6 Perspektiven für eine effiziente und nachhaltige Mobilität

Rolf Scharwächter

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10.34663/9783945561188-08

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Scharwächter, Rolf (2011). Perspektiven für eine effiziente und nachhaltige Mobilität. In: Herausforderung Energie: Ausgewählte Vorträge der 126. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte e.V. Berlin: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften.

Menschen müssen und wollen mobil, das heißt beweglich sein. Die Mobilität von Menschen sichert Arbeit und Kommunikation. Die Mobilität von Gütern sichert Lebensfähigkeit und Lebensqualität. Mobilität ist ein Grundbedürfnis des Lebens, ebenso wie Energie, Wasser, Luft und Licht.

Die vergangenen 150 Jahre der Mobilität waren durch die Erschließung der Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas, die Anwendung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und die darauf aufbauende Industrialisierung geprägt. Mitte des 19. Jahrhunderts begann die Mobilität von Personen und Gütern mit der Eisenbahn. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts folgten zunächst die Mobilität mit dem Automobil und später die Mobilität mit dem Flugzeug. Die Industrialisierung von Automobil, Eisenbahn und Flugzeug, ihre Perfektionierung und Vervielfältigung sowie ihre Nutzung für den Transport von Menschen und Gütern begründen im Wesentlichen den Wohlstand der Industrieländer. Dieser Wohlstand ist Vorbild für die Entwicklungs- und Schwellenländer.

Heute stehen das grenzenlose Wachstum des Verkehrs, die Effizienz der zugrunde liegenden Technologien, die Endlichkeit der genutzten Ressourcen Energie und Rohstoffe und die Wirkungen auf Umwelt und Klima in Frage. Diese wurde bereits 1972 von Meadows in seinem Buch „Die Grenzen des Wachstums, zur Lage der Menschheit“ aufgeworfen. Seitdem werden diese Fragen rational und emotional in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft erörtert.

In meinem Beitrag werde ich folgende Themen ansprechen:

Bedeutende Trends mit Wirkung auf die Mobilität (Kapitel 6.1)

Verkehrsinfrastruktur und Verkehrsträger als Mittel der Mobilität (Kapitel 6.2)

Personenwagen und Nutzfahrzeuge als vorherrschende Verkehrsträger, ihre alternativen Antriebstechnologien (Kapitel 6.3)

Wertung und Ausblick (Kapitel 6.4)

6.1 Bedeutende Trends mit Wirkung auf die Mobilität

Die Zukunft der Mobilität wird durch unser heutiges Erkennen und Handeln bestimmt. Darauf wirken Veränderungen im Persönlichen und Veränderungen in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Umwelt

Solche Trends mit Wirkung auf die Mobilität sind:

das Wachstum der weltweiten Bevölkerung, besonders in den Ballungsräumen (Kapitel 6.1.1)

die Veränderungen in der Gesellschaft, besonders Alterung und Individualisierung (Kapitel 6.1.2)

die Endlichkeit der Ressourcen Energie und Rohstoffe (Kapitel 6.1.3)

die Belastung der Umwelt und Begrenzung der Emissionen (Kapitel 6.1.4), sowie

die Virtualisierung der Information und Kommunikation (Kapitel 6.1.5)

6.1.1 Wachstum der Bevölkerung in Industrieländern sowie Entwicklungs- und Schwellenländern und besonders in Ballungsräumen

Die Weltbevölkerung wird laut UNO explosiv von 6 Mrd. heute auf 9 Mrd. im Jahr 2050 wachsen. Gründe sind die zunehmende Lebenserwartung dank der Fortschritte der Ernährung und der Medizin. Dieses Bevölkerungswachstum konzentriert sich auf die Schwellenländer Asiens und die Entwicklungsländer Afrikas. Die Bevölkerung Europas und Nordamerikas bleibt nur dank Zuwanderung konstant. Während die Mobilitätsnachfrage in den Industrieländern eher reif und gesättigt ist, wird der Mobilitätsbedarf in den Entwicklungs- und Schwellenländern signifikant wachsen

Es werden besonders die Städte wachsen, in Industrieländern aufgrund der Stadt mit dem Angebot von Versorgung, Gesellschaft und Kultur, in Schwellen- und Entwicklungsländern aufgrund der Stadt mit höherem Wohlstand im Vergleich zum Umland. Daraus folgt parallel eine Ausdünnung des Umlands.

Heute leben bereits 3 Mrd. Menschen, das sind 50 % der Weltbevölkerung in urbanen Räumen. In den Megastädten, heute 30 mit mehr als 10 Mio. Menschen, kulminieren organisatorische, soziale und ökologische Probleme. Megastädte werden mit diesem Trend zu Vorbildern für das Zusammenspiel von Arbeiten, Wohnen und Umwelt. Die Mobilität wird dem Wachstum der Ballungsräume und der Ausdünnung des Umlands folgen.

6.1.2 Veränderungen in der Gesellschaft

Die Bevölkerung wird weltweit älter aufgrund der zunehmenden Lebenserwartung. In Europa werden im Jahr 2050 von 400 Mio. Menschen 140 Mio. Menschen älter als 60 Jahre sein. Diese älteren Menschen erwarten entsprechende Angebote für Ihren Bedarf an Mobilität.

In der Gesellschaft der Industrieländer wird die individuelle Lebensweise ausgeprägter. Die differenzierten Formen von Lebensstil, Lebensqualität und Lebensräumen haben ausgeprägte körperliche und geistige Mobilität zur Folge. Die Zeit wird weiter an Bedeutung gewinnen.

Die steigende Nachfrage nach Konsumgütern führt zur drastischen Zunahme des Wirtschaftsverkehrs. Die Forderung ist eine Lieferung über große Entfernungen mit individuellen Erzeugnissen, kurzen Lieferzeiten und hoher Lieferqualität. Besonders in Ballungsräumen belastet der Wirtschaftsverkehr mit Ver- und Entsorgung die Lebensqualität.

Die wachsende regionale und globale Arbeitsteilung in Verbindung mit der Vielfalt der Produkte und Dienstleistungen erzwingt effiziente logistische Konzepte. Die Mobilitätsträger arbeiten zunehmend vernetzt. Es gilt jedoch: keine Tonne wird ohne Nachfrage bewegt.

6.1.3 Endlichkeit der Ressourcen Energie und Rohstoffe

Die Grundlage der Energieversorgung ist in den Industrieländern Kohle, Erdöl, Erdgas, Kernenergie und erneuerbare Energie. In den Industrieländern sind die Ziele der Energiewirtschaft ein Energiemix zur Sicherung der Versorgung und Dämpfung der Preisschwankungen, eine Minderung der Abhängigkeit von Erdöl und Erdgas, eine Steigerung der Energieeffizienz und eine Senkung der Emissionen.

Im Jahr 2020 wird nach heutigem Wissen die Hälfte der weltweiten Erdöl- und Erdgasvorkommen verbraucht sein. Man spricht von Peak Oil. Die Energieressourcen werden von wenigen meist staatlichen Organisationen kontrolliert. Als Folge der Endlichkeit werden die Versorgungsunsicherheit und die Schwankung der Energiepreise zunehmen.

Die Industrieländer verbrauchen 60 % der weltweiten Energie. In den Industrieländern haben als Energieträger Kernenergie zugenommen und Erdöl und Kohle abgenommen. In den Schwellenländern, insbesondere China, hat Kohle zugenommen. In China wird ein neues Kohlekraftwerk pro Monat in Betrieb genommen. Kohlekraftwerke sind weltweit für 40 % der CO2-Emissionen verantwortlich und daher die hauptsächliche Gefahr für das globale Klima.

In Deutschland werden die Fragen der Energieversorgung, so in der aktuellen politischen Auseinandersetzung, kontrovers diskutiert. In Deutschland herrscht für die Energieversorgung unstete Planwirtschaft und nicht verlässliche Marktwirtschaft. In Deutschland werden andere Lösungen gefördert als in den Nachbarstaaten. Eine Seite muss irren.

Ein ähnlicher Trend wie bei der weltweiten Energieversorgung gilt auch für die weltweite Rohstoffversorgung. Die Industrieländer verbrauchen 80 % der geförderten Rohstoffe. Neben den klassischen Konstruktionswerkstoffen Stahl, Leichtmetalle und Polymere haben die sogenannten Seltenen Erden zunehmende industrielle Bedeutung für Elektronikmodule, Solarzellen oder Batterien. Das Vorkommen dieser Seltenen Erden ist endlich und auf wenige Länder konzentriert. USA und China bauen bereits strategische Reserven auf. Diese Seltenen Erden werden zudem aufgrund ihrer geringsten Anteile in den Legierungen nicht durch Recycling wiedergewonnen.

6.1.4 Belastung der Umwelt und der Begrenzung der Emissionen

Die troposphärische CO2-Konzentration ist in den vergangenen 50 Jahren gravie- rend angestiegen. Damit einher geht eine Klimaerwärmung.

Heute erzeugen die Entwicklungs- und Schwellenländer weltweit 50 % der CO2-Emissionen. Deutschland trägt nur 3 % zu den weltweiten Emissionen bei.

Die Begrenzung der CO2-Emission ist auf verschiedenen internationalen Klimakonferenzen kontrovers und ergebnislos verhandelt worden. Die Interessen der Industrieländer auf der einen Seite und der Entwicklungs- und Schwellenländer auf der anderen Seite waren nicht auszugleichen.

Der brasilianische Wirtschaftsminister sagte ironisch auf der Klimakonferenz in Kopenhagen: „Die Schwellen- und Entwicklungsländer sind zum Nachtisch geladen und sollen das gesamte Menü bezahlen.“ Einem System für den weltweiten Handel mit Emissionszertifikaten wurde nicht zugestimmt. Zudem haben die Entwicklungs- und Schwellenländer in China einen starken Sprecher mit Eigeninteressen gefunden.

Dennoch besteht für Europa die Übereinkunft, das vorherige Abkommen von Tokyo zu erfüllen. Danach sind für Deutschland die Emissionen vom Jahr 1990 bis zum Jahr 2012 um 21 % zu verringern. Deutschland hat bereits im Jahr 2008 dieses Ziel erfüllt.

Meine Folgerung für die Begrenzung der Emissionen ist: Eine ausgewogene und weitgehende politische Vorgabe in Europa sollte ein für die gesamte Wirtschaft gültiger Emissionshandel mit einem einheitlichen Preis für CO2 pro Tonne sein. Dann könnten die Wirtschaft und der Kunde die günstigste Energieart wählen. Dann könnten auch die die Staatshaushalte belastenden Subventionen für alternative Energiearten, insbesondere für Solarenergie und Windkraftenergie, zurückgeführt werden.

6.1.5 Virtualisierung der Information und Kommunikation

Zunehmend wird die körperliche Mobilität substituiert durch die geistige Mobilität. Die Trends sind Always-On, Any-to-Any und Hear and Look. Der virtuelle Arbeitsplatz zu Hause, auf Reisen und beim Kunden, die virtuelle Produktentwicklung und das virtuelle Produkt- und Leistungsangebot sowie die virtuellen Marktplätze mit Wettbewerbern und Lieferanten nehmen zu. Es wachsen virtuell vernetzte Unternehmen, die für Projekte zeitlich begrenzt ergänzende Fähigkeiten einbinden.

Dieser Trend wird den Personenverkehr, nicht aber den Güterverkehr verändern. Wir werden weiter Wein aus Australien, Früchte aus Südamerika und Wasser aus Südeuropa kaufen. Man spricht von Patchwork Ökologisierung.

Meine Wertung zu den vorgestellten Trends mit Wirkung auf die Mobilität ist: Die Endlichkeit der Ressourcen Energie und Rohstoffe ist eine Veränderung, die enge Grenzen setzt. Die übrigen Veränderungen scheinen durch Innovationen und Verhalten beherrschbar zu sein.

6.2 Verkehrsinfrastruktur und Verkehrsträger als Mittel der Mobilität

Die Mobilität von Personen und Gütern hat Verkehrsinfrastruktur und Verkehrsträ- ger zur Voraussetzung. Die optimalen Lösungen zu Effizienz und Nachhaltigkeit sind von der jeweiligen Transportaufgabe abhängig.

Für den Personenverkehr stehen in Europa Personenkraftwagen, Eisenbahn, Flugzeug, Schiff oder Fahrrad zur Wahl. Ihre Anteile am Personenverkehr sind heute 78 % Personenkraftwagen, 8 % öffentlicher Nahverkehr mit Omnibus, Stra- ßenbahn oder U-Bahn, 7 % Eisenbahn und 6 % Flugzeug. Wenn man nur 10 % der Personenverkehrsleistung von der Straße auf die Schiene verlagern wollte, müsste man die Kapazität von Schiene und Eisenbahn verdoppeln.

Im Personenverkehr liegen die Vorteile bei Effizienz- und Nachhaltigkeit für Entfernungen über 300 km bei Flugzeug oder Eisenbahn, für Entfernungen über 100 km bei Personenkraftwagen oder Eisenbahn und in Ballungsräumen bei öffentlichem Nahverkehr mit Omnibus, Straßenbahn oder U-Bahn.

Für den Personenverkehr in Ballungsräumen und besonders im ausgedünnten Umland hat der flexible Omnibus bei Energieverbrauch und Emission Vorteile gegenüber der starren und zudem fixkostenintensiven Straßenbahn oder U-Bahn.

Der Personenverkehr in Europa wird langfristig entsprechend den eingangs vorgetragenen Trends verhalten wachsen. Der Personenwagen ist und bleibt der vorherrschende Verkehrsträger.

Für den Güterverkehr stehen in Europa das Nutzfahrzeug mit Lastkraftwagen und Transportern, Eisenbahn oder Schiff zur Wahl. Ihre Anteile am Güterverkehr sind heute Nutzfahrzeug 72 %, Eisenbahn 16 % und Schiff 11 %. Wenn man nur 20 % der Güterverkehrsleistung von der Straße auf die Schiene verlagern wollte, müsste man die Kapazität von Eisenbahn und Schiene verdoppeln.

Der Güterverkehr wird in Europa nach den zuvor vorgetragenen Trends erheblich zunehmen.

Zur Bewältigung dieser Nachfrage werden für den Güterverkehr alle Ver- kehrsträger bis an ihre Infrastrukturgrenzen gefordert. Aufgrund der Nachfrage nach Zeit bestimmten und sogar Reihenfolge bestimmten Transporten wird der Zuwachs des Straßengüterverkehrs ein Vielfaches des Zuwachses des Schienen- güterverkehrs betragen. Den Gütersammel- und Verteilverkehr wird weiter das Lieferfahrzeug dominieren. Auf einem Lastkraftwagen war das Bonmot zu lesen: Bis man Äpfel mit E-Mail versenden kann, müssen wir uns die Straße noch teilen.

Eisenbahn und Schiff haben demgegenüber Vorteile bei Schütt- und Massengütern, über große Entfernungen und bei einem Be- und Entladeort. Im grenzüberschreitenden europäischen Schienenverkehr bestehen immer noch erhebliche technische und systemische Beschränkungen.

Durch die globalen Produktionsnetzwerke wird die Güterverkehrsnachfrage mit Flugzeug und Nutzfahrzeug stark wachsen.

Ein Beispiel ist die Produktion eines Mobiltelefons für den europäischen Markt in Ungarn mit Zulieferungen der Kamera aus Japan, der SIM-Karte aus Indien, des Ladekabels aus China und des Gehäuses aus Ungarn. Dem liegt die von Politik und Markt geforderte Strategie zugrunde: Think global, act local.

Durch den globalen Produktionsverbund wird für spezifische Produkte die Luftfahrtlogistik zunehmen. Die Luftfahrtindustrie hat sich verpflichtet, das erwartete Wachstum rohstoff- und emissionsneutral zu erreichen. Die Flugzeugtechnologie hat nur geringe Alternativen zur Triebwerktechnik und zum Kerosin.

Die Folgerungen sind: Die Diskussion über Verkehrsinfrastruktur und Ver- kehrsträger erschöpft sich allzu oft in einem Gegeneinander um politische Regelungen und finanzielle Zuwendungen. Der Wettbewerb sollte nicht durch Regelungen oder Steuern verzerrt werden. Die wachsenden Verkehrsströme sind nur zu bewältigen, wenn das Ziel eines Verkehrsträger übergreifenden und vernetzten Gesamtsystems mit Nutzung der spezifischen Eigenschaften verfolgt wird. Die europäische Kommission hat daher kürzlich einen Aktionsplan zur Einführung intelligenter Verkehrsströme veröffentlicht. Die Ziele sind Effizienz, Nachhaltigkeit, Kapazität und Kooperation.

So ist für den Personenverkehr die Verkehrsträger übergreifende Erfassung und Vernetzung von Daten zur Information und Navigation zu verbessern. Ziel ist ein telematikgestützter intermodaler Verkehr.

Die Vernetzung des Güterverkehrs auf Wasser, Schiene und Straße ist durch intermodalen Verkehr mit Containern und Terminals zu verbessern.

Die wachsende Grundlast im Güterverkehr und die zunehmende Spitzenlast im Personenverkehr können zu einem Kollaps im Straßenverkehr führen. Im Vergleich der Staufreiheit als Maß für die Qualität der Verkehrsinfrastruktur liegt Deutschland in Europa auf dem vorletzten Platz.

Wirtschaft und Verkehr wachsen seit 50 Jahren gleichförmig. Personenwagen und Nutzfahrzeuge bleiben die dominanten Verkehrsträger. Die Steuern und Abgaben der Straßenverkehrsträger sind viermal so hoch wie die Kosten der Straßenverkehrsinfrastruktur. Die Automobilindustrie ist ein entscheidender Faktor für Wirtschaft und Beschäftigung in Deutschland. Sie verantwortet mit 320 Mrd. € 20 % des Umsatzes und mit 20 Mrd. € 35 % der Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen der deutschen Industrie.

6.3 Personenwagen und Nutzfahrzeuge als vorherrschende Verkehrsträger, ihre Antriebstechnologien

Für die Automobilindustrie ist die größte Herausforderung der nächsten Zeit das Erreichen der politisch gesetzten Umweltschutzziele. Damit verbunden ist eine Verringerung des Kraftstoffverbrauchs. Laut Vorgabe der Europäischen Union soll die CO2-Emission für die Flotte eines Personenwagenherstellers im Jahr 2012 nur noch 120 g CO2/km betragen. Der durchschnittliche Wert aller in 2010 in Deutschland zugelassenen Personenkraftwagen war 154 g CO2/km. Es wird erörtert, für das Jahr 2020 einen Wert von 95 g CO2/km zu fordern.

Ähnlich anspruchsvolle Vorgaben sollen auch für Nutzfahrzeuge gültig werden. Im Jahr 2017 soll für die Flotte von leichten Nutzfahrzeugen eines Herstellers ein Wert von 175 g CO2/km erreicht werden. Der durchschnittliche Wert der im Jahr 2010 in Deutschland zugelassenen leichten Nutzfahrzeuge war 210 g CO2/km. Für das Jahr 2020 soll sogar ein Wert von 147 g CO2/km erreicht werden. Dies erfordert auch emissionslose Antriebe. CO2 Grenzwerte für schwere Nutzfahrzeuge und Omnibusse werden sicher folgen.

Mit diesen weitgehenden Umweltschutzzielen wird die Automobilindustrie und letztlich der Nutzer eines Automobils besonders belastet. Im Sinne des zuvor geforderten freien Emissionshandels mit einem einheitlichen Preis pro Tonne CO2 sollten Emissionen dort gesenkt werden, wo es volkswirtschaftlich am günstigsten ist. Die Senkung bei Kraftfahrzeugen ist eine teure Lösung.

Für Personenwagen und Nutzfahrzeuge stehen als Antriebstechnologien zur Wahl:

Reife Antriebe

die Verbrennungsmotoren Ottomotor und Dieselmotor sowie

Neue Antriebe

der batterieelektrische Antrieb, allgemein als Elektromotor bezeichnet

die Brennstoffzelle in Kombination mit dem batterieelektrischen Antrieb und schließlich

der Hybridantrieb in Kombination Verbrennungsmotor und batterieelektrischer Antrieb

6.3.1 Verbrennungsmotoren Ottomotor und Dieselmotor

Bei den Verbrennungsmotoren sind die Möglichkeiten zum Verringern von Emission und Kraftstoffverbrauch keineswegs ausgeschöpft.

Zwischen den Bauweisen Ottomotor und Dieselmotor besteht bekanntlich ein Wettbewerb. Der Ottomotor hat im Vergleich Vorteile bei der Abgasemission und Nachteile beim Kraftstoffverbrauch. Der Dieselmotor hat umgekehrt Vorteile beim Kraftstoffverbrauch und Nachteile bei der Abgasemission. Wäre in den USA der Anteil des Dieselmotors so hoch wie in Europa, bräuchte das Land kein Erdöl zu importieren.

Die Entwicklung des Ottomotors konzentriert sich daher auf die Senkung des Kraftstoffverbrauchs. Die größten Chancen bestehen einsatzbedingt im Teillastbereich, so im städtischen Stop-and-go-Verkehr. Möglichkeiten sind Hubraumver- kleinerung, Aufladung, Ladungswechseloptimierung und Thermomanagement.

Beim Dieselmotor sind weitere Möglichkeiten zum Verringern der Abgasemission Aufladung, Ladungswechseloptimierung und Thermomanagement. Der Kraftstoffverbrauch des Dieselmotors wird weiter um 30 % niedriger als der des Ottomotors sein.

Ein weiteres Potential der Verbrennungsmotoren ist die Niedertemperaturverbrennung. Hierbei werden ähnliche Ansätze bei Otto- und Dieselmotor verfolgt. Die beiden Bauweisen nähern sich an.

Das Ergebnis dieser Entwicklungen könnte sein, daß ein Personenwagen der Kompaktklasse mit Dieselmotor mittelfristig eine Emission 75 g CO2/km erreicht.

Dieser Erwartung stehen gegenläufige gesetzliche Regelungen entgegen, wie zu Sicherheit und zu Außengeräusch sowie Kundenwünsche, wie Klimaanlage oder elektrische und elektronische Bedienmodule. Eine Klimaanlage verbraucht etwa 8 % der Energie.

Langfristiges Ziel der Automobilindustrie ist jedoch eine Antriebstechnologie ohne Emission und ohne Verwendung fossiler Kraftstoffe. Entwicklungsschwerpunkte sind der batterieelektrische Antrieb und der Antrieb mit Brennstoffzelle in Verbindung mit dem batterieelektrischen Antrieb. Kurzfristiger Entwicklungsschritt ist der Hybridantrieb, der Elemente des batterieelektrischen Antriebs mit solchen des Verbrennungsmotors kombiniert. Die Entwicklungsstufen sind Micro Hybrid, Mild Hybrid und Full oder Plug In Hybrid.

6.3.2 Batterieelektrischer Antrieb

Die wesentlichen Bauelemente des batterieelektrischen Antriebs sind Elektromotor und Batterie.

Für die Serienfertigung und Marktdurchdringung des batterieelektrischen Antriebs sind einige Voraussetzungen erforderlich:

1Verfügbarkeit von effizienten Batterien

2Aufbau einer standardisierten Infrastruktur zum Laden der Batterien und besonders

3Aufbau einer Wirtschaft auf der Grundlage regenerativ erzeugter Energie

Unter diesen Voraussetzungen hat der batterieelektrische Antrieb große Stär- ken. Er weist auf: gute Beschleunigung, geringe Geräusche und keine Abgase. Eine anspruchsvolle Hürde unter diesen Voraussetzungen ist der Energiespeicher, die Batterie.

Die bislang im Automobilbau eingesetzten blei- oder nickelbasierten Batterien haben gravierende Nachteile: Die Ladezeit beträgt mehrere Stunden und die Energiedichte ist gering.

Die Entwicklung setzt derzeitig auf Lithium Batterien. Sie werden, wie bekannt, seit längerer Zeit in der Elektronik für Mobiltelefone, Kameras und Computer verwendet.

Darüber hinaus setzt die Forschung auf Metall/Luft Batterien sowie Lithium/Luft Batterien. Zink/Luft Batterien werden seit längerer Zeit in Hörgeräten eingesetzt.

Das Ziel der Forschung auf dem Feld der Batterien ist, Leistungsdichte, Zuverlässigkeit, Lebensdauer, Sicherheit und besonders die Reichweite zu erhöhen. Allerdings bestehen grundsätzliche physikalische Grenzen, die die Energiedichte des batterieelektrischen Antriebs beschränken.

Zu Fragen der Standardisierung haben die beitragenden deutschen Unterneh- men der Branchen Automobilbau, Energieversorgung, Elektrotechnik und Chemie eine Plattform Elektromobilität gebildet.

6.3.3 Brennstoffzelle mit batterieelektrischem Antrieb

Die Elemente des Antriebs Brennstoffzelle mit batterieelektrischem Antrieb sind zum einen die bereits genannten des batterieelektrischen Antriebs, also Elektromotor und Batterie, zum andern die der Brennstoffzelle, also Zelle und Tank für Wasserstoff.

In der Brennstoffzelle erzeugen die Gase Wasserstoff und Sauerstoff durch eine kontrollierte elektrochemische Reaktion elektrische Energie und Wärme unter Abgabe von Wasser. Die gewonnene elektrische Energie wird in der Batterie gespeichert. Die übrigen Prozesse gleichen dem batterieelektrischem Antrieb.

Die Vorteile einer Brennstoffzelle mit batterieelektrischem Antrieb sind eine beherrschbare Betankung, ähnlich der heute bekannten Gasbetankung von Verbrennungsmotoren, eine rasche Betankung und eine Reichweite vergleichbar mit der eines Verbrennungsmotors.

Für eine Serienfertigung und Marktdurchdringung der Brennstoffzelle mit batterieelektrischem Antrieb sind eine Reihe von Voraussetzungen erforderlich:

1Aufbau einer Infrastruktur für die Versorgung und das Tanken mit Wasserstoff und

2Aufbau einer Wirtschaft mit regenerativ erzeugtem Wasserstoff

Für die Erzeugung und Verteilung des Wasserstoffs haben die Unternehmen der Branchen Automobilbau, Energieversorgung, Mineralölindustrie und Kältetechnik eine Initiative H2 vereinbart.

6.3.4 Hybridantrieb

Aufgrund des noch langfristigen Horizonts zur Marktdurchdringung der Elektroantriebe werden von der Automobilindustrie bereits heute Brücken­technologien in Form von Hybridantrieben angeboten. Er enthält alle Module des Verbrennungsmotors sowie alle Module des batterieelektrischen Antriebs. Ziel ist, den Verbrennungsmotor stetig im optimalen Effizienz- und Emissionsbereich zu betreiben, den batterieelektrischen Antrieb für das Beschleunigen einzusetzen sowie Energie zurückzugewinnen und zu speichern. Es bestehen Stufen von Micro Hybrid über Mild Hybrid bis Full Hybrid oder Plug In Hybrid.

Die Stufe Micro Hybrid besitzt keinen batterieelektrischen Antrieb. Diese Stufe enthält Module zur Rückgewinnung von Energie.

Bei der Stufe Mild Hybrid unterstützt ein batterieelektrischer Antrieb mit geringer Leistung zeitweilig den Verbrennungsmotor. Diese Kombination bietet eine große Freiheit zur Steuerung des Verbrennungsmotors im verbrauch- und emissionsarmen Betrieb. Das bedeutet allerdings einen Mehrpreis für die zusätzlichen Komponenten Elektromotor und Batterie.

Die letzte Stufe ist der Full Hybrid oder Plug In Hybrid. Er bedeutet die Brücke mit allen Komponenten des Verbrennungsmotors und des batterieelektrischen Antriebs. Der batterieelektrische Antrieb verfügt über eine befriedigende Leistung und Reichweite. Die Batterie kann durch eine Station oder den Verbrennungsmotor aufgeladen werden.

6.4 Wertung und Ausblick

Die Wirkungsgrade der dargestellten Antriebe sind vom Tank bis zum Rad: Benzinmotor 20 %, Dieselmotor 25 %, Hybridmotor 30 % und Brennstoffzelle mit batterieelektrischem Antrieb 50 %. Dies spricht für den Elektromotor.

Weitere Chancen zur Senkung des Kraftstoffverbrauchs sind aber auch antriebsunabhängige Entwicklungen: Aerodynamik, Leichtbau mit Aluminium oder fa- serverstärkten Kunststoffen, Roll- und Reibungswiderstand oder Getriebetechniken.

Die Technologieträger der deutschen Automobilunternehmen nutzen die ge- samten Möglichkeiten dieser Antriebs- und Karosserietechniken. Ein solches Fahrzeug kann eine Emission von 50 g/km CO2 erzielen. Für dieses Fahrzeug ist allerdings ein sehr hoher Serienpreis zu erwarten.

Wenn Deutschland seine anspruchsvollen Umweltschutzziele für die vorherr- schenden Verkehrsträger Personenkraftwagen und Nutzfahrzeuge erreichen will, sind die Lösungen der Elektromotor mit Batterie und Brennstoffzelle. Damit wird allerdings nur der mobile Energiebedarf zu einem stationären Energiebedarf verlagert. Damit werden die Fragen zur Energiewirtschaft und zur Energieinfrastruktur, die in den vorhergehenden Ausführungen behandelt wurden, schwerwiegender und eindringlicher.

Wenn Kernenergie ausgeschlossen und durch Kohleenergie substituiert werden sollte, ist der alternative Antrieb durch Elektromotoren in der Energie- und Emissionsbilanz sinnlos.

Neben diesen offenen Fragen der Energiewirtschaft und der Versorgungsinfrastruktur stehen Fragen der Finanzierung der außerordentlich hohen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung.

Grenzen sind zunehmend der Mangel an Ingenieuren und Naturwissenschaft- lern. Die deutsche Automobilindustrie versucht heute, diese Grenzen durch globale Kooperationen zu überwinden.

Ein Risiko für das Land Baden-Württemberg ist der Wandel von einem mechanischen Antrieb zu einem elektrischen Antrieb. Hierfür sind neue Fähigkeiten erforderlich. Zur Unterstützung dieses Wandels hat das Land ein Netzwerk „automotive bw“ ins Leben gerufen.

Eine weitere offene Frage ist die Akzeptanz der Kraftfahrzeuge mit alternativem Antrieb im Markt. Im Grunde ist der Kunde mit der heutigen automobilen Technik vertraut und mit Funktion, Zuverlässigkeit und Infrastruktur einverstanden. Er benötigt keinen alternativen Antrieb. Er ist wahrscheinlich auch nicht bereit, Minderung des Komforts und noch weniger höhere Kosten anzuerkennen. Das Bekenntnis zum Umweltschutz endet gemeinhin bei der Geldbörse.

Die deutsche Automobilindustrie bietet seit 2009 Personenwagen mit Hybridantrieb und seit 2010 mit batterieelektrischem Antrieb an. Erste Personenwagen mit Brennstoffzelle und batterieelektrischem Antrieb sind 2016 zu erwarten.

Im Jahr 2010 wurden in Deutschland 500 Fahrzeuge mit batterie­elektrischem Antrieb abgesetzt.

Die Prognose für die Marktdurchdringung im Jahr 2020 ist: In Deutschland wird dann der Marktanteil der Hybridantriebe auf 15 % und der Marktanteil der Elektroantriebe auf 2 % geschätzt. Dem entspricht das politische Ziel der Bundesregierung im Jahr 2020 mit 1 Mio Fahrzeugen mit emissionsfreiem Antrieb. Ein besonders ehrgeiziges Ziel hat China. Es beabsichtigt, das Land zu dem weltweit führenden Hersteller für Fahrzeuge mit Elektroantrieb und Hybridantrieb zu entwickeln und im Jahr 2020 einen Bestand von 4 Mio solcher Fahrzeuge zu erreichen.

Meine Prognose ist: Der Verbrennungsmotor wird im mittelfristigen Zeitraum seine aufgezeigten Potentiale erschließen und den Antrieb für Personenkraftwagen und Nutzfahrzeuge weiter dominieren. Der Elektromotor wird ihm aufgrund der ungelösten Voraussetzungen in einer Evolution, nicht in einer Revolution im langfristigen Zeitraum folgen.