Der vorliegende Text soll Unterstützung in der Diskussion des Jahres 2011 um die Struktur der deutschen Energieversorgung geben. Er sammelt ausgewählte grundlegende Fakten und versucht, einige Argumente zu strukturieren. Der Text wurde aus der Erfahrung vieler Diskussionen verfasst und ist keine wissenschaft- liche Expertenstudie. Er erhebt auch keinen Anspruch auf umfassende Darstellung und beschränkt sich weitgehend auf wissenschaftlich-technische Aspekte.
Als Quellen wurden allgemein zugängliche Datenbasen des BMWI und BDEW verwendet. Die Zahlen sind nicht aktuell, aber allgemein durch das Internet verfügbar. Die Abschätzungen im Text sind pauschal und berücksichtigen nicht einige komplexe Zusammenhänge, die in der Kürze der Zeit nicht recherchierbar waren. Sie geben aber ein Gerüst quantitativer Zusammenhänge, welche in der aktuellen Diskussion hilfreich sein können.
1.1 Zur Situation
Die Diskussion über unsere Energieversorgung ist nicht neu. Seit Jahrzehnten wird darüber aus wechselnden Anlässen diskutiert. Das Atommoratorium der Bundesregierung hat uns in die Lage gebracht, zur Zusammensetzung unserer Energieversorgung und ihrer zeitlichen Entwicklung über 10 Jahre eine verbindliche Entscheidung zu treffen. Diese Entscheidung läuft auf einen definitiven Ausstieg aus der Atomspaltung in einem festgelegten Zeitraum hinaus. Hintergrund dieser Entscheidung ist vor allem ein in Deutschland gefühltes Unbehagen und nicht eine konkrete Notwendigkeit. Die Konsequenzen dieser Entscheidung sind durchaus nicht allgemein klar. Es werden die Szenarien Ersatz durch regenerative Energie, Inkaufnahme von vermehrter Emission von Treibhausgasen und Sparen bzw. Management von Energie diskutiert.
Der vorliegende Beitrag gibt zunächst einige Fakten zu den „Szenarien“ und beleuchtet dann die Hypothese, dass es einer Mischung aus allen Szenarien bedarf, wenn man schnell aus der Atomspaltungsenergie aussteigen will. Nicht weiter diskutiert wird hier, dass wir dadurch die Legitimation verlieren, unsere hervorragende Sicherheitstechnik und wissenschaftliche Nuklearkompetenz international zum Tragen zu bringen und dass wir die Gefahr der Radioaktivität in Mitteleuropa nicht entscheidend verringert haben. Auch nicht weiter diskutiert wird die Vorbildwirkung dieser Entscheidung auf andere Länder, sowohl in positiver wie in negativer Hinsicht.
Eine Besonderheit der nationalen Energiediskussion ist, dass sie von uns gewollt ist und keinen Entscheidungsdruck durch Fakten als Ursache hat. Darin liegt auch eine Chance. Denn es ist absehbar dass dieser „Luxus“ einer selbstbestimmten Entscheidungslage nicht mehr existieren wird, wenn es zu stofflichen Engpässen an fossilen Energieträgern kommen wird. Dann müssen wir mit wesentlich weniger Optionen entscheiden, obwohl die gleichen gesellschaft- lichen und wirtschaftlichen Werte zur Debatte stehen. Zusätzliche Optionen können wir uns auf dem Feld der Technologien erarbeiten. Daher wird eine Kernthese der vorliegenden Betrachtung sein, dass wir ausgehend von den aktuellen Erfahrungen eine umfangreiche und nachhaltige Anstrengung in der Entwicklung und Forschung für neue Energietechnologien unternehmen sollten.
1.2 Einige Grundlagen
Die Energieversorgung ist eine strategische Grundlage jeder Zivilisation. Ihre Sicherstellung ist eine zentrale Aufgabe der Daseinsgestaltung und Zukunftsvorsorge und sollte den gleichen Rang wie traditionelle Politikfelder in einer Gesell- schaft genießen. Ihre Strukturierung ist ein vielschichtiges Problem, das sich durch viele Gebiete der Wissenschaft zieht. Zu den offensichtlichen Komponenten Wissen und Technologie gesellen sich eine Komponente wirtschaftlicher und politischer Randbedingungen sowie eine Komponente gesellschaftlichen Wissens und Akzeptanz. Alle drei Felder sind vielfach verknüpft. Die Entwicklungen sind wegen der ungeheueren wirtschaftlichen Dimensionen (in Einheiten des Bruttosozialproduktes) und den langen Zeiträumen (in vielen Legislaturperioden) einer Umsteuerung nur schwer für den Einzelnen und den kurzfristigen Entscheider zu überblicken. Man tendiert daher leicht zu fragmentarischen Betrachtungen, die auch durch Szenarien, welche von unvollständigen Annahmen und Parametern ausgehen, nicht grundsätzlich verbessert werden. Dagegen vermögen kontinuierliche Prozesse systemischer und interdisziplinärer Beratung uns zu belastbaren und langfristig orientierten Entscheidungen führen. Den Wissenschaften und im Besonderen der Grundlagenforschung kommt dabei die Funktion zu, Optionen für Entscheidungen bereitzustellen und ihre Bewertung durch eine gesicherte Erkenntnisbasis für die technologischen Aspekte zu gewährleisten. Zu dieser Aufgabe gehört auch eine geeignete Vermittlung von Fakten und Randbedingungen.
Grundsätzlich kann man Energie nicht erzeugen, sondern nur zwischen unterschiedlichen Energieträgern umwandeln. Ein Kraftwerk erzeugt keine Energie oder „Strom“, sondern wandelt chemische oder nukleare Energie in elektrische Energie um. Ein Verbrennungsmotor wandelt chemische Energie aus dem Treibstoff durch Oxidation mit Luftsauerstoff in mechanische Energie der Bewegung um. Grundsätzlich entstehen bei allen Energiewandlungsprozessen Verluste, die sich in „Abwärme“ äußern. Diese Verluste können sehr erheblich sein, wie in Glühlampen, in denen über 95% der eingespeisten Energie in Wärme und nur ein geringer Teil in sichtbares Licht umgewandelt werden. Das Verhältnis aus eingesetzter Energie und erhaltener (Nutz)Energie nennt man den Wirkungsgrad, der als dimensionslose Zahl zwischen 0 (völliger Verlust) und 1 (völlige Umwandlung) variieren kann. Er wird oft in % der eingesetzten Energie angegeben.
Die (elektrische) Leistung ist der Quotient aus Energie und Zeitdauer: 1 kWh entspricht der Nutzung von 1 kW Energie innerhalb einer Stunde. Nutzt man dieselbe Leistung innerhalb von 0,5 h, benötigt man 2 kW Energie. Für zeitlich variable Leistungen gilt die Definition nur für sehr kurze Zeitintervalle und man muss die mittlere Leistung als sinnvolle Kenngröße einführen. Dabei kann die benötigte Spitzenleistung erheblich von der mittleren Leistung abweichen. Fordert man Versorgungssicherheit, muss die Spitzenleistung zu jedem beliebigen Zeitpunkt verfügbar sein.
Im privaten Bereich ist die sinnvolle Leistungseinheit das Kilowatt (kW) und die entsprechende Energieeinheit die Kilowattstunde (kWh). Meist betrachtet man dabei die Daten in zeitlich gemittelter Form. Auf der Ebene von Volkswirtschaften benutzt man als Leistungseinheit das GW (Gigawatt: Millionen Kilowatt) und als Energieeinheit die TWh (Terawattstunden: Billionen Kilowatt- stunden). Dabei verwendet man als Zeiteinheit oft das Jahr, welches mit 8760 h die Werte für die Leistung um drei Größenordnungen in die Energie übersetzt.
Name | Benennung | Umrechnung auf TWh |
---|---|---|
1 Peta Joule | PJ | 0,278 |
1 Mio t Steinkohleeinheiten | SKE | 8,14 |
1 Mio t Rohöleinheiten | ROE | 11,63 |
1 Mrd Kilokalorien | kcal | 0,001163 |
Tab. 1.1: Einige Einheiten für Energie und Leistung und ihre Umrechnungsfaktoren auf TWh
Nur etwa die Hälfte der Energie wird bei uns als elektrische Energie genutzt. Die andere Hälfte steht in Form unterschiedlicher stofflicher Energieträger zur Verfügung. Diese sind Kohle, Biomasse, Erdöl, Erdgas, Raffinerieprodukte wie Benzin und Diesel sowie Wasserdampf (Fernheizung). Für ihre Zählung verwendet man andere Einheiten, von denen einige sowie deren Umrechnung in TWh, die hier als Bezugseinheit benutzt wird, in Tabelle 1.1 angegeben sind.
Die enorme Größe dieser Einheiten vermag man abzuschätzen, wenn man bedenkt, dass 1 Mrd kcal ausreichen, um 140 Menschen für ein Jahr zu ernähren. 1 Mio t SKE ist demnach äquivalent zum Energiegehalt der Nahrung für 130.000 Menschen für ein Jahr.
In der Energiediskussion wird nicht immer scharf zwischen den Begriffen „installierte Leistung“ und „abgegebene Leistung“ unterschieden. Die installierte Leistung bezeichnet ein theoretisches Maximum, die abgegebene Leistung die unter realistischen Bedingungen verfügbare Leistung. Ein kohlebefeuertes Kraftwerk mit 1 GW Leistung beispielsweise könnte maximal 8,76 TWh Energie abgeben. Da es im Mittel nur über 40 % des Jahres in Betrieb ist, reduziert sich seine Energieabgabe auf etwa 3,5 TWh. Bei regenerativen Kraftwerken reduziert sich die erzeugte Energie erheblich weiter, da Sonne und Wind nicht den ganzen Tag über verfügbar sind. Ein typischer Wert bei uns ist etwa 15 %, weshalb man zum Ersatz einer fossilen oder nuklearen Energieumwandlungsanlage mit 40 % Nutzungsdauer durch regenerative Anlagen etwa die 2-3fache Erzeugungskapazität benötigt. Die Werte der Verfügbarkeit schwanken allerdings erheblich mit der Art der Kraftwerke. Die folgende Tabelle 1.2 gibt bezogen auf die hypothetische Volllast zur Orientierung einige Zahlen.
Kraftwerksart | Volllastnutzung in Stunden |
---|---|
Kernkraft | 7710 |
Steinkohle | 3650 |
Braunkohle | 6640 |
Erdgas | 3170 |
Erdöl | 1640 |
Wind | 1550 |
Speicherwasser | 970 |
Photovoltaik | 910 |
Tab. 1.2: Nutzungsdauer von Kraftwerkstypen im Jahr 2007 (BDEW)
Man erkennt deutlich, dass die Kernenergie und die Braunkohle vor allem die sogenannte Grundlast, das ist die kontinuierlich über alle 8760 Stunden im Jahr benötigte Leistung, erbringen, während aus unterschiedlichen Gründen die anderen Arten der Energiewandlung weniger lang dauernd benutzt werden.
Weiterhin ist bei den Leistungsdaten darauf zu achten, ob man von elektrischer oder thermischer Leistung spricht. Zwischen diesen beiden Größen besteht ein erheblicher Unterschied, da man thermische Leistung (fossil oder nuklear) nur mit erheblichen Verlusten in elektrische Leistung umwandeln kann. Für den Wirkungsgrad gilt als Richtwert 30 %, das bedeutet, dass man für eine bestimmte elektrische Leistung etwa die dreifache thermische Leistung aufwenden muss. Daraus ergibt sich sofort, dass die Nutzung elektrischer Energie zu Wärmezwecken wie Kochen, Heizen oder Warmwasserbereitung eine sehr ungünstige Verwendung von Energie ist. Deutsche Kraftwerke sind in ihrem Wirkungsgrad im Laufe der Zeit deutlich besser geworden, wie folgende Tabelle 1.3 zeigt. An den Daten erkennen wir, dass es sehr wohl sinnvoll sein kann, noch vorhandene alte Kraftwerke durch moderne mit erhöhtem Wirkungsgrad zu ersetzen. Zudem sehen wir, dass durch Forschung und Entwicklung noch Steigerungen in der Ausnutzung der Primärenergieträger bei der Wandlung zu elektrischem Strom möglich sind. Man findet Angaben, dass Werte bis zu 50 % möglich sein könnten.
Jahr | Wirkungsgrad |
---|---|
1950 | 20 |
1960 | 28 |
1970 | 33 |
1980 | 35 |
1990 | 35 |
2000 | 36 |
2005 | 38 |
Tab. 1.3: Wirkungsgrad deutscher fossiler Kraftwerke (Quelle: BDEW 2010)
1.3 Der große Blick
Diskussionen um das Energiesystem sollten mit dem Blick auf die Weltlage beginnen. Der Energieverbrauch steigt global stark an. In den OECD-Ländern ist der Verbrauch in etwa konstant. Die Sparbemühungen durch effizientere Technologien und den regionalen Wegfall energieintensiver Produktion werden durch den spezifischen Zuwachs des Energiekonsums ausgeglichen. In den asiatischen Ländern China und Indien wächst der Energiekonsum enorm. Als Abschätzung mag dienen, dass der Gesamtprimärenergieverbrauch in Deutschland etwa der jährlichen Steigerung des Energieverbrauchs in China entspricht.
Abb. 1.1: Zeitliche Entwicklung des Primärenergieverbrauchs weltweit. Einheit ist TWh (Quelle nach BMWI)
Im Jahre 2006 lag der Primärenergieverbrauch weltweit bei 136498 TWh. Dies entspricht einer hypothetischen konstanten Leistung von 15,6 TW. Die Leistung, welche die Natur in Form von Nahrungsmitteln aufbringen muss, um alle Menschen zu ernähren, ist etwa 25 TW entsprechend etwa 10 % der Leistung der gesamten lebenden Materie auf der Erde. Wir erkennen, dass wir durch die Nahrungsmittelproduktion bereits einen erheblichen Anteil der Biomasse der Erde nutzen. Es wird diskutiert, dass der Anteil der Energiewandlungsleistung der Biomasse, die wir durch kontrollierte Ökosysteme nutzen können, etwa bei 25 % liegt. Bedenkt man, dass sich die Weltbevölkerung in den kommenden 50 Jahren wohl noch verdoppeln wird, so sehen wir, dass die Biomasse nicht in der Lage sein wird, einen wesentlichen Anteil unseres Energiebedarfs zu decken, ohne dass wir in Gefahr laufen, die globalen Ökosysteme zu übernutzen. Die Verfügbarkeit von ausreichend Wasser und Nährstoffen, die wir für kontrollierte Ökosysteme benötigen, wird hier nicht behandelt, muss aber zwingend bedacht werden, wenn man biologische Energieerzeugung im großen Stil einführen will.
In Abbildung 1.1 ist die Entwicklung des Primärenergieverbrauchs weltweit dargestellt. Dazu werden alle fossilen und nuklearen Energieträger rechnerisch auf eine gemeinsame Einheit bezogen. Wir können nicht erwarten, dass sich der Energieverbrauch in naher Zukunft reduzieren könnte.
In Abbildung 1.2 ist der Verbrauch von 2006 regional aufgeschlüsselt. Wir erkennen drei große Blöcke für USA, China und die EU (27 Mitglieder). Ungeach- tet der großen Einwohnerzahl sind Afrika und Indien deutlich geringere Verbraucher. Danach folgen Japan und zum Vergleich Deutschland und Frankreich. Der Anteil Australiens gibt in etwa die Auflösungsgrenze dieser Betrachtung an.
Abb. 1.2: Primärenergieverbrauch in 2006 nach Regionen. (Quelle BMWI)
Beziehen wir die absoluten Energieverbrauchswerte auf die Bevölkerungs- zahl, so erkennen wir die Brisanz der Lage in Asien. Für Deutschland ergibt sich eine besondere Bedeutung seiner Energiepolitik aus der Möglichkeit, mit effizienten Technologien zur Energiewandlung in den Wachstumsregionen einen Einspareffekt bei Primärenergie zu erreichen, der wesentlich bedeutender ist, als alle Effekte, die wir im eigenen Land realisieren können. Vorraussetzung ist aber, dass wir unser Land als Modellfall entsprechend aufstellen, da derartige Technologien nur durchsetzbar sind, wenn wir selbst ihren Nutzen demonstrieren.
Der Primärenergieverbrauch ist eng an die Emission von Treibhausgasen gekoppelt, da der allergrößte Anteil der Energieträger fossiler Natur ist. Energieversorgung und Klimafragen sind extrem eng aneinander gekoppelt und können als zwei Seiten der Nutzung fossiler Energieträger betrachtet werden. Selbst ohne Klimaschädigung wird jedoch die Endlichkeit vernünftig verfügbarer fossiler Ressourcen das Auftreten von „Energiewenden“ bedingen. Dies dürfte regional und zeitlich gestaffelt erfolgen, da die jeweiligen Anteile unterschiedlicher fossiler Energieträger zur Energieversorgung regional verschieden sind. Die Welt emittierte im Jahre 2005 28,2 Mrd. t CO2. Vergleicht man die regionale Aufteilung aus Abbildung 1.3 mit den Daten aus Abbildung 1.2, so wird der enge Zusammenhang von Klimafragen und Energieversorgung augenscheinlich.
Abb. 1.3: Emission von Kohlendioxid im Jahre 2005 nach Regionen. Angaben in Mio t (Quelle BDEW 2010)
Rechnet man diese Daten in einen pro-Kopf-Anteil um, ergeben sich etwas andere Zahlen, bei denen die USA, EU und Luxemburg mit hohen Werten (20 t/Jahr und Einwohner) auffallen, während erwartungsgemäß die asiatischen Länder und Afrika mit sehr reduzierten Werten unter 5 t/Jahr und Einwohner den Nachholbedarf dieser Regionen verdeutlichen. Deutschland und Japan liegen mit etwa 10 t/Jahr und Einwohner in der Mitte des Wertebereichs. Aus dieser Betrachtung ergibt sich, dass in der Tat insbesondere die USA einen besonders hohen absoluten und relativen Anteil am Energieverbrauch und den Treibhausgasemissionen aufweisen. Somit werden Effizienzsteigerungen in den USA auch mit Abstand den größten absoluten Einsparwert erbringen. Die anderen Hochemissionsländer sind absolut gesehen regionale Verbraucher und Verursacher und können zwar viele Emissionen in relativer Hinsicht sparen, aber dies würde sich nur nachgeordnet auf die Gesamtemission auswirken. Die Hochtechnologieländer Japan und Deutschland haben offenbar schon erhebliche Effizienzsteigerungen erreicht, woraus folgt, dass substantielle Einsparungen dort mit erheblich höherem Aufwand belegt sind. Es wird einer Kombination aus erheblichen technologischen Fortschritten und gesellschaftlich-politischen Entscheidungen bedürfen, um eine Profiländerung des Energieverbrauchs zu bewirken und um die Emissionen wesentlich reduzieren zu können. Genau dies ist in den Rahmendaten des deutschen Energiekonzepts niedergelegt. Es erscheint wenig glaubwürdig, diese Ziele wesentlich höher zu stecken oder ihre schnellere Erreichbarkeit einzufordern.
Die Zahlen in Abb. 1.3 geben nicht mehr den sich aktuell stark verändernden Trend richtig wieder, nach dem die Emissionen allgemein wachsen, aber sich in den asiatischen Ländern drastisch erhöhen. In Deutschland können wir von einem Emissionswert von etwa 1000 Mio t/Jahr CO2 für 2010 ausgehen.
Kehren wir noch einmal zum europäischen Energieverbrauch zurück. In Tabelle 1.4 werden einige End-Energieverbrauchswerte für EU Länder absolut und als pro-Kopf-Zahlen verglichen.
Land | Gesamtenergieverbrauch (TWh) | Energieverbrauch pro Kopf (MWh) |
---|---|---|
EU gesamt | 13584 | 27,2 |
Deutschland | 2605 | 31,7 |
Frankreich | 1814 | 28,4 |
Großbritannien | 1733 | 28,1 |
Dänemark | 186 | 32,9 |
Österreich | 314 | 37,7 |
Schweiz | 260 | - - - |
Tab. 1.4: Ausgewählte End-Energieverbrauchswerte für Europäische Länder für 2008. (Quelle: Wirtschaftskammer Österreich)
Aus diesen Werten sind die Umwandlungsverluste von primären Energieträgern zu Endenergieträgern herausgerechnet. Wir verwenden diese Werte, da in der folgenden Diskussion die Frage der Stromversorgung im Mittelpunkt stehen wird. Strom ist heute weitgehend eine Endenergie, die aus Primärträgern (fossil, nuklear, Biomasse) erzeugt wird. Dies ändert sich langsam mit dem Aufkommen regenerativer Stromerzeugung, die Solarenergie direkt in Strom umwandelt.
Aus dem Mittelwert des pro-Kopf-Verbrauchs ergibt sich, dass ein Europäer etwa einen Leistungsverbrauch von 3,7 kW bei hypothetischer gleicher Belastung über die Zeit aufweist. Dieser Wert soll als Orientierung dienen. Eine detaillierte Interpretation erweist sich wegen der unterschiedlichen Strukturen und Leistungsvermögen der Volkswirtschaften und der vielfältigen darin vorherrschenden Einflüsse, welche jeweils von besonderer Bedeutung sind, als sehr anspruchs- voll. Es wird wieder deutlich, dass Deutschland im Vergleich bereits viel für eine effiziente Nutzung von Energie getan hat und für weitere substantielle Verbesserungen nur ein enger Spielraum besteht, wenn man einen Planungszeitraum von 10 Jahren betrachtet.
Abb. 1.4: Nutzung unterschiedlicher primärer Energieträger für die Stromerzeugung in Europa. Die Daten sind für das Jahr 2008 (Quelle BDEW 2010)
Wir fokussieren nun weiter auf den Endenergiebereich und betrachten die Verwendung von verschiedenen Energieträgern für die Stromerzeugung in Europa. Die naheliegende Vorstellung von einem gemeinsamen europäischen Strom- versorgungsgebiet mit möglichst einheitlicher Infrastruktur würde Maßnahmen zur Risikominimierung und Effizienzsteigerung sehr vereinfachen. Die Daten aus Abbildung 1.4 zeigen allerdings, dass diese Vorstellung in keiner Weise den gegenwärtigen Realitäten entspricht, sondern vielmehr, dass sehr unterschiedliche Strukturen der Stromerzeugung in Europa existieren.
Die Verwendung von Kernspaltungsenergie ist offenbar sehr unterschiedlich weit verbreitet, ebenso wie der Ausbaustand von regenerativen Energiequellen. Manche Vorstellungen über die Energieversorgung in anderen europäischen Ländern in der laufenden Energiediskussion relativieren sich bei Betrachtung der Daten aus Abbildung 1.4. In der Kategorie „fossil“ sind Öl, Gas und Kohlen sehr unterschiedlich vertreten, woraus sich unterschiedliche Beiträge zur Treibhausgasemission, aber auch unterschiedliche Abhängigkeiten von Importen, die insgesamt den Löwenanteil der europäischen Energieversorgung ausmachen, ergeben. Die Vorstellung einer europäisch harmonisierten Energiestrategie dürfte auch aus Gründen der Daten aus Abbildung 1.4 nicht einfach zu realisieren sein, was die Relevanz von Sicherheitsdiskussionen in Deutschland, das von Ländern umgeben ist, die Kernspaltungsenergie intensiv nutzen, relativiert.
1.4 Die Situation in Deutschland
Verfeinern wir den Blick weiter für den Energiemix, der in der deutschen Stromversorgung engesetzt wird. Die zugänglichen Zahlen der bereitgestellten Energie beziehen sich auf das Jahr 2007, neuere Werte dürften höhere Anteile der regenerativen Quellen ausweisen. In 2007 wurden 644 TWh elektrischen Stroms in Deutschland abgenommen. Aus Abbildung 1.5 erkennen wir, dass Strom aus drei etwa gleich großen Hauptquellen Braunkohle, Steinkohle und Kernspaltung bereitgestellt wird. Den nächstgrößten Block stellen regenerative Quellen bereit. In der Darstellung sind Wind und Wasserkraft von anderen Quellen getrennt angegeben. Danach folgt Erdgas als Träger. Erdöl spielt in Deutschland nur eine sehr untergeordnete Rolle zur Stromerzeugung. Der allergrößte Anteil der Mineralölimporte geht in die Mobilität und in Heizungsanwendungen. Die Kernspaltungskraftwerke sind in Abbildung 1.5 in „alte Anlagen“ und „neue Anlagen“ entsprechend der Unterscheidung des Kernenergiemoratoriums unterteilt. Man erkennt, dass beide Anteile sehr unterschiedlich zur Stromerzeugung beitragen.
Für die Diskussion eines Atomausstiegs ist relevant, dass die Daten aus Abbildung 1.5 nicht wiedergeben, wie groß die Reservekapazitäten des Kraftwerkparks sind. Grundsätzlich gibt es für alle fossilen Primärenergieträger Kraftwerksreserven, die im Falle des sofortigen Ausstiegs mobilisiert werden können. Dies dürfte allerdings eine Anlaufzeit von Monaten bis Jahren erfordern, je nachdem, ob es sich um Reserven turnusmäßig oder längerfristig abgeschalteter Anlagen oder um neue Kapazitäten, die im Bau sind, handelt. Diese Reserve ist, obgleich Listen des Kraftwerkparks im Internet (Wikipedia) zugänglich sind, schwer zu quantifizieren, da nur die Betreiber über Zustand und Verfügbarkeit sichere Aussagen machen können. Für die hiesige Diskussion ist es jedenfalls plausibel anzunehmen, dass sich eine Reserve von bis zu 20 % der Stromnachfrage aus Abbildung 1.5 darstellen lassen könnte.
Abb. 1.5: Anteile der Primärenergieträger für die Stromerzeugung in Deutschland. Die Zahlen sind in TWh angegeben. Die Werte gelten für 2009 (Quelle: BMWI)
Einen Anhaltspunkt dafür liefern die veröffentlichten Daten (Quelle BDEW) über die Auslastung des Kraftwerkparks am 3.12.2007, dem Tag mit der höchsten Leistungsanforderung für das deutsche Stromnetz. Diese Daten sind in Abbildung 1.6 als Kreisdiagramm dargestellt, wobei der Gesamtumfang des Kreises einer installierten Gesamtleistung von 129,26 GW entspricht.
Abb. 1.6: Gesamtleistung und Reserven des deutschen Kraftwerksparks am 3.12.2007 (Quelle: BDEW) Die Daten in GW beziehen sich auf alle „öffentlichen“ und privaten Großkraftwerke mit einer Nennleistung von über 1 MW.
Der Gesamtleistungsanforderung von 78,5 GW, die zu etwa 20 GW von Kernspaltungskraftwerken geliefert wurde, stehen etwa 50 GW an Reserven unterschiedlicher Einsatzbereitschaft gegenüber. Man erkennt, dass allein vor dem Hintergrund dieser Betrachtung die deutschen AKWs kurz- bis mittelfristig ersetzbar wären. Genaue Angaben sind allerdings auf Basis dieser Zahlen nicht sicher machbar, da der Zubau von regenerativen Kraftwerken und der Abgang von veralteten Anlagen die Bilanz heute möglicherweise etwas anders aussehen lassen. Hinzu kommen aktuelle Neubauten und Planungen von Kraftwerken, die hier nicht im Einzelnen betrachtet werden sollen. Eine detaillierte Erörterung dieser Zusammenhänge findet man bei der Deutschen Energie Agentur (dena), welche die wesentlichen Fakten im Internet zur Verfügung stellt.
Betrachtet man die dort vorgestellten Ergebnisse, so kann man folgern, dass die oben erwähnten Annahmen über einen möglichen Atomausstieg nur belastbar sind, wenn man die Erneuerung und Erweiterung des Kraftwerkparks mit Nachdruck vorantreibt. Dies verdeutlicht Abbildung 1.7, welche die erforderliche Entwicklung des Kraftwerkparks im Planungszeitraum von etwa 10 Jahren angibt. Im Zielwert ist eine Sicherheit für die Erhaltung der Versorgungssicherheit eingerechnet. Man beachte, dass die Zahlen die gesichert verfügbare Leistung und nicht die installierte Leistung betreffen. Die installierte Leistung muss entsprechend den Angaben von Tabelle 1.2 erheblich höher liegen. Dies gilt insbesondere für die regenerativen Quellen, deren Hauptzuwachs in der Form von Offshore-Windanlagen und Photovoltaik-Installationen geplant ist. Derartige Projektionen enthalten vielfache Annahmen, beispielsweise über einen Minderverbrauch an Strom, die sich nicht sicher belegen lassen. Daher sind Daten wie in Abbildung 1.7 als Richtwerte und nicht als absolute Planungsvorgaben anzusehen. Es ist allerdings klar, dass wir uns keine erheblichen gesellschaftlichen Reibungsverluste bei der Umsetzung dieser Planung in der Größenordnung, wie sie Abbildung 1.7 angibt, leisten können. Über die Bedeutung der Kraft-Wärme-Kopplung in dieser Projektion sowie über die Ausfüllung der noch fehlenden Kapazitäten gehen die Meinungen auseinander.
Abb. 1.7: Entwicklung des deutschen Kraftwerksparks bei Atomausstieg und eines reduzierten Verbrauchs entsprechend dem Energiekonzept. (KWK ist Kraft-Wärme-Kopplung, Quelle: dena 2008)
Eine Hürde für den Einsatz der Reserve und für den diskutierten Ausbau der Kapazitäten für regenerative Stromerzeugung sind die Strukturen und Kapazitäten der Stromnetze. Diese bedürfen national, aber auch im Verbund mit Europa, eines Ausbaus. Es existieren detaillierte Planungen für einen derartigen Ausbau, die Umsetzung wird auch durch Faktoren, die außerhalb der gegenwärtigen Betrachtung liegen, erschwert. Problematisch bei derartigen pauschalen Betrachtungen ist weiterhin, dass der Stromverbrauch erheblichen Schwankungen mit kurzen und langen Perioden unterliegt. Diese Schwankungen werden durch geeignete Betriebsführung, durch punktuelles Zuschalten von Spitzenlastkrafterzeugung aus Erdgas und Biomasse und durch internationalen Stromaustausch gedeckt. Für Kapazitätsbetrachtungen ist wichtig, dass wir in Deutschland eine Versorgungs- sicherheit voraussetzen und daher Auslegungen ausreichend oberhalb der maximal benötigten Leistung ansetzen müssen. Eine vorausschauende Planung, die zudem nötige Wartungsarbeiten mit einbezieht, kommt daher zu dem Schluss, dass wir kurzfristig erhebliche Anstrengungen zum Bau von Leitungen und Steuereinrichtungen, sowie für elektrotechnische Spezialgeräte zum stabilen Betrieb des Netzes unternehmen müssen. Vordringlich ist dabei nach Planungen der dena (Studie aus dem Jahr 2008) der Aufbau von Netzelementen zur Ergänzung des bestehenden Netzes. Dies wäre in jedem Fall erforderlich, um die graduelle Restrukturierung der Energieversorgung im Zuge der Einbindung der regenerativen Quellen mit einem verteilten System von Quellen und Nutzern von Strom in Deutschland zu begleiten.
1.5 Folgen einer Entscheidung für den Ausstieg
In diesem Abschnitt soll angedeutet werden, welche technischen Folgen sich aus einer hypothetischen Entscheidung für einen absoluten Atomausstieg mit festgelegtem Enddatum 2020 und ohne weitere Revidierung der Entscheidung ergeben würden. Dies soll nicht unterstellen, dass der Verfasser diese Lösung als die aus Expertensicht günstigste Variante bevorzugt. Es sei noch einmal betont, dass diese Entscheidung eine „Energiewende“ aus freien Stücken darstellt, bei der wir lernen können, welche Folgen sich aus einem dirigistischen Eingriff in das Geflecht von Markt und Technologie im Energiebereich ergeben. Wir werden auch den weniger luxuriösen Fall, in dem externe Faktoren uns zu weiteren solchen Einschnitten zwingen, in Zukunft erleben; dabei können wir auf die Lehren aus der gegenwärtigen Situation zurückgreifen. Im Lichte der gravierenden Ereignisse, die vor uns liegen, ist die Atomdiskussion also eine Art Vorübung, da wir noch vollständig durch existierende und preisgünstige fossile Alternativen gesichert sind. Dies mag in der Zukunft nicht mehr der Fall sein. Weiter sei daran erinnert, dass bezogen auf die globale Situation die Entscheidung in Deutschland quantitativ von untergeordneter Bedeutung ist (was nicht heißt, dass man die Folgen ignorieren könnte). Wesentlich bedeutsamer ist die deutsche Strategie als Vorbild für andere und als Grundlage für künftige Exportchancen. Am wenigsten sinnvoll wäre ein „weiter wie bisher“, ohne die geschaffene Bereitschaft zu Veränderungen sinnvoll zu nutzen.
Bedauerlicherweise sind wir auf diese Chance nicht gut vorbereitet, weil wir über keinen nationalen Plan für die Fortentwicklung der Energieversorgung verfügen. Alles was wir haben ist eine Sammlung von Langfristzielen, die uns als Orientierung dienen und im Energiekonzept aus dem Jahr 2010 zusammengefasst sind. Dieses Konzept stellt einen Handlungsrahmen dar und wurde in seinen wissenschaftlichen und technischen Grundannahmen durch die Ereignisse in Japan nicht berührt. Deutlich verändert haben sich die nicht-technischen Rahmenbedingungen der Diskussion, die hier allerdings nicht weiter betrachtet werden. Eine sinnvolle Konsequenz aus dieser Situation wäre die Etablierung eines langfristigen und nachhaltigen Mechanismus zur Erstellung und Fortschreibung eines nationalen Energieplans unter Einbeziehung aller relevanten Beteiligten.
Zunächst kann man feststellen, dass ein Verzicht auf Kernspaltungsenergie in Deutschland rein quantitativ darstellbar ist, wenn wir die existierenden und geplanten konventionellen Kraftwerke betrachten. Der Verlust von etwa 20 GW an Kapazität kann verkraftet werden, ohne auf Importe zurückzugreifen, vor allem wenn der Netzausbau und ein begrenztes Lastmanagement durch Zentralsteuerung bis 2020 realisiert sind. Auch ein sofortiger Ausfall der „Moratoriumsmeiler“ ist rein von der Kapazität her darstellbar. Diese Aussage setzt allerdings voraus, dass der in Abbildung 1.7 angegebene Prozess der Erneuerung des Kraftwerksparks störungsfrei abgewickelt wird.
Was für Folgen ergeben sich daraus? Die Hypothese, dies durch Energiesparen zu kompensieren, ist ohne sehr konkrete Vorschläge dazu nicht stichhaltig. Dies muss besonders unter der Maßgabe gesehen werden, dass man an den Plänen des Energiekonzepts von 2010 festhalten will, die ohnehin enorme Einsparlasten in Bezug auf alle Verwendungsformen fossiler Energie vorsehen.
Der Vorschlag, die Kapazität der Stromlieferung durch verstärkten Einsatz regenerativer Energien zu ersetzen, hat ebenfalls seine Tücken. Solche Erhöhungen müssten über die Planungen, die in Abbildung 1.7 dargestellt sind, hinausgehen. Unterstellen wir, dass die Kapazität an Wasserkraft nicht wesentlich erhöht werden kann, dann müsste die Erzeugung vor allem aus Windkraft sowie aus Solarkraft und Biomasse getragen werden. Wenn wir die Größenverhältnisse aus Abbildung 1.5 betrachten und dabei bedenken, dass die installierte Leistung erheblich über der benötigten Dauerleistung liegen muss (siehe Tabelle 1.2), dann wird klar, dass diese Umstellung einen erheblichen Kraftakt darstellt, der zudem zusätzlich zu den CO2-Minderungen, die im Energiekonzept vorgesehen sind, zu leisten wäre. Allerdings sollten wir bedenken, dass all diese Installationen in längeren Zeiträumen, die über ein Jahrzehnt hinausgehen, notwendig werden, da ja auch das Energiekonzept im Jahre 2050 keine Atomkraft mehr vorsieht. Die Geschwindigkeit des nötigen Zubaus scheint allerdings nur schwer darstellbar zu sein, wenn man dies innerhalb eines Jahrzehnts fordert. In jedem Fall ist die Erhöhung der heimischen Installationen für die Bereitstellung von Primärelektrizität sinnvoll und nützlich, da sie tendenziell unseren Konsum an fossilen Energieträgern reduzieren hilft. Die Konzepte zur regionalen Lieferung von elektrischer Energie aus Solarkraftwerken etwa durch das DESERTEC-Projekt sind hier nicht mit eingerechnet, da die Chancen auf Realisierung nicht klar sind. Eine derartige Entwicklung wird nur dann als günstig für die nationale Energieentwicklung eingeschätzt, wenn die komplexen Rahmenbedingungen eines derartigen Projekts stabil und verlässlich geregelt werden können.
Ein gravierendes Problem des massiven Einsatzes regenerativer Energien ist die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit. Wenn erhebliche Mengen des Stroms dann nicht zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden, muss man entweder fossile „Schattenkraftwerke“ vorhalten oder durch Stromimporte die Defizite decken. Die vielfach ins Feld geführten „intelligenten Netze“ können hier nur bedingt durch Lastverteilung und Lastverschiebungen helfen. Den Stabilisierungsbeitrag von Biogasanlagen sollte man dann nicht überschätzen, wenn der Gesamtbeitrag der nicht jederzeit abrufbaren Erzeugungskapazitäten den Betrag der Kernkraftkapazitäten erreicht. Wir benötigen daher zusätzlich zu den aufgeführten Maßnahmen eine Reihe von Speicherstrategien, die Strom in unterschiedlichen Mengen für unterschiedliche Zeiten speichern, um Verbrauchsschwankungen im Zeitbereich von Stunden bis Monaten ausgleichen zu können. Eine derartige Palette von Speichern steht uns heute nicht zur Verfügung, zumindest nicht als einsetzbare Technologien. Hieraus ergibt sich ein enormer Bedarf an Forschung und Entwicklung, der unten weiter thematisiert wird.
Die Problematik ist, bezogen auf ein einzelnes Kraftwerk, in Abbildung 1.8 dargestellt. Hier wird nur auf den kurz- und mittelfristigen Zeitbereich von etwa einem Tag abgehoben. Der Speicher muss erhebliche Energiemengen in kurzer Zeit sowohl aufnehmen als auch abgeben können. Für saisonale Schwankungen sind die Reaktionszeiten weniger kritisch, dafür sind allerdings die erforderlichen Speicherkapazitäten umso größer. Es ist offensichtlich, dass eine Verkettung von unregelmäßig Leistung abgebenden Anlagen die Schwankungen teilweise ausgleichen und dass ein Angleichen der Lastkurve an die verfügbare Leistung sehr wünschenswert ist. Beiden Maßnahmen sind allerdings quantitative Grenzen gesetzt, die umso mehr spürbar werden, als sich der Beitrag stabiler Erzeuger im Kraftwerkspark reduziert.
So wird wohl die plausible Folge sein, dass kurzfristig zumindest die abgebaute Kapazität aus Kernspaltungsanlagen durch bestehende oder neu zu bauende fossile Kraftwerke ersetzt werden wird. Dies ist quantitativ auf jeden Fall eine mögliche technische Lösung. Zur Abschätzung der Menge der daraus folgenden zusätzlichen Abgabe von CO2 gehen wir von einem Beitrag der Stromerzeugung zur nationalen CO2-Emission von etwa 400 Mio t pro Jahr aus. Mit den Angaben aus Abbildung 1.5 ergäbe eine Abschätzung einen oberen Wert von 120 Mio t CO2 pro Jahr zusätzlich bei Abschaltung aller deutschen Kernkraftwerke. Dieser Wert entspricht mit den Daten aus Abbildung 1.3 etwa 2 % der Emissionen der USA oder 0,005 % der globalen Emissionen.
Abb. 1.8: Zum Speicherproblem beim Einsatz von erheblichen Mengen von Energie, die uns nicht kontinuierlich zur Verfügung steht. Die helle Fläche zeigt den Verbrauch, die dunkle Fläche eine mögliche Verfügbarkeit von elektrischer Leistung. Der Speicher gibt seinen Inhalt zu allen Zeiten der Leistungsunterdeckung ab.
Reduktionen dieses oberen Wertes können wie folgt erreicht werden. Man kann den fossilen Brennstoff so weit wie möglich als Erdgas wählen. Die chemische Struktur von Erdgas mit seinem Gehalt an Wasserstoff gegenüber Kohle hat zur Folge, dass die gleiche Energiemenge mit etwa 50 % geringeren Emissionen an CO2 erzeugt werden kann. Das Bruttoenergieverhältnis ergibt sich aus folgenden Gleichungen, die absolute Menge, wenn man die Umwandlungsverluste (Tabelle 1.3) mit berücksichtigt.
C + O2 → CO2 + 394 kJ/mol
CH4 + 2 O2 → CO2 + 2 H2O + 394 kJ/mol + 572 kJ/mol
Die erreichbare Minderung hängt davon ab, wie viele zusätzliche Kraftwerke mit Erdgas betrieben werden. Würde nur Erdgas zur Deckung des durch die Atomkraftabschaltung sich bildenden Defizits der Stromerzeugung eingesetzt, so betrügen die Emissionen etwa 60 Mio t/Jahr. Aus Gründen der Diversifizierung des Brennstoffpools sollte allerdings nur ein Teil der benötigten Primärenergieträger Erdgas sein.
Weitere Minderungen ergeben sich aus den Beiträgen der regenerativen Energien und aus Sparbemühungen, die aber sehr schwer planbar sind. Innerhalb der kommenden 10 Jahre werden heute noch neuartige Technologien der Energiewandlung und Energiespeicherung nur einen geringen Beitrag leisten können. Diese Anstrengungen wirken erst in längeren Zeiträumen. Sie werden allerdings dringend benötigt, um die Einsparziele des nationalen Energiekonzepts mit einer Gesamtemission von CO2 von etwa 200 Mio t/Jahr zu erreichen. Dieses Ziel ist durch einen hypothetischen beschleunigten Atomausstieg nicht gefährdet, wohl aber die in den Graphiken vorgestellte lineare Absenkung der Emission.
1.6 Die längerfristige Zukunft und die Rolle der Forschung
Die bisherigen Ausführungen sollten zeigen, dass der Atomausstieg in kurzer Zeit aus technischer Sicht machbar ist, wenn bestimmte Randbedingungen eingehalten werden und wenn man darauf verzichtet zu fordern, dass dies emissionsneutral im Planungszeitraum sein soll. Es wurde weiter dargelegt, dass der Atomausstieg nur ein kleiner Teil einer Kette von „Energiewenden“ ist, die sich aus den fundamentalen Veränderungen der Verfügbarkeiten von fossilen Rohstoffen sowie möglicher weiterer nicht-technischer Rahmenbedingungen der globalen Entwicklung ergeben.
Somit folgt als Fernziel der Aufbau einer Energieversorgung, die auf fossile Energieträger verzichtet. Dieses Ziel dürfte bei uns einen Realisierungszeitraum von einem Jahrhundert haben. Da allerdings der Zuwachs an Energieverbrauch besonders dort am größten ist, wo es noch keine Infrastruktur, die auf fossilen Energieträgern beruht, gibt, sollten die alternativen Technologien am besten so schnell wie möglich eingesetzt werden, um den weiteren Anstieg der Nutzung fossiler Energieträger zumindest abzubremsen. Derartige Projektionen bedürfen aus heutiger Sicht zunächst einer sehr intensiven Forschungsanstrengung, da wir nicht über alle Technologien verfügen, die eine systemisch geschlossene Versorgung mit regenerativen Energien in Dimensionen von Volkswirtschaften ermöglichen. Wir benötigen für einen stufenweisen Prozess eine Reihe von Optionen, die technologisch machbar sind, um der Gesellschaft die Möglichkeit zu geben, in einem sich verändernden Umfeld eine jeweils bestmögliche Strategie zur Energieversorgung auszuwählen und diese auch gegen unerwartete Entwicklungen (siehe Katastrophe in Japan) durch Alternativen abzusichern. In Abbildung 1.9 ist eine konservative Struktur einer „hybriden“ Energieversorgung dargestellt, wie sie sich aus der Umsetzung etwa des deutschen Energiekonzepts ergeben würde.
Abb. 1.9: Eine nicht-nukleare Energieversorgung in naher Zukunft. Der Anteil der solaren Energieträger gegenüber den fossilen Trägern wird als sich stetig vergrößernd angenommen. Dazu muss graduell der gestrichelte Speicherbereich verfügbar werden.
In den Bedarfsfeldern (grau) der Abbildung 1.9 sind beispielhaft Technologiefelder genannt, die innerhalb der kurzfristigen Spanne von 10 Jahren erhebliche Beiträge zur Realisation einer hybriden Energieversorgung leisten.
Die Realisation eines derartigen Szenarios erfordert vielfältige Anstrengungen in Forschung und Entwicklung. Alle Disziplinen der Natur- und Ingenieurwissenschaften werden dazu ihre Beiträge zu leisten haben. Es würde den Rahmen dieser Darstellung sprengen, auch nur die wesentlichen Forschungsfelder zu benennen. Eine im Internet verfügbare Studie der Akademien Leopoldina und acatech hat dies in umfassender Weise getan. Der folgende Text beschreibt etwas ausführlicher die Rolle der Chemie in der Sicherstellung der breiten Anwendungen regenerativer Energien. Diese Rolle wird notwendig, da wir die bisher als selbstverständlich vorausgesetzten Eigenschaften der stofflichen Natur der fossilen Energieträger für die regenerativen Energieformen zumindest teilweise synthetisch nachbilden müssen. Nur dann können wir sie speichern, transportieren und handeln, ohne dabei Einschränkungen in Zeiten, Orten und Mengen hinnehmen zu müssen.
Die Speicherung von Energie wird in Abbildung 1.9 nur als chemischer Massenspeicher angegeben. Thermo-mechanische Speicher, deren Technologie wir so weit beherrschen, dass wir zwar weitere Forschung zur Effizienzsteigerung benötigen, sie aber bereits einsetzen oder innerhalb des 10-jährigen Planungszeit- raumes verfügbar haben, sind nicht aufgeführt, obgleich sie sehr bedeutsam für den voll-funktionalen Ersatz fossiler oder nuklearer Kapazitäten zur Energiewandlung sind.
Als chemischer Massenspeicher kommt „synthetisches“ Erdgas in Frage. Dieses kann unter Verwendung existierender Infrastruktur zur Verteilung, zur Speicherung und zur Verstromung gleichzeitig aus unterschiedlichen Quellen bezogen werden. Neben fossilen Quellen steht uns Erdgas aus Biomasse zur Verfügung und es kann auf mittlere Sicht durch Hydrierung von CO2 mit Wasserstoff aus der Spaltung von Wasser hergestellt werden.
CO2 + 4 H2 → CH4 + 2 H2O
1196 kJ/mol + 4 H2O → 4 H2 + 2 O2
Zur Unterstützung einer Energieversorgung, wie sie in Abbildung 1.9 skizziert ist, wird eine erhebliche Weiterentwicklung bekannter Technologien benötigt. Diese können zunächst durch die Bereitstellung verbesserter Materialien und Pro- zesse einen großen Beitrag zur Einsparung von Energieträgern leisten. Weiterhin benötigen wir diese Entwicklungen zur effizienten Gewinnung regenerativer Primärenergie durch beispielsweise Windkraft und Photovoltaik. Solche Anstrengungen sind erforderlich, um die Vorgaben des Energiekonzepts zu realisieren. Sie können auf einer Zeitskala von einem Jahrzehnt wirksam werden.
Forschung dagegen hat einen sehr langen zeitlichen Vorlauf, bis sie im Bereich von Energietechnologien auf der Weltskala wirksam wird. Im Planungszeit- raum von 10 Jahren hat grundlagenmotivierte
Forschung keine Wirkung auf die Energieversorgung. Allerdings muss immer bedacht werden, dass unsere heutigen technologischen Möglichkeiten auf Resultaten der grundlagenmotivierten Forschung basieren, die vor Generationen erzielt und auch finanziert wurden.
Der künftige Einsatz heute neuartiger Technologien birgt enorme wirtschaft- liche Chancen in sich. Somit ist eine rechtzeitige Erforschung der grundlegenden Mechanismen verzahnt mit technologischer Entwicklung und regionaler Erprobung in Deutschland eine zentrale Aufgabe der Zukunftsvorsorge. Aus den wissenschaftlichen Erfahrungen der Vergangenheit folgt, dass wir Technologien nicht nur empirisch entwickeln, sondern gleichzeitig auch anstreben sollten, ein vertieftes Verständnis der relevanten Naturvorgänge zu erlangen, aber ebenso auch der gesellschaftlichen Prozesse bei der Umsetzung technologischer Möglich- keiten. Das Beispiel der Fusionsforschung zeigt uns, dass ohne Fortschritte der Grundlagenforschung eine Realisierung als Fusionskraftwerk nicht möglich ist. In anderen Technologien zur Wandlung von Energie wie der Wasserspaltung oder der Batterietechnik ist das weniger offensichtlich, jedoch gleichermaßen bedeutsam. Es wäre eine sehr nützliche Folge der gegenwärtigen Diskussionsphase, wenn sich daraus eine breit gefächerte und nachhaltig unterstützte Initiative zur Erforschung von Grundlagen und Anwendungen von neuartigen Energiewandlungsprozessen entwickeln würde. Aus Sicht der Chemie als der zentralen Wissenschaft, die Energieumwandlungen durch stoffliche Umwandlung von Energieträgern bewirkt, ergeben sich einige systemische Aussagen, welche helfen können, einige Bereiche dieser Forschung zu benennen.
Abb. 1.10: Eine Vernetzung von solarer und Fusionsenergie zur Versorgung der Bedarfsquellen Strom, Mobilität und Prozesswärme. Chemische Energiespeicherung und Wasserstoffgewinnung durch die Spaltung von Wasser sind in diesem Konzept im Weltmassstab realisiert.
Auf sehr lange Sicht gibt es zunächst die Option der Kernfusion. Diese Option kann wegen extrem komplexer wissenschaftlicher Fragen heute nicht belastbar beurteilt werden. Es scheint daher unerlässlich, die entsprechenden internationalen Projekte wie ITER oder DEMO mit Nachdruck weiterzuverfolgen. Stünde uns mit der Kernfusion eine hochintensive Quelle von Wärmeenergie auf hohem Temperaturniveau (oberhalb 1000 Grad Kelvin) zur Verfügung, so könnte man damit nicht nur direkt und kontinuierlich Strom erzeugen, sondern auch durch chemische Prozesse Wasserstoff gewinnen und diesen zusammen mit solarem Wasserstoff in eine regenerative Energieinfrastruktur integrieren. Fusionsenergie ist somit keine Konkurrenz oder Alternative zu regenerativer Energie, sondern eine komplementäre Ergänzung für Hochtemperaturprozesse. Dies wird in Abbildung 1.10 dargestellt, wo in Fortschreibung der Abbildung 1.9 der Anteil der fossilen Quellen durch Fusion ersetzt wurde.
Dadurch würde sich die Herstellung neuer Brennstoffe aus Wasserstoff und einer Kohlenstoffquelle wie CO2 wesentlich vereinfachen lassen, da für die nötigen katalytischen Schritte ein günstig hohes Temperaturniveau verwendet werden kann. Das hohe Temperaturniveau würde weiter die Gasphasenelektrolyse von Wasser mit keramischen Elektroden möglich machen, was mit rein solaren Energiequellen zumindest deutlich weniger attraktiv ist. Schließlich könnten auch die Herstellung von Eisen und Zement sowie anderer energieintensiver Grundstoffe von der Existenz einer günstigen Quelle von Prozesswärme auf hohem Temperaturniveau profitieren.
Auf vergleichbaren Zeitskalen wie die Fusionsforschung bewegt sich die Forschung zur biomimetischen Gewinnung solarer Energie. Dabei handelt es sich entweder um photochemische oder um photo-elektrochemische Prozesse mit molekularen oder nanostrukturierten Funktionsmaterialien. Sie zielen ebenfalls auf die Wasserspaltung und auf die Kombination der Wasserspaltung mit einer gleichzeitigen Umsetzung von CO2 zu solaren Energieträgern. Auch biologische Verfahren zur Umwandlung von Sonnenergie mit besonderen „Energieernteorganismen“, die entweder Wasserstoff (Algen) oder stoffliche Energieträger (Biomasse) liefern, werden erhebliche Zeiten bis zu ihrer möglichen groß-skaligen Realisation benötigen. Randbedingungen für ihre Umsetzung sind immer die Nachhaltigkeit in Materialien und Prozessen und ihre Skalierbarkeit. Verfahren, die Materialien (z.B. Edelmetalle) einsetzen, die nicht in der erforderlichen Menge verfügbar sind, machen ebenso wenig Sinn, wie Verfahren, die um Ressourcen (Land, Wasser, Nährstoffe) konkurrieren, die wir für unsere Ernährung oder die Erhaltung unserer natürlichen Ökosysteme benötigen. Skalierbarkeit beinhaltet neben Wirtschaftlichkeit in ökonomischen Zusammenhängen auch eine Systemanalyse im Hinblick auf die Freisetzung von Reststoffen: Verfahren, die in ihrem Stoffkreislauf (z.B. energiereiche Reaktanden, Opferstoffe oder wenig stabile Materialien) vergleichbar oder mehr Treibhausgase oder „Abfälle“ emittieren, als man mit ihnen sparen kann, sind ebenfalls nicht hilfreich, selbst wenn sie sehr elegante Lösungen für das Problem der Umwandlung solarer Energie bieten.
Kehren wir noch einmal zu Abbildung 1.9 zurück und untersuchen das Zusammenwirken von Primärenergie und Speicherverfahren. In Abbildung 1.11 ist dies näher aufgeschlüsselt.
Abb. 1.11: Das Zusammenwirken von regenerativer Energie und Speichertechniken ermöglicht eine nachhaltige Versorgung mit allen Energieträgern.
Wir unterscheiden Umwandlungen von Sonnenenergie in unmittelbar nutzbare Energie und in ohne unser Zutun speicherbare Energie. Letztere ist wesentlich seltener als erstere, die wir in für alle Bedürfnisse der Menschheit ausreichender Menge bereitstellen können. Wie oben ausgeführt wurde, liegt das zentrale Problem darin, dass diese Energieformen nicht mit den Bedarfsträgern in stofflicher und raum-zeitlicher Hinsicht zusammenpassen. Also benötigen wir eine Kette von Prozessen, die entsprechend den Anforderungen die Primärenergie in geeignete Träger umwandelt. Diese Kette ist in Abbildung 1.11 dargestellt. Zu- nächst sollte so viel wie möglich primäre Elektrizität direkt verbraucht werden. Dafür benötigen wir flexible Verteilstrukturen, die in der Lage sind, einen fluktuierenden Bedarf einem ebenfalls, aber mit einer anderen Zeitkonstante, fluktuierenden Angebot anzupassen. Dies geschieht durch einen Regionalausgleich (Windkraft gegen Solarkraft und Transport von Erzeugerregionen in Verbraucherregionen) und durch eine in Grenzen machbare Steuerung des Verbrauchs. Dabei treten mannigfache elektrotechnische und informationstechnische Herausforderungen auf, die für sich einen erheblichen Forschungsbedarf erzeugen. Der Aufbau der nötigen Infrastruktur ist ein langfristiges Werk, an dessen Ende das „smart grid“ aus Abbildung 1.11 steht.
Nicht alle Lücken zwischen Bedarf und Angebot können allerdings so ge- schlossen werden (beispielsweise Sommer-Winterfluktuationen), und außerdem benötigen wir stoffliche Energieträger für Mobilität und für Produktionszwecke. Steht uns dafür kein fossiler Energieträger mehr zur Verfügung, so müssen wir diese stoffliche Energiespeicherung anderweitig realisieren. Für begrenzte Anwendungen werden wir Batterien (mobil und stationär) sowie thermomechanische Speicher (Pumpkraftwerke, Druckluftspeicher, Wärmespeicher) einsetzen. Batterien sind chemische Energiespeicher, in denen Elektrodenmaterialien durch Stoffumwandlungen elektrische Energie speichern und diesen Prozess durch einen weiteren Stoffaustausch über den Elektrolyten unter Steuerung des elektrischen Potentials wiederholbar machen.
Ein signifikanter Anteil der Primärenergie wird allerdings zur Stabilisierung des Systems (Bevorratung, Handel und Transport von Energie) und für die ange- deuteten Bedarfe an stofflichen Energieträgern (Lastverkehr, Flugzeuge, Luxusmobilität, Stofferzeugung) in molekularer Form gespeichert und als „solar fuel“ verteilt und genutzt werden. Dazu wird Elektrizität in Wasserstoff umgewandelt, oder der Wasserstoff durch photochemische Wandler erzeugt. Diese chemischen Prozesse sind heute nicht leistungsfähig und auch nicht nachhaltig oder skalierbar. Ihre zwingend nötige Verbesserung verlangt daher erhebliche Anstrengung in der grundlagenorientierten Forschung, begleitet von entsprechenden umfangreichen technologischen Entwicklungen. Die Forschung wird sich dabei sowohl mit neuen Materialien als auch mit der Funktionsaufklärung der beteiligten Reaktionen befassen.
Es wird nicht angestrebt, eine Wasserstoffwirtschaft aufzubauen. Vielmehr werden nachgeschaltete chemische Prozesse mittels Katalyse in der Lage sein, den Wasserstoff in stoffliche Energieträger zu überführen, die wir heute bereits benutzen. Künstliches Erdgas, Olefine als Ausgangsstoffe für die chemische Industrie, Düngemittel und flüssige Treibstoffe herkömmlicher Art oder mit optimierten chemischen Strukturen für höchst effizienten Einsatz in konventionellen Triebwerken und Motoren können in „solaren Raffinerien“ hergestellt werden. Sie benötigen außer Wasserstoff und Luft einen Kohlenstoffträger, der fossil, biologisch oder auch CO2 sein kann. Einige dieser Prozesse betreiben wir heute schon, wenn wir Erdgas zu Motortreibstoffen im Weltmassstab umwandeln; wir wissen daher, dass es sich dabei um keine Vision, sondern um realisierbare Pro- zesse handelt. Allerdings benötigen wir auch hier noch erheblichen Forschungsbedarf im Bereich chemischer Technologien und Katalyse, da die heute bekannten Prozesse erheblich unterhalb des möglichen Effizienzniveaus arbeiten, teilweise sehr störungsanfällig sind und vor allem Probleme mit der Skalierbarkeit haben.
Die schiere Dimension solcher energiewandelnden Prozesse erfordert eine Neuentwicklung sowohl für größere als auch für viel kleinere Anlagen, die wir dezentral als Energiepuffer betreiben können. Die benötigte Dimension der chemi- schen Energiespeicherung wird klar, wenn wir uns daran erinnern, dass allein der Ersatz der deutschen Atomspaltungskraftwerke eine Emission von CO2 in der Größenordnung 100 Mio t pro Jahr verursacht. Würde man dieses CO2 stofflich verwerten, so würde diese sehr regionale und spezielle Aufgabe (nur 25 % der deutschen Emission für Stromproduktion) chemische Anlagen erfordern, wie sie für einige Stoffe (Ammoniak, Ethylen, Methanol) heute jeweils über die ganze Welt verteilt existieren. Wir verfügen für Raffinerieprozesse von Erdöl über Erfahrung in der Konstruktion von Chemieanlagen in der benötigten Größe, die allerdings für den größten Teil ihres Durchsatzes deutlich einfachere chemische Prozesse ausführen als die Totalsynthese von Treibstoffen.
Die solare Raffinerie verarbeitet nicht nur CO2, sondern auch Biomasse, welche selbst als dauerhaft verfügbarer CO2-Sammler und Konzentrator, der mit solarer Energie betrieben wird, angesehen werden kann. Damit steht uns auf Dauer ein Zugang zu Kohlenstoff auch im nach-fossilen Zeitalter offen. Daraus ergibt sich die Anforderung, auch in diesem Sektor ausreichend Forschung zu betreiben, um geeignete Pflanzen, die nicht mit der Nahrungsmittelproduktion konkurrieren, zu entwickeln. Solche CO2-Sammler könnten auch schon heute eingesetzt werden, um das CO2 der Atmosphäre zu binden und Lager von mineralischem Kohlenstoff aus diesen Pflanzen zu bilden, die wir der nach-fossilen Zeit überlassen. Die Herausforderung liegt auch hier in der Dimension der Prozesse, welche nicht als Alternative zur Reduktion der Emissionsraten aus fossilen Energieträgern gedacht sind. Dennoch wäre die notwendige Forschung, Entwicklung und auf mittlere Sicht ihre Anwendung ein sinnvoller Beitrag zu einer insgesamt nachhaltigeren Energieverwendung in globaler Dimension, auch weil wir damit beginnen würden, nicht nur vorgefundene Vorräte zu verbrauchen, sondern auch neue Vorräte für zukünftige Generationen zu bilden.
Die Forderung nach einer generellen „Entkarbonisierung“ der Energiestrukturen ist nicht generell hilfreich. Es dürfte wenig sinnvoll sein, alle auf Kohlenstoff basierenden Energieträger abzubauen, da dies zu unübersehbaren Problemen an vielen Stellen unserer Zivilisation führen würde. Vielmehr sollte man sich des Nutzens dieser Energieträger bewusster werden und sie nicht an Stelle von Energiewandlungsprozessen einsetzen („verfeuern“), die auch andersartig (regenerativ) durchgeführt werden können. Im Bereich der Herstellung von Grund- und Funktionswerkstoffen ist diese Forderung ohnehin grundsätzlich nicht erfüllbar, wenn wir bedenken, dass wir in Zukunft mehr Leistung von allen unseren Werkstoffen verlangen müssen, um die globalen Energieeinsparziele, die wir uns auferlegen, erreichen zu können. Minderwertige Ersatzstoffe, auch wenn sie energiegünstiger sind, helfen hier nicht weiter.
Schließlich sehen wir aus Abbildung 1.11, dass Verbrennungsvorgänge, die heute fast ausschließlich unsere Energiewandlung betreiben, auch in Zukunft wich- tig sein werden. Daher ist es sowohl aus Gründen der unmittelbar heutigen Effizienzverbesserung, wie auch für die Verbesserung auf lange Sicht erforderlich, Forschung und Entwicklung in diesem bisher scheinbar „unattraktiven“ Bereich der Energiewandlung zu betreiben. Neue Materialien können neue Prozesse erlauben, welche die Gesamteffizienz thermischer Wandlungsvorgänge verbessern. Dieser Weg wurde schon sehr erfolgreich in der Vergangenheit beschritten. Die Daten aus Tabelle 1.3 deuten an, dass dieser Weg noch weiterhin über ein Potenzial verfügt, das wir schnell realisieren sollten. Bessere thermische Prozesse bringen unmittelbar mehr gewandelte Energie für weniger Treibhausgasemission.
1.7 Nachwort
Fassen wir die Diskussion entlang der hier dargelegten Linien zusammen, dann entsteht die folgende, vorläufige Liste:
1Der vollständige Atomausstieg innerhalb von 10 Jahren ist technisch möglich, wenn bestimmte Randbedingungen erfüllt werden.
2Dies reduziert allerdings die Gefahr der Nukleartechnologie in Mitteleuropa nur geringfügig, solange keine gesamteuropäische Lösung gefunden wird.
3In Folge von 1. wird sich die CO2-Emission Deutschlands in einem Übergangszeitraum gemessen an der Projektion des nationalen Energiekonzepts deutlich erhöhen.
4Parallel zum Atomausstieg müssen Stromnetzinfrastruktur und Kraftwerkpark erheblich erweitert werden, was allerdings auf längere Sicht ohnehin nötig ist. Dabei darf kein erheblicher gesellschaftlicher Reibungsverlust auftreten.
5Es bedarf eines politischen Mechanismus, der die „Energiewende“ und die Umsetzung des nationalen Energiekonzepts nachhaltig und dauerhaft begleitet. Neben einer Verifikationsfunktion sollte hier vor allem der Schritt von Konzepten zu verbindlichen Planungen mit Orientierungscharakter für alle Beteiligten vollzogen werden.
6Die bisher bereits geleisteten Forschungsanstrengungen müssen weiterhin erheblich und nachhaltig gestärkt werden. Neben einem verstärkten Ansatz in den Ingenieurbereichen, die auf technologische Entwicklungen abzielen, ist ein Beitrag der bisher kaum einbezogenen Grundlagenforschung von strategischer Bedeutung. Dieser sollte nicht auf eine einseitige Lösung, sondern auf die Bereitstellung von Optionen ausgerichtet sein. Er muss breit interdisziplinär gefächert sein und von den hier nicht thematisierten Gesellschaftswissenschaften über die Chemie bis in die Biologie reichen. Diese Anstrengungen sind nicht gegeneinander zu priorisieren und können auch nicht auf Kosten einer reduzierten Fusionsforschung verstärkt werden. Die Versorgung mit geeigneten Energieträgern ist eine zentrale Aufgabe der Daseinsvorsorge und muss als Ganzes einen erhöhten Stellenwert in unserer Gesellschaft erhalten.
7Eine über die vorliegende Darstellung hinausgehende Gesamtbetrachtung ist dringend erforderlich. Eine verstärkte Zusammenarbeit und Anstrengungen zu gemeinsamer Forschung und Bewertung der Energieversorgung sind als Daueraufgabe über die Wissenschaft hinaus von gesellschaftlicher Bedeutung. Die Ergebnisse sind nicht nur innerhalb der Wissenschaft und Industrie zu kommunizieren, sondern vor allem auch mit der Allgemeinheit, deren Ansichten zum Thema Energie wesentliche Elemente der Steuerung der Entwicklung sind, wie die aktuelle Lage im Jahre 2011 beweist. Hier liegen Aufgabenfelder existierender interdisziplinärer Organisationen, die sich in Fortsetzung aktueller Arbeit nachhaltig und dauerhaft des Energiethemas annehmen mögen.
1.8 Fundstellen der Quellen im Internet
BMWI:
www.bmwi.de/BMWi/Navigation/Energie/Statistik-und-Prognosen/
energiedaten.html
BDEW:
www.bdew.de/internet.nsf/id/DE_Energiedaten
Deutsches Energiekonzept:
www.bmu.de/energiekonzept/doc/46394.php
DENA:
www.dena.de/fileadmin/user_upload/Download/Dokumente/Studien
___Umfragen/Kurzanalyse_KuN-Planung_D_2020_2030_kurz.pdf
www.dena.de/themen/thema-esd/projekte/projekt/dena-netzstudie-ii
Kraftwerkspark:
de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Kraftwerken#Deutschland
Forschungsstudie Leopoldina/ACATECH:
www.leopoldina.org/de/politik/empfehlungen-und-stellungnahmen/
nationale-empfehlungen/energieforschungskonzept.html
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