockung mit romanischen Fensterteilen um 1400: Es handelt sich nicht um einen dreigeschossigen romanischen Bau; als solcher bisher mehrfach publiziert (vgl. Pl. 9.389.39 und Einzelbeschreibung).

21Reihenhaus, zweigeschossiger, straßenbegrenzender Ursprungsbau der Parzelle 15, rue d’Avril. Dem vorgenannten aufs engste vergleichbar, datierbar ebenfalls zwischen 1160 und ca. 1180. Bau kurz nach der Anlage der gerade geführten Rue d’Avril (Stratigraphie am Arkadenfuß der Fassade). Anlage der Straße in Abhängigkeit von der Klostererweiterung der Periode Cluny III. Es finden sich in allen Stadtvierteln vergleichbare Straßenachsen, die alle von Bauten der Zeit nach 1150 gesäumt sind (Planlegende: Kennzeichnung mit Kreuzstrich). Ausgehend vom fortbestehenden präurbanen O-W-Weg eröffnen sie ein weitmaschiges, näherungsweise orthogonales Straßennetz, das bis an die Stadtmauern (ab ca. 1180, s.u., Nr. 25) reicht (Pl. 9.409.41 und Einzelbeschreibung).

22Reihenhaus, zweigeschossiges, straßenbegrenzendes erstes Stadthaus der Parzelle 25, rue de la République. In baugeschichtlichen Darstellungen verbreitete Referenz für das romanische Stadthaus in Europa. Fassade schon 1913 erstmals restauriert, Haus in den 1960er Jahren entkernt. Bauzeit später als die vorgenannten Häuser (hoch proportionierter Eingang ohne Sturzkonsolen, schlankere Bauskulptur), jedoch ebenfalls noch vor ca. 1190.

23Gewerbekanal Rivière de la Chaîne, beim Bau des ‚Haus eines Händlers‘ um 1193–1208 (d) schon vorhanden, da vom Hausgrundriss berücksichtigt. Anlage des Kanals im 12. Jh. oder auch früher. Mehrere kleinere Abzweige, Aufgabe jedoch hauptsächlich Betrieb der Abteimühle (bestehender Bau aus dem 13. Jh.). Nimmt an der scharfen Biegung am ‚Haus eines Händlers‘ den Médasson auf und scheint im Weiteren dessen natürlichen Verlauf aufzunehmen.

24‚Haus eines Händlers‘, dreigeschossiges romanisches Stadthaus auf den Parzellen 23, rue de la Filaterie / 1, petite rue des Ravattes in markanter städtebaulicher Position und stark verdichtetem Kontext. Bemerkenswerte Öffnung des Erdgeschosses zum Straßenraum hin (Wegdurchführung, Kaufmannsladen, Segmentbogenarkade der SW-Haushälfte). Das zweite, niedrigere Obergeschoss fensterloses, trockenes Lagergeschoss unter offenem Dachstuhl (vgl. desván mittelalterlicher Häuser Kataloniens38). Ältester in wesentlichen Teilen erhaltener Dachstuhl eines Stadthauses, um 1193 – um 1208 (d) (vgl. Isometrie Pl. 9.44 und Einzelbeschreibung.).

25Stadtmauer mit Porte de la Chanaise, ältestes (in Resten) erhaltenes Stadttor, Ende 12. Jh. (Spitzbogen, Spitztonne), mit großer Wahrscheinlichkeit auf Abt Thibaud de Vermandois, 15. Abt Clunys von 1179 bis [wahrscheinlich] 1183,39 zurückgehend: „Dieser Theobaldus aber verschaffte sich die Zehnt-Abgabe jener villa und begann die Mauern derselben“.40 Umriss der Stadtmauer in Abhängigkeit von der Abteiumfassung der Periode Cluny III; berücksichtigt das erweiterte Straßennetz der 2. H. des 12. Jh.s.  Bisher keine Hinweise auf eine frühere Siedlungsumfassung. Diese müsste weit innerhalb gelegen sein und kann nach Maßgabe der schwachen späteren Stadtmauer kaum defensive Wirkung gehabt haben; nur die Abtei war seit der Periode II nachweislich ummauert.41 Größtenteils entstammt die erhaltene Stadtmauer dem 13. Jh., aus dieser Zeit erhalten (Segmentbogen und –wölbung)42: Porte St-Mayeul im W, Porte St-Odile im S. Wahrscheinlich um 1230 der weit auf den Talgrund vorgeschobene „Runde Turm“ (Tour Ronde) an der NO-Ecke der Abtei als wehrhafte Einzelform in einer weitläufigen und nur mäßig defensiv veranlagten Befestigung von Abtei und Stadt.43 Die sehr geradlinige Stadtmauer im SW zwischen Porte St-Odile und St-Marcel entstammt einer Erweiterung in der Zeit des Hundertjährigen Kriegs vor 137744 (entsprechend datierbarer Halbkreisgrundriss des Tour du Fouettin auf der SW-Ecke sowie Zusatz eines Turms mit Viertelkreisgrundriss an der Porte St-Odile). Der wahrscheinliche ursprüngliche Mauerverlauf des 13. Jahrhunderts am Ende der Straßenachse vor St-Marcel ist auf Pl. 9.1 in Strichpunkt gekennzeichnet. Es gibt weder bauliche, schriftliche noch topographische Hinweise dafür, dass die ab 1159 neu errichtete Pfarrkirche St-Marcel ursprünglich außerhalb der Stadtumfassung lag, wie bisher angenommen wird. Wie auch St-Mayeul am gegenüberliegenden Ende der Stadt, wurde St-Marcel von der Stadtmauer gerade noch mit umschlossen.

6.2.2 Folgerungen aus der Befundlage

Die aufgelisteten Bauwerke und Untersuchungsergebnisse stellen annähernd die Gesamtheit der Befunde in Cluny dar, die bezüglich der Siedlungsgenese und Stadtentstehung ausgewertet werden können, einschließlich zahlreicher Informationen, die erst durch die vorliegende Untersuchung dazugetreten sind. Die Befundstreuung weist dem pleistozänen Schwemmkegel am Médasson-Talausgang, dem angrenzenden Hangsaum und dem Médasson-Taleinschnitt eine Häufung früher Befunde zu. Unter diesen ist auch der genannte gallorömische Horizont des 4.–11. Jahrhunderts westlich der „Écuries“.45 Komplementär dazu wurde eine Situation naturräumlich-topographisch logischer alter Wegeführungen erkannt, die teilweise bis heute unverändert sind.46 Es kann daraus geschlossen werden, dass der Siedlungskern der villa Cluniacum bzw. Clunneg in siedlungsgeographisch durchaus üblicher Weise im Bereich des Schwemmkegels am Médasson-Talaustritt lag: Eine gute Verkehrsanbindung und Frischwasserversorgung waren in hochwassersicherer, geschützter Tallage gegeben.47 An derselben Stelle wurde 909 oder 910 auch die Abtei angesiedelt. Bis um 1100 kann die Klosteranlage nicht nur im Süden (bis heute), sondern auch im Westen, an der Stelle des Narthex III und der Aula von 1107/08 (d), vom präurbanen Saumweg flankiert geblieben sein. Der einzige noch stehende Bau dieser Zeit ist der oben beschriebene Turm der Zeit um 1000 (Tour des Fromages), an dem sich bis heute Abtei und Stadt berühren. Er steht als starker Wehrturm der Klostermauer im Zentrum der villa. Deshalb ist eine zusätzliche Befestigung um die Siedlung herum nicht anzunehmen. Eine solche wäre ohnehin im Relief der steilen Talränder, die die Siedlung einrahmen, überaus schwierig zu positionieren und nur mit hohem Aufwand effektiv zu gestalten gewesen – dann allerdings wären mit einiger Sicherheit Mauerreste erhalten geblieben, wie etwa in den meisten Städten mit römischem Kern.

Alle hochmittelalterlichen Viertel der eigentlichen Stadt Cluny sind nach der Befundlage ab der Zeit um 1100 entstanden, und zwar parallel mit dem Ausbau des Klosters zur Anlage Cluny III. Dabei wird die alte ländliche Siedlung im Süden und Westen der Abtei zur Stadt ausgebaut und zugleich nach Westen und Osten hin erweitert. Das ‚Haus mit Rundbogentor‘ von 1091 illustriert ein Übergangsstadium zwischen dem auf keltische Ursprünge zurückgehenden Weiler Clunneg (dazu unten) und der verdichteten, ummauerten Stadt des späten 12. Jahrhunderts. Als rechteckiges Einzelhaus ohne Fundament wird es voraufgehend üblichen Pfosten-Schwellen-Konstruktionen entsprechen, auf die einzelne ergrabene Pfostenlöcher hinweisen, die westlich der Aula von 1108 ergraben wurden48; als Steinhaus mit Obergeschoss auf einer Riemenparzelle verkörpert es ein Stadthaus, eine domus solarata.49 Das Haus steht an der kurvig geschwungenen alten Hauptstraße der Siedlung. Im Verlauf des 12. Jahrhunderts wird ein Straßennetz an die Hauptstraße angesetzt, das nach ca. 1150 trotz des starken Geländereliefs geradlinig und einigermaßen rechtwinklig ausgebildet wird. Die Ansatzstellen sind im Kataster als pfropfartige Verdickung bzw. Verschiebung des abgehenden Straßengrundrisses zu erkennen. Steinerne Reihenhäuser derselben Zeit bilden die datierende Erstbebauung des geradlinigen Netzes. In der zunehmenden Geometrisierung bildet sich die Entwicklung hin zu den gerasterten Planstädten des Spätmittelalters und der Neuzeit ab. Wegen des physisch-geographischen Reliefs wurde die vieltorige Stadtmauer, die Ende des 12. Jahrhunderts begonnen wurde, weitläufig angelegt und nicht besonders wehrhaft ausgebildet. Sie fasst drei der vier alten Kapellen des Orts mit ein, von ihnen zwei in Randlage der Stadt. Die Mauer steht in vollkommener Abhängigkeit von der Ausdehnung der Abtei III, so dass sie keine frühere Stadtgrenze an gleicher Stelle reflektieren kann.50

Nach der Revision der Datierung und der Neuuntersuchung des ‚Haus eines Händlers‘ von 1208 (d), dessen Konzeption den vorbeifließenden Mühlbach berücksichtigt, ist zu folgern, dass spätestens im 12. Jahrhundert im niedriger gelegenen Südosten der Stadt ein Gewerbekanalnetz geschaffen wird, das ein Abzweig der Grosne speist. An der Stelle des Abzweigs, etwa 400 m südöstlich der Stadt, quert seit dem Spätmittelalter ein Damm das Grosne-Tal, der den Fluss auch bei Hochwasser in sein Bett zwingt und die Regulierung des Mühlbachs Rivière de la Chaîne ermöglicht.51 Diesen Überlegungen zur Stadtentstehung, die aus der unmittelbaren Beobachtung des Substrats erwachsen, steht die eingangs angesprochene Reihe bisheriger Darstellungen der Siedlungsgeschichte gegenüber, die sich vornehmlich auf die Schriftüberlieferung beziehen. Im Folgenden soll der Schriftüberlieferung nachgespürt und ihre Aussagekraft für die Stadtentstehung überprüft werden.

6.3 Quellenkritik und Revision tradierter Eckdaten der Stadtentstehung

6.3.1 Kapellen, Pfarrkirchen und Stadtquartiere

Revision polyzentrisch-sukzessiver Modelle der Stadtentstehung. Für die Siedlungs– und Stadtgenese von Cluny ist ein polyzentrisch-sukzessives Erklärungsmodell verbreitet (Abb. 5.20). Es umfasst in den jüngsten Darstellungen vier Stufen: die Bildung des Nukleus der villa um Saint-Mayeul („A“, „Bourg Saint-Mayeul“), die Anlage eines burgus um Notre-Dame als neuen Siedlungsschwerpunkt („B“, „Bourg Notre-Dame“), die Erschließung und Besiedlung des Bereichs unmittelbar westlich der Abtei („C“, „Quartier des portes de l’abbaye“) und zuletzt die Entstehung einer Vorstadt um Saint-Marcel (D, „Bourgneuf Saint-Marcel“).52 Die sich aus aus Befundlage und Topographie allerdings ergebende Vermutung, dass der Siedlungskern der villa Cluniacum im Bereich des Schwemmkegels am Médasson-Talausgang lag, und dass die villa in Interdependenz mit der Entwicklung der Abtei relativ simultan und einheitlich zur Stadt ausgebaut wurde, erfordert eine Revision der einzelnen Stufen dieses Modells anhand des primären Quellenmaterials.

a. Kapelle/Kirche Saint-Mayeul und so genannter „Bourg Saint-Mayeul“

Ausgehend von der Abtei, wurden im 11. Jahrhundert auf den Kuppen der Hügel, die den Taleinschnitt des Médasson flankieren, zwei jeweils heiligen Äbten Clunys konsekrierte Kapellen gebaut: der frühromanische Bau Saint-Mayeul (erste Nennung im Liber tramitis gegen Mitte des 11. Jh.),53 der anscheinend irrtümlich mit einer ursprünglichen Widmung an Johannes den Täufer verknüpft wurde,54 und Saint-Odilon, baugeschichtlich nach ca. 1050 datierbar und erstmals in einer Bulle Gregors VII. vom 9. Dezember 1075 genannt. Am Talboden existierte eine Marienkapelle, deren früheste eindeutige Bezeugung in derselben Bulle von 1075 erscheint, in einem Zuge mit den vorgenannten Kapellen Saint-Mayeul und Saint-Odilon. Interessant ist die Reihenfolge der Nennung: „[...] capellas supradictas, uidelicet Sanctae Marie, Sancti Maioli et Sancti Odilonis [...]“.55 Die in der Reihe zuerst erwähnte Marienkapelle liegt auf dem Schwemmkegel des Médasson im Bereich des oben erschlossenen, alten Siedlungskerns; erst an zweiter und dritter Stelle folgen die Hügelkapellen Saint-Mayeul und Saint-Odilon. Die Folge der Namen reflektiert möglicherweise die Bedeutung der Kapellen für den Ort, daneben vielleicht eine Abstufung nach Baualter. Da neben dieser 1075 genannten Marienkapelle zwei weitere ältere Mariensanktuarien des Klosters bekannt sind, ist die Verortung der in der Gründungsurkunde der Abtei genannten Marienkapelle an der Stelle der heutigen Pfarrkirche Notre-Dame nur als wahrscheinlich zu bezeichnen.56 Im Zusammenhang der Siedlungsgenese ist es jedoch jedoch eine zentrale Information, dass alle drei Kapellen bzw. Kirchen auf dem Médasson-Schwemmkegel zu liegen kommen, ein Faktum, das die vorgeschlagene Rolle des Schwemmkegels als Ort des Nukleus der Ansiedlung Cluniacum bestärkt. Der mansus indominicatus der Gründungsurkunde kann als herrschaftsfreies Zinsgut (Manse) verstanden werden, das als frei verfügbares Eigentum an die neue Klostergemeinschaft übergeben wurde; die dazugehörigen Gebäude wären nach der Lage der ältesten nachgewiesenen Kapellen sowie auch der Abtei auf dem Schwemmkegel des Médasson zu suchen. Jedenfalls weisen die von Conant als „Cluny A“ bezeichneten Baufragmente in diese Richtung und wurden auch entsprechend gedeutet.

Auf alte Siedlungskerne rund um die Hügelkapellen des 11. Jahrhunderts gibt es bislang keine archäologischen oder schriftlichen Hinweise. Auch der „Terrier Bollo“ zeigt dort nur unauffällige Strukturen mit extensiver Nutzung, wie Weiden und Rebberge, die nicht auf einen alten Siedlungskern aufmerksam machen (Abb. 6.7).

Abb. 6.7: Cluny, Kirche St-Mayeul (markiert) im „Terrier Bollo“ (4. V. 18. Jh.).
Auffallend die Stadtrandlage (Nord-Eckturm der Stadtmauer), kaum umgebende Bebauung (Gärten und Rebberge innerhalb der Stadtmauer) und die offenbar zugemauerte Porte Saint-Mayeul, die auch im Stadtprospekt von Prévost um 1670 fehlt. Der Stelle fehlen alle Eigenschaften, die erfahrungsgemäß auf den präurbanen Nukleus einer Stadt hinwiesen, entsprechend der Tatsache, dass keine der Angaben in der Gründungsurkunde der Abtei hierher zu beziehen ist – abgesehen von Feldern und Rebbergen.
Cluny, Musée d’art et d’archéologie. Markierung: Verfasser.

Abb. 6.7: Cluny, Kirche St-Mayeul (markiert) im „Terrier Bollo“ (4. V. 18. Jh.).
Auffallend die Stadtrandlage (Nord-Eckturm der Stadtmauer), kaum umgebende Bebauung (Gärten und Rebberge innerhalb der Stadtmauer) und die offenbar zugemauerte Porte Saint-Mayeul, die auch im Stadtprospekt von Prévost um 1670 fehlt. Der Stelle fehlen alle Eigenschaften, die erfahrungsgemäß auf den präurbanen Nukleus einer Stadt hinwiesen, entsprechend der Tatsache, dass keine der Angaben in der Gründungsurkunde der Abtei hierher zu beziehen ist – abgesehen von Feldern und Rebbergen.
Cluny, Musée d’art et d’archéologie. Markierung: Verfasser.

Das ist insofern von Bedeutung, als seit Georges Duby stets der älteste Kern der villa Cluniacum hypothetisch um Saint-Mayeul herum rekonstruiert wurde. Diese Vermutung geht zunächst auf das archäologisch ermittelte, durchaus nachvollziehbare Baualter der Kapelle (Anf. 11. Jh.) zurück.57 Dem Bau wurden anscheinend zu Unrecht Schriftquellen ab 1002 zugewiesen; mit der darin enthaltenen Nennung des heiligen Maiolus sei kein entsprechender Kirchenbau gemeint, sondern erst die oben genannte Erwähnung im Liber tramitis (ca. 1045) stellt eine zweifelsfreie Verbindung des Baus zur Schriftlichkeit her.58 Die Kapelle stand als basilica in engem liturgischen Zusammenhang mit der Abtei. Zwar galt sie bisher als älteste Pfarrkirche des Orts, doch legt die Quellenlage vielmehr den gegenteiligen Schluss nahe: Im Privileg Calixtus’ II. von 1120 werden nur die beiden Talkapellen Sainte-Marie und Saint-Odon (letztere nicht vor Ende des 11. Jh. errichtet) als Pfarrkirchen anerkannt und die entsprechenden Vorrechte daran geregelt.59 Saint-Mayeul ist dagegen erst durch eine Charta um 1247 (neuzeitl. Datum: 1248) als Pfarrei nachweisbar, während in derselben Urkunde noch von einem Kaplan („capellanus“), noch nicht von einem Pfarrer die Rede ist.60 Erst um 1264 wird ein curatus genannt.61 Die Privilegierung von Saint-Mayeul als Pfarrei erst im 13. Jahrhundert, nicht lange vor 1250, ist nach den folgenden Beobachtungen durchaus sinnvoll mit dem Ausbau des Orts Cluny zur Stadt zu verbinden:

Das an St-Mayeul angrenzende Straßennetz wurde nach Maßgabe des untersuchten Hausbesatzes seit ca. 1150 angelegt und ausgebaut. Es entstand in dieser Zeit in Nachbarschaft der Kapelle ein Stadtviertel, das einer Pfarrkirche bedurfte. Die um 1200 errichtete Stadtmauer schloss Saint-Mayeul gerade noch mit ein.

Die Hauptpfarrkirche des Orts, Sainte-Marie, stand während des gesamten 13. Jahrhunderts im Umbau. Die Kirche war zweifellos über Jahrzehnte nur eingeschränkt oder gar nicht nutzbar. Es ist vorstellbar, dass die Einwohner der Pfarrei auf Saint-Mayeul und Saint-Marcel als Ausweichmöglichkeit zurückgriffen. Die Pfarrkirche des östlichen Stadtviertels (Saint-Marcel, vormals Saint-Odon) war bis zu 1000 m vom westlichen Stadtbezirk entfernt, darüber hinaus in einem dicht bevölkerten Viertel gelegen und zweifellos gut ausgelastet. Der Vorschlag der Konsekration von Saint-Mayeul als Pfarrkirche im 13. Jahrhundert böte für den Westteil der Stadt eine näher gelegene, durchaus praktikable Alternative.

Die von Dixon et al. diskutierten Besonderheiten der spätmittelalterlichen Pfarrei Saint-Mayeul, etwa die Zuständigkeit für umgebende ländliche Siedlungsteile jenseits der Stadtgrenze, sind nicht per se als Hinweise auf einen die Kirche umgebenden Weiler im 11. Jahrhundert zu verstehen, sondern können bei der Einrichtung des Sprengels im 13. Jahrhundert diesem zugeordnet worden sein. Auch aus der früh belegten Nutzung als Begräbnisplatz muss weder auf eine Pfarrkirche noch auf einen Siedlungskern geschlossen werden.62 Wo der „Volksfriedhof“ (“populare cimiterium“)63 bis zur Anerkennung der ersten Pfarrkirchen lag, kann bislang nicht bestimmt werden.

Wie eingangs gesagt, liegt Saint-Mayeul auf einem Bergsporn oberhalb der Siedlung, in derselben Weise wie die Kapelle Saint-Odilon auf der gegenüberliegenden Kuppe jenseits des Médasson-Taleinschnitts. Gegen 1100 trat am Talboden die Odokapelle dazu; damit waren drei Kapellen, die die Abtei weiträumig umgaben, den drei großen, heiliggesprochenen bzw. im Ruf der Heiligkeit verstorbenen Äbten vor Hugo geweiht.64 Für die Stadtanlage spielten die Kapellen insofern eine Rolle, als die Maiolus– und die Odokapelle schließlich von der Stadtmauer in peripherer Lage eingeschlossen und beide zu Pfarrkirchen der Stadt wurden.65

b. Kapelle/Kirche Sainte-Marie und so genannter „Bourg Notre-Dame“

Die bislang ältesten archäologisch ermittelten Besiedlungsspuren der villa Cluniacum wurden am Talrand im Westen der Abtei, unweit von Notre-Dame (Abb. 6.8), ergraben.66 Es wurde im Vorabschnitt darauf hingewiesen, dass der Vorgängerbau, eine Marienkapelle, schon 1075 anscheinend als wichtigstes Sanktuarium Clunys außerhalb der Abtei bekannt war. Die Namensgleichheit mit dem ältesten Gotteshaus des Orts, das als einziges in der Gründungsurkunde der Abtei genannt wird und außer dem Marien– auch ein Petruspatrozinium besaß, weist darauf hin, dass es sich bezüglich der Funktion für den Ort um dieselbe Kapelle handelt.

Nach der Verkehrsanbindung am zentralen Wegedreieck (Abb. 6.24 – 6.25) und der aus siedlungsgeographischer Perspektive privilegierten Lage auf dem Médasson-Schwemmkegel am Grosnetal-Hangsaum zu schließen, könnte auch der Standort derselbe geblieben sein. Möglich ist allerdings auch, dass die Kapelle der Gründungsurkunde bei der Ansiedlung der Abtei überbaut und an der Stelle der heutigen Notre-Dame eine Ersatzkapelle geschaffen wurde. Die Einrichtung der Pfarrei Sainte-Marie, die frühestens seit dem gotischen Neubau als „Notre-Dame“ bezeichnet wird, ist seit 1120 mit dem Privileg Papst Calixtus’ II. nachgewiesen; das verbreitete Weihedatum 1064 kann nicht zutreffen, worauf nicht nur die Benennung als Kapelle im Jahr 1075 hinweist.67

Abb. 6.8: Cluny, Pfarrkirche Notre-Dame, Nordseite.
Links Tour des Fromages, Turm der Abteiumfassung von Cluny II.

Abb. 6.8: Cluny, Pfarrkirche Notre-Dame, Nordseite.
Links Tour des Fromages, Turm der Abteiumfassung von Cluny II.

Im verbreiteten Stufenmodell der Stadtentstehung stellt der Bourg Notre-Dame die zweite Stufe der Siedlungsentwicklung dar. Nachdem der Umgebung von Saint-Mayeul nicht die Rolle des Nukleus der Stadt Cluny zugeschrieben werden kann, würde die Marienpfarrei als ursprünglicher Kern der villa Cluniacum im Stufenmodell nachrücken. Doch ist das nicht ohne Einschränkung und weitere Präzisierung möglich. Die Bezeichnung Bourg Notre-Dame kann für den Nukleus nicht gewählt werden, da die Pfarrei im 11. Jahrhundert noch nicht bestand. Außerdem hatte die Siedlung in dieser Zeit eine andere Ausdehnung als die spätere Pfarrei, da sie bis um 1100 noch nicht mit der erweiterten Umfassung der Abtei III rechnete. Sie kann nicht in Abhängigkeit von der Ringmauer der Abtei III dargestellt werden, wie es bisherige Übersichten der Siedlungs– und Stadtentwicklung regelmäßig tun.68 Die Beobachtung der Topographie lässt mit einiger Sicherheit erschließen, dass die Dorfsiedlung Cluniacum sich mit dem späteren Abteigelände überschnitt, und dass sie sich vom Médasson-Taleinschnitt aus am Grosne-Talrandweg entlang weiter nach Norden hinzog. Die Lage des bislang ältesten ergrabenen Besiedlungsbefunds mit Pfostenlöchern im Westen des Abteigeländes dürfte der früheren Dorfsiedlung zukommen.69

Der Bereich unmittelbar westlich der Abtei III, der bisher als dritte Stufe der Stadtentwicklung dargestellt wurde, hatte ab ca. 1100 in gleicher Weise wie die Umgebung der Marienkirche Anteil am Ausbau des gesamten burgus zur Stadt. Die Stadtentstehung an beiden Stellen ist nicht zu trennen. Das ‚Haus mit Rundbogentor‘ von 1091 (20, rue du Merle) und der ältere Zustand des Saalbaus der Parzelle 1, rue de la Chanaise (um oder kurz nach 1100) bezeugen diesen Sachverhalt.

c. Kapelle/Kirche Saint-Odon und so genannter „Bourgneuf Saint-Marcel“

Für die Stadtentstehung im Bereich der Pfarrei Saint-Odon liegen bislang nur wenige Daten vor, doch ist zu erinnern, dass die Pfarrei schon um 1120 im selben Dokument wie Notre-Dame päpstlich anerkannt wurde.70 Eine nahe zeitliche Entsprechung findet sich in der dendrochronologischen Datierung 1118/19 von Bauteilen in einem Haus an der heutigen Place du Commerce, das zu dieser Pfarrei gehörte.71 Nach diesen Informationen begann der Ausbau des Quartiers im 1. Viertel des 12. Jahrhunderts, ganz wie in der übrigen Stadt. Das Viertel kann nicht als „faubourg“ oder „bourgneuf“ von den anderen Pfarreien abgetrennt werden. Fünf Dinge bildeten hier wohl eine Gemengelage, die zur Vorstellung einer jüngeren Vorstadt „Bourgneuf Saint-Marcel“ führten:72

1Das an der Grenze der Pfarreien Notre-Dame und Saint-Marcel gelegene Haus 23, rue Filaterie entspricht einem weit entwickelten typologischen Stand des städtischen Reihenhauses und hat zahlreiche Eigenschaften, die auf einen verdichteten Kontext umgebender Bebauung hinweisen. Nach seiner bisher verbreiteten, zu hohen dendrochronologischen Datierung in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts wurde von durchaus als städtisch anzusehendem Substrat mindestens seit dem 11. Jahrhundert ausgegangen. Zu dieser stadtartigen Siedlung, die außerdem bereits 994 erstmalig als burgus bezeichnet wurde, konnte das Viertel um Saint-Odon, später Saint-Marcel genannt, noch nicht gehören.73

2Saint-Odon war als jüngste der Pfarrkirchen Clunys bekannt. Es bestand ohne Nachweis Konsens darüber, dass die Hügelkapelle Saint-Mayeul seit ihrer Bauzeit im frühen 11. Jahrhundert als älteste Pfarrkirche des Orts diente. Das in der Gallia Christiana genannte Weihedatum einer Marienkirche Anfang Dezember 1064 wurde auf Notre-Dame in Cluny bezogen, so dass diese Kirche mit dem umgebenden Siedlungsteil am Talrand zeitlich und örtlich als zweiter Siedlungsschwerpunkt angesehen wurde. Die Pfarrkirche Saint-Odon wurde dagegen tendenziell erst mit dem Datum 1160, der Widmung an Saint-Marcel, als Pfarrkirche eines Stadtteiles anerkannt.

3Man ging für das Viertel Saint-Marcel von einer hydrogeographischen Auensituation aus, in der die Grosne zwischen der Kirche und dem Rest der Stadt durchfloss. Es entstand die Vorstellung, dass die Kirche mit einem Teil des Viertels am der Stadt gegenüberliegenden Ufer der Grosne lag.

4Es wurden bislang im Quartier Saint-Marcel kaum Reste von hochmittelalterlichen Stadthäusern gefunden, was die Vorstellung eines späten Siedlungsausbaus und der späten Angliederung des Viertels an die Stadt zu bestätigen schien.

5Schließlich entstammen die lokal erhaltenen Teile der Stadtmauer erst dem Spätmittelalter, so dass man von einer entsprechend späten Ummauerung der gesamten baulichen Umgebung von Saint-Marcel ausging.

Bei genauerem Hinsehen ergibt sich für jedes der genannten Argumente ein anderes Bild:

1Das dendrochronologische Datum des typologisch hochentwickelten Stadthauses 23, rue Filaterie wurde vorliegend revidiert und die Bauzeit auf um 1193 (d) bis zur Fertigstellung nach 1205 (d) neu festgelegt. Nach Maßgabe der Typologie und Konstruktion des „Hauses mit Rundbogentor“ von 1091 (d) ist die villa Cluniacum erst ab dem Ende des 11. Jahrhunderts auf dem Weg zu der Stadtentstehung. Reihenhäuser und Texturverdichtung sind als Phänomene der Urbanisierung ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts erkannt und nachgewiesen.

2Um 1120 traten Saint-Odon (Marcel) und Sainte-Marie gemeinsam als erste Pfarrkirchen des Orts ins Licht der Geschichte.74 Nachdem dem frühen Weihejahr 1064 von Notre-Dame-de-Cluny widersprochen wurde,75 sind im 11. Jahrhundert für die villa bislang weder Pfarreien, noch eine Ummauerung, noch eine geschlossene Bebauung bezeugt. Auch kann aus der einmaligen Nennung Clunys 994 als burgus nicht auf eine städtische Ansiedlung geschlossen werden (Vgl. Diskussion in Kap. 6.4.2, S. 375376 und Kap. 6.4.3.d, S. 386387).

3Die Vorstellung der beschriebenen hydrogeographischen Situation einer Flussverlegung der Grosne geht auf die hypothetische Interpretation eines Kanallaufs (der so genannten Petite Rivière) mit der darüber führenden, im Urkataster als langes Bauwerk erscheinenden Brücke zurück. Die dargestellte Länge dieser Brücke schließt lange Rampen mit ein, die wegen des topographisch bedingten, geringen Höhenunterschieds des Kanals gegenüber der Straße angelegt wurden. Wohl wegen dieser Rampen kam man auf die Vorstellung der Überquerung des Flusslaufs der Grosne an der Stelle der Brücke. Der Vergleich mit der bestehenden Grosne-Brücke ergibt allerdings, dass letztere mit Auffahrten mindestens drei Mal länger ist, um die notwendige Höhe zur Querung des Flusses zu erreichen – die gesamte Rue de la Levée ist als Rampe ausgebildet. Es kann sich bei der Brücke über die Petite Rivière nicht um den ursprünglichen Grosne-Übergang handeln. Auch das Verhältnis der Höhenlage beider Gewässer lässt diesen Schluss nicht zu, da der Spiegel der Grosne bei mittlerem Wasserstand um 2.50 m unterhalb der Geländeoberkante im Bereich der Petite Rivière liegt.76

4Zur Erklärung der Tatsache, dass keine großen und reich ausgestatteten hochmittelalterlichen Steinhäuser gefunden wurden, können folgende Überlegungen beitragen: Am Kanalnetz des Viertels waren die „schmutzigen“ Berufe angesiedelt, etwa die Gerber und die Fleischer, wie spätmittelalterliche Quellen bezeugen.77 Einfachere Häuser, Mühlen und hölzerne Wirtschaftsbauten werden die Textur bis ins 13. Jahrhundert geprägt haben, dennoch durchaus als städtisch anzusehende Gewerbebauten. Wegen des mobilen Baugrunds ist von erheblichen Gründungsproblemen für die Häuser im Gebiet der Pfarrei auszugehen, so dass kaum noch Reste der Bauten stehen. Durch die Lage des Viertels an der Talsohle waren bei Hochwasser Überschwemmungen nicht selten. Die Standfestigkeit aller vorliegend im Stadtgebiet untersuchten Häuser am Talboden ist durch starke Setzungen und gekippte bzw. durch Hangdruck gebauchte Mauern bis hin zum Einsturz beeinträchtigt.

5Was den fünften Punkt, die Stadtmauer, angeht, so hat sie ihre eigene, komplexe Geschichte. Im Bild des Straßennetzes zeichnet sich eine kleinere, spätmittelalterliche Erweiterung des Quartiers im Bereich der Rue Porte de Mâcon nach Südosten ab.78 Der südöstliche und der südwestliche, hangobere Stadtmauerzug der gesamten Stadt – nicht nur im Südosten der Pfarrei Saint-Marcel – verläuft auffallend angulär und auf längeren Strecken geradlinig; dadurch unterscheidet er sich von den erhaltenen Stadtmauerteilen der Zeit um 1200. Mit ihren Türmen und Toren von nachweislich späterer baugeschichtlicher Stellung scheint etwa ein Drittel der Stadtmauer Clunys in der Zeit des Hundertjährigen Krieges erneuert worden zu sein. Ein nachträglicher Anschluss der östlichen Hälfte der Pfarrei Saint-Marcel an die Stadt, einschließlich der Kirche, ist am Befund nicht zu beobachten. Auch fehlt bislang entlang der Rue de la Petite Rivière jede Spur einer Stadtbefestigung der Zeit um 1200, die für den Fall einer spätmittelalterlichen Integration der Kirche und ihrer Umgebung in die Stadt vorauszusetzen wäre.

6.3.2 Neues Modell für die Siedlungenese und Stadtanlage Clunys

Siedlungskern am Médasson-Talausgang und einheitlicher Ausbau zur Stadt mit Cluny III. Nach Maßgabe der Topographie, der Baubefunde und der zeitgenössischen Schriftquellen ist für die Stadtgenese in Cluny kein sukzessiv-polyzentrisch orientiertes Erklärungsmodell zu suchen. Nach den beschriebenen Ergebnissen kann die bisherige schematische Darstellung der Stadtentwicklung von Dixon et al. nach dem Vorbild von Rollier and Roiné 1994, die auch Méhu bis auf die Erläuterungen unverändert wiedergibt,79 nicht in der gegebenen Form aufrechterhalten werden. Es zeichnet sich vielmehr ab, dass die Gründung der Abtei an einen alten Siedlungskern am Ausgang des Médasson-Tälchens anknüpfte und dessen Verkehrsanbindung nutzte. Der Ausbau zur Anlage II hat die Anordnung der Gründungszeit beibehalten, allerdings dürfte nun die Abtei mit ihrer Befestigung die alte Siedlung nicht nur herrschaftlich, sondern auch baulich stark dominiert haben. Während der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts erscheint in den Urkunden keine Erwähnung des Orts als villa oder burgus, sondern als locus, cenobium, monasterium oder castrum, um 1080 auch castellum.80 Es sind Bezeichnungen für das Kloster. Das Fehlen einer Bezeichnung der umgebenden Siedlung beginnt mit der Errichtung der Ringmauer um die Abtei II (Tour des Fromages, wahrscheinlich um 1000), die die Wahrnehmung des Orts grundlegend verändert haben wird.

Erst mit der Erweiterung der Klosteranlage zur Abtei III entstand die eigentliche Stadt. Ein Teil der alten Siedlung am Talrand scheint von der Erweiterung der Abtei nach Westen um 1100 vereinnahmt worden zu sein, der Rest des Orts wurde ab ca. 1150 mit einem neu entwickelten, reihungsfähigen Haustyp ausgebaut und an den Rändern erweitert. Sofern anderweitig verstreute Bebauung vorhanden war, sei es in der Nähe der beiden Hügelkapellen oder im Bereich der Mühlbäche, ist sie vom Stadtausbau erfasst und integriert bzw. überformt worden. Eine „structure polynucléaire“,81 wie sie andernorts eine klassische Ausgangssituation für die Stadtentstehung bildet,82 liegt in Cluny nicht vor.

Zu klären bleibt die Interdependenz von villa Cluniacum und Abtei in der jeweiligen Ausbaustufe. Der Talsaumweg, der anhand des Reliefs, des Befundes der Porte des Prés und des Tour des Fromages sowie der erhaltenen Fortsetzung des Wegs in beiden Richtungen ergänzt werden konnte, kollidiert mit der Umfassung der Abtei III. Die Westerweiterung mit Narthex und Aula der Abtei III konnte nur mit der Belegung des Talrandes bewerkstelligt werden, so dass der nach den topographischen Vorgaben zu erschließende Weg durchtrennt und durch eine Umgehung auf halber Höhe, oberhalb des Steilhangs, ersetzt wurde. Nun zeigen die vorhandenen Rekonstruktionen der Abtei II bereits eine Belegung der Hangfläche, allerdings ohne die Topographie und die Verkehrsanbindung der villa zu thematisieren. Eine Möglichkeit, dem Problem zu begegnen, besteht in der Betrachtung der Flächenentwicklung der Abtei unter Einbeziehung der geschilderten Beobachtungen und Ergebnisse zu den siedlungsgeographischen Bedingungen.

6.3.3 Präurbane Wege der villa Clunneg, von Cluny III überbaut

Revision der Rekonstruktion der Umfassung von Cluny II. Die bisherigen Rekonstruktionsvorschläge des Klosterumrisses bis zum 12. Jahrhundert stützen sich im wesentlichen auf den Verlauf der südlichen Abteimauer und den Liber tramitis aevi Odilonis abbatis.83 Sie geben regelmäßig den erstmals von Kenneth John Conant rekonstruierten Grundriss der Abtei zur Zeit Odilos wieder, der stark bis in den westlich gelegenen Hang ausgreift, ohne allerdings die siedlungsgeographischen Bedingungen an dieser Stelle in die Analyse mit einzubeziehen.84 Die Beständigkeit der Darstellung beruht nicht auf einem sicheren Ergebnis, sondern ist eher Ausdruck einer dünnen Informationsdecke.85 Im Folgenden soll geprüft werden, ob und inwiefern der topographisch besondere Bereich des Médasson-Talausgangs mit Schwemmkegel und dem anschließenden Talrand nach Norden bereits durch die Abtei II belegt war.

Abb. 6.9: Rekonstruktionsvorschlag für die Abtei Cluny II von Kenneth John Conant.
Nordrichtung oben. Schwarz: erhaltene bzw. vor 1968 ergrabene Bauteile.
Abgesehen vom Bach Médasson im Süden (schattiert), fehlen topographische Angaben wie das physisch-geographische Relief, die umgebende Siedlung und die Verkehrswege. Auffällig ist die Ausdehnung der Abtei nach Westen mit äußeren Höfen ohne Klostergebäude.
Ringmauer und Tour des Fromages sind derselben Bauphase ab 1048 zugeordnet.
n. Conant 1968, groupe 1, pl. V fig. 5.
Markierung Médasson: Verfasser.

Abb. 6.9: Rekonstruktionsvorschlag für die Abtei Cluny II von Kenneth John Conant.
Nordrichtung oben. Schwarz: erhaltene bzw. vor 1968 ergrabene Bauteile.
Abgesehen vom Bach Médasson im Süden (schattiert), fehlen topographische Angaben wie das physisch-geographische Relief, die umgebende Siedlung und die Verkehrswege. Auffällig ist die Ausdehnung der Abtei nach Westen mit äußeren Höfen ohne Klostergebäude.
Ringmauer und Tour des Fromages sind derselben Bauphase ab 1048 zugeordnet.
n. Conant 1968, groupe 1, pl. V fig. 5.
Markierung Médasson: Verfasser.

Bemerkenswert ist, dass in Kenneth John Conants Rekonstruktionsvorschlag für den Grundriss der Abtei zur Mitte des 11. Jahrhunderts die Abteiumfassung zwar nach Westen bis in die Hangzone ausgreift, dort aber nicht von Bauwerken, sondern ausschließlich von weitläufigen Höfen und im äußersten Westen von einem hypothetisch eingetragenen Heuboden belegt ist (Abb. 6.9). Die Annahme der Zugehörigkeit dieses Areals zur Abtei in der Periode II ist keine notwendige Folgerung, sondern scheint von der Vorannahme auszugehen, dass sich die Lage der Hauptverkehrswege der Siedlung nie veränderte, und dass das Abteigelände mit der Periode III nur nach Norden und Osten ins freie Gelände hinein erweitert wurde. Neil Stratford benennt nach der Beschreibungsfolge im Liber tramitis westlich des Kernbereichs der Anlage Cluny II als anzunehmende Bauten die Küche, verschiedene Speicher und die Almosenstelle.86

Die von Stratford erwähnten Bauten liegen auch dann innerhalb der Abteiumfassung, wenn die neu erschlossene Eckstellung des Tour des Fromages in der Abteiumfassung II einen Maueranschluss nach Osten und Norden vorgibt, und der Saumweg unterhalb des Talrands im Westen frei passierbar bleibt. Noch der Stadtprospekt von Louis Prévost (Prévost 1670) gibt die Scheunen der Abtei, die Speicherbauten sowie die Almosenstelle im Bereich nordöstlich des Tour des Fromages an. Die nach dem „Plan anonyme“ (Anonymus nodate, um 1700) im Verhältnis zur umgebenden Architektur diagonal gelegene und wahrscheinlich sekundär in Grundrisse des 12. und 13. Jh. integrierte Kapelle am Ort der Almosenstelle geht vielleicht noch auf das 11. Jahrhundert zurück. Sie liegt innerhalb der vorgeschlagenen Umfassungsmauer II am Westrand des Klosterbezirks. Durchaus denkbar ist eine an die Almosenstelle angrenzende Pforte zum westlich flankierenden Saumweg, so dass die Almosenausgabe für die zahlreich belegten Bedürftigen leicht erreichbar war. Auch als Zugang zur Abteikirche II erscheint ein solches Tor in der Westmauer plausibel, dessen Nachfolge nach der Westerweiterung um 1100 hangaufwärts die Portes d’Honneur der Anlage III angetreten wären. Die Aula der großen Anlage III, gefolgt vom Narthex der Abteikirche, überbaute zwangsläufig den vorgeschlagenen, topographisch vorgegebenen Talrandweg. Die axiale Stellung der Abteikirche II zur Aula von 1107/08 reflektiert möglicherweise einen ebenso axialen Bezug Haupttor II, wie er dann erneut zwischen Kirche und Haupttor der Anlage III hergestellt wurde. Die Verschiebung des Hauptwegs hangaufwärts erklärte auch die eigenartige Zugangssituation der Anlage III mit ihrem mächtigen Haupttor, das abseits oberhalb der Abtei liegt.

Die Klosteranlage II unter Abt Odilo muss nach diesen Feststellungen keineswegs, wie bisher angenommen, weit nach Westen bis in den Hang hinein gehen, sondern ihre Begrenzung ist nach Maßgabe der Topographie, der Lage erhaltener Baureste, der Angaben des Liber tramitis und des Prospekts von Louis Prévost viel eher so zu rekonstruieren, dass zwischen der westlichen Abteimauer und dem Hangfuß ein Abstand blieb, der vom alten Talsaumweg belegt war, und dass das Kloster an diesem Weg angelegt wurde.

Die in Nord-Süd-Richtung durch die Abtei verbarrikadierte Lage der mittelalterlichen Stadt ist demzufolge erst mit der kolossalen Erweiterung der Abtei um 1100 entstanden, die den Talrand in sich aufnahm. Um Aula und Narthex III auf dem Abteigelände unterzubringen, wurde der Fernweg westlich der Abtei den Hang hinauf verlegt, so dass man seitdem von Norden her vor der Stadt hangaufwärts und innerhalb der Stadt steil abwärts fahren musste, um zum Markt bei Notre-Dame zu kommen. Das mit dem Weg nach oben verlegte Haupttor der Abtei geriet in seine heutige, abseitige Lage.

Ein weiteres Indiz für das Zutreffen dieser Vorstellungen ist die Tatsache, dass die Abtei auch nach der hangseitigen Erweiterung an der topographisch vorgegebenen gegebenen alten Stelle des Saumwegs ein Tor, die Porte des Prés, behielt. Nach 1798 schließlich schlug die Stadtverwaltung als eine der ersten Baumaßnahmen nach der Säkularisation der Abtei eine Schneise quer durch die Abteikirche und legte eine Straße an, die die Mitte der Siedlung mit dem alten Talsaumweg nach Norden verband – wie es wahrscheinlich bis 700 Jahre zuvor schon gewesen war.

6.3.4 Keine Stadtanlage in der Flussaue

Revision der Rekonstruktion einer Grosne-Flussbettverlegung. Zur Lehrmeinung gehört die Annahme, die Grosne sei bis ins Hochmittelalter mitten durch die Pfarrei Saint-Marcel geflossen und im 13. Jahrhundert künstlich an die heutige Stelle verlegt worden.87 Das Quartier wäre dann nicht nur am Rande, sondern mitten in der ständig überschwemmungsgefährdeten Au angelegt worden – eine eher unübliche Siedlungsweise.88 Die Nachteile einer derartigen Auenlage wurden selbst im kleinen Médasson-Kerbtal vor der Kanalisierung des Fluters überaus deutlich: Die Quellen klagen bis dahin über Überschwemmungen, obwohl der Bach bei normalem Wetter kaum einen Meter breit ist und einen Wasserquerschnitt von nur ca. 0.1 m2 bei mäßiger Fließgeschwindigkeit hat.

a. Beobachtungen am Fluss Grosne

Die östlich an der Stadt vorbeifließende Grosne hat keinerlei Eigenschaften einer Kanalisierung, die im Falle einer künstlichen Verlegung zwingend entstanden wären (Abb. 6.10). Der Fluss variiert in der Breite (ca. 7–30 m) und Tiefe erheblich. Das Flussbett zeigt ein typisches natürliches Mäanderbild (vgl. Luftfoto Pl. 9.2). Am Ausgang der Rue de la Levée könnte sich nach dem heutigen Eindruck des flachen und an der Stelle der Brücke über 30 m breiten Flussbetts der Grosne zunächst eine Furt befunden haben, wenn nicht die besondere Breite zur Verminderung der Durchflusshöhe und –geschwindigkeit beim Bau der Brücke künstlich erzeugt wurde. Eine Brücke (Pont de la Levée) wurde spätestens zu der Zeit errichtet, als auch der vorhandene Damm am Flussufer („levée“) im Spätmittelalter als Auffahrt zur Brücke und wohl auch zur Ufersicherung aufgeschüttet wurde. Ein Brückenbauwerk, etwa eine Holzbrücke, könnte an dieser Stelle schon seit der Zeit der römischen Besatzung bestanden haben.

Das starke Gefälle der Grosne kurz unterhalb des Pont de l’Étang südlich der Stadt zeigt an, dass der Fluss in verhältnismäßig tiefer Lage an der Stadt vorbeizieht. Eine Kanalisierung ließe ein relativ hoch liegendes, geradliniges Gewässer erwarten, eventuell mit durchlaufenden seitlichen Dämmen. Das ist nicht der Fall: Die Grosne erscheint als natürliches Gewässer, das, abgesehen von üblichen Uferveränderungen, zu geschichtlicher Zeit immer etwa an der heutigen Stelle floss.

Abb. 6.10: Cluny, Gewässernetz um 1800. Nordrichtung rechts.
Unten der Fluss Grosne, oben der Mühlkanal Rivière de la Chaîne, dazwischen Schutzdamm Digue de l’Étang entlang der vertikalen Punktlinie (linke Bildhälfte). Rechts die Bebauung des Viertels Saint-Marcel. Oben (markiert) das ‚Haus eines Händlers‘ um 1208 (d). Dort knickt der Mühlbach nach rechts unten um und fließt wieder auf die Grosne zu; außerdem mündet von oben der Médasson. Im Bereich der Stadt zwischen Mühlbach und Grosne die so genannte „Petite Rivière“ oder „Rivière des Éclouzures“, in der die Forschung bislang den ursprüngliche Flussverlauf der Grosne vermutet; der heutige Verlauf (unten) wäre demzufolge eine Art Kanal. Dem widerspricht die Topographie.
Cluny, Musée d’art et d’archéologie, Série C133.
Ausschnitt und Markierung: Verfasser.

Abb. 6.10: Cluny, Gewässernetz um 1800. Nordrichtung rechts.
Unten der Fluss Grosne, oben der Mühlkanal Rivière de la Chaîne, dazwischen Schutzdamm Digue de l’Étang entlang der vertikalen Punktlinie (linke Bildhälfte). Rechts die Bebauung des Viertels Saint-Marcel. Oben (markiert) das ‚Haus eines Händlers‘ um 1208 (d). Dort knickt der Mühlbach nach rechts unten um und fließt wieder auf die Grosne zu; außerdem mündet von oben der Médasson. Im Bereich der Stadt zwischen Mühlbach und Grosne die so genannte „Petite Rivière“ oder „Rivière des Éclouzures“, in der die Forschung bislang den ursprüngliche Flussverlauf der Grosne vermutet; der heutige Verlauf (unten) wäre demzufolge eine Art Kanal. Dem widerspricht die Topographie.
Cluny, Musée d’art et d’archéologie, Série C133.
Ausschnitt und Markierung: Verfasser.

b. Petite Rivière oder Rivière des Éclouzures

Die so genannte „Petite Rivière“ oder auch „Rivière des Éclouzures“ („Schleusenbach“),89 ein kleiner Fluter, der die Stelle des vermuteten ursprünglichen Flusslaufs der Grosne eingenommen haben soll, ist ein zum Kanalnetz des Quartiers gehöriger Abzweig aus der Rivière de la Chaîne. So zeigen es die erhaltenen Karten des Kanalnetzes vom 17. bis zum 19. Jahrhundert90 in Übereinstimmung mit dem Stadtprospekt von Louis Prévost aus dem 17. Jahrhundert. Letzterem Gewerbekanal Rivière de la Chaîne, der aus der Grosne abgezweigt wurde, fließt außerdem der viel kleinere Médasson zu, dessen ursprünglich natürlicher Weiterlauf von der Anlage des Gewerbebachs eingenommen wurde. Es ist nach dem Kartenbild (Abb. 6.10) denkbar, dass ein älterer Gewerbebach ursprünglich an der Stelle der Petite Rivière lag und mit dem Ausbau von Cluny zur Stadt an die Stelle der spätestens im 12. Jahrhundert angelegten Rivière de la Chaîne verlegt wurde, um das Kanalnetz zu erweitern und vor der Abteimühle die Fließgeschwindigkeit zu erhöhen. Vielleicht gab es auch eine Zeitlang zwei parallele Gewerbebäche, bis der untere Abzweig gekappt wurde. Ob die Petite Rivière einen artifiziellen oder einen ursprünglich bei höherem Wasser natürlichen, inselbildenden kleinen Abzweig aus der Grosne aufnahm, bleibt offen; als einziger Hinweis auf einen ursprünglich natürlichen Seitenarm könnte bestenfalls eine kleine Wasserfläche gedeutet werden, die im Kartenwerk des 18. Jahrhunderts hinter der Digue de l’Étang-Neuf dargestellt ist. Die kleine Wasserfläche könnte auch irgendeinen anderen Ursprung haben. In ihr aber das Relikt eines früheren Hauptarms der Grosne zu vermuten, kann schon aufgrund der zu hohen Lage der Petite Rivière ausgeschlossen werden.

Die überschlägige Nivellierung der Zone zwischen Grosne und Petite Rivière definierte die Höhenlage des Quartier Saint-Marcel zwischen 2.20 m und 2.50 m über dem Wasserspiegel der Grosne bei normalem Wetter (Wasserspiegel 0.32 m unterhalb der begehbaren Ufersicherung am Pont de la Levée). Die niedrigste Stelle des bebauten Quartiers im Geländeschnitt fand sich nicht an der Stelle der Petite Rivière, sondern in der Rue Prud’hon vor Saint-Marcel. Von dort ab steigt das Gelände sanft und kontinuierlich in Richtung des Talrands und des Mühlkanals Rivière de la Chaîne. Das jüngst bebaute Gartengelände an der Stelle der ehemaligen Petite Rivière liegt im Bereich dieses Anstiegs und scheint nicht meterhoch verfüllt zu sein; die zahlreichen, quer zum vermuteten Flussbett verlaufenden Mauern zeigten keine Setzungsschäden. Die Petite Rivière stellt sich demnach seit jeher als kleines Gewässer dar; nach der Höhenrelation zum Wasserspiegel der Grosne wurde der Mühlbach künstlich angelegt.

c. Pont des Chevriers
Abb. 6.11: Pont des Chevriers im „Terrier Bollo“ (18. Jh). Nordrichtung oben.
Brückenbauwerk einschließlich der Brückenrampe, möglicherweise mit Brückenkapelle über dem Kanal. Nach rechts steigt die Straße in Richtung der Grosne-Brücke weiter an, um die notwendige Höhe zur Querung dieses Hauptgewässers durch eine Bogenbrücke zu erreichen.

Abb. 6.11: Pont des Chevriers im „Terrier Bollo“ (18. Jh). Nordrichtung oben.
Brückenbauwerk einschließlich der Brückenrampe, möglicherweise mit Brückenkapelle über dem Kanal. Nach rechts steigt die Straße in Richtung der Grosne-Brücke weiter an, um die notwendige Höhe zur Querung dieses Hauptgewässers durch eine Bogenbrücke zu erreichen.

Abb. 6.12: Pont des Chevriers im „Terrier Bollo“ (18. Jh). Nordrichtung oben.
Nur die Kanalquerung des Pont des Chevriers ist auf diesem Blatt als Brücke gekennzeichnet, nicht aber die Brückenrampe.
Cluny, Musée d’art et d’archéologie.

Abb. 6.12: Pont des Chevriers im „Terrier Bollo“ (18. Jh). Nordrichtung oben.
Nur die Kanalquerung des Pont des Chevriers ist auf diesem Blatt als Brücke gekennzeichnet, nicht aber die Brückenrampe.
Cluny, Musée d’art et d’archéologie.

Auch die Brücke Pont des Chevriers, die über den Kanal führte, kann nicht als Beweis für den ursprünglichen Flusslauf der Grosne an dieser Stelle gebraucht werden. Richtig ist zwar, dass im „Terrier Bollo“ von 1693 und in dessen Aktualisierung des 18. Jahrhunderts (auf den Blattrückseiten) ein relativ langes Brückenbauwerk eingetragen ist. Auf einem anderen Blatt erscheint die Brücke jedoch viel kürzer, nur unmittelbar über dem Kanal (Abb. 6.11, 6.12). Dies kann mit Hilfe von Beobachtungen vor Ort erklärt werden. Betrachtet man das Längsprofil der Hauptstraße Clunys, so sind ein Höcker an der Stelle des Pont des Chevriers, exakt über der Petite Rivière (Abb. 6.13, 6.14), und ein weiterer Höcker genau über der unweit oberhalb verlaufenden Rivière de la Chaîne (Abb. 4.28) festzustellen. Diese Hochpunkte bezeichnen jeweils die Brückenmitte. In beiden Fällen sind beiderseits flache Brückenrampen von je ca. 20.00 m Länge festzustellen, die in Richtung des Straßenanstiegs, dem natürlichen Relief entsprechend, etwas kürzer sind als in der Gegenrichtung. Es handelt sich demnach um etwa gleich große Brücken.

Abb. 6.13: Bogenbrücke mit Rampen im Corpus agrimensorum, Kopie 1. V. 9. Jh.
B.A.V., Cod. Pal. Lat. 1564, col. 27r.
n. Guidoni 1981, S. 27 Abb. 10.
Ausschnitt und Nachbearbeitung: Verfasser.

Abb. 6.13: Bogenbrücke mit Rampen im Corpus agrimensorum, Kopie 1. V. 9. Jh.
B.A.V., Cod. Pal. Lat. 1564, col. 27r.
n. Guidoni 1981, S. 27 Abb. 10.
Ausschnitt und Nachbearbeitung: Verfasser.

Abb. 6.14: Cluny, Place du Commerce, Blick nach Osten.
Im Bodenprofil ist die Wölbung der kleinen Brücke über die Petite Rivière zu erkennen. Der Hochpunkt liegt genau über dem Mühlkanal.

Abb. 6.14: Cluny, Place du Commerce, Blick nach Osten.
Im Bodenprofil ist die Wölbung der kleinen Brücke über die Petite Rivière zu erkennen. Der Hochpunkt liegt genau über dem Mühlkanal.

Die Erklärung für das lang dargestellte Brückenbauwerk des „Terrier Bollo“ über die Petite Rivière dürfte darin zu finden sein, dass die westliche Rampe des Pont des Chevriers gegenüber der angrenzenden Bebauung seitlich abgemauert war: Zwischen Auffahrt und Häusern führte nach der Darstellung des Terrier ein Weg zu den unmittelbar am Kanal gelegenen Höfen und Gärten. Auf diese Weise erscheint die damals vielleicht teils unterwölbte Auffahrt als Teil der Brückenarchitektur und wurde auf dem einen der Katasterblätter entsprechend dargestellt, auf dem anderen nicht. Es kann zum Vergleich die Beobachtung angeschlossen werden, dass die 70 m lange westliche Auffahrt zum Pont de la Levée über der Grosne fast die gesamte Länge der Rue de la Levée einnimmt und zur Querung des Flusses eine beträchtliche Höhe – etwa 2.00 m über dem umgebenden Straßenniveau – erreicht. Ein vergleichbares, zur Überbrückung der Grosne notwendiges Höhenprofil ist für die Brücke „Pont des Chevriers“ nicht rekonstruierbar. Diese Brücke kann nicht über die Grosne geschlagen worden sein.

d. Digue de l’Étang-Neuf
Abb. 6.15: Natürliches Flussbett der Grosne unmittelbar hinter der Wehranlage am Pont de l’Étang, Blickrichtung nach Süden.
Nichts weist auf eine Flussbettverlegung an dieser Stelle hin; zwischen Fluss und Digue de l’Étang-Neuf liegt Grasland. Allenfalls eine leichte, bei Mühlwehranlagen übliche Anstauung ist wahrzunehmen, die den auf gleicher Höhe abgeleiteten Kanal Rivière de la Chaîne auf einem gleichbleibenden Pegel hält.

Abb. 6.15: Natürliches Flussbett der Grosne unmittelbar hinter der Wehranlage am Pont de l’Étang, Blickrichtung nach Süden.
Nichts weist auf eine Flussbettverlegung an dieser Stelle hin; zwischen Fluss und Digue de l’Étang-Neuf liegt Grasland. Allenfalls eine leichte, bei Mühlwehranlagen übliche Anstauung ist wahrzunehmen, die den auf gleicher Höhe abgeleiteten Kanal Rivière de la Chaîne auf einem gleichbleibenden Pegel hält.

Die als aufwändig bezeugte Errichtung bzw. Erneuerung der drei bis vier Meter hohen Digue de l’Étang-Neuf südlich der Stadt im 13. und 14. Jh. reduzierte die Hochwassergefahr für die Pfarrei St-Marcel sicherlich erheblich und förderte Ausbau und Erweiterung dieses am dichtesten bebauten Stadtviertels.91 Der Damm, ursprünglich vielleicht ein Knüppeldamm und im Spätmittelalter ausgebaut, liegt ca. 440 m talaufwärts vor der Porte de Mâcon (im 14. Jahrhundert Porte des Prés-Guiton) und quert dort den Talgrund.92 Auf seiner Westseite erlaubte er den effizienten Betrieb von vier angeschlossenen Wassermühlen im Besitz der Abtei,93 außerdem die Regulierung des Gewerbekanals Rivière de la Chaîne. An seinem Nordende zwingt er die Grosne auch bei Hochwasser in ihr natürliches Bett, verhindert bei geringem Hochwasser die flächige Überschwemmung des unterhalb liegenden, zur Grosne hin um etwa zwei Meter abfallenden Auenbereichs mit Teilen des Kanalviertels Saint-Marcel und ermöglicht außerdem eine geregelte Wiesenwässerung.

Der oberhalb des Damms als Reservoir zur Aufrechterhaltung des Wasserstands im Mühlkanal leicht angestaute und relativ breite Fluss verbleibt in einer Mäanderschleife, seinem natürlichen Bett (Abb. 6.15). Das umgebende Auenland liegt dort bei Normalwasser trocken ca. 1 m über dem Wasserspiegel; heute ist der Bereich unmittelbar hinter dem Damm sogar bebaut. Ein talbreites Hochwasserrückhaltebecken oder eine Art Stausee, wie im Kartenwerk des Centre National d’Archéologie Urbaine verzeichnet,94 bildet das Wasserbauwerk nicht. Es verhindert bestenfalls das Überfließen der Grosne an ungünstiger Stelle.

Abb. 6.16: Digue de l’Étang-Neuf im „Terrier Bollo“ (18. Jh). Nordrichtung links.
Rechts der Damm (markiert/konturiert: Verfasser), oben die Grosne mit Brücke, unten Mühlbach Rivière de la Chaîne, dort am Damm die „Vier Mühlen“ („Les quatre Moulins“). Der Damm stellt sich als wirksames Wasserbauwerk zur Wasserstandsregulierung der Mühlbäche und zur begrenzten Hochwasserrückhaltung dar, bewerkstelligt allerdings nicht die Umleitung des gesamten Flusses.

Abb. 6.16: Digue de l’Étang-Neuf im „Terrier Bollo“ (18. Jh). Nordrichtung links.
Rechts der Damm (markiert/konturiert: Verfasser), oben die Grosne mit Brücke, unten Mühlbach Rivière de la Chaîne, dort am Damm die „Vier Mühlen“ („Les quatre Moulins“). Der Damm stellt sich als wirksames Wasserbauwerk zur Wasserstandsregulierung der Mühlbäche und zur begrenzten Hochwasserrückhaltung dar, bewerkstelligt allerdings nicht die Umleitung des gesamten Flusses.

Die Digue de l’Étang-Neuf erfüllte auch bei Niedrigwasser ihren Zweck. Die Energieversorgung für die Mühlen musste jederzeit durch einen ausreichenden Wasserstand der Kanäle gewährleistet sein. Gewöhnlich übernehmen Kanäle die Höhe des Wasserspiegels des Flusses, aus dem sie abgezweigt werden. So war die Grosne an der Stelle der Mühlbachabzweige auf konstantem Pegel zu halten. Diese Aufgabe lag bei der Wehranlage am Pont de l’Étang (Abb. 6.16).

Der Unterschied gegenüber einer gewöhnlichen Wehranlage besteht darin, dass das Wehrbauwerk mit Absturz und der Kanalabzweig der Rivière de la Chaîne nicht unmittelbar benachbart sind, sondern sich an beiden Talrändern gegenüberliegen und durch eine Mäanderschleife verbunden sind. Der Damm steht am östlichen Ende in unmittelbarem Zusammenhang mit der Brücke Pont de l’Étang, die den Grosne-Übergang der heutigen Straße nach Mâcon und ins Charolais darstellt. Die anschließenden Straßenstrecken sind geradlinig und ebenso wie die den Damm bekrönende Chaussée als Neuanlagen zu erkennen. Das bedeutet, dass die Errichtung des Damms im Spätmittelalter die Verkehrsanbindung im Südosten von Cluny grundlegend verändert hat. Es ist denkbar, dass ursprünglich die Rue Saint-Marcel in der Verlängerung vor der Stadt hauptsächlich der Nutzung und Pflege der Mühlbäche diente. Für eine Anbindung der Straße in Richtung Mâcon schon im Hochmittelalter, die nur mit einem Brückenbauwerk und einer Dammstraße hätte bewerkstelligt werden können, geben der alte Name des Stadttors sowie das Kartenwerk des 18. Jahrhunderts keine Anhaltspunkte. Nach Maßgabe der Digue de l’Étang-Vieux, eines ebenfalls das Tal querenden Erdwalls unterhalb der Stadt, ist der geregelte Betrieb einer Mühle ein Hauptzweck solcher Anlagen: Am Fuß dieses Deichs situieren die Quellen eine der ältesten Mühlen des Orts, „le Moulin de Tornesac“.95

Aus den vorliegenden Beobachtungen und Überlegungen ergibt sich für die Stadtanlage um 1100, dass mit der Grosne an der heutigen Stelle gerechnet werden kann. Die Grosne ist offensichtlich nicht im Mittelalter verlegt worden; die Petite Rivière war als kleines Gewässer vielleicht schon seit der Zeit der villa Cluniacum Teil eines örtlichen Kanalnetzes.96 Die Brücke „Pont des Chevriers“ ist nach Maßgabe der vorhandenen Dokumente und nach Beobachtungen vor Ort nicht zur Überbrückung eines Gewässers von der Größenordnung der Grosne geeignet. Der Damm Digue de l’Étang-Neuf oberhalb der Stadt erlaubt eine mäßige Hochwasserpufferung und zwingt die Grosne in ihr natürliches Bett; seine Hauptaufgabe liegt in der Wasserstandsregulierung der Mühlkanäle.

6.4 Synthese der Siedlungsgeschichte und Stadtanlage Clunys

Cluny und seine Abtei liegen in einer seit prähistorischer Zeit kontinuierlich besiedelten Kulturlandschaft. Wie schon mehrfach erkannt und beschrieben, befindet sich der Ort nahe der kürzesten Verbindungsstrecke zwischen den Flüssen Saône und Loire, von denen der erste zur Achse vom Mittelmeer zu Rhein und Maas gehört und der zweite das französische Kernland bis zum Atlantik erschließt. Solutré liegt in wenigen Kilometern Entfernung, wie auch weitere jungsteinzeitliche Befundstellen. In der Römerzeit siedelte hier der Stamm der Häduer. Auf der Gemarkung Cluny stammen aus dieser Zeit vereinzelte archäologische Funde an den Talrändern von Grosne und Médasson sowie entlang der durch die Stadt führenden Fernwege.97

6.4.1 Der keltische Ortsname Cluniacum / Clunneg / Cluny

Zum ersten Mal wird der Ortsname 893 erwähnt, als Hava ihrem Bruder Wilhelm I. (875–918), Marquis von Gothien, Graf der Auvergne, des Berry und Limousin sowie von Lyon und Mâcon, später auch Herzog von Aquitanien (Guillaume Ier d’Aquitaine, genannt Le Pieux, „der Fromme“) „villam [...] nomine Cluniacum“ als Eigengut überschreibt. Dort, „in Clugniaco“, veranlasst Wilhelm am 11. September 909 oder 910 die Errichtung eines Klosters, dem er die villa für alle Zeiten als frei verfügbares Eigentum überlässt.98 Meist nennen die Quellen den Ortsnamen Cluniacum zusammen mit dem vorausgehenden, neutralen Ortsbegriff locus; C 2815 stellt zwischen beide Begriffe „vocabulo“ („mit Namen“), so dass locus die Konnotation einer konkreteren, möglicherweise strukturellen Vorstellung erhält.99 Es erscheint auch der Ortsname allein, etwa in C 2821 (datiert 1029–1030): „[...] Actum publice apud Cluniacum“, eine Formulierung, die beim Adressaten die konkrete Vorstellung des so benannten Orts voraussetzt.100 Dies scheint auch schon zur Zeit der Klostergründung der Fall zu sein, soll doch das Kloster „in Clugniaco“ – ohne eingeschobenen Ortsbegriff – errichtet werden.101

In der Volkssprache wird der Ort Cluny um 1074 „Clunneg“ genannt. In C 3465 ist das sechs Mal der Fall.102 In dieser Form entspricht die Endung des Ortsnamens zahlreichen ursprünglich keltischen Ortsbezeichnungen, die vor allem im Westteil Frankreichs die Endung –ac oder –ec bis heute bewahrt haben. Der Wortstamm clun– und das Suffix –ako sind zweifellos keltisch.103 Nach Dietmar Urmes’ Interpretation des Ortsnamens lässt die keltische Wurzel colauno– auf das Vorhandensein von Wasser schließen.104 Im heutigen Walisischen oder auch im mittelalterlichen Bretonischen ist der Wortstamm „clun–“ beheimatet: Im Walisischen bedeutet er „Hüfte, Keule, Lende, Schenkel(hals)“, im Bretonischen ebenfalls „Lende“, den entsprechenden Braten (wohl vom Schwein) und beim Menschen die Teile, die durch den Glutaeus Form erhalten.105 Im letzteren Fall könnte der Ortsname auf einen Personennamen oder die Beschreibung einer topographischen Situation des Orts zurückgehen. Wenn auch die inhaltliche Bedeutung des Ortsnamen noch nicht abschließend geklärt ist, sind doch sowohl der Wortstamm als auch dessen Lokalsuffix zweifelsfrei keltischen Ursprungs.

6.4.2 Die villa Cluniacum vor 1100

Für die Siedlungsgeschichte Clunys entsteht durch die onomatische Analyse des Ortsnamens eine fundamentale Voraussetzung: Der Ort hat schon in keltischer Zeit den Siedlungsnamen erhalten, den er bis heute trägt. Das bedeutet, dass er seitdem dauerhaft besiedelt ist. Einige Reste von Holzbauten, die bis auf die Spätantike zurückgehen können, wurden archäologisch ergraben. Zur Sichtweise, dass der Ort zur Zeit der Klostergründung bereits als dörfliche Ansiedlung bestand, tragen auch die mittelalterlichen Quellen bei: Sowohl C 53 (893) als auch die Gründungsurkunde des Klosters, C 112 (909/10), erwähnen die bestehende villa Cluniacum mit ihren auf vielfältige Landwirtschaft verweisenden Bestandteilen. Als Herzog Herzog Wilhelm I. den Ort an das zu errichtende Kloster überträgt, gehören dazu ein kleiner Hof, ein herrschaftsfreies Zinsgut („cum [...] manso indominicato“),106 eine Marienkapelle und anderer Besitz,107 im Einzelnen weitere villae, Kapellen, Gesinde beiderlei Geschlechts, Rebberge, Felder, Wiesen, Wälder, Gewässer und Getreidemühlen.108 Insofern erscheint Cluny bereits als eine Art Hauptort, von dem aus zugehöriger Besitz verwaltet wird. Die umgebende Landschaft ist agrarisch und dörflich strukturiert, Mühlen und wahrscheinlich Mühlkanäle sind schon im frühen 10. Jahrhundert vorhanden.

Nur noch vereinzelt tritt im 11. Jahrhundert in den Kartularien für Cluny die Ortsspezifikation villa neben dem häufigeren locus auf; villa wird generell für Dorfsiedlungen, teilweise mit Klostergut, verwendet. Das Aussehen des Orts Cluny war zu dieser Zeit bereits von der großen Anlage der Abtei II mit ihrer Ummauerung geprägt. Wohl aus dem Grund, dass die Abtei Aussehen und Funktion der Ansiedlung aufs stärkste dominierte, tritt die Bezeichnung des Orts als villa in den Urkunden vor allem in der ersten Hälfte des Jahrhunderts zurück. Didier Méhu führt dieses Fehlen des Begriffs villa in der Schriftlichkeit auf einen Bedeutungswandel des Wortes zurück: Vor 1000 soll dadurch eine Landsiedlung, nach 1050 eine Stadtsiedlung bezeichnet werden. Dem ist entgegenzusetzen, dass andere Ortsnamen durchgängig in Verbindung mit dem Begriff villa erscheinen und weiterhin auch ländliche Orte bezeichnen. Die Beobachtung, dass die Stadt Cluny erst im Anschluss an den Ausbau der Abtei III entstand, bedeutet, dass Cluny bis um 1100 durchaus noch ländlich geprägt war. Eher scheint der Begriff villa generell als Bezeichnung für eine Wohnansiedlung gedient zu haben. Erst mit der unübersehbaren baulichen und rechtlichen Manifestation einer neuen städtischen Siedlungs– und Lebensform ab der Zeit um 1100 entstand das Bedürfnis, die Landsiedlung (villagium, 1081109) begrifflich abzusetzen. C 3406 aus dem Jahr 1065 ist eine der wenigen Quellen, die im 11. Jahrhundert die Bezeichnung villa für Cluny verwenden. Sie erwähnt die Überlassung eines Hauses – „ [...] domum suam in villa Cluniacensi [...] “ (Urkundentext siehe S. 314 Anm. 18) – zur Einrichtung eines Armenhospizes. Interessant ist zum einen, dass der Begriff villa in Verbindung mit der überaus seltenen Erwähnung eines Hauses steht. Dieses wird außerdem ausdrücklich in der (Dorf-)Siedlung verortet, in Unterscheidung vom Kloster. Diese Tatsache ist ein Indiz dafür, dass nicht etwa das Kloster als Nachfolgeinstitution eine ursprüngliche, baulich in sich geschlossene villa rustica besetzte, sondern dass es begleitend zu einer seit antiker Zeit vorhandenen Dorfsiedlung angelegt wurde, von der es einige Bauten übernahm. Spätestens mit Abschluss des Ausbau der Periode II (984) dominierte dann das Kloster die Siedlung nicht nur herrschaftlich, sondern auch baulich.

Vor diesem Hintergrund wird ein Ergebnis von Didier Méhus Untersuchung der Schriftquellen zur villa verständlicher: „Im 10. Jahrhundert ist die villa Cluniaco110 ein Raum, dessen Begrenzungen nicht schriftlich eingeführt werden, auch wenn diese wahrscheinlich allen bekannt sind. Die Kartularien nennen die villa zur Verortung des Klosters oder von Grundstücksveräußerungen oder, seltener, zur Verortung eines [juristischen] Guts, das in cluniazensischen Besitz übergeht.“111 Die Quellen lassen daran denken, dass die genannte Begrenzung der villa Cluniacum keine schriftliche Einführung benötigte, nicht etwa obwohl – wie Didier Méhu vermutet – , sondern gerade weil sie allgemein bekannt war und schon seit Jahrhunderten bestand. Wahrscheinlich war Cluny schon seit dem Frühmittelalter mit der Marienkapelle ausgestattet, die in der Gründungsurkunde des Klosters benannt ist. Nach Art der Benediktiner suchte Abt Berno für die Klostergründung an dem gewählten Ort zwar Unabhängigkeit, nicht aber unwirtliche Abgeschiedenheit, wie zum Beispiel spätere Zisterzienserniederlassungen. Er ließ sich in einer funktionierenden Landsiedlung nieder, die gut erreichbar und doch nicht exponiert war, die mit ihrem Umland leicht zu beherrschen war und dabei von vornherein über Wald, Wild, Wein, Getreide, Vieh, Baustoffe, Straßen, Mühlen und menschliche Arbeitskraft verfügte. Es sind die Grundbedürfnisse einer Mangelgesellschaft, die ganz zuvorderst zu beachten waren, wenn eine Klostergründung langfristig Bestand haben sollte.

Die Lage Clunys hat in dieser Hinsicht Vorteile. Das Grosne-Tal liegt parallel nahe der Saône; der nördlichste Ausläufer der Cevennen trennt die beiden Täler und schützte Cluny vor Heereszügen und ähnlichen Bedrohungen. Die Verkehrsanbindung nach Mâcon/Lyon, Chalon/Paris und zur Loire hin war seit jeher gut. Stadtkern und Kloster liegen am westlichen Talrand, im Bereich eines kleinen Seitentalausgangs, auf einem Lösslehm-Schwemmkegel, der teils durch Erosion des Talrands, teils durch Einschwemmungen des kleinen Grosne-Zuflusses Médasson gebildet ist. Die Siedlung ist nach Südosten hin orientiert. Der Verlauf der ursprünglichen Grosne-Talsaumstraße ist noch in Teilen erhalten und an den überformten Stellen nachvollziehbar. Eine Querstraße mit Grosne-Übergang an der Stelle des Pont de la Levée überschneidet sich im Zentrum der villa über ca. 250 m mit der Talsaumstraße, bevor sie in Richtung Autun dem Médasson nach Nordwesten folgt. Die Abzweigstelle bildet das mehrfach erwähnte, aus der Topographie erschlossene Straßendreieck, das im Kernbereich der ursprünglichen Siedlung lag. Hier, an der Schnittstelle zweier alter Wege, treffen Kloster und Stadt zusammen, hier befand sich bis zum 18. Jahrhundert der Markt. Alle bekannten archäologischen Bau- und Bodenbefunde, die noch dem ersten Jahrtausend zuzurechnen sind, befinden sich im Bereich des Médasson-Schwemmkegels und entlang der beiden als römisch identifizierten Straßen am Talrand. Die gute Verkehrsanbindung, eine Situation so nah wie möglich und so weit wie nötig am bzw. vom Fluss, dazu in geschützter Talrandlage, prädestinieren die Stelle für die Besiedlung – aus siedlungsgeographischer Sicht ein Regelfall.

Neben den Bezeichnungen locus, seltener villa, erscheint in den Urkunden der Zeit vor dem nachweislichen Ausbau der Siedlung zur Stadt auch der Terminus burgus, ein erstes Mal um 994:

„[...] ohne dass es jemand anfocht, gestanden sie aufgrund ihrer Bischofswürde [folgendes] unverletzliche Privileg zu: Niemand solle sich irgendetwas [„freilich alles“] zu Besitz anmaßen, was ihnen [den Mönchen] gehöre: die Kirchen mit Zehnten und Abgaben, die demselben Kloster zustehen, oder den burgus desselben heiligen Orts, inner– und außerhalb [der Klosterumfassung?], ohne Anordnung und Einverständnis des Abts, oder irgendjemanden unter den Brüdern desselben Orts. [...]“112

Diese für längere Zeit einmalige Nennung des burgus, die zuerst Georges Duby aufgefallen ist, tritt in Gegenwart der neuen baugeschichtlichen Ergebnisse umso deutlicher, wie Didier Méhu es formuliert, als Hapax innerhalb der Schriftlichkeit zu Cluny in Erscheinung.113 Es ist zu denken, dass der Gebrauch dieses Begriffs auf die Anwesenheit von wehrhaften Adligen bzw. Ministerialen in der villa hinweisen soll, um dadurch die Autorität des jungen Abts Odilo untermauern, dessen Herrschaftsbereich von unrechtmäßigen Zugriffen bedroht ist114; vielleicht standen bereits einzelne domus solaratae als Wohnhäuser dieser sozialen Gruppen. Der spätere Gebrauch des Begriffs zwischen ca. 1090 und ca. 1180 kann dagegen mit einem bestimmten baulichen Phänomen verknüpft werden. Es ist die Zeit des Ausbaus der Siedlung zur Stadt, die der Errichtung der Stadtmauer vorausgeht, in der Cluny mehrfach als burgus bezeichnet wird (Ausführungen im Folgeabschnitt). Von diesem Hintergrund ist die erste Nennung des Jahres 994 zu trennen. Der Vorschlag von Gilles Rollier und Nadine Roiné, bislang nicht verbindlich dargestellte Spuren von Holzhäusern und eines Grabens zwischen Rue du Merle und Les Jaillots könnten eventuell zum Dorf („village“115) der Urkunde von 994 gehören, bleibt zu prüfen.

Die Bedeutungsbreite der Begriffe villa oder burgus liegt in einem unterschiedlichen Wortverständnis zu verschiedenen Zeiten begründet, das sich bis hin zum Gegenteil erstrecken kann. Bau– und bodenarchäologische Befunde des Früh– und Hochmittelalters liefern wichtige Anhaltspunkte, um die zeitgebundene Bedeutung der Termini zu klären. Vorliegend trägt die Identifizierung von domus solaratae in Cluny zu Eingrenzung der Begriffe bei. Der Terminus villa ist im Lauf seiner Geschichte für jede Art ländlicher und städtischer Ansiedlung gebraucht worden.116 Die ursprünglich germanische Wurzel burc(h), die eine befestigte oder mindestens umfriedete Ansiedlung bezeichnet, wurde in den mittelalterlichen Dokumenten als burgus in ein Verwaltungslatein übertragen, das bestimmte Konnotationen zur Hauptbedeutung des Wortes erhob. Während nun die befestigten Gründungsstädte des Hochmittelalters im deutschsprachigen Kulturraum häufig mit dem Suffix „–burg“ gekennzeichnet wurden – der Begriff „Stadt“ wurde erst später geläufig –, bezeichnete die gleiche Wurzel als romanisches Lehnwort eine unbefestigte Siedlung, und der befestigte Ort wurde castrum bzw. castellum genannt. Die mit bourg eingeleiteten Ortsnamen in Frankreich liegen auf der Landkarte mehrheitlich innerhalb eines Rechtecks zwischen Dijon im Norden, Valence im Süden, Genf im Osten und Roanne im Westen, Cluny liegt etwa in der Mitte. Es ist das Ansiedlungsgebiet der Burgunder nach ihrem Abzug aus Savoyen, und es ist auffällig, dass in den Kartularien von Cluny bis ins 12. Jahrhundert mehrheitlich Personennamen mit germanischer Wurzel genannt sind. Möglicherweise wurde die Wurzel burc(h) während der Romanisierung mehr und mehr mit einer Ansiedlung von Angehörigen der politischen Oberschicht anstatt mit einem Schutzwall um eine Siedlung verbunden, und die ursprüngliche Bedeutungsparallele etwa zum keltischen dun, das ebenfalls in vielen Ortsnamen noch enthalten ist, verlor sich.

In der Kontinuität des Terminus villa als Inbegriff einer menschlichen Ansiedlung etablierte sich der Begriff ville in Frankreich ab dem Ende des 11. Jahrhunderts mit der Bedeutung einer (ummauerten) Stadt. Die Tatsache, dass der Terminus villa in dieser Zeit eine immer ausgeprägter städtische Konnotation erhielt, könnte auf den Ausbau vieler Landsiedlungen zur Stadt zurückgehen, deren Konzept rechtlich wie baulich neu entwickelt wurde, während die Bezeichnung villa einfach beibehalten wurde. Seit dem Mittelalter entstand das Bedürfnis, das Dorf mit dem Neologismus villagium / village davon zu unterschieden, konsequent allerdings erst in jüngerer Zeit.117 Wo derartige Bedeutungsverschiebungen im Früh– und Hochmittelalter auftreten, können Baubeobachtungen zur Interpretationssicherheit beitragen.

6.4.3 Der Ausbau Clunys zur Stadt ab der Zeit um 1100

a. Vorbemerkungen

„Am Ende des 11. Jahrhunderts ist die villa Cluniacensis ein halb als ländlich, halb als städtisch anzusehender Raum, der sich ungefähr einen Kilometer weit um das Kloster herum erstreckt [...] Es ist der Bezugsrahmen für die Vollimmunität der Mönche und für die Pfarrei-Diözese, deren Pfarrer-Bischof der Abt ist.“118 Noch am Ende des 11. Jahrhunderts wird der villa die Ausdehnung eines (wortverwandten) Weilers einschließlich landwirtschaftlich genutzter Flächen zugemessen, jetzt freilich in geographischer Einheit mit der Abtei, und rechtlich mit dem Status einer Pfarrei und herrschaftlichen Immunitätszone versehen. Dieselbe Bezeichnung villa wird zeitgleich auch für die umliegenden kleinen Dörfer und Hofgüter des Klosters verwendet.

Zwischen ca. 1094 und 1166 wird die Siedlung um das Kloster neben villa neun Mal auch als burgus bezeichnet, dann verschwindet dieser Begriff wieder.119 Interessant ist die Verwendung beider Termini nebeneinander der „designatio sacri banni“ Urbans II. vom Tag der Altarweihe von Cluny III 1095: „Nos igitur terminos sacrati banni huic monasterio Cluniaco et villae ac burgo pariter praefigimus.“120 Zwar sind villa und burgus unterschieden,121 doch erzielt die spezifische Kopula ac hier nicht vorrangig diese Aussage, sondern verbindet Begriffe ähnlicher, ergänzender Bedeutung. Der Terminus burgus weist deutlicher als villa auf die Präsenz adliger milites und clerici mit besonderen Wohnbauten (domus solaratae) hin. Er scheint präzisierend für das baulich wahrnehmbare Zentrum gebraucht zu sein, das Teil des traditionell als villa bezeichneten, gemarkten Orts ist, und kann in der Urkunde folgerichtig der villa nachstehen. Die mit der Verbreitung städtischer Siedlungen im 12. Jahrhundert langsam veränderte Konnotation des Begriffs villa macht eine derartige Präzisierung nach 1166, der letzten belegten Nennung des burgus, anscheinend überflüssig. Der Zeitraum der Nennung des burgus entspricht den Jahren des Ausbaus von Cluny zur Stadt, die zwischen dem Bau des ältesten vorliegend identifizierten Hauses (1090/91) und der Etablierung städtischer Reihenhäuser (2. Hälfte 12. Jh.) bzw. dem nachweislichen Beginn des Baus der Stadtmauer (um 1180) liegen.122 Cluny bildet eine der seltenen Gelegenheiten, eine konkrete Vorstellung vom baulichen Substrat eines hochmittelalterlichen burgus zu gewinnen und den Begriff dadurch zu festigen.

b. Hinweise auf die Einwohner zur Zeit der Stadtanlage

Fünf Nachrichten zwischen 1065 und ca. 1100 über Häuser eines Ministerialen, von Rittern und des Vogtes bilden die Liste der ersten fassbaren Hauseigentümer von Cluny.123 Allerdings ist weder zu Lage, Gestalt noch Konstruktion der Häuser etwas überliefert. Außerdem ist die Nachricht zum Haus des Vogtes Humbert (C 3685) anscheinend nicht schon 1080,124 sondern erst um 1094 verfasst worden zu sein, etwa zeitgleich mit oder kurz nach dem Bau des Hauses mit Rundbogentor von 1090/91. Die verbreitete Interpretation, Humbert habe Häuser vermietet, ist haltlos: er hat sich lediglich sein Haus unerlaubt auf einem Grundstück errichtet, das der Abtei gehörte. Es ist zwar nach dem Urteil des Priors Joceran über Vogt Humbert, der Überlassung von Humberts Lehen, seines Allods, seines Vermögens, seiner selbst und seiner Nachkommen an die Barmherzigkeit der Brüder, bei der folgenden Gewährung von Milde von „Verpachtung“ oder „Verkauf“ („vendicionibus de plastris burgi Cluniacensis“) die Rede, jedoch nicht von Häusern. Vielleicht ist mit plastris zur Marktabhaltung vergebene Fläche oder Ähnliches gemeint. Die von Dixon vertretene Interpretation Vermietung von Häusern erscheint in Anbetracht der Quelle nicht nachvollziehbar.125

Angehörige des Adels, häufig mit den Mönchen verwandt,126 sind seit der Gründung des Klosters zum Schutz der Abtei in Erscheinung getreten. Ministerialen ergänzen als Ritter zweiten Ranges127 die landwirtschaftliche Grundstruktur des Orts mit Wein–, Feld–, Vieh–, Waldwirtschaft und Getreidemühlen, die sich aus der Gründungsurkunde ergibt.128 Daneben haben Priester und Kapläne im burgus ihre Häuser. Die Einwohner Clunys leben bis ins 12. Jahrhundert eher außerhalb der Abtei als in der umgebenden Siedlung. Der Mönch Bernhard nennt im Jahr 1080 etwa Bedienstete (famuli) des Abts, des Priors und des Kämmerers, die dort wohnen.129 Bernhard weist auch auf Unterkunftsregelungen im Umgang mit berittenen und unberittenen Gästen des Orts hin; die unberittenen werden außerhalb des Klosters untergebracht. Dort ist zur Unterbringung von Gästen mit Hospizen zu rechnen, denen möglicherweise der Typus der erkundeten Doppelsaalbauten zugewiesen werden kann. In einer weiteren Regelung Bernhards erfährt man von Besuchern, die von freier Verköstigung ausgeschlossen werden, wenn sie nur wegen der regelmäßig stattfindenden Märkte oder zu geschäftlichen Verhandlungen nach Cluny gekommen sind.130 Sie profitieren allerdings von zollreduzierten bzw. –freien Straßen im Umkreis Clunys, um den Ort zu erreichen.131 Es ist zweifellos dieser Handel, den die Einwohner Clunys mit dem wachsenden Versorgungsbedarf der riesigen Abtei beginnen, der die Zahl der Einwohner stark ansteigen lässt.132Ermittelt man für eine annähernde Vorstellung die Einwohnerzahl proportional zur Zahl der Mönche, ergeben sich folgende Zahlen: Kommen auf ca. 400 Mönche im fortgeschrittenen 12. Jahrhundert ca. 2500 Einwohner, so stünden um 1109 300 Mönchen ca. 1875 Einwohner gegenüber. Um 1050 soll die Zahl der Mönche ca. 100 betragen haben, entsprechend ca. 625 Einwohnern. Den 12 Mönchen zur Klostergründung um 910 werden wahrscheinlich zwischen 100 und maximal 400 Einwohner der villa Cluniacum gegenüberstehen; die Größenordnung der Siedlung entspräche einem Dorf mit vielleicht 20 bis 50 Häusern. Nachdem es es zur Zeit der Abteigründung in Cluny vielleicht zwischen zwanzig und fünfzig Häuser mit weit unter 500 Bewohnern gab, steigt die Einwohnerzahl dann im 12. Jahrhundert auf wahrscheinlich über 2000 an. Die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts bringt eine neue Gruppe wohlhabender burgenses hervor. Von ihnen und ihren Transaktionen, soweit sie nicht unmittelbar die Abtei betreffen, gibt es vor der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts kaum Nachrichten, ebenso wenig von den Handwerkern vor Ort, die den Bedarf von Abtei und Stadt bedienen.133 Nach dem Abbatiat Pierres de Montboissier sind die neu definierten burgenses Teil der mediocres, im Rang zwischen den milites und den rustici angesiedelt.134 Die reichsten burgenses werden schon ab 1130 zu Kreditgebern an die verschuldete Abtei.135 Gerührt von der sich im Reichtum manifestierenden „Milde Gottes“, tritt ein reicher Bürger Clunys, Gilbert, mit seinem Sohn ins Kloster ein, gibt seinen Besitz auf und hinterlässt seiner Frau ein Haus „vor den [Wechsler-(?)]Tischen unterhalb des Tors der Abtei(?)“ („ante tabulas sub porta“).136 Die reichen Bürger heben sich nach 1150 als meliores burgenses von den anderen ab und etablieren die Hierarchie einer neuartigen, städtischen Gesellschaft, ohne allerdings politische Macht zu erreichen wie das Patriziat anderer Städte. Ihr einziger Trumpf gegenüber der Abtei bleibt anscheinend der Reichtum, denn bis zum 14. Jahrhundert taucht in den Urkunden kein Terminus auf, der die Gemeinschaft der Bürger von Cluny bezeichnet. Ihre Gemeinschaft bleibt die ecclesia Cluniacensis,137 die elementaren Verpflichtungen gegenüber der Abtei bleiben grundsätzlich bestehen. Doch illustriert die finanzielle Abhängigkeit der Abtei von den Bürgern beispielhaft den Wandel von der Feudalgesellschaft zum Zeitalter der Städte in Europa. Nachhaltigen Ausdruck findet der Reichtum dieser homines oeconomici in der Verbreitung sowie der typologischen und stilistischen Weiterentwicklung der domus solarata.

c. Der Hausbesatz vom 11. bis zum 13. Jahrhundert

Es wurde mehrfach angesprochen, dass gegen 1100 bis um 1150 in Cluny die bislang frühesten Steinhäuser fassbar werden. Sie befanden sich westlich und südlich der zur selben Zeit in starker Erweiterung begriffenen Abtei. Ihre Reste liegen an oder nahe bei den mindestens bis in antike Zeit zurückreichenden Fernverkehrswegen. Die erstmalige Feststellung und Dokumentation solcher Häuser ist ein zentraler Beitrag der vorliegenden Arbeit. Sie bilden in ihrer typologischen und entwicklungsgeschichtlichen Einordnung neue Kategorien für Cluny.138 Zunächst vertreten sie Einzelhaustypen und markieren den Ausbau der bis dahin ländlichen Siedlung mit neuartiger, planmäßiger, zwei– und mehrgeschossiger Steinarchitektur, deren Konstruktionsweise dem Kirchenbau durchaus nahesteht. Darüber hinaus bilden sie das Fundament für die Entwicklung des gereihten Stadthauses und des geschlossenen Straßenraums.

Als ältestes bisher bekanntes und datiertes Stadthaus Frankreichs markiert aus baugeschichtlicher Sicht das ‚Haus mit Rundbogentor‘ von 1090/91 (d) den Ausbau vom Dorf zur Stadt. Ein bauzeitlicher Seitenkanal am Haus von 1091 führt noch heute dem Médasson Quell–, Regen– und Abwasser zu und kann als erster Hinweis für eine Stadtentwässerung gelten. Der einfache Grundriss und die Konstruktion des Hauses ohne Fundamentgräben erinnert an die im früh– und hochmittelalterlichen Holzbau übliche Baupraxis.139 Die präurbane Zeit des Orts war wahrscheinlich vom Nebeneinander einfacher Bauwerke geprägt, von eingeschossigen Holzbauten und ersten Steinhäusern.140 Nach Nadine Roinés Grabungsbefund mit mehreren Pfostenlöchern im Rücken der „Écuries“141 ist davon auszugehen, dass eine eingeschossige Variante des Rechteckhauses seit gallorömischer Zeit bis möglicherweise zum 12. Jahrhundert in Cluny vertreten war. Doch unterscheidet sich andererseits die bäuerliche Hausarchitektur bis in die Neuzeit konzeptionell und konstruktiv vielerorts markant von derjenigen der Städte. Die Ausbildung des Hauses von 1091 als steinerne domus solarata mit Obergeschoss sowie die nachgewiesene Tatsache, dass es präzise entworfen und ausgeführt wurde, lassen es als Prototyp eines Stadthauses erscheinen. Das Haus mit zugehörigem Garten, das der miles Bernardus Veredunus gegen 1100 in Cluny hinterließ, als er sich dem Kreuzzug anschloss, könnte der neu identifizierten Architektur von 1091 ähnlich sein.142 Etwa zur selben Zeit entstand ein Saalhaus mit Treppenvorbau in der Nähe der Abtei.143 Es lag im Zwickel zwischen dem Abzweig hinauf in Richtung Saint-Mayeul und dem Siedlungszuweg Rue de la Chanaise, der vermutlich im Zusammenhang mit der Westerweiterung der Abtei um 1100 angelegt wurde. Um 1107/08 (d) wurde im Bereich dieser Erweiterung der Abtei die Aula der Klosteranlage Cluny III errichtet.144 Spätestens um 1120 bestanden die Pfarreien Ste-Marie und St-Odon. Um 1130 wurde das Schiff der großen Abteikirche fertiggestellt. Um 1135/36 (d) erhielt der Platz vor der Marienkirche mit dem ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ das für lange Zeit markanteste Haus der Stadt, welches das Zentrum des burgus baulich heraushob.145

Auf dieser Basis ist eine erste Vorstellung von der Textur der das Kloster umgebenden Stadt Cluny für die Zeit vor 1150 zu gewinnen. Bis dahin wurden die typologischen Voraussetzungen für eine geschlossene Bebauung geschaffen. Das hauptsächliche Instrument einer dichteren Siedlungstextur war zunächst die Riemenparzelle, wie sie schon in römischen Provinzstädten bestand, für die sie etwa in Südwestdeutschland mit gemischtem Bestand von Holz– und Steinbauten recht gut belegt ist.146 Die Riemenparzelle scheint insofern in der Tradition antiker Strigation zu stehen.

Ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts dominierte in Cluny dann die geschlossene, traufständige Bebauung mit halbscheidigen Grenzmauern. Cluny ist durchaus kein provinzieller Sonderfall: Für das hochmittelalterliche Rom weist Etienne Hubert anhand von notariellen Akten ganz vergleichbare Haustypen und Texturbildungen nach (vgl. Abb. 5.13).147 Das Nebeneinander von Stein–, Holz– und Mischbauweise (mit stärkerem Gewicht des Steinbaus) ist auch in Rom zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert die Regel. Bis zum 13. Jahrhundert wird dort der Strohlehm– und Fachwerkbau vom Steinbau, das Schindel– vom Ziegeldach, die eingeschossige von der mehrgeschossigen und die offene von der geschlossenen Bebauung verdrängt.148 Nachdem in Rom erstmals 1177 der Begriff der Fläche im Zusammenhang mit der Veräußerung eines Hauses erscheint,149 spielt ab dem 13. Jahrhundert die Rentabilität von Immobilien eine Rolle,150 die das Zeitalter der Städte begleitet. Die in Cluny beobachtete Entwicklung des Stadthauses, das mit dem ‚Haus eines Händlers‘ von 1208 (d) erstmals unverwechselbar ökonomisch geprägte Züge trägt, zeugt von ähnlichen sozio-ökonomischen Neuerungen. Der Besatz mit typologisch und bautechnisch Cluny vergleichbaren Häusern der Zeit um 1100 sowie die beobachtete typologische Entwicklung hin zum Reihenhaus im 12. Jahrhundert zeichnet auch andernorts das Bild der hochmittelalterlichen Stadtanlagen aus, etwa in Freiburg i. Br., Basel, nach den bisherigen Ergebnissen vermutlich auch Regensburg,151 und wird durch bauarchäologische Forschungen verschiedentlich langsam besser fassbar.

Die Lage der bisher ältesten Wohnbaubefunde von Cluny an oder nahe bei den wichtigen Durchgangswegen und –straßen weist darauf hin, dass sich die namengebende, auf keltische Ursprünge zurückreichende Dorf– oder Weilersiedlung Cluniacum bzw. Clunneg nach der Anlage des Klosters kontinuierlich südlich und westlich in nächster Nachbarschaft zur Abtei entwickelt hat, wo sich noch heute der Stadtkern befindet. Die vorliegende Befunddarlegung weist die bekannten, typologisch neu entwickelten Reihenhäuser, die oft mit reicher Bauornamentik ausgestattet sind, der Zeit nach 1150 zu. Die flächige Verbreitung dieses neuen Bautyps führte die geschlossene Bebauung ein, die erst den heute vertrauten Stadtraum erzeugte. Die Häuser bilden daneben die Erstbebauung eines grosso modo rechtwinkligen, annähernd geradlinigen Straßennetzes, das ab ca. 1150 die vorhandene Siedlung erweiterte.152 Es ist davon auszugehen, dass die Errichtung dieser domus solaratae vor allem den erwähnten, wohlhabenden meliores burgenses zu verdanken ist, da die Etablierung dieser Einwohnergruppe exakt der Entstehungszeit der Häuser ab ca. 1150 entspricht. Der sehr einheitliche Haustypus lässt allerdings nicht entscheiden, ob ein derartiges Stadthaus einem Adligen oder einem burgensis gehörte. Die burgenses eiferten der nächsthöheren Klasse nach und eigneten sich deren Statussymbol, die domus solarata, an. Die Multiplikation dieses Bautyps, die im Reihenhaus gipfelt, degradierte dessen Wirkung als Statussymbol, und es wurde immer reicherer Bauschmuck eingesetzt, bis der Bautyp im 13. Jahrhundert endgültig den Topos des Stadthauses besetzte und zum Alltag gehörte.153 Ob die Stadthäuser des 12. Jahrhunderts in ihrer Gesamtheit als Statussymbol einer Gruppe wahrgenommen wurden, ist aus den Quellen nicht zu erfahren, ebenso wenig, welche Rolle die Bauten der Abtei für die Selbstsicht der Bürger von Cluny spielten. Die Übernahme von Ornament– und Bauformen aus der Abtei, gerade der Arkadenfenster, ist als Hinweis auf eine gewisse Identifikation zu sehen. Vielleicht bleiben die Hausgröße, die Lage oder die Variante mit zwei Sälen im Obergeschoss dennoch Unterscheidungskriterien zwischen Häusern von milites und burgenses, die noch nicht definitiv beurteilt werden können.

Die bekannte Bauskulptur eines Schuhmachers stellt einen einfachen Handwerker im Erdgeschoss eines typischen Reihenhauses dar.154 Es ist, neben der in einem Fries der Zeit gegen 1200 gezeigten Traubenernte, das bisher einzige Bildzeugnis einer handwerklichen Tätigkeit im hochmittelalterlichen Cluny, allerdings ohne Auskunft über die Eigentumsverhältnisse in dem dargestellten Haus. Erst gegen Ende des Jahrhunderts treten spezifische Bauteile wie die Kaufladenöffnung im Erdgeschoss des ‚Haus eines Händlers‘ (Bauzeit um 1193 bis um 1208) auf,155 die die Zuordnung zu einer Berufsgruppe ermöglichen.

d. Die Stadtmauer

Zur Stadtmauer Clunys (Abb. 6.17) existiert noch keine bauhistorische Dokumentation, die Aufbau, Phasierung, Schichtenbezug und eine Systemrekonstruktion mit Graben wiedergäbe. In der vorliegenden Zeittafel sind die Grundlagen einer späten Datierung ab ca. 1180 genannt, die den neuen Beobachtungen zum Hausbesatz und zum Straßennetz der Stadtentstehung gut entspricht.156 Eine vertiefte Bauanalyse kann im begrenzten Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht geleistet werden. Da Stadtmauern der Zeit um 1200 anderweitig ausreichend bekannt sind, kann anderen Themenfeldern der Vorrang eingeräumt werden. Einige Einzelheiten bleiben allerdings zu beachten. Die Stadtmauer steht bauhistorisch vollkommen in Abhängigkeit von der Abtei am Ende der romanischen Bauperiode III mit der Ausdehnung des Klosterbezirks auf die endgültige Fläche.157 Die Umfassung der Stadt wurde demnach um 1180 angelegt und im 13. Jahrhundert fertiggestellt.158

Abb. 6.17: Cluny, westliche Stadtmauer.
Außenseite mit Wehrgang und Latrinenerker nahe dem Eintritt des Médasson in die Stadt.

Abb. 6.17: Cluny, westliche Stadtmauer.
Außenseite mit Wehrgang und Latrinenerker nahe dem Eintritt des Médasson in die Stadt.

Während die spitzbogige Porte de la Chanaise nach dem Vergleich mit den Arkaden der Stadthäuser durchaus noch der Zeit um 1180 angehören kann, ist die Torvariante mit Segmentbogen (Porte Saint-Mayeul) frühestens um 1195 und spätestens um 1250 entstanden,159 sofern die Bogensteine mit der Fläche und noch nicht mit dem Zahneisen bearbeitet wurden.160 Der Kontur der Klostermauer erhielt mit dem Tour ronde um 1230 seinen mittelalterlichen Abschluss.161

Nach außen hin bilden die Mauern von Abtei und Stadt eine gemeinsame Umfassung etwa gleicher Zeitstellung, während die stadtinnere Trennung beider Systeme mit dem Tour des Fromages und den Portes d’Honneur ältere Elemente der Abteimauer des 11. und 12. Jahrhunderts enthält. Datierung, Lage und Verlauf der gemeinsamen Mauer um Stadt und Abtei enthalten Informationen für die Rekonstruktion der Stadtentstehung. Beide Siedlungsteile waren vom Ende des 11. bis Anfang des 13. Jahrhunderts gleichermaßen von einem kolossalen Flächenwachstum betroffen: Die Abtei wurde von ca. zwei auf über zehn Hektar vergrößert – ein Anhaltspunkt auch für den Flächenzuwachs des umgebenden burgus während der Stadtentstehung.

Es wurde beobachtet, dass sich der Verlauf der Stadtmauer in weiten Abschnitten aus der Topographie, besonders dem geographischen Relief des Orts ableitet. Eine Parallelstellung der Mauer im Bereich der steilen Talflanken wurde konsequent gemieden. Dies hat die Einbeziehung des Talrands bis zur Hangoberkante zur Folge, verbunden mit einer weitläufigen Ausdehnung des Mauerrings. Das große Ausmaß des Umfangs in Einheit mit einer keineswegs übertriebenen defensiven Ausstattung und zahlreichen Durchlässen wurde von Pierre Garrigou Grandchamp hervorgehoben.162 Diese Charakteristika der Stadtbefestigung von Cluny können als Hinweis dafür gesehen werden, dass der die Abtei umgebende burgus bis zum ab ca. 1180 bezeugten Bau der Stadtmauer überhaupt nicht nennenswert befestigt war. Jedenfalls sind Spuren einer noch älteren Befestigung der Ansiedlung bisher nicht festgestellt worden; sie hätten jedenfalls nicht an der Stelle der beschriebenen Ummauerung, sondern weit innerhalb liegen müssen.163 Die stadtinnere Lage des erhaltenen, mächtigen, vorliegend als Eckturms der Abteibefestigung Cluny II beschriebenen Tour des Fromages definiert die Umfassungsmauer des castrum bzw. castellum,164 wie die Abtei mehrmals genannt wird , bis zum Ende des 12. Jahrhunderts als die eigentliche Befestigung des Orts.165

Diese Auffassung wird nachrichtlich etwa durch C 4056 unterstützt,166 die um 1136 über den Eintritt des Bürgers Gilbert ins Kloster berichtet. Das in der Quelle zur Verortung von Gilberts Haus genannte Tor trägt keinen Namen, der es von anderen Toren unterscheiden ließe. Diese Tatsache ist ein Hinweis darauf, dass eine mit Toren bestückte Stadtumfassung um 1136 noch nicht existierte, dass es sich um ein Tor der Abteiumfassung, und dort möglicherweise um den einzigen größeren Eingang handelte. Die Abteimauer dürfte auch den außerhalb lebenden burgenses Schutz geboten haben, unabhängig von der Frage, ob deren Siedlung in irgendeiner Weise befestigt oder baulich begrenzt war. Möglicherweise haben die hohen Grundstücksmauern, die noch heute allenthalben das Stadtbild prägen, eine lange Geschichte. Seit dem Ausbau der Abtei zum castrum der Periode Cluny II seit ca. 950 war die umgebende Siedlung zum Beiwerk degradiert, das kaum eigenständig wahrgenommen wurde, es sei denn, innerhalb einer Aufzählung der zur Abtei gehörenden Besitzungen, wie in der bekannten Urkunde von 994, die sowohl castrum als auch burgus nennt.167 Nähere Informationen zur Siedlungsgestalt und ihrer Befestigung können daraus aber nicht hergeleitet werden,168 auch nicht eine „double enceinte“.169 Ein neuartiger, baugeschichtlich begründeter Ansatz der Interpretation des castrum (seit ca. 955) oder castellum (um1080)170 würde unter anderem die Tatsache erklären, dass die Bezeichnung burgus in der Periode II nur in der genannten Charta, danach erst wieder mit Cluny III ab 1094 (bis 1166) und eher selten (zehn Mal) verwendet wird, parallel mit der seit 1091 nachweislichen Manifestation städtischer Textur der die Abtei umgebenden Siedlung. Zu diesen Nennungen des burgus gehört ein Dokument von 1126, das eine Mauer um Cluniacum – gemeint ist die Abtei – erwähnt und den derart umgrenzten Bereich vom außerhalb liegenden burgus unterscheidet. Es handelt sich um eine Nachricht Papst Honorius’ II. an den Erzbischof von Lyon zur Kenntnisnahme seines Urteils gegen den abgesetzten Abt Pontius und seine Anhänger, mit der Bitte um Vollstreckung.171 Neben dem Gegenstand des Umfangs (ambitus) der Abteimauer erwähnt die Quelle bezüglich des burgus „claustra vel pertinentiam“. Angesichts der ansonsten knappen Formulierung der Urkunde ist die Tatsache der Nennung zweier alternativer Begriffe anstatt eines eindeutigen als Hinweis darauf auszuwerten, dass die pertinentia des burgus, im Gegensatz zur Abtei, nicht ebenfalls durch eine Mauer oder Palisade im Gesamten umschlossen und klar begrenzt ist. Es sind jedoch einzelne durch Hofmauern umfriedete Bereiche vorstellbar, etwa Kirch– oder ggf. auch Adelshöfe. Es ist denkbar, dass Honorius den abstrakten Begriff der Ausdehnung des burgus in der Sentenz sicherheitshalber mitgibt und die Interpretation den ortskundigen Vollstreckern überlässt. Da er mit der Formulierung „infra claustra vel pertinentiam totius burgi“ aber ganz sicher und zuvorderst die Kirchen und Kapellen St-Odon, St-Mayeul und St-Odilon erfassen will, die zum Teil noch außerhalb der weitläufigen späteren Stadtmauer liegen, kann die erwähnte Begrenzung des burgus nicht die reale Gegenstandsinformation eines älteren Befestigungsrings um den gesamten burgus darstellen.172 Die Quelle kann nicht viel zur Klärung der konkreten Siedlungsgestalt beitragen, abgesehen von der Bestätigung der Tatsache, dass die Abtei von einer Ringmauer umschlossen war. Diese Befestigungsart traf auf den burgus offenbar nicht zu, da dessen Begrenzung durch zwei abstraktere Vokabeln beschrieben wird.

Vielleicht gehen die heute noch stehenden, hohen Grundstücksmauern vieler Parzellen im Ursprung auf das Fehlen einer wehrhaften Ortsumgrenzung zurück, die bisher weder als Nebenergebnis einer Hausuntersuchung, noch aus der Kataster– und Luftbildanalyse herauszufiltern ist. Aus rechtlicher Sicht scheint jedenfalls kein Bedarf nach einer besonderen Abgrenzung des burgus durch eine Befestigung bestanden zu haben: Seit 1080 war das Territorium des burgus Teil der unverletzlichen banleuca Sancti Petri, in deren Bereich der Abt die absolute Rechtshoheit hatte, und die durch die Maiolus–, die Odilo– und die Odokapelle markiert wurde.173 Freilich schützte diese Unverletzlichkeit die burgenses nur bedingt vor militärischen Konflikten, zumal sie eigens zum Schutz der Abtei herangezogen wurden. Nicht zu vergessen ist allerdings, dass die Exemtion im Verein mit der geistlichen Autorität der Abtei zahlreiche familiäre und administrative Verflechtungen in der Region und darüber hinaus bis hin zu den höchsten Machtträgern der damaligen Welt eine Sonderstellung des Orts begründete, die mit anderen Städten kaum zu vergleichen ist und einen hohen Sicherheitsbeiwert mit sich gebracht haben wird. Politisch-geographisch manifestiert sich diese Sondersituation in der „zone sans château“ in weiter Umgebung von Cluny, die auf dem Konzil von Mâcon in Ergänzung früherer Schutzzonen 1153 festgelegt und in Kraft gesetzt wurde. Diese Zone erstreckt sich von Nord nach Süd über fast 180 km von Autun bis südlich von Lyon und ist im Westen von der Loire, im Osten von der Saône begrenzt. 174

e. Das Straßennetz der Stadtanlage
Abb. 6.18: Cluny und Umgebung im 18. Jh.
Von unten (Süden) nach oben (Norden): Grosne-Tal mit Talsaumstraße und Fluss Grosne, durch die ummauerte Stadt (Stadtfläche markiert) die Rivière de la Chaîne. nach W (links) der alte Weg in Richtung Autun, durch Rahmen markiert der Aussichtspunkt „Merle“.
Cassini, carte n° 85 von 1763.
n. Garrigou Grandchamp et.al. 1997, S. 52 Abb. 12 (Ausschnitt).
Markierung: Verfasser.

Abb. 6.18: Cluny und Umgebung im 18. Jh.
Von unten (Süden) nach oben (Norden): Grosne-Tal mit Talsaumstraße und Fluss Grosne, durch die ummauerte Stadt (Stadtfläche markiert) die Rivière de la Chaîne. nach W (links) der alte Weg in Richtung Autun, durch Rahmen markiert der Aussichtspunkt „Merle“.
Cassini, carte n° 85 von 1763.
n. Garrigou Grandchamp et.al. 1997, S. 52 Abb. 12 (Ausschnitt).
Markierung: Verfasser.

Es wurden zu Beginn des Kapitels in der Befundübersicht der frühesten bekannten Bauwerke Clunys auch präurbane Wege angesprochen, die nach der naturräumlichen Topographie verlaufen, antike Orte miteinander verbanden und auf der Gemarkung Cluny von römischen und keltischen Fundstellen begleitet sind (Abb. 6.18).175 Von Norden aus Richtung Chalon kommend, folgt der westliche Talrandweg über 13 km der Grosne und erschließt die Dörfer zwischen Cormatin und Cluny. Er trat nach Maßgabe des physisch-geographischen Reliefs ursprünglich an der Porte des Prés nach Cluny ein. Mit der Westerweiterung der Abtei um 1100 übernahm ein Weg auf halber Höhe seine Aufgabe; hier wurde Ende des 12. Jahrhunderts die Porte de la Chanaise als Stadtzufahrt errichtet. In der Stadt sind die Spuren des Talrandwegs teilweise überformt, doch tritt er am ‚Haus eines Händlers‘ von 1208 (d) und weiter im Südosten der Stadt wieder zutage. Dort führt er in Richtung der alten villae Jalogny, Varennes und Mazille und weiter ins Beaujolais, ein Abzweig bei Clermain über Charolles und Paray an die Loire. Mit der Stadtanlage wurde der Weg in Cluny durch die Stadtausfahrt über die Porte Saint-Odile ergänzt bzw. ersetzt. Der zweite Hauptweg kommt als Querweg von Nordwesten, aus Richtung Autun, und nimmt oberhalb Lournand den Weg aus Donzy mit Anschlüssen nach Nordwesten und Westen auf. In Cluny folgt er nach der Einfahrt in die Porte du Merle dem Bach Médasson. Der Tor- und Straßenname Merle entspricht dem Namen eines Aussichtspostens auf dem Hügel zwischen Cluny und Lournand, oberhalb der Kapelle Saint Lazare.176 Südlich der Abtei überschneiden sich der Talrand– und der Querweg und bilden die Hauptstraße Clunys, an der der frühere Markt und die Pfarrkirche Notre-Dame liegen. Die Abteimauer folgt der Fernwegüberschneidung, die das Stadtzentrum bildet.

Die Kirchen Saint-Mayeul und Saint-Marcel sowie das Haupttor der Abtei aus dem 12. Jahrhundert sind über Abzweige der Hauptstraße zu erreichen. Im Osten tritt der Querweg an der Stelle der einstigen Porte de la Levée aus der Stadt heraus, führt über die Grosne-Brücke (Pont de la Levée) zu den Waldhügeln des Mâconnais und über neolithische Fundstellen auf dem kürzesten Weg (24 km) bis an die Saône. Der Abzweig nach Süden am östlichen Talrand scheint ursprünglich bei der Grosne-Brücke gelegen zu haben. Dieser Weg führte an der ehemaligen keltischen Pierre folle vorbei in Richtung des heutigen Val Lamartine nach Berzé und weiter nach Mâcon.177 Er ist allerdings zusammen mit dem westlichen Talrandweg durch die heutige D 980 ersetzt worden, für die im Spätmittelalter eine eigene Brücke und eine neue Straßenführung angelegt wurde, und ist daher dem Gelände kaum noch zu entnehmen.

Das untersuchte ‚Haus mit Rundbogentor‘ von 1090/91 liegt am Querweg in Richtung Autun und scheint zur Bauzeit den nordwestlichen Ortseingang gebildet zu haben. Das im Hochmittelalter in Cluny unübertroffen große Haus von 1135/36 am heutigen Kirchplatz von Notre-Dame wurde nicht lange nach der päpstlichen Bestätigung der vor– oder frühromanischen Marienkapelle als Pfarrkirche (1120) errichtet und markiert mit der Kirche, dem Markt am Chorhaupt und dem Tour des Fromages in der Abteimauer das Stadtzentrum, das den Überschnittsbereich der Hauptwege begleitet. Der Hausgrundriss berücksichtigt den Abzweig der Rue de la Barre, die wahrscheinlich eine ältere Verbindung am Talrand hinauf zur Kapelle Saint-Odilon darstellt.178 Ab ca. 1150 entstehen die bekannten romanischen Reihenhäuser mit Arkadenfenstern, deren Straßenfassade allerdings bis um 1200 nicht mehr als zwei Geschosse hoch ist.

Abb. 6.19: Cluny, die Hauptstraße Rue Mercière.
Durch diese Straße verlief bis vor wenigen Jahren die Départementale 980 von Autun in Richtung Mâcon (in Blickrichtung Südost).
Erkennbar der geschwungene Verlauf des präurbanen Wegs und das Gefälle des Médasson-Schwemmkegels in Blickrichtung, außerdem die Lage der Straße an der Sohle des Médasson-Seitentals (Geländeanstieg rechts). Rechts außerhalb des Bildrands die Kirche Notre-Dame, links der Tour des Fromages.

Abb. 6.19: Cluny, die Hauptstraße Rue Mercière.
Durch diese Straße verlief bis vor wenigen Jahren die Départementale 980 von Autun in Richtung Mâcon (in Blickrichtung Südost).
Erkennbar der geschwungene Verlauf des präurbanen Wegs und das Gefälle des Médasson-Schwemmkegels in Blickrichtung, außerdem die Lage der Straße an der Sohle des Médasson-Seitentals (Geländeanstieg rechts). Rechts außerhalb des Bildrands die Kirche Notre-Dame, links der Tour des Fromages.

Abb. 6.20: Cluny, Rue Neuve („Terrier Bollo“ 1693), heute Rue Joséphine Desbois.
Blick nach Südwesten.
Geradlinige Straße des Straßennetzes nach 1150.
Rechts das 2007 mittels eines Bauornamentikabgusses restaurierte Haus Nr. 6ter, 2. H. 12. Jh.

Abb. 6.20: Cluny, Rue Neuve („Terrier Bollo“ 1693), heute Rue Joséphine Desbois.
Blick nach Südwesten.
Geradlinige Straße des Straßennetzes nach 1150.
Rechts das 2007 mittels eines Bauornamentikabgusses restaurierte Haus Nr. 6ter, 2. H. 12. Jh.

Soweit dem Befund der Rue d’Avril und der Rue Joséphine Desbois („Rue Neuve“,179 Abb. 6.20) zu entnehmen, bilden solche domus solaratae die Erstbebauung eines neu angelegten, geradlinigen und annähernd rechtwinkligen Straßennetzes, das die vorhandenen Wege und möglichen Stichgassen ergänzt, die Fläche der entstehenden Stadt strukturiert und im Ansatz an die Rasterstädte des 13. Jahrhunderts denken lässt.180 Das Straßennetz berührt allseits den Umfang der ab ca. 1180 begonnenen Stadtmauer, die an die Abteimauer anschließt und ab dieser Zeit gemeinsam mit der Nord– und Ostmauer der Abtei die äußere Begrenzung des Orts bildet.181 Die romanische Bebauung reicht nirgends bis an die Stadtmauer heran.182 Auch die Einführung einheitlicher Baufluchten im Städtebau des fortgeschrittenen 12. Jahrhunderts ist an den Häusern der Rue d’Avril und der Rue Joséphine Desbois zu erkennen. Die ältesten dieser straßenraumbegrenzenden Reihenhäuser, so etwa das Haus 15, rue d’Avril, sind zwischen ca. 1160 und 1180 errichtet worden.

Es scheint, als sei das geradlinige Straßennetz schon einige Jahre vor dem Bau der Stadtmauer initiiert und mit der Festlegung des Stadtumrisses vervollständigt worden, teilweise erst im 13. Jahrhundert.183 Das Straßennetz ist durchaus als orthogonal wahrnehmbar, trotz des extrem bewegten Reliefs (Abb. 6.21) und der unterschiedlichen Topographie der Stadtquartiere. Nicht nur der geschlängelte Verlauf der Hauptstraße (Rue du Merle bis Rue de la Levée) kennzeichnet diese als präurbanen Durchgangsweg (Abb. 6.19), auch an der hierarchischen Unterordnung der abgehenden geradlinigen Straßen wird dies kenntlich. Dort, wo die Lage der abgehenden Straßen von den Hauptrichtungen des Straßennetzes abweicht, etwa im Quartier St-Marcel, berücksichtigt sie die vorhandene Abteiumfassung, die topographisch bedingte Richtung des Kanalnetzes sowie den steil abfallenden Talrand und verläuft jeweils parallel. Die Parallelführung der Straßen entspringt einer zeittypischen Raumordnungsweise, die auch die Grundrisse der untersuchten Häuser kennzeichnet.

Wie weiter oben beschrieben, muss die präurbane nördliche Zufahrt in die villa Clunneg hinein mit der Erweiterung der Abtei in der Periode III um 1100 hangaufwärts auf die Höhe der Porte de la Chanaise versetzt worden sein. Die seitdem burgus– bzw. stadteinwärts führende Rue de la Chanaise184 traf am Puits des Pénitents auf die Rue „de St Mayeul“ („Terrier Bollo“ 1693). Deren Aufwärtskurve entlang der um 1100 datierbaren Westmauer des Hauses 1–3, rue de la Chanaise bedingt dessen unregelmäßigen Parzellenzuschnitt und kann dem Bau des Hauses nur vorausgegangen sein. Sie scheint noch einen präurbanen Weg von der Mitte des burgus und der Abtei Cluny II an der Talsohle hinauf zu St-Mayeul abzubilden.

Abb. 6.21: Die in der bisherigen Forschung als Hauptkreuzung der Stadtanlage angesehene Carruge des Forges quert die Sohle des Médasson-Kerbtals. Diese Situation ist durch die Westerweiterung der Abtei bedingt, die den topographisch günstiger gelegenen Talrandweg überbaute. Hier der Blick von der Rue Joséphine Desbois nach Nordosten über die Hauptstraße in die Rue de la République.

Abb. 6.21: Die in der bisherigen Forschung als Hauptkreuzung der Stadtanlage angesehene Carruge des Forges quert die Sohle des Médasson-Kerbtals. Diese Situation ist durch die Westerweiterung der Abtei bedingt, die den topographisch günstiger gelegenen Talrandweg überbaute. Hier der Blick von der Rue Joséphine Desbois nach Nordosten über die Hauptstraße in die Rue de la République.

Abb. 6.22: Cluny, Rue de la République (Rue de Saint Mayeul, „Terrier Bollo“ 1693).
Blick nach Osten durch das Haupttor der Abtei.

Abb. 6.22: Cluny, Rue de la République (Rue de Saint Mayeul, „Terrier Bollo“ 1693).
Blick nach Osten durch das Haupttor der Abtei.

Das untere und auch das obere Drittel dieser Steige wurden dagegen von der geradlinigen, orthogonal gedachten Stadtanlage des 12. Jahrhunderts überformt und auch verbreitert: Nach unten wurde die Straße auf die an der Talsohle neu angelegte Kreuzung Carruge des Forges zugeführt, nach oben – in einiger Distanz zur Kirche St-Mayeul – auf das gleichnamige, um 1200 gebaute Tor, so dass dessen wehrtechnisch sinnvolle Positionierung in der Stadtmauer mit Abstand zum Eckturm möglich wurde. Diese Interpretation der Straßengestalt und –ausrichtung stützt der Urkataster von 1693, in dem die „(Grande) Rue (de) St Mayeul“ auch einen Großteil der heutigen Rue de la République einnimmt. Die kleine Rue du Fresne, „Petite Rue de la Chanaise“ genannt, scheint nach dem heutigen Katasterbild als geradlinige Verbindungsgasse zwischen Rue de la Chanaise und dem oberen Teil der Rue St-Mayeul angelegt worden zu sein.

Interessant ist schließlich auch der Verlauf der Rue d’Avril („Darvi“185), die scheinbar als Verlängerung der Achse der Abbatiale III angelegt ist. Die Stratigraphie vor dem Haus 15, rue d’Avril und der Befund des Saalgeschossbaus 17, rue de la République unterstreichen die gemeinsame Zeitstellung der Straßenanlage mit Cluny III.

Abb. 6.23: Blick in die Gegenrichtung durch den nördlichen Torbogen in die geradlinige, aus der Symmetrie des Tors versetzte und leicht nach Nordwesten abgewinkelte Rue d’Avril.

Abb. 6.23: Blick in die Gegenrichtung durch den nördlichen Torbogen in die geradlinige, aus der Symmetrie des Tors versetzte und leicht nach Nordwesten abgewinkelte Rue d’Avril.

Die Straße führt ähnlich wie eine Blickachse der Barockzeit auf das Doppeltor der Abtei zu, trifft axial allerdings auf die nördliche Öffnung, nicht auf die Mitte der Portes d’honneur (Abb. 6.23 rechts). Das Tor ist seinerseits gegenüber der Kirchenachse versetzt (Abb. 6.22). Die Rue d’Avril ist gegenüber der Achse der Abteikirche außerdem leicht verschwenkt.186 Trotz dieser Unregelmäßigkeiten zeigt die Verlängerung ihrer Richtung nach Osten, dass die Straßenachse einst auf den Vierungshauptturm ausgerichtet war. Das Abweichen von einer rigiden Bauumsetzung selbst in einem Fall, der die Axialität zum Thema erhebt, ist kennzeichnend für die geometrische Praxis der Zeit um 1100. Die mit Cluny III entstandene, topographisch ungünstige Situation, den axialen Zuweg zur Kirche hangabwärts zu führen, ist dennoch als beeindruckende Perspektive umgesetzt worden.

f. Das Gewässer– und Kanalnetz im Hochmittelalter (Pl. 9.1)

Die wahrscheinlich schon zur Zeit der Gründung der Abtei vorhandene Gewässernutzung an der Talsohle von Médasson und Grosne187 wurde zusammen mit der entstehenden Stadt ausgebaut und erweitert. Der Médasson wurde spätestens im 12. Jahrhundert zur cloaca der Stadt und erhielt aus dieser Funktion seinen Namen Merdasson. Der Bach wurde ab ca. 1150 kanalisiert und teils von den begleitend errichteten Häusern überbaut.188 Vom Hügel bei Saint-Mayeul führte ein gefasster Quellbach über die um 1150 angelegte Rue d’Avril und am ‚Haus mit Rundbogentor‘ von 1091 (20, rue du Merle) vorbei zum Médasson. Nach der komplizierten Drainagesituation im Hof des Hauses 1–3, rue de la Chanaise und nach der bei Prévost um 1670 vor dem Stadttor verzeichneten Fontaine de la Chanaise189 können mehrere derartige Gewässer existiert haben.

Hauptsächlich aber befindet sich ein Netz von Gewerbekanälen an der Talsohle im Bereich der Pfarrei Saint-Odon (ab ca. 1160 Saint-Marcel). Nachdem in Kap. 6.3.4. die Hypothese des Flusslaufs der Grosne durch dieses Gebiet ausgeräumt wurde, kann die bekannte spätmittelalterliche Situation annähernd auf die Stadtanlage des 12. Jahrhunderts übertragen und zum Teil auf deren planvolles Vorgehen zurückgeführt werden. Das Kanalnetz ist in wesentlichen Teilen noch heute erhalten und nach mehreren Modernisierungen im Lauf seiner Geschichte meist unterirdisch geführt. Hauptfluter des Kanalnetzes ist die noch existierende Rivière de la Chaîne am westlichen Talrand, die am Westende der Digue de l’Étang-Neuf ca. 440 m oberhalb der Stadtmauer aus der Grosne abgezweigt ist und einst an dieser Stelle vier Mühlen speiste, bevor sie auf die Stadt zufloss. Aus diesem Fluter gingen ein Parallelkanal (Petite Rivière bzw. Rivière des Éclouzures)190 und mehrere querlaufende Entlastungskanäle (zum Beispiel „Dechargeoir“)191 netzartig ab, die von Fleischern und Gerbern genutzt wurden. Die Petite Rivière folgt der Rue Prud’hon, der ehemaligen Rue de Saint-Marcel, die eine Hauptstraße des Viertels bildet und über eine Strecke von 140 m geradlinig verläuft, das heißt, wahrscheinlich zum Straßennetz des 12. Jahrhunderts gehört. Es handelt sich keinesfalls um das Überbleibsel eines vielfach vermuteten, älteren Verlaufs der Grosne.

Der Hauptkanal Rivière de la Chaîne besteht nach der Untersuchung des ‚Haus eines Händlers‘ von ca. 1193–1208 (d) mindestens seit dem 12. Jahrhundert im aktuellen Verlauf. Seine vorrangige Aufgabe war der Antrieb der Abteimühle (Tour du Moulin),192 doch diente er seit dem Ausbau des Stadtquartiers ebenfalls den Fleischern, Gerbern und noch anderen Sparten des Handwerks. Außerdem nimmt der Kanal an der Stelle des ‚Haus eines Händlers‘, der Nordwestecke des Kanalnetzes, den viel kleineren Médasson auf, dessen natürliche Richtung er ab dort übernimmt. Wesentlich für die Stadtanlage ist, dass die Rivière de la Chaîne als Hauptfluter des Kanalnetzes nach Maßgabe des hochliegenden und geradlinigen Verlaufs mit Sicherheit künstlich angelegt wurde und mindestens seit dem 12. Jahrhundert an der Stelle fließt, die die optimale Nutzung dieses Gewässers zeitigt. Dahinter steht ein planvolles Vorgehen im Umgang mit der Energieversorgung der Mühlen und der Stadtentwässerung im Hochmittelalter, das zum Beispiel auch die Stadtanlage von Freiburg i. Br. kennzeichnet. Dort ist das Straßennetz nach der idealen Fließrichtung der Stadtbäche ausgerichtet, so wie es die Topographie des Orts vorgibt (Pl. 9.6).

6.5 Zusammenfassung

Erstmals sind Häuser des ausgehenden 11. und der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Cluny identifiziert und dokumentiert worden. Es sind die bislang ältesten datierten mittelalterlichen Stadthäuser Frankreichs. Die neuen bauhistorischen und –archäologischen Untersuchungsergebnisse bilden vor dem Stand der historischen Forschung193 das Rückgrat der vorliegenden Analyse der Siedlungsgenese und Stadtanlage Clunys, die eine Vielzahl von Quellen und Einzelbeobachtungen unterschiedlicher Disziplinen und Betrachtungsebenen berücksichtigt. Zur Bauuntersuchung sind die teils neue Auswertung der vorhandenen Primärquellen und die konsequente Beachtung der Topographie Clunys getreten. Zum ersten Mal sind die Monumente von Abtei und Stadt zusammen katasterscharf kartiert und in die Topographie des Orts eingebettet worden. Die Interdependenz von Abtei, umgebender Siedlung und topographischen Bedingungen wurde im geschichtlichen Verlauf beobachtet. Ein zentrales Ergebnis ist die Erschließung eines Systems präurbaner Fernwege, dessen lokale Veränderung durch dem kolossalen Ausbau der Abtei nach 1088 zahlreiche per se kaum verständliche Eigenheiten des heutigen Orts erklärt. Das Straßennetz der Zeit nach 1150 wurde von diesen älteren Wegen separiert und als eigene Entwicklungsstufe begriffen. Einige Kernaussagen der bisherigen, durch Tradition gefestigten Vorschläge für die Siedlungs– und Stadtgenese können nicht aufrechterhalten werden, so das verbreitete polyzentrisch-sukzessive Stadtentstehungsmodell, außerdem die Rekonstruktion der Begrenzung der Abtei Cluny II – vor allem nach Westen - sowie die gängig gewordene Vorstellung einer mittelalterlichen Flussbettverlegung der Grosne aus der Stadt heraus an den östlichen Talrand.

Abb. 6.24: Cluny, Vorschlag der Siedlungsgenese.
In der Bildmitte auf dem Schwemmkegel des Médasson ein topographisch vorgegebenes Dreieck von zwei sich überschneidenden alten Fernwegen (durchgehende Linien), teilweise überlagert von der Abtei II (10.–11. Jh., in Strichpunktumrandung) mit Tour des Fromages als Eckturm der Ringmauer des castrum/castellum der Abtei. Annähernd durch Ellipsenform hinterlegt der Nukleus der villa Cluniacum (mit Marienkapelle an der Stelle von Notre-Dame). Die Situation wird durch die Abteierweiterung der Periode III grundlegend verändert.
Rechts außen der Verlauf der Grosne in seit geschichtlicher Zeit nicht wesentlich veränderter Lage, parallel dazu der Mühlkanal Rivière de la Chaîne (12. Jh. oder früher).
Pl. 9.1, nachbearbeiteter Ausschnitt.

Abb. 6.24: Cluny, Vorschlag der Siedlungsgenese.
In der Bildmitte auf dem Schwemmkegel des Médasson ein topographisch vorgegebenes Dreieck von zwei sich überschneidenden alten Fernwegen (durchgehende Linien), teilweise überlagert von der Abtei II (10.–11. Jh., in Strichpunktumrandung) mit Tour des Fromages als Eckturm der Ringmauer des castrum/castellum der Abtei. Annähernd durch Ellipsenform hinterlegt der Nukleus der villa Cluniacum (mit Marienkapelle an der Stelle von Notre-Dame). Die Situation wird durch die Abteierweiterung der Periode III grundlegend verändert.
Rechts außen der Verlauf der Grosne in seit geschichtlicher Zeit nicht wesentlich veränderter Lage, parallel dazu der Mühlkanal Rivière de la Chaîne (12. Jh. oder früher).
Pl. 9.1, nachbearbeiteter Ausschnitt.

Siedlungsgenese (Abb. 6.24). Der Ort Cluny besteht mindestens seit gallorömischer Zeit. Der Ortsname geht auf eine definitiv keltische Wurzel zurück, deren exakte Bedeutung aber noch nicht geklärt ist. Der Kern des Orts liegt auf dem Schwemmkegel am Talausgang des Médasson zum Tal der Grosne. An dieser Stelle überschnitten sich ein Talrand– und ein Talquerweg, die schon zu römischer Zeit befahren wurden. Sie verbanden Orte an Saône und Loire sowie Autun und sind möglicherweise als Seitenzweige der Via Agrippa anzusprechen. Von der ländlichen Ansiedlung sind Reste mindestens eines Pfostenhauses am Médasson-Talausgang ergraben worden.

An derselben Stelle wurde 909 oder 910 das Kloster Cluny gegründet, das die vorhandene Verkehrsanbindung nutzte. Wahrscheinlich überbaute es ein Zinsgut (mansus), das ihm zusammen mit dem umgebenden Ort (villa) als frei verfügbares Eigentum überantwortet wurde. Da zur villa Cluniacum weitere villae, umfangreicher Landbesitz und Infrastruktur gehörten, darunter Bachläufe und Mühlen, ist mit einer gewissen zentralen Bedeutung des Orts schon vor der Abteigründung zu rechnen.

Seit der Periode Cluny II (nach 950) wurde die Abtei auch als castrum bezeichnet. Sie erhielt eine Ringmauer, von der ein Turm, der Tour des Fromages (um 1000), noch steht. Dieser Turm wurde nach allen Beobachtungen als Eckturm der Abteimauer II errichtet. Er markiert die Stelle, wo die präurbanen Fernwege sich überschnitten und noch heute das Zentrum des Orts liegt. Ihm gegenüber befand sich seit dem 11. Jahrhundert oder früher eine Marienkapelle, deren Nachfolgebau die Hauptpfarrkirche Notre-Dame darstellt. An den dieser Kirche grenzte bis zum 18. Jahrhundert der Markt an.

Im 11. Jahrhundert entstanden die beiden Hügelkapellen Saint-Mayeul und Saint-Odilon im Gedenken an im Ruf der Heiligkeit stehende Äbte des Klosters. Gegen 1100 kam eine weitere Kapelle, Saint-Odon, im Bereich der Mühlkanäle an der Talsohle hinzu, so dass um die Abtei ein Kranz etwa äquidistanter Abtskapellen initiiert war. Ab ca. 1088 wurde die Abtei III geplant und errichtet. Ihre Fläche wurde von ca. 2 ha auf über 10 ha erweitert, überlagerte den westlich gelegenen Talrandweg und erfasste Teile des Hügelsporns zwischen Grosne und Médasson. Dies wurde wegen der Länge der neuen Abteikirche erforderlich, die nicht weiter talseitig positioniert werden konnte. Stattdessen wurde das Haupttor der Abtei hangaufwärts verschoben, so dass seitdem der Zugang zu Narthex und Westportal einen Abstieg bildet. Der alte Talrandweg erfuhr eine umständliche Umgehung bergauf über die Rue de la Chanaise und wieder bergab über die Rue de l’Abbaye, die heutige Rue de la République.

Stadtanlage (Abb. 6.25). Parallel zur Abtei der Periode III entstand die Stadt.194 In dieser Zeit großer struktureller Veränderungen, die zwischen dem Bau des Hauses von 1091 und der Errichtung der Stadtmauer ab ca. 1180 liegt, wurde die Siedlung in den Schriftquellen neun Mal als burgus bezeichnet (um 1094 bis 1166), danach verschwindet dieser Terminus wieder. Um 1120 wurden zwei der erwähnten Kapellen, die Marien– und die Odokapelle, päpstlich als Pfarrkirchen anerkannt. Die zunächst ländlich geprägte Siedlung, die vielleicht schon seit der Ansiedlung des Klosters einen Markt hatte, wurde mit steinernen domus solaratae bestückt. Von diesen Häusern wurden drei Beispiele aus der Zeit vor 1150 identifiziert und dokumentiert: das ‚Haus mit Rundbogentor‘ von 1090/91 (20, rue du Merle), der mächtige ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1135/36 im Zentrum der Siedlung (11–13, place Notre-Dame / 3, rue de la Barre) sowie der Saalbau I (um 1100) auf der Parzelle 1–3, rue de la Chanaise. Während das Haus von 1091 als einfaches, von der Straße zurückgesetztes Rechteckhaus auftrat, trugen die anderen genannten Bauten mit straßenbegrenzendem Vorbau und integrierter Treppe schon wesentliche Merkmale der späteren Reihenhäuser, denen sie als Vorbild dienten. Gleichwohl waren sie alle noch als Solitäre konzipiert.

Abb. 6.25: Cluny, Stadtanlage der Periode III mit Abtei (Mauerring Bildmitte) und Stadt (umgebend).
Topographie: Dargestellt ist die Situation mit Hügelzone (links und unten), Schwemmkegel des Médasson-Tals (hell schattiert) bzw. Talsohle der Grosne (weiß). Dem Hangsaum folgen präurbane Fernwege (durchgehende Linien).
Abtei: Ab ca. 1088 Erweiterung der Abtei der Periode II nach W, N und O von ca. 2 ha auf mehr als 10 ha über fast den gesamten Schwemmkegel des Médasson und zum Teil Verdrängung der alten villa. Überbauung des zentralen Verkehrsknotens der villa (Linien) und Kappung des nördlichen Zuwegs, der hangaufwärts verschoben wird (Pfeile).
Burgus: Ergänzung der erhaltenen Fernwegeteile durch Straßennetz, ab ca. 1150 meist geradlinig und annähernd rechtwinklig (gerade Linien); umgrenzende Stadtmauer ab ca. 1180.
Gewässer: Rechts außen der Verlauf der Grosne in seit geschichtlicher Zeit nicht wesentlich veränderter Lage, parallel dazu der Mühlkanal Rivière de la Chaîne (12. Jh. oder früher), dazwischen (von unten) die Petite Rivière mit Wiedereinmündung in den Mühlkanal. Der kleine natürliche Bach Médasson (von links) wird zur cloaca der Stadt.
Pl. 9.1, nachbearbeiteter Ausschnitt.

Abb. 6.25: Cluny, Stadtanlage der Periode III mit Abtei (Mauerring Bildmitte) und Stadt (umgebend).
Topographie: Dargestellt ist die Situation mit Hügelzone (links und unten), Schwemmkegel des Médasson-Tals (hell schattiert) bzw. Talsohle der Grosne (weiß). Dem Hangsaum folgen präurbane Fernwege (durchgehende Linien).
Abtei: Ab ca. 1088 Erweiterung der Abtei der Periode II nach W, N und O von ca. 2 ha auf mehr als 10 ha über fast den gesamten Schwemmkegel des Médasson und zum Teil Verdrängung der alten villa. Überbauung des zentralen Verkehrsknotens der villa (Linien) und Kappung des nördlichen Zuwegs, der hangaufwärts verschoben wird (Pfeile).
Burgus: Ergänzung der erhaltenen Fernwegeteile durch Straßennetz, ab ca. 1150 meist geradlinig und annähernd rechtwinklig (gerade Linien); umgrenzende Stadtmauer ab ca. 1180.
Gewässer: Rechts außen der Verlauf der Grosne in seit geschichtlicher Zeit nicht wesentlich veränderter Lage, parallel dazu der Mühlkanal Rivière de la Chaîne (12. Jh. oder früher), dazwischen (von unten) die Petite Rivière mit Wiedereinmündung in den Mühlkanal. Der kleine natürliche Bach Médasson (von links) wird zur cloaca der Stadt.
Pl. 9.1, nachbearbeiteter Ausschnitt.

Nach 1150 bis ins 14. Jahrhundert hinein wurden die bekannten mittelalterlichen Reihenhäuser Clunys gebaut. Ihre Errichtung und ornamentale Ausstattung ist wahrscheinlich vor allem den um 1150 etablierten meliores burgenses zu verdanken, die als Geschäftsleute reich geworden sind. Die vornehmsten Häuser entstanden in den begehrtesten Lagen, im Zentrum entlang der Marktstraße und an der Marienkirche, unmittelbar südlich der Abtei, sowie westlich davon in der Nähe der Portes d’Honneur. Als – anfangs sicher nicht überall – geschlossene Bebauung erzeugten erst diese Reihenhäuser den noch heute vertrauten Stadtraum und dessen verdichtete Textur. Eine Bauflucht wurde bereits nach 1150 stellenweise eingehalten.

Die vorhandenen alten Wege wurden ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts mit einem Netz geradliniger Straßen erweitert, die bereits an die Planstädte des fortgeschrittenen 13. Jahrhunderts denken lassen und bis an die Stadtmauer heranreichen, die nachrichtlich ab ca. 1180 errichtet wurde.195 Lage, Stil– und Konstruktionseigenschaften der ältesten erhaltenen Mauerteile weisen in dieselbe Zeit. Mitte des 13. Jahrhunderts, zur Bauzeit der gotischen Notre-Dame an der Stelle der alten Marienkirche, wurde schließlich auch Saint-Mayeul an der Peripherie der Stadt zur Pfarrkirche erhoben.

Die weitläufige Stadtmauer steht vollkommen in Abhängigkeit von der Umfassung der Abtei III. Eine frühere Befestigung des Burgus, die weit innerhalb hätte liegen müssen, existierte nach allen Beobachtungen nicht. Der mächtige Tour des Fromages und die anschließende Ringmauer der Abtei mitten in der Stadt weisen darauf hin, dass die Abtei bis zum Bau der Stadtmauer die Befestigung des Orts darstellte und auch den Bürgern einen gewissen Schutz bot. Als Rechtsgrenze war eine Stadtmauer nicht erforderlich, da die absolute Rechtshoheit des Abts bis zum Ban sacré reichte, der in zwei bekannten Urkunden von 1080 und 1095 festgestellt bzw. bestätigt wurde und etwa der heutigen Gemarkungsgrenze entspricht. Neben dem (Fern-)Handel, der Beherbergung von Marktbesuchern und Pilgern sowie der Landwirtschaft spielte das Handwerk eine wesentliche Rolle für die entstehende Stadt. Schon in der Gründungsurkunde der Abtei werden um 909/10 auch Getreidemühlen genannt. Es ist wahrscheinlich, dass das Kanalnetz im Bereich der Pfarrei Saint-Odon (nach ca. 1160 Saint-Marcel) in seinen Ursprüngen bis auf das erste Jahrtausend zurückgeht. Da das ‚Haus eines Händlers‘ von 1208 (d) mit Rücksicht auf den bestehenden Hauptfluter, die Rivière de la Chaîne, gebaut wurde, existiert dieser Kanal mindestens seit dem 12. Jahrhundert in der heutigen Lage. Er speist die Abteimühle, außerdem ist an ihm das gesamte Gewässernetz des Viertels aufgespannt.

Abb. 6.26: Autun, Prospekt der Belagerung von 1591, Blick von Nordwesten.
Innerhalb der weitläufigen römischen Mauer – unten die Porte d’Arroux, links unten die Porte St-André – zwei Zellen von mittelalterlichen Befestigungsringen nebst verstreuter Bebauung am Champ de Mars (dort mit jüngerer Befestigung) bei Kirchen bzw. Kapellen und an Ausfallstraßen.
Autun, Musée Rolin.

Abb. 6.26: Autun, Prospekt der Belagerung von 1591, Blick von Nordwesten.
Innerhalb der weitläufigen römischen Mauer – unten die Porte d’Arroux, links unten die Porte St-André – zwei Zellen von mittelalterlichen Befestigungsringen nebst verstreuter Bebauung am Champ de Mars (dort mit jüngerer Befestigung) bei Kirchen bzw. Kapellen und an Ausfallstraßen.
Autun, Musée Rolin.

Auf der Basis von bauhistorischen und –archäologischen Befunden in Stadt und Abtei, von Schriftinformationen und zahlreichen topographischen Beobachtungen konnte der Stadtanlage Clunys, die mit der Verbreitung von Steinhäusern und der typologischen Bildung einer geschlossenen Bebauung einherging, nachgespürt werden. Stadtanlage und Gebäudetypen stehen auf der Höhe ihrer Zeit und sind weiträumig vergleichbar. Es sei abschließend nochmals hervorgehoben, dass beispielsweise Étienne Huberts Auswertung stadtrömischer notarieller Akte zeitlich und morphologisch vollkommen vergleichbare Eigenschaften der dortigen Wohnbauten enthält. Freilich mögen die speziellen, intensiven Personenkontakte zwischen den beiden Orten Rom und Cluny, die von zentraler Bedeutung für die mittelalterliche Kirche waren, zu einer Parallelentwicklung beigetragen haben. Doch zeigt die Gesamtschau auch andernorts nachgewiesener Befunde, dass die in Cluny erkannte Morphologie von Haus und Stadt als exemplarisch für die Entwicklung der europäischen Stadt im Mittelalter eingestuft werden kann. Dies betrifft nicht nur Neugründungen oder den Ausbau von ländlichen Siedlungen, wie etwa in Freiburg im Breisgau, sondern auch die (Wieder-)Besiedlung ehemaliger römischer Militärlager und die Reaktivierung antiker Städte im Mittelalter.

Anscheinend sind die Unterschiede zwischen dem hochmittelalterlichen Erscheinungsbild alter Römerstädte und Neuanlagen der Zeit um 1100 weniger weitreichend, als man zunächst vermuten könnte (vgl. Abb. 6.26).196 Das vertraute bauliche, soziale und ökonomische Gebilde mit städtischem Selbstverständnis in Europa ist nach allem hauptsächlich ein Produkt des 12. Jahrhunderts, dessen Idee und beginnende Realisierung dem fortgeschrittenen 11. Jahrhundert zu verdanken ist. Das folgende Kapitel geht der Frage nach, auf welcher Wissensbasis diese Idee entstehen und zur Realität werden konnte.

Fußnoten

Vgl. Kap. 1.3, S. 1217.

Zu diesen Konstanten gehört die Annahme einer künstlichen Verlegung des Flusses Grosne im 13. Jahrhundert (Degueurce 1935, S. 136), die Interpretation der Kirche Saint-Mayeul als Ort des ältesten Siedlungskerns des 10. und 11. Jahrhunderts (Duby 1950, S. 260, Duby 1971, S. 46 und 267–268; Rollier and Roiné 1994, Karte 3 [mit unsicheren archäologischen Beobachtungen auf dem Hügel unweit St-Mayeul]) sowie die Rekonstruktion des Umrisses der Abtei Cluny II (vgl. Conant 1968, groupe 1, pl. III fig. 3 und pl. V fig. 5). Die Annahme eines „Bourg Notre-Dame“ seit dem 11. Jahrhundert wurde wiederholt mit einer Schriftquelle des Jahres 1064 in Verbindung gebracht, deren Bezugnahme auf die Marienkirche allerdings später revidiert wurde (vgl. Méhu 1999, S. 373). Es zeigt sich, dass auch für alle vorgenannten Annahmen Revisionsbedarf besteht.

Alle Quellen: Cluny, Musée d’art et d’archéologie. Wasserbau-Planwerk 18./19. Jh. (Plans et Cartes. Ponts / Ponceaux / Aquéducs nodate), „Plan anonyme“ (Anonymus nodate, zwischen 1698 und 1727; Inv.-Nr. 896.5.19); „Terrier Bollo“ (Plans Geometraux de la Ville de Cluny et des Environs. Avec Les Cartes de la Rente Noble Abbatialle dudit Lieu. Echelle de 200 pieds 1693); „Plans d’alignement“ (Stadtumbaupläne um 1800); „Gravure Prévost“ (Prévost 1670, Stadtprospekt; H 0.42,5 m, B 1.14,5 m; Stich nach Zeichnung von Louis Prévost, aus Cluny gebürtiger Advokat, verfertigt unter dem Abbatiat des Kardinals d’Este zwischen 1668 und 1672).

Vgl. Kap. 7, Planungsgeschichtliche Ergebnisse, S. 404432.

Vgl. die Forderung nach „réflexion sur l’organisation de l’espace dans la société des Xe–XIIe siècles“ bei der Beurteilung der topographischen Entwicklung (Méhu 1999, S. 360).

Vgl. Kap. 5.4.2, Das solarium, S. 337338, Der Arkadenvorbau der Aula von 1107/08.

Es handelt sich um die Vita des Abts Hugo aus der Feder des Mönchs Gilo (erhaltene Abschrift für Saint-Martin-des-Champs Anfang 13. Jahrhundert; Originaltext wohl um 1120; Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms lat. 17716). Ausführungen siehe Kap. 7.2., S. 404412.

Roiné 1993. Als Ausgangshöhe wurde die OK des Fußbodens der (abgetragenen) Markthalle an dieser Stelle festgelegt. Der Horizont lag 2.60 m tiefer, das geologische Niveau war noch nicht erreicht. Nicht sicher ist, ob eine Außensituation oder vielleicht der Bereich innerhalb eines (Gruben-)Hauses sondiert wurde (Freundlicher Hinweis der Ausgräberin). Möglicherweise ist bereits der Errichtung der „Écuries“ bzw. Aula von 1108 eine erste nivellierende Erdbewegung vorausgegangen, die das westliche Abteigelände Gelände zum Médasson und zur Talsohle hin abterrassierte.

„Voie. À travers le territoire de la commune, « sur l’emplacement du vieux chemin situé à l’est et au-dessous des vignes de Bel-Air et du Fouëtin », passe la voie romaine de Belleville à Autun. Elle entrait dans la ville vers le pigeonnier de l’Hôtel-Dieu, à côté du Pont-Bouillon, par la Porte de la Chaîne : A.-E. Monnier, Annuaire Saône-et-Loire, 1859, p. 228 ; – G. Jeanton, Mâconnais gallo-romain, II (*), 1926, p. 9“ (Rebourg 1993, S. 198).

Aus dem Verhältnis der Baudauer von Cluny II (ca. 33 Jahre) gegenüber der Zeit des Bestehens der Abtei von der Gründung um 910 bis zum Baubeginn um 948 (ca. 38 Jahre, davon 21 Jahre als eigenständiges Kloster nach Loslösung von Baume-les-Messieurs) kann abgeleitet werden, dass die Klosterbauten der Periode I kaum repräsentativen oder richtungsweisenden Anspruch hatten, sondern Zweckbauten von bescheidener Größe waren.

Nachrichtlich „castrum“ (994, C 2255, zit. nach Bernard 1876–1903, III, S. 387). Um 1080 „intra castelli circuitum“ bzw. „usque ad portas castelli“ (vgl. Stratford 1992, S. 394 und Anm. 19 bzw. 45).

Die bisher mit 83 Grad spitzwinklig dargestellte SW-Ecke des Turms (a.a.O., S. 61, Planzeichnung von M. Berry; vgl. auch K. J. Conants Grundrissrekonstruktion der Abtei II, Conant 1968, groupe 1, pl. III–V) wurde wegen des nach Augenschein rechtwinkligen Eindrucks am 14. April 1999 überprüft. Ergebnis ist, dass die Turmecke annähernd rechtwinklig ist. Eine Luftbildauswertung 2008 bestätigte dieses Ergebnis und bestimmte mit einer Toleranz von ca. 2 Grad die Winkel der restlichen drei Turmecken. Die Beobachtung des Turminneren im Mai 2009 bestätigte die Nordost-Innenecke als stumpfwinklig, die anderen drei Innenecken als annähernd rechtwinklig mit leichter Varianz in den Obergeschossen des Turms. Dies entspricht auch dem Ergebnis der detaillierten Bauuntersuchung und –dokumentation durch den Autor im Sommer 2013.

Vgl. römische Stadtmauern von Le Mans oder Köln.

Der Abstand zum Talrand ist auch ein Merkmal der Anlage der Stadt Freiburg i. Br. (um 1100). – Zur Rekonstruktion der Umfassung von Cluny II und ihrer Lage siehe Kap. 6.3.3, S. 361364.

Vgl. Conant 1968, groupe 1, pl. V fig. 5.

Der Gewölberaum erscheint auf dem „Plan anonyme“ um 1700 nach S hin wohl sekundär geöffnet; er ist im 18. Jahrhundert an ein angebautes Stadthaus angeschlossen, während die oberen Geschosse zur Abtei gehören (Plans Geometraux de la Ville de Cluny et des Environs. Avec Les Cartes de la Rente Noble Abbatialle dudit Lieu. Echelle de 200 pieds 1693, vgl. Abb. 3.63). Fotografien aus der Zeit um 1950 zeigen die Öffnung weiter vergrößert und mit einem Holzsturz gedeckt (Centre dʼétudes clunisiennes, Dossier photographique, Tour des Fromages, 2; 16023).

Darstellung des Turms in Salvèque 1998, S. 65 Abb. 54. – Im Juli 2013 führte die Brandenburgische Technische Universität Cottbus - Senftenberg unter der Leitung des Autors eine Bauuntersuchung sowie verformungs– und steingerechte Bauaufnahme des Turms durch. Erste vorliegende Ergebnisse bestätigen und präzisieren die genannten Beobachtungen zu Baukonstruktion und –form des Turms sowie auch die Vermutung, dass es sich um einen Eckturm der Abteiumfassung II handelt.

Ergebnisse der Grabung durch Anne Baud, 1999 bis ca. 2002, Vorankündigung in: Baud 2002b, S. 129.

Vgl. Méhu 2002a, S. 125; Stratford 1992, S. 391 mit Anm. 38: Datierung 1077.

Fegers 1987, S. 492, Phasenplan-Abb. nach Congrès archéologique de France 1928.

Fischgrätverband, meist lagenweise, insular oder auch im Fundament auftretend, ist vor allem an Bauten des 10.–11. Jahrhunderts anzutreffen. Es ist eine Bautechnik, die neben dem verbreiteteren Lagenmauerwerk erscheint. Sie ermöglicht, flache Steine unterschiedlicher Höhe zu verwerten und in einem regelmäßig erscheinenden Verband zu vereinen.

Vgl. St. Maria im Kapitol, Köln, Chor, vollendet 1065 (Adam 1968, S. 83).

Bulle Gregors, siehe Kap. 6.3.1.a, S. 353 mit Anm. 55.

Siehe Anm. 26.

Vgl. Baudokumentation Pl. 9.12 und 9.19, bzw. S. 335 Abb. 5.19, Straßenquerschnitte Rue du Merle. – Im Übersichtsplan ist der ursprüngliche Verlauf des Bachs nach zwischenzeitlicher Vorstellung straßenmittig vorgeschlagen. Wahrscheinlicher ist, dass er immer seitlich der Straße, nahe der heutigen Stelle, verlief und ab dem 12. Jahrhundert kanalisiert wurde.

Zu Schriftlichkeit und Zweck der Verehrung siehe Méhu 1999, S. 378, mit Hinweis auf Bredero 1990, S. 170–181, La canonisation de St-Hugues, und auf Iogna-Prat 1992a, La geste, bzw. Iogna-Prat 1992b, S. 81–87 und 105–107, Panorama.

Das Haus steht in der vorliegenden Liste noch bei den Gebäuden der Zeit um 1100. Es wurde erst nach Erstellung der Dokumentationslegende als zweifelsfrei späteres Haus identifiziert.

Alle Angaben nach Stratford 1992, S. 395–396.

Dormoy et.al. 1999b, Archéolabs réf. ARC 99/R2256D.

Vgl. ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1135/36 (Pl. 9.1, Q; Zeittafel 17).

Vgl. ‚Haus eines Händlers‘, Bauzeit um 1193 (d) bis um 1208 (d) (Legendennr. 24).

Freundlicher Hinweis von Jos Tomlow.

Universität Münster [Neiske, Franz (Redaktion)]: Catalogus abbatum Cluniacensium (http://URL:http://www.uni-muenster.de/Fruehmittelalter/Projekte/Cluny/abbates_cluny.html, 08.04.2011).

Vgl. Garrigou Grandchamp 1996, S. 18 Anm. 24: Hinw. auf Chronicon Cluniacense (Marrier and Duchesne 1614, col. 1662: „Iste autem Theobaldus acquisivit decimas huius villae, et murus eiusdem incoepit“ (Übersetzung Verfasser) (Es wäre zu prüfen, ob das Manuskript an dieser Stelle die Lesart „muros“ erlaubt; sie ist bei Méhu 1999, S. 350 Anm. 29 so angegeben und wurde oben entsprechend übersetzt. (Anm. B.F.) – Außerdem Hinweis von Garrigou Grandchamp 1996, S. 18 Anm. 24, auf erstmalige Nennung von Stadttoren: „[...] portas villae Cluniacensis“ (C 4614 (1232), Bernard 1876–1903, VI, S. 156).

Zu dieser Datierung vgl. Beschreibung des ‚Haus eines Händlers‘, Bauzeit zwischen ca. 1193 und ca. 1208 (d) mit Segmentbogen in der Fassade, siehe S. 285 und Abb. 4.33 auf S. 291.

Vgl. Carcassonne, Rundtürme der Mantelmauer des palatium, des äußeren Mauerrings und der Aude-Barbacane: Werksteinverband mit geböschtem Fuß und umlaufenden Hurden, um 1230 (Datierung n. Panouillé 2001, Zeittafel S. 26).

„[...] iuxta novos clausure Cluni“ ([Chronik Clunys in Annalen sowie Aktenstücke zur Abtei im Spätmittelalter] o.D., B.n.F., Ms nouv. acq. lat. 2483 fol. 13, zit. n. Méhu 1999).

Fundort einer römischen Münze nahe der Fassade des „Palais du pape Gélase“ am Haupthof der Abtei (Oktober 1892) in ca. 1 m Tiefe. Die von Rebourg genannten römischen oder frühmittelalterlichen Funde in Cluny wurden an den Rändern der Talsohle gemacht, ausgenommen eine neronische Münze, die 1894 nahe des Champ de Foire (ehemals Messplatz am Ausgang der Rue du Merle, der Straße in Richtung Autun) unweit der Stadtmauer gefunden wurde (Rebourg 1993, S. 198).

Zwischen der Départementale 15p – der Straße in Richtung Autun (etwa auf der Höhe eines bekannten Verbrauchermarktes) – und dem Bach Médasson wurden ungebrannte römische Lehmziegel gefunden. Römische Scherben sind in einem Garten am Beginn der Rue de la Levée, östlich der heutigen Place du Commerce im Viertel Saint-Marcel identifiziert worden. Freundliche Auskunft von Nadine Roiné.

Es handelt sich keineswegs um ein „eher sumpfiges Gelände“ („terrain plutôt marécageux“, Dixon et.al. 1997, S. 96).

Ein Pfostenloch (nach Roiné 1993) vgl. Baudokumentation Pl. 9.1, dazu Zeittafel Kap. 6.2.1, S. 342, Legendennummer 1. Nach Auskunft der Ausgräberin wurden im Ausgrabungsareal mehrere Pfostenlöcher gefunden. Freundlicher Hinweis von Nadine Roiné.

Vgl. Kap. 5, Typologie, passim.

Vgl dazu Méhu 2002a, S. 125, Chapelles: Anachronistische Projektion der spätmittelalterlichen Mauer als Umfassung des burgus der Zeit um 1100.

Erste Nennung des Étang-Neuf vielleicht 1207, sicher 1261 („stagni novi Cluniacensis“), vgl. Rollier 2002, S. 109.

Darstellungen mit starker Verbreitung beispielsweise Dixon et.al. 1997, S. 96 Abb. 63 bzw. Méhu 2002b, S. 133. Diese schematischen Karten sind graphische Abwandlungen der Darstellung von Rollier and Roiné 1994. Vgl. Kap. 1.3, S. 1217 mit Abb. 1.41.6 sowie Kap. 6.1, S. 340 Abb. 6.1.

Liber tramitis aevi Odilonis Abbatis, datiert zwischen 1027 und 1040 (Méhu 1999, S. 366, dieser nach Wollasch) oder aber um 1045 (Dinter 1980, S. 203–203 / Stratford 1992, S. 408 Anm. 26).

Ein ursprüngliches Täuferpatronat der Maioluskapelle wird vielfach angenommen (zum Beispiel „Eglise au vocable de Saint-Jean-Baptiste“; Rollier and Roiné 1994, S. 14), geht aber offenbar auf einen Irrtum Dumolins (18. Jh.) zurück (ausführlichere Diskussion: Méhu 1999, S. 364–365).

„Nec quiusmodo quisquam aepiscopus locum ipsum seu capellas supradictas, uidelicet Sanctae Marie, Sancti Maioli et Sancti Odilonis, uel presbiteros ab abbate ibi constitutos uel monachos ipsius monasterii excommunicare uel iudicare audeat, set semper sub tutela et emunitate Romana soliusque Romani pontificis iuditio consistentes omnipotenti Domino quieti securique deseruiant“ (Bulle Gregors VII., zit. n. Méhu 1999, S. 368 Anm. 97). Hervorhebung durch den Verfasser.

Vgl. Kap. 6.4.2, S. 373 Anm. 104, Gründungsurkunde (Auszug).

Vgl. beispielsweise Baud 2002c, S. 129.

Zur ausführlichen Diskussion des Schrifttums um Saint-Mayeul im 11. Jahrhundert vgl. Méhu 1999, S. 363–371.

Bulla Calixti II, nº 143 (Méhu 1999, S. 375).

C 4903, „[...] anno Domini M° CC° XL° septimo, mense febroarii. [...]“ (zit. n. Bernard 1876–1903, VI, S. 405). – Vgl. auch Méhu 1999, S. 370, mit Anm. 109: „Le capellanus Sancti Maioli n’apparaît que dans deux documents: C 3758 (charte non datée que l’on peut situer vers 1090–1100 [...]) et C 4903 (1248).“

Vgl. ebd. – In C 5067 wird der curatus von St-Marcel vor demjenigen von St-Mayeul angeführt, vielleicht entsprechend der hierarchischen Stellung: „[...] curati Sancti Marcelli Cluniacensis, et Petri, curati Sancti Mayoli Cluniacensis [...]“ (zit. n. Bernard 1876–1903, VI, S. 534).

Vgl. Méhu 1999, S. 368–370 (mit zusätzlichem Hinweis auf Dinter 1980) sowie Baud 2002b, S. 129.

Möglicherweise verfolgte Abt Hugo mit dem Bau der Odokapelle das Konzept eines Kranzes derartiger Äbtekapellen, der sukzessive vervollständigt wurde. Sollte Hugo eine crux ecclesiarum zu initiieren gedacht haben, blieb diese allerdings unvollendet, da eine vierte Äbtekapelle, die dann nördlich der Abtei hätte liegen müssen, nie gebaut wurde. Auch wurde das Konzept der Kirchenwidmung an Äbte im 12. Jahrhundert gebrochen, wie um 1160 die Patronatsänderung der Odokapelle zu Marcellus bezeugt. Der Kapellenkranz hatte sicher liturgisch markierende Bedeutung, eine rechtsgültige Begrenzung ist darin bislang nicht nachzuvollziehen (vgl. Méhu 1999, S. 381).

Saint-Odilon wurde als einzige der drei Äbtekapellen vom Stadtumriss des späten 12. Jahrhunderts nicht umfasst und blieb bis ins 19. Jahrhundert frei von umgebender Bebauung.

Vgl. Kap. 6.2.1., Zeittafel, LN 1, S. 342 mit Anm. 10 bzw. Kap. 6.2.2, S. 351 mit Anm. 45 und 46.

Gallia Christiana, IV, col. 884: „Hoc ipso anno, nonis decembris facta dicitur dedicatio ecclesiae Cluniaci in honorem B. Mariae, quam egit piae memoriae Achardus episcopus Cabilonensis“ – „In diesem selben Jahr (1064), heißt es, sei zu den Nonen des Dezember die Weihe der Marienkirche von Cluny vollzogen worden, die Achardus, der Bischof von Chalon, in frommem Gedächtnis ausgeführt hat“. Der Autor des 18. Jahrhunderts fügt hinzu, es habe sich nicht um die Abteikirche, sondern um die unmittelbar benachbarte (Notre-Dame-du-Cloître) gehandelt. Da er allerdings am Datum zweifelt, das einen Freitag („feria VI“) vorgibt, während die Nonen im Dezember 1064 auf einen Sonntag gefallen seien, zieht er noch eine weitere Kirche mit Namen Sainte-Marie in Betracht. Sie steht im Weiler La Charmée, unweit südwestlich von Chalon. Es existiert die Nachricht, dass die Weihe am Freitag, dem 3. der Nonen im Dezember 1064 stattgefunden habe (C 3403, zit. n. Bernard 1876–1903, IV, S. 506). Diese Marienkirche gehörte über das doyenné von Jully-lès-Buxy zu Cluny. Ein Zusammenhang des Weihedatums mit der Pfarrkirche Notre-Dame-de-Cluny lässt sich durch die Notiz in der Gallia Christiana schwerlich herstellen (Zit. und zusammengefasst n. Méhu 1999, S. 373; Übersetzung des Quellentexts durch den Verfasser).

Eine Ausnahme bildet Rollier and Roiné 1994, S. 18, Vignette nº 2, die den vermuteten Umriss der Abtei II verwendet; allerdings berücksichtigen auch hier die dargestellten Siedlungsflächen die Abteimauer der Periode III, so dass die Erweiterungszone als siedlungsleerer Raum erscheint.

Siehe unten, Kap. 6.3.3, Präurbane Wege, S. 361.

Endgültige Anerkennung durch den Bischof von Mâcon bis spätestens 1124 (Méhu 1999, S. 378).

Es sind lediglich Sturzhölzer in Wiederverwendung, allerdings – aus neuer typologischer Sicht verständlicher – in einem von der Straße zurückgesetzten Hausteil, der zu Beginn des 13. Jahrhunderts umgebaut oder neu errichtet und luxuriös ausgestattet wurde.

„A la fin du Xe siècle, un établissement urbain suffisamment étendu pour être appelé « bourg » avait surgi“ (Dixon et.al. 1997, S. 97); nach diesem Forschungsstand ging der eigene Vorbericht noch von einem städtischen Gebilde ab dem letzten Drittel des 11. Jahrhunderts aus (Flüge 2001, S. 36).

Bulla Calixti II, nº 143 (vgl. a. Méhu 1999, S. 375).

Vgl. Kap. 6.3.1.b, S. 356357 mit Anm. 67.

Nachweis durch eigene Nivellierung am 1. Mai 2009. – Ausführliche Diskussion in Kap. 6.3.4, S. 364371.

Im Spätmittelalter gelangten vor allem die Fleischer zu Ansehen, und der Sitz des Vogts ist am Platz der „boucheries“ bezeugt (Zur Quartiersgeschichte im Spätmittelalter vgl. Méhu 1999, S. 768–772, dort allerdings mit der atopographischen Annahme der Grosne an der Stelle der Petite Rivière).

Diese neue Beobachtung wird durch Dixons Feststellung auffallend breiter Parzellen in dem betroffenen Bereich bestärkt (Dixon et.al. 1997, S. 92–93).

Siehe Kap. 1.3.1, S. 1215.

Zur Austauschbarkeit der Begriffe castrum und castellum vgl. S. 386 Anm. 170.

Beispielsweise Hildesheim (Meckseper 1982, S. 56, Z 22).

Liber tramitis, zwischen 1027 und 1040 (Méhu 1999, S. 366, dieser nach Wollasch) oder aber um 1045 (Dinter 1980, S. 203–203 bzw. Stratford 1992, S. 408 Anm. 26). – Die Beschreibung eines Musterklosters im Liber tramitis ist nicht ausdrücklich als Beschreibung und Vermessung der Abtei Cluny gekennzeichnet. Allerdings gibt die Anordnung und teils sehr präzise Größe der angegebenen Bauten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Situation von Cluny wieder.

Conant 1968, groupe 1, pl. III–V.

Vgl. Stratford 1992 passim.

Vgl. beispielsweise Garrigou Grandchamp et.al. 1997, S. 100–101 oder Méhu 2002a, S. 125, jeweils mit Kartendarstellungen. Folgt man der verlässlich erscheinenden Historiographie Méhus (Méhu 1999, S. 355–360), geht die Vorstellung einer Verlegung des Flusses bis auf Chavot (1884) zurück: „À la fin du XIe siècle, la Grosne coulait beaucoup plus à l’ouest qu’aujourd’hui. La rue Petite Rivière, qui limite à l’ouest le quartier Saint-Marcel, passe pour suivre son ancien cours“ (Chavot 1884, S. 158–159). In seinem kurzen Artikel über die Stadt Cluny in ihrer Entwicklung vom Hochmittelalter bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hat Paul Degueurce 1935 seine Beobachtungen an neuzeitlichen und modernen Quellen, darunter die bekannten Kataster des 18. und 19. Jahrhunderts („Terrier Bollo“), auf wenigen Seiten zusammengefasst und die Hypothese einer Vorstadt am rechten Ufer der in die Stadt hinein verlagerten Grosne aufgestellt (Degueurce 1935, S. 121–154.). Diese Idee der Verlegung der Grosne scheint auf die Länge der Brücke Pont des chevriers und auf die Petite Rivière mit dem möglichen Altabzweig jenseits der Chaussée de l’Étang im „Terrier Bollo“ zurückzugehen. Degeurce versetzt den Fluss exakt an die entsprechenden Stellen.

Bis ins 20. Jahrhundert existierte beispielsweise in Tallagen des Odenwalds eine traditionelle Siedlungsaufteilung beiderseits des Baches („Hübendorf“ und „Drübendorf“). Die Siedlungsteile lagen allerdings nicht im Auenbereich, sondern auf gegenüberliegenden, Niederterrassen bildenden Schwemmkegeln von Seitentälern. Die Au blieb beiderseits des Bachs unbebaut (Freundlicher Hinweis von Wolfgang Hauck). – Auch in Freiburg i. Br. blieb bei der hochmittelalterlichen Stadtanlage die Dreisamaue ausgespart (vgl. Pl. 9.6). Erst im 19. Jahrhundert, nach der Kanalisierung der Dreisam durch Tulla, wurden die Auenwiesen flächig bebaut.

Zur Nachricht der Errichtung bzw. Erneuerung vgl. Garrigou Grandchamp 1996, S. 20 Anm. 29, mit Hinweis auf Degueurce 1935, S. 135 und [Chronik Clunys in Annalen sowie Aktenstücke zur Abtei im Spätmittelalter] nodate, fol. 17r und 20r.

„[ ...] extra portam Prati Guitonis [...]“ (Rentier de Saint-Mayeul, B.n.F., 9881 fol. 15v und 24r).

„La Tour des quatre Moulins Bannaux, hors la Ville, appartenant à l’Abbaye“ bzw. „La Tour des quatre Moulins Bannaux pour la Ville“ (Prévost, Prospekt: Legende „AA“ bzw. „31.“).

Rollier and Roiné 1994, DPAU, Karte „Cluny XIIe–XIIIe siècles“.

Sapin 2002, S. 109: „La charta d’Albiano, délimitant en 1080 le territoire immunitaire de Cluny situerait un des plus anciens moulins du dispositif. Le moulin de Tornesac délimite en effet un des confins du ban sacré. Or, en 1481, les possessions de la juridiction temporelle du doyen de Cluny placent la machine au pied de l’« Étang-Vieux »“.

„[...] cum [...] aquis earumque decursibus [...]“ (Gründungsurkunde 909/910; Text siehe unten, Kap. 6.4.2., S. 373 Anm. 108).

Die Archäologin Nadine Roiné hat 1988 im westlichen Bereich der Abtei ausschnitthaft einen gallorömischen Horizont identifiziert Roiné 1993. Zu diesem und weiteren römischen Befunden vgl. Kap. 6.2.1, S. 342 mit Anm. 1011 so wie Kap. 6.2.2, S. 351 mit Anm. 4546.

C 53 (Hava-Urkunde) bzw. C 112 (Gründungsurkunde), zit. n. Bernard 1876–1903, I, S. 61 bzw. S. 125).

„[...] dono Deo et sanctis ejus apostolis Petro et Paulo, ad locum Cluniacum, aliquid de mea hereditate [...]“ (C 2811 (1028–1040), B.n.F., or. 95; cop. 21–104; B. o. 324, CCCXXII; n. Bernard 1876–1903, IV, S. 14, zit. n. http://www.artehis-cnrs.fr/IMG/pdf/CBMA/Cluny4.doc, 02.03.2008, 18:45 Uhr). – Dieselbe Formulierung ad locum Cluniacum ist in den umgebenden Chartes 2801, 2804, 2806, 2819 und weiteren enthalten (vgl. a.a.O, IV, S. 4–24). – C 2815 zit. n. Bernard 1876–1903, IV, S. 18..

C 2821, B.n.F., cop. 21–57; B. o. 395, CCCXCII (a.a.O., IV, S. 26). – Apud erscheint hier in der selteneren Bedeutung von in (c. abl.), vielleicht mit der begleitenden, mit apud verbundenen Bedeutung „bei, in Gegenwart“ den bzw. der am Ort wohnenden Personen.

Vgl. S. 373 Anm. 108 (Textauszug der Gründungsurkunde).

C 3465 vom 25. Jan. 1074 (B.n.F., cop. °30–222; B. h. 321, CCCXXII; vgl. a.a.O., IV, S. 572 mit Anm. 2).

Vgl. Urmes 2003, S. 21, Lemma „Cluny“.

Der Wortstamm gleicht auch dem Flussnamen „Grosne“ mit altem Zungenschlag-r und stummem s. Die Tatsache, dass mehrere Quellbäche der Grosne denselben Namen (Grosne) tragen, könnte ein Hinweis auf eine allgemeine Bezeichnung eines Gewässers sein. Auch der Bach vom Col du Bois-Clair durch das Tal von Berzé nach Mâcon wird (Petite) Grosne genannt.

Lagadeur 1464, Lemma „clun“ (Faksimile, University of Wales, Lampeter, Department of Welsh, http://www.cymraeg.lamp.ac.uk/adran-cymraeg/english/index.html bzw. http://www.geiriadur.net, Abruf 03/2008, Faksimile 2013 nicht mehr abrufbar). Übersetzung der englischen bzw. lateinischen Entsprechungen durch den Verfasser).

Die ausdrücklich genannte Eigenschaft indominicatus im Zusammenhang mit der vorausgehenden Formulierung „de propria trado dominatione Clugniacum [...] villam“ sowie den darauf folgenden Verzichtserklärungen mag auch als Garantie dafür zu verstehen sein, dass Wilhelm Cluny nicht als Eigenkloster vorsah, sondern dass er den Ort mit allen Rechten überließ.

Die Marienkapelle ist zusätzlich Petrus gewidmet, dies wohl als Ausdruck der neuen Bestimmung des Orts Cluniacum aufgrund der Klostergründung mit Petrus– und Pauluspatrozinium.

Auszug der Gründungsurkunde der Abtei vom 11. September 909 oder 910: „[...] Igitur omnibus in unitate fidei viventibus Christique misericordiam prestolantibus, qui sibi successuri sunt et usque ad seculi consummationem victuri, notum sit quod, ob amorem Dei et Salvatoris nostri Jhesu Christi, res juris mei sanctis apostolis Petro videlicet et Paulo de propria trado dominatione, Clugniacum scilicet villam, cum cortile et manso indominicato et capella quae est in honore sancte Dei genetricis Mariae et sancti Petri, apostolorum principis, cum omnibus rebus ad ipsam pertinentibus, villis siquidem, capellis, mancipiis utriusque sexus, vineis, campis, pratis, silvis, aquis earumque decursibus, farinariis, exitibus et regressibus, cultum et incultum, cum omni integritate [...] Eo siquidem dono tenore, ut in Clugniaco in honore sanctorum apostolorum Petri et Pauli monasterium regulare construatur, ibique monachi juxta regulam beati Benedicti viventes congregentur, qui ipsas res perhennis temporibus possideant, teneant, habeant, ordinent [...]“ (C 112, zit. n. Bernard 1876–1903, I, S. 125). Die Hervorhebungen (Verfasser) akzentuieren die Sachinformation und können zusammenhängend gelesen werden.

Vgl. Dauzat 1971, S. 793–394, Larousse étymologique.

Neben der Genitivform Cluniaci bisweilen als Indeklinabile aufgefasst.

„Au Xe siècle, la villa Cluniaco est un espace dont les contours ne sont pas institués par l’écrit, même s’ils sont vraisemblablement connus de tous. Les chartes citent la villa pour localiser le monastère ou la négociation de transactions foncières et, plus rarement, pour localiser un bien entré dans la possession clunisienne.“ (Méhu 1999, S. 347) – Méhu führt bisherige Interpretationen eines Karolingerhofs auf ein Modell zurück, das anscheinend das Karolingerreich betrifft, nicht aber aus den cluniazensischen Kartularien entsteht. (A.a.O., S. 342, mit Hinweisen auf Chavot, Chaume, Deléage, Duby, Fossier und Rosenwein). Übersetzung durch den Verfasser.

C 2255, nach dem 11. Mai 994: „[...] ... sine alicujus inquietudine, sua pontificali auctoritate inviolabile privilegium concesserunt : scilicet omnia eorum ecclesias cum decimis et servitiis ad eundem cenobium pertinentibus vel burgum ejusdem sancti loci, infra et extra, sine precepto et consensu abbatis vel fratribus ejusdem loci aliquam personam nullus presumat. [...]“ (zit. n. Bernard 1876–1903, III, S. 386). Hervorhebungen und Übersetzung durch den Verfasser.

C 2255 protokolliert eine Versammlung von 11 Bischöfen und anderen kirchlichen Würdenträgern in Anse, unweit von Lyon. Unter den Anwesenden ist auch Odilo im Jahr seines Amtsantritts. Es geht hauptsächlich um den offenbar dringenden Schutz des Klosters Cluny, seines Besitzes und anderweitig unterstellter Einrichtungen vor Raubüberfällen, Besitzanmaßung und Ähnlichem, unter Androhung der Verfluchung. Der Terminus burgus erscheint insgesamt zwei Mal: erst innerhalb der oben zitierten Aufzählung zu schützender Güter und Bereiche, ein zweites Mal, neben castrum, im Zusammenhang mit dem Raub von Nutztieren (vgl. S. 386 Anm. 168).

„Dès le gallo-romain, [villa] a désigné l’agglomération urbaine“ (Dauzat 1971, S. 794).

Vgl. a.a.O., S. 793.

„A la fin du XIe siècle, la villa Cluniacensis est un espace mi-rural, mi-urbain, qui s’étend sur environ un kilomètre autour du monastère [...] C’est le cadre de référence de l’immunité totale des moines et de la paroisse-diocèse dont l’abbé est le curé-évêque [...]“ (Méhu 1999, S. 347).

„C 3685 (1094 environ); PL 151, col. 410 (1095); PL 151, col. 564 (1095); C 3939 (1117); PL 166, col. 1260 (1126); Stat. PV 24, p. 61 (1146/1147); C 4132 (1147/1148); PL 188, col. 1070 (1154); C 4223 (1166)“ (Méhu 1999, S. 349 Anm. 27).

Bernard 1876–1903, V, S. 41. – C 3689, vgl. ebd. (Editionshinweise), Text zit. n. Méhu 1998, S. 166 Anm. 7. Statt „Nos“ vertreten andere Autoren die Lesart „Hos“, der der Verfasser sich anschließt.

Siehe Kap. 6.4.3.d., Stadtmauer, S. 383.

C 3406 (siehe S. 314 Anm. 18); außerdem C 3685 (Textauszug siehe Anm. 125); Zu Nennungen der Häuser von Guichard de Chazelle (Sires de Bourbon-Lancy), Bernardus Veredunus, der in den ersten Kreuzzug zieht („proficiscens Jherusalem“) sowie Bernard Constantin vgl. Méhu 1999, S. 493–497.

Dixon et.al. 1997, S. 102. – Vgl. C 3685 (um 1094): „Noverit tam presentium quam posteriorum prudentia, quod domnus Joscerannus prior culpavit Unbertum prepositum de injuriis quas faciebat beato Petro, jussu domni Hugonis abbatis, id est de terris quas ultra feodum suum occupaverat, et de terris quas emerat, sine laude domni abbatis, de servis beati Petri, et de terris quas Pontius, frater suus, beato Petro donavit, quas injuste auferebat, et de terra burgi, quæ juris erat Sancti Petri, in qua domum suam construxerat. [...]“ (B. h. 147, CXLIX.; http://artehis-cnrs.fr/IMG/pdf/CBMA/Cluny5.doc). Gliederung und Hervorhebung d. d. Verfasser.

Auch die von Dixon zur Begründung dieser Aussage zusätzlich angegebene C 3340 enthält keinerlei entsprechenden Hinweise. Deren Wortlaut: „Notum sit omnibus tam presentibus quam futuris, quod domnus Tetbaldus, comes Cabilonensis, ad locum sancti Petri Cluniensis dedit et finivit omnes malas consuetudines quas ipse vel sui ministri in villa Colonicas accipiebant; statuitque ut in æternum amplius a suis successoribus nichil ibi acciperetur. S. teste domno Leothaldo, milite de Chatcheo“ (B. h. 718, DCCXXI., n. Bernard 1876–1903, IV, S. 429., zit. n. http://artehis-cnrs.fr/IMG/pdf/CBMA/Cluny4.doc, 02.03.2008, 18:45 Uhr).

„Seigneurs de la ville“, Méhu 1999, S. 498.

A.a.O., S. 374–375.

Textausschnitt der Urkunde siehe S. 373 Anm. 108.

„[...] pro feriis sive placitis, seu quovis mercato, venerit in villam“ (Bernhard I.12, S. 157, hier zit. nach Méhu 1999, S. 345 Anm. 16).

Ende des 11. Jahrhunderts wird von den Händlern aus der Bischofsstadt Langres berichtet, die auf ihrem Weg nach Lyon den Umweg über Cluny nehmen. Die Mönche versuchen, Wege– und Brückenzölle in den angrenzenden Herrschaften zu drücken (vgl. Dixon et.al. 1997, S. 100).

Für die Zeit um 1300 wird die Einwohnerzahl der Stadt Cluny auf mindestens 2000 Personen geschätzt, im 14. Jahrhundert auf 2500–3000 (a.a.O., S. 105–106). Die Zahl der in Cluny ansässigen Mönche betrug um 1049 ca. 100, um 1109 ca. 300 und könnte bis Mitte des Jahrhunderts auf über 400 gestiegen sein (vgl. a.a.O., S. 58). Zusätzlich ist mit einigen hundert Laienbrüdern und Bediensteten zu rechnen. Um 1132 wohnten 1200 teilweise auswärtige Klosterleute einer Versammlung bei. Zum Vergleich: Im 20. Jahrhundert hatte der Ort um 4430 Einwohner.

1130 vergibt Pierre de Montmin 110 Goldunzen an die Abtei (vgl. a.a.O., S. 107).

C 4056 (um 1136): „Noverint universi, tam presentes quam posteri, quod quidam burgensis de Cluniaco, Girbertus nomine, cum in seculo bonis exuberaret, divina tactus clementia, sua omnia pro ipso, qui pro nobis pauper fieri voluit, pauper factus dereliquit et se ipsum cum filio suo monastice subdidit discipline, relicta in seculo quam sibi maritali copula conjunxerat uxore. In adventu autem suo, tanta secum detulit {410} et donavit pro quibus domnus abbas duas procurationes fratribus fieri singulis annis decrevit et jussit; sed quia metuebat ne minus sufficienter de his que donaverat fieri possent, adhuc alia eisdem procurationibus pro futura providit. Mulier siquidem ejus, Mariam, domum ante tabulas sub porta constitutam, quam ipse illi cum seculo renuntiaret, pro dote et pro sua parte. Hanc igitur monitis ipsius et precibus ad procurationes ex integro et sine cujuslibet occasionis optentu singulis annis, sicut in carta definitum est, fratribus faciendas, mulier post ejus decessum infirmario et elemosinario donavit, utrique dimidium, ita ut altera pro ipsa refectio, altera fiat pro ipso. Hoc tamen assensu domini abbatis et capituli retento, ut si Martinus, famulus de elemosina, eandem domum habere post mortem mulieris voluerit, et de suo emere suffecerit, ab elemosinario simul et infirmario vilius centum solidis donetur quam cuilibet alteri. Huic rei interfuerunt et testes sunt: Domnus abbas P[etrus] et domnus Albertus prior, in quorum manibus res acta est, Jarento helemosinarius, Hugo infirmarius, Martinus famulus elemosinarii. (B.n.F., cop.º46–184, n. Bernard 1876–1903, V, S. 409–410, zit. n. http://www.artehis-cnrs.fr/IMG/pdf/CBMA/Cluny5.txt, 02.03.2008, 17:32 Uhr). Hervorhebungen durch den Verfasser.

Vgl. Méhu 1999, S. 596. – Vgl. auch die Einführung der Jahr-und-Tag-Regelung für Neubürger durch Abt Étienne: „Si quis in eadem villa Cluniaco per annum et diem ut civis habitaverit, deinceps eum ecclesia pro parrochiano tenet et fert et habet“ (C 4205 Abs. I, zw. 1163 und 1173; zit. n. Bernard 1876–1903, V, S. 549. Vgl. Méhu 1999, S. 579). Bis in die Neuzeit befand sich der Versammlungsort der Bürger im nördlichen Westturm der Abteikirche. Die Abtei unterband noch in der Mitte des 15. Jahrhunderts die Bestrebungen rechtskundiger Bürger nach Autonomie.

Roger Leech hebt hervor, daß seit 30 Jahren keine der vielen archäologischen Untersuchungen in Frankreich zu Kenntnissen über den Ursprung der südburgundischen Städte hat führen können (Garrigou Grandchamp et.al. 1997, S. 76).

Vgl. Einzelbeschreibung, Kap. 3.2.4.d., S. 5253 (Fundamente) und S. 5758 (Holzbauteile) – Der Vermutung einer mehrgeschossigen, straßenangrenzenden Holzbebauung als unmittelbaren Vorläufers der steinernen Reihenhäuser, wie sie etwa für Freiburg i. Br. vertreten wurde, widerspricht der Nachweis der typologischen Entstehung des Reihenhauses, die ein Phänomen des Steinbaus ist.

In der weiteren Umgebung Clunys sind Fragmente hochmittelalterlichen Holz– sowie Steinbaus archäologisch erfasst worden. Holzkonstruktionen wurden in den Dörfern Grand-Longueron, Béon und Thêmes (11. Jh.) im Yonne-Tal, 200 Kilometer nördlich von Cluny, ergraben. Fachwerkkonstruktionen auf Pfosten wurden bei der Ergrabung von Motten in Chirens und La Louvatière, ca. 65 Kilometer südöstlich von Lyon entdeckt. Deren Bau vermutet man im 11. Jh. Wie Grabungen in der Altstadt von Lyon (St-Jean) gezeigt haben, waren dort bereits die frühesten archäologisch nachgewiesenen Fundamente (wohl seit dem 7. Jh.) in Stein gesetzt. In Viviers hat die Untersuchung eines schon in römischer Zeit besiedelten Parzellenzusammenhangs, der auch im 10. Jh. und später baulich besetzt war, keine Spuren von Holzbau ergeben. Steinhäuser im Dorfkontext, die eine frühere Holzbebauung ersetzen, sind in Saint-Romain (Côte-de-Beaune) anscheinend seit dem 10. Jh. nachgewiesen.

Freundliche Auskunft der Ausgräberin.

„[...] domum suam de Cluniaco [...] et ortum qui adheret domui [...]“ (C 3755, n. Bernard 1876–1903, V, S. 108, zit. n. http://www.artehis-cnrs.fr/IMG/pdf/CBMA/Cluny5.txt, 02.03.2008, 17:32 Uhr).

Einzelbeschreibung Kap. 3.3, S. 8296.

Einzelbeschreibung Kap. 3.4, S. 97149.

Einzelbeschreibung Kap. 3.5, S. 150236.

Vgl. beispielsweise Kortüm 2005b, S. 154–164.

„Jusqu’au XIIe siècle, nombreuses étaient les maisons indépendantes les unes des autres, isolées au milieu d’un terrain enclos, précédées d’une cour et suivies d’un jardin. Cet habitat pavillonaire disparut progressivement par la suite. Au XIIIe siècle, les demeures n’étaient plus séparées de la rue [...]“ (Hubert 1990, S. 166). – Vgl. auch vorliegend Kap. 5., Typologie, S. 307338.

A.a.O., S. 266 mit Anm. 4.

A.a.O., S. 312.

Die älteste bisher identifizierte mittelalterliche Hausarchitektur in Regensburg, Neue-Waag-Gasse 2, ist meines Erachtens in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts zu datieren. Karl Schnieringer bestätigte im Mai 2008 diese Auffassung.

Vgl. Kap. 6.4.3.e., Straßennetz der Stadtanlage, S. 388396 – Definitive Spuren der für 1159, 1208 und 1233 überlieferten Stadtbrände mit charakteristischen Steinschäden und verkohlten Holzbauteilen wurden an den untersuchten Steinhäusern von 1091, um 1100, 1136, nach 1150 und um 1208 (Fertigstellung des Baus) nicht gefunden, abgesehen von einer verrußten Giebelwand des Hauses 9, rue du Merle, die durch einen Brand des Hauses geschwärzt worden sein könnte. Wahrscheinlich handelte es sich um lokal begrenzte Brände. Vielleicht war Saint-Marcel mit Umgebung davon betroffen, da die Kirche gegen 1160 neu errichtet wurde. Die Einführung des steinernen Stadthaustypus folgt einer allgemeinen Entwicklung und geschieht nicht infolge einer vorhergehenden Feuersbrunst, wie zum Beispiel Halbach es vermutet (vgl. Halbach 1984, S. 21).

In oberitalienischen Städten verlagert sich dieser Wettbewerb im letzten Drittel des 12. Jh.s auf die Errichtung von Geschlechtertürmen und setzt sich mit kuriosen Bauformen bis ins 14. Jahrhundert hinein fort.

Cluny, Musée d’art et d’archéologie, Inv.-Nr. 896-62.

Haus 23, rue Filaterie / 1, Petite rue des Ravattes. Vgl. v. a. Kap. 4.5.4, S. 283 Abb. 4.29, S. 289 mit Abb. 4.32 und S. 291 Abb. 4.33.

Kap. 6.2.1., S. 350351, Befundübersicht, Legendennummer 25, Stadtmauer.

Eine letzte, nur lokale Veränderung erfuhr die Abteiumfassung im 18. Jahrhundert während der klassizistischen Neustrukturierung der Abteigebäude seit Abt Frédéric-Jérôme de la Rochefoucault (Amtszeit 1747–1757).

Vgl. dazu: „Le tracé de l’enceinte nous paraît clairement daté par les portes et l’ampleur du projet qui ne peut être inspiré que par l’extraordinaire expansion urbaine du XIIe siècle.“ (Garrigou Grandchamp 1996, S. 21) – Im Spätmittelalter und im 18. Jahrhundert folgten im Süden und Osten Erweiterungen und Begradigungen.

Vgl. Segmentbogen im Erdgeschoss des ‚Haus eines Händlers‘, Bauzeit um 1193 bis um 1208 (d).

Im Chronicon Cluniacense (um 1480) ist die Notiz enthalten, dass um das Jahr 1186 die Mauern der villa von König Philipp II. August (*1165, Regierungszeit 1180–1223) zerstört wurden („Hoc anno dirutti sunt muri istius ville a domino Philippo rege francorum. in mense septembris“, B.n.F., Ms nouv. acq. lat. 2483, fol. ̴13r, zitiert nach Méhu 1999, S. 350 Anm. 30). Wenn nicht die ältere Abteiumfassung gemeint ist, kann es sich, falls die Quelle die Wahrheit berichtet, nur um Teile der neuerrichteten Stadtmauer handeln (vgl. auch Garrigou Grandchamp 1996, S. 20). Möglicherweise versuchte Philipp zur Zeit des Kriegsbeginns gegen England, den Einfluss des Königs auf Cluny zu vergrößern. Vielleicht erklärt die (Teil-)Zerstörung der Mauer die unterschiedliche Stilausbildung bzw. Zeitstellung der Tore.

Datierung nach Vergleich der Tour ronde mit angeböschtem Sockel und der Türme der Grafenburg von Carcassonne, die dasselbe Merkmal zeigen.

Garrigou Grandchamp 1996, S. 33: „[...] la muraille ne présente aucun des caractères propres à faire de Cluny une place forte, même après les renforcements de la fin du Moyen Âge.“

Zu prüfen bliebe ein offenbar unsicherer Grabungsbefund von Gilles Rollier (Rollier and Roiné 1994, Planzeichnung 3; Hinweis auf diese durch Méhu 1999, S. 354 Anm. 49).

Vgl. Zeittafel 6.2.1, S. 344346 mit Anm. 13, LN 3, Tour des Fromages.

Erste Nennung des castrum monasterii in der Urkunde Lothars III. 955. (Lothaire/Louis V, S. 16; nach Méhu 1999, S. 351 Anm. 33) – Zur Herleitung der Bezeichnung des Klosters als castrum vgl. a.a.O., S. 180–181).

Urkundentext siehe Kap. 6.4.3.b., S. 379 Anm. 136.

C 2255 (Bernard 1876–1903, III, S. 387). – Vgl. dazu: „Certains historiens en ont déduit que l’abbaye était fortifiée et que le bourg subordonné au monastère bénéficiait de cette protection.“ (Garrigou Grandchamp 1996, S. 18 Anm. 21; Hinweis auf Constable 1992 und Iogna-Prat 1995).

C 2255; Das in der Quelle formulierte Verbot scheint für beide genannten Orte – Cluny und das Priorat Charlieu – zu gelten: „[...] Statuerunt [...], ut nulla [...] dignitas [...], aut homines juxta Cluniacum commanentes et in locum quoque jam dictum Carum Locum commorantes, in eundem castrum vel in burgum ejusdem loci predam auferre [...] audeat, quia non decet sanctis cenobitis in jam dicto loco morantes a malignis vel superbis hominibus aliquas molestias ingeri“ (C 2255, Bernard 1876–1903, S. 387). Hervorhebungen durch den Verfasser.

Didier Méhu zitiert unter Weglassen der Lokalpräposition in dreimal unrichtig „castrum vel burgus“ bzw. „in eundem castrum vel burgum“ (Méhu 1999, S. 350). Das ist insofern bedeutsam, als dass er aus dieser Formulierung ausdrücklich ein Gleichgewicht der beiden Begriffe castrum und burgus ableitet und beide auf einen befestigten Ort bezieht. Diese Interpretation lässt der richtige Wortlaut nicht zu, da die Begriffe unter keinem Aspekt austauschbar sind. Es werden durch die zweimalige Verwendung der Präposition in eindeutig zwei Ortsangaben unterschieden, die außerdem unabhängig voneinander noch präzisiert werden. Der Schluss auf eine Befestigung des burgus ist auf diesem Weg nicht möglich. Das in der Quelle formulierte Verbot scheint für beide genannten Orte – Cluny und das Priorat Charlieu – zu gelten.

Vgl. 6.2.1, Zeittafel, S. 344346, LN 3, Tour des Fromages. – Zur Austauschbarkeit der Begriffe zwischen dem 9. und dem 11. Jahrhundert vgl. Verbruggen: „Notes sur le sens des mots castrum, castellum“ bzw. dieselben Lemmata in: Mittellateinisches Wörterbuch Bd. II/3, Sp. 338–339 und 347–350 (vgl. Méhu 1999, S. 351 mit Anm. 32).

„Praecipimus etiam sub anathemate, ut nullus, in ecclesiis vel in officinis infra ambitum muri Cluniaci, aut deforis infra claustra vel pertinentiam totius burgi constitutis, campanas pulsare, vel officina celebrare divina, vel capitulum facere praesumat quousque Pontius inde exeat, et ab hac infestatione quiescat“ (zit. n. nach Méhu 1999, S. 353 Anm. 48, „PL 166, col. 1260“).

Um 1126, 25 Jahre nach dem Bau des ‚Haus mit Rundbogentor‘ von 1091, ist die Vorstellung einer Palisade oder eines Holzzauns um den burgus nicht mehr naheliegend. Zu einer solchen Interpretation der claustra vgl. Méhu 1999, S. 353–354. Dazu ist anzumerken, dass der eng verwandte Begriff clausura im Spätmittelalter durchaus die nachweislich steinernen Mauern der Stadt bezeichnete: „[...] iuxta novos clausure Cluni“ ([Chronik Clunys in Annalen sowie Aktenstücke zur Abtei im Spätmittelalter] o.D., B.n.F., Ms nouv. acq. lat. 2483 fol. 13, zit. n. Méhu 1999).

„Dès 1080, le territoire du bourg est inclus dans la banlieue inviolable de saint Pierre. Dans le même temps, les reliques des saints abbés polarisent ce territoire et marquent ses limites [...]“ (Méhu 1999, S. 381).

Rebourg 1993, S. 198 bzw. Entdeckung von römischen Artefakten durch Nadine Roiné (vgl. Kap. 6.2.2., S. 351 mit Anm. 45 und 46).

Vgl Abb. 6.18. Die oberhalb gelegene Porte Saint-Mayeul, die wie die Porte du Merle von Westen in die Stadt führt, hatte keine überörtliche Bedeutung. Sie bot einen gewissen Vorteil für den Verkehr des hochgelegenen Stadtbereichs um Saint-Mayeul, der durch das Tor die Straße nach Autun und die umgebenden Felder erreichen konnte, ohne zur tiefer gelegenen Porte du Merle hinunter und dann wieder bergauf zu fahren. Das zwischenzeitlich deaktivierte Tor ist im Stadtprospekt von Prévost (Prévost 1670) nicht angegeben. Im „Terrier Bollo“ (Plans Geometraux de la Ville de Cluny et des Environs. Avec Les Cartes de la Rente Noble Abbatialle dudit Lieu. Echelle de 200 pieds 1693) erscheint ebenfalls keine Namensangabe, und das Tor ist vermauert.

Vgl. Pl. 9.3.

„Terrier Bollo“.

Beispielsweise Aigues-Mortes (Gründung 1246), auch Monpazier (Gründung 1284) und zahlreiche weitere Städte bzw. bastides in SW-Frankreich, daneben Neugründungen in Italien, England und Böhmen (Vgl. Benevolo 1983, S. 250–259).

Siehe oben (Kap. 6.4.3.d, Die Stadtmauer, S. 383387 und Pl. 9.1).

Vgl. Übersichtskarte „Cluny : répartition des maisons romanes et gothiques“ (Garrigou Grandchamp et.al. 1997, S. 225 Abb. 239).

Beispielsweise die Rue Saint-Mayeul, deren älteste Baubefunde bisher aus gotischer Zeit stammen, mit dem gleichnamigen Tor des 13. Jahrhunderts.

Vgl. C 4903: „vicum Channesie“ (1247; neuzeitl. Datum: 1248; zit. n. Bernard 1876–1903, VI, S. 405). Vgl. auch Lemma „chaînasse“: „s/f. P [„populär; Sprache des (ungebildeten) Volkes“, S. XV] min.[éral(ogie), S. XVII]: Erde, fast zu gleichen Theilen aus Thon und Quarzsand bestehend“ (Sachs, Karl und Villatte, Césaire: Encyclopädisches frz.-dt. und dt.-frz. Wörterbuch, Berlin: Langenscheidt, 1869–1880, I, S. 246). Die geologische Deckschicht im Hofbereich des Hauses 1–3, rue de la Chanaise ist in der Tat auffallend dicht und feinkörnig, weißfarbig, tonig und mit dem Messer abschälbar.

Die ältere Bezeichnung Darvi zum Beispiel bei Dixon et.al. 1997, S. 104. – Sie könnte das lateinische Wort arvum („Äcker, Saatland“) oder das keltische Wort derwen („Eiche“) enthalten.

Eine vielleicht erwünschte Folge ihrer Ausrichtung ist, dass die Straße ca. 12–24 m (Straßeneingang bzw. –ende) nördlich der verlängerten Kirchenachse liegt. Die Parzellen entlang der Straße bzw. auch entlang der unterhalb liegenden Rue du Merle konnten entsprechend länger bemessen werden.

„[...] cum [...] aquis earumque decursibus [...]“ (Gründungsurkunde 909/910, Textausschnitt siehe oben, Kap. 6.4.2., S. 373 Anm. 108).

Siehe Einzelbeschreibungen Kap. 3.2.4.g, Haus von 1091, seitliche Kanalgasse, sowie Kap. 4.2.1.b, Kanal des Médasson (Merdasson), S. 242.

Prévost, Prospekt um 1670, Legendennummer 21.

Ebd.

Siehe Kap. 6.3.4, Keine Stadtanlage in der Flussaue, S. 364.

Siehe Kap. 1.3.3, S. 17.

Zur Überlegung theoretischer Grundlagen bzw. geometrischer Ordnungshilfen für die Stadtanlage siehe Kap. 7.3.1, S. 412415.

Bibliotheca Cluniacensis, Marrier and Duchesne 1614, col. 1662 (vgl. S. 350351 (Befundübersicht) und LN 25 (Stadtmauer) mit Anmerkungen).

Das Beispiel der Stadt Autun weist in dieselbe Richtung (vgl. Abb. 6.26, „La ville et cite d’Autun assiegeé par le Sr Maréchal Daulmont en lannee 1591 dedans laquelle commandoit le Sr de Chissey gouverneur dicelle“): Die weitläufige römische Stadtmauer umschließt noch zu Beginn der Neuzeit eine zur Hälfte leere Fläche und enthält außerdem mehrere kleine, mittelalterliche Befestigungsringe. Die erhaltenen römischen Stadttore werden allerdings als hervorstechende Monumente angesehen und dargestellt.