10 Ever the Best: Zu den Geisteswissenschaften in der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft: Dynamiken, Rhetoriken, Perspektiven

Gerhard Wolf

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10.34663/9783945561010-11

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Wolf, Gerhard (2015). Ever the Best: Zu den Geisteswissenschaften in der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft: Dynamiken, Rhetoriken, Perspektiven. In: „Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen“: Auf dem Weg zu einer Geschichte der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft (Second Extended Edition). Berlin: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften.

Die folgenden Überlegungen sind kein Versuch, die Geschichte geisteswissenschaftlicher Forschung und Institutionalisierungen der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft (KWG/MPG) in den letzten hundert Jahren zu überblicken und zu hinterfragen. Dies wäre ein ebenso lohnendes wie wichtiges Unterfangen, bedürfte jedoch intensiver Archivarbeit und wäre wohl am besten von einem kleinen Team in Kooperation einiger Institute zu leisten. Hier möchte ich nur kurze spotlights werfen auf einzelne Momente und Aspekte dieser Geschichte und zugleich fragen nach der Rolle geisteswissenschaftlicher Diskurse in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und Max-Planck-Gesellschaft überhaupt. Welche Rolle spielen sie in der öffentlichen Selbstdarstellung, sei es in den Bauten oder Reden ihrer Präsidenten? Und wie stellt sich diese in die und zu der Humboldt’schen Bildungstradition, wie wird der naturwissenschaftliche Schwerpunkt der Gesellschaft und das wachsende Ensemble von Instituten, zu denen schon früh auch geisteswissenschaftliche gehörten, begründet und präsentiert, welche Denkmodelle und Topoi humanistischer Bildung werden dabei aufgegriffen? Wie verbinden sich Rhetoriken und Praktiken, wo fallen sie in eins oder treten auseinander?

Was die Gründungsphase betrifft, scheinen diese Fragen vorderhand einfach zu beantworten, denn sie war mit Adolf von Harnack als erstem Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft von einem Theologen gestaltet worden. Harnack war ein wortgewaltiger Mann, der in der Kaiserzeit und mit erstaunlicher Flexibilität dann in der Weimarer Republik die wissenschaftliche Kultur und Wissenschaftspolitik im deutschsprachigen Raum mit geprägt hat, vor allem mit dem großen Projekt der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, das er zwar nicht erfunden, aber konzeptuell und auch sprachlich ausgestaltet hat. Man müsste in einem zweiten Schritt die kritischen Momente und verschiedenen Phasen untersuchen, also die nationalistische wie emphatische Begrüßung des Ersten Weltkriegs durch die Gründungsgeneration wie die wenigen kritischen Stimmen, im weiteren die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in der intellektuellen Kultur Weimars, ihre Rolle im „Dritten Reich“ wie den ideologischen Diskursen des Nationalsozialismus, ferner die Gründungsphase der Max-Planck-Gesellschaft in der jungen Bundesrepublik, die neuen, gerade für die Geisteswissenschaften interessanten Ansätze in den 1960er Jahren, die Zeit um und nach 1990 im Umfeld der Vereinigung von Ost- und Westdeutschland und schließlich die letzten Jahre.

Abb. 10.1: Den Haupteingang der Generalverwaltung in München flankiert ein von Fernando de la Jara geschaffenes Großrelief der römischen Göttin Minerva in dunkelgrünem Granit.

Abb. 10.1: Den Haupteingang der Generalverwaltung in München flankiert ein von Fernando de la Jara geschaffenes Großrelief der römischen Göttin Minerva in dunkelgrünem Granit.

Ich beginne mit einem Blick auf das Hauptgebäude der Max-Planck-Gesellschaft in München, das 1994 bis 1999 von den Architekten Rudolf Graf, Angelika Popp und Michael Streib errichtet worden ist. Wenn man die Brücke über den kleinen Wasserlauf gegenüber dem Hofgarten und der Staatskanzlei überschreitet, zwischen dem Positiv und Negativ des Profils der Minerva, die der peruanische Künstler Fernando de la Jara in grünem, südafrikanischen Granit geschaffen und im Relief vorsichtig belebt hat, tritt man auf ein schönes Homerzitat. Das wird zwar gewiss nicht von allen Besucherinnen und Besuchern, die in unterschiedlichen Gemütslagen und vielfach in Eile diese Schwelle überschreiten, wahrgenommen oder gar studiert, aber es ist doch subkutan wirksam und eine sprechende Wahl. ΑΙΕΝ ΑΡΙΣΤΕΥΕΙΝ ΚΑΙ ΥΠΕΙΡΟΧΟΝ ΕΜΜΕΝΑΙ ΑΛΛΩΝ, ΜΗΔΕ ΓΕΝΟΣ ΠΑΤΕΡΩΝ ΑΙΣΧΥΝΕΜΕΝ. Es handelt sich um einen Spruch, der aus der Welt des humanistischen Gymnasiums bekannt ist. Der Vers stammt aus dem 6. Gesang der Ilias, und liest sich prosaisch übersetzt: Immer der Beste sein und den anderen überlegen, und dem Geschlecht der Väter keine Schande bereiten.

Man sieht sogleich, wie die Selbstdarstellung der Max-Planck-Gesellschaft mit der schon seit den Anfängen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft präsenten Minerva und dem zwischen ihrem Profil und ihrem Gegenbild eingeschriebenen Homer-Spruch sich in der deutschen humanistischen Tradition verorten lässt und zugleich die eigene Geschichte reflektiert. Man müsste nachprüfen, ob das Homerzitat schon bei Harnack und in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft eine Rolle spielte, wie zu vermuten ist, generationell lädt der Verweis auf die Vätergeneration auch zum Nachdenken ein, wenn man die Zeit zwischen 1933 und 1945 bedenkt. Und man kann sich fragen, warum man an diesem Ort überhaupt einen Spruch aus dem kriegerischen Kontext der Ilias gewählt hat. Nun hat er als Motto durchaus Tradition in der akademischen Rhetorik, ist schon im 18. Jahrhundert für die University of Saint Andrews nachweisbar und prangt im Wappen des jesuitischen Boston College seit dem 19. Jahrhundert: „Ever the best“.

Erst wenn man sich den Kontext ansieht und die nächsten Verse in der Ilias liest, zeigt sich, dass es sich um eine schöne Geschichte handelt: Es treffen nämlich auf der Mauer im griechischen Lager Diomedes, der gerade eine gewaltige kriegerische Tätigkeit hinter sich gebracht hat, und ein trojanischer Feind zusammen, und die beiden heben an zu blutigem Gefecht. Diomedes, interessiert zu wissen, wen er als Nächsten in die Unterwelt befördern wird, fragt den Gegner, wer er denn sei. Darauf antwortet dieser: „Gleich wie Blätter im Walde, so sind die Geschlechter der Menschen.“ Es spiele keine Rolle, wer er sei, sagt er, um dann doch seine Identität zu enthüllen. Sein Name ist Glaukos, er stammt aus Lykien, und es kommt heraus, dass eine familiäre Verquickung von Diomedes und Glaukos existiert, die darauf hinausläuft, dass es von der väterlichen Seite her eine Beziehung der Gastfreundschaft gegeben hat. Der Spruch, der uns hier beschäftigt, ist ein Monitum, das Hippolochos seinem Sohn Glaukos mit auf den Weg gegeben hatte. Nachdem letzterer seine Erzählung beendet hat, pflanzt Diomedes seinen Speer „in die nahrungssprossende Erde“, sie verzichten auf den Kampf, es beginnt ein Ritual der Gastfreundschaft, sie tauschen die Rüstungen usw.

Dieser Spruch ist natürlich interessant im Kontext des Werkes, weil er das Konkurrenzprinzip mitten in der kriegerischen Konfliktsituation, in die Glaukos letztlich von seinem Vater gesandt wurde, einer friedlichen Begegnung (auch im Bild der Lanze) fruchtbar macht, die Ilias ist ja auch ein Antikriegsepos. Man kann das „aei aristeuein“ als Leitmotiv der agonalen Kultur Griechenlands im Sinne von Jakob Burckhardt (1785–1858) lesen. Es gehört, wie wir gesehen haben, zum Bestand europäischer und amerikanischer akademischer Rhetorik, und ist insofern auch auf der Brücke zur Münchner Generalverwaltung der Max-Planck-Gesellschaft eine Referenz auf die klassische Zitatkultur des graekophilen europäischen Bildungskanon. Mit seinem schönen Bedeutungsspiel fügt es sich aufs beste in das inverse Doppelbild der Minerva und ruft zugleich Kontinuität und Neubeginn im Verhältnis von Max-Planck-Gesellschaft und Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft auf.

Der zweite Aspekt, der nur sehr kurz angesprochen sei, betrifft die Rolle der Geisteswissenschaften in der offiziellen Sprache der Max-Planck-Gesellschaft in der Öffentlichkeit wie gegenüber der Politik. Gemeint sind Geisteswissenschaften im engen Sinne, nicht die Institute und Disziplinen, die heute in der Geistes-, Sozial- und Humanwissenschaftlichen Sektion vertreten sind, ich schließe Sozialwissenschaften aus, nehme auch Jura im Allgemeinen heraus, weil dies ein eigenes Thema wäre. Es bleiben im Blick über die hundert Jahre Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und Max-Planck-Gesellschaft von 1911 bis 2010 Kunstgeschichte, Geschichte, Rechtsgeschichte, Bildungsforschung und Wissenschaftsgeschichte. Die Frage, von der ich spreche, ist im Grunde Teil jener größeren nach dem Zusammenspiel der allgemeinen mission der Gesellschaft mit dem historisch gewachsenen, aber nicht einem übergreifenden Konzept sich verdankenden „Reigen“ der Institute. Wenn man die offiziellen Reden des Präsidiums der letzten beiden Jahrzehnte überschaut, sieht man das Problem sehr deutlich: In Einzelfällen werden Glanzleistungen aus den betreffenden Instituten erwähnt oder Neugründungen entsprechend begründet oder gewürdigt, aber die Geisteswissenschaften spielen ansonsten eine sehr marginale Rolle.

Natürlich wird niemand die große Prävalenz naturwissenschaftlicher Forschung in der Gesellschaft kritisieren wollen und eine stärkere Balancierung mit geisteswissenschaftlicher Arbeit einfordern, gleichwohl wäre es wichtig, die Gesellschaft immer wieder in ihrer ganzen Breite, in ihren offiziellen und öffentlichen statements in ihrer Vielfalt und ihrem inneren Zusammenspiel vorzustellen. Einmal mehr ist das auch eine Frage nach der Struktur der Öffentlichkeit und der Polyphonie in der Max-Planck-Gesellschaft selbst, der Autonomie der einzelnen Institute und ihrer eigenen Präsenz in den Medien etc. Gleichwohl (und es ist gewiss viel besser so als umgekehrt) wurde seitens der Max-Planck-Gesellschaft mehr für die geisteswissenschaftliche Forschung getan, als das angesichts des Gesamtbildes der Max-Planck-Gesellschaft einer Öffentlichkeit bewusst geworden ist oder zu vermitteln versucht wurde.

Wenn man sich die Rhetorik Adolf von Harnacks in der Gründungsphase ansieht, stellt sich das anders dar. Das liegt nicht allein an Harnacks theologischer, historischer und umfassender geisteswissenschaftlicher Versiertheit, es hat auch etwas mit einer anderen Begründungskultur zu tun, nämlich seinerzeit der Notwendigkeit zur Einrichtung außeruniversitärer, meist naturwissenschaftlicher Institute für die politischen Träger und die Öffentlichkeit in einem stark von der Humboldt’schen Tradition geprägten preußischen bzw. nationalen Bildungsdiskurs zu formulieren und dieses Modell zu „promoten“. Wissenschaftspolitik ist ein Begriff, der sich just in diesen Jahren zu verbreiten begann. Unter diesen Prämissen wäre der Vergleich der spätkaiserzeitlichen Jahre, des Ersten Weltkriegs und der jungen Weimarer Demokratie zwischen Kontinuitäten und Brüchen – gerade auch angesichts der großen Umbrüche im naturwissenschaftlichen Weltbild – bei zum Teil denselben Akteuren von großem Interesse.

Der „Ort“ der Wissenschaft in der öffentlichen und politischen Kultur ist heute ein anderer, und so auch die Sprachen und Leitbilder. Naturwissenschaft bestimmt als Paradigma gesellschaftsrelevanter Forschung die Sprache fast aller Protagonisten und Medien, Wissenschaft ohne Präfix wird oft gleichgesetzt mit science und auf die Naturwissenschaften bezogen, darin fügt sich das Selbstbild der Max-Planck-Gesellschaft auf das Beste ein. Auch hier ist mein Monitum nicht als lamentatio einer sich zurückgesetzt fühlenden Minderheit zu verstehen, den Geisteswissenschaften in der Max-Planck-Gesellschaft im Verbund ihrer Sektion und der beiden anderen geht es ja recht gut (wobei ich die Frage nach den Schwierigkeiten in der Wahrnehmung und im Aushandeln ihres spezifischen Bedarfs bzw. ihrer Situation in den sektionsübergreifenden Planungen und Prozessen nicht anspreche) und die Tendenzen der jüngsten Zeit sind besonders vielversprechend. Gerade dies lädt dazu ein, einmal über die Geschichte der Geisteswissenschaften in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und Max-Planck-Gesellschaft nachzudenken und zugleich die Frage nach der offiziellen Darstellung ihrer Rolle zu stellen. Und damit noch einmal zurück in die Gründungsphase der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft.

Wenn wir von der geisteswissenschaftlichen Versiertheit von Harnack sprechen, so gilt dies wie angedeutet für seine Fähigkeit, die Notwendigkeit einer naturwissenschaftlich orientierten Forschungsgesellschaft in der Sprache der Bildungselite zu vertreten, heißt aber nicht, dass er sich allzu intensiv um entsprechende Institutsgründungen in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft bemüht hätte oder ein entsprechendes Konzept verfolgt hätte. Ohnedies waren die staatlichen Mittel knapp und die privaten Förderungen an Interessen gebunden. Harnack hat seine offizielle Auffassung in seinem Memorandum von 1909 an Kaiser Wilhelm so formuliert: „Die Naturwissenschaften mögen dabei im Vordergrund stehen, aber auch die Geisteswissenschaften bedürfen heute für ihren Großbetrieb außerordentlicher Mittel; auch sie werden daher im Zusammenhang mit der Stiftung einer solchen Vereinigung angemessen zu berücksichtigen sein.“ Im Falle des ältesten geisteswissenschaftlichen Instituts der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft kann man jedenfalls, freundlich gesprochen, von einer großen Skepsis Harnacks sprechen. Ich meine die Bibliotheca Hertziana in Rom, die 1913 dank der testamentarischen Stiftung von Henriette Hertz inklusive eines Stiftungskapitals als eines der ersten Institute überhaupt in die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft aufgenommen wurde.

Die Geschichte ist auch angesichts der Hundertjahrfeier des Instituts im Jahr 2013 recht gut bearbeitet (vgl. zuletzt etwa Ebert-Schifferer 2013 in dem Sammelband 100 Jahre Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte); und sie betrifft nicht allein die Stiftung von Henriette Hertz mit ihrem römischen Palast, sondern auch das Deutsche Historische Institut in Rom (DHI) sowie das 1897 gegründete Kunsthistorische Institut in Florenz (KHI), das 2002 in die Max-Planck-Gesellschaft aufgenommen wurde. Hier nur ein Blick sozusagen aus Berliner Perspektive: Die Aufnahme dieses Instituts in die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ist ein Akt von Realpolitik und war begleitet von Polemiken. Zu den Gegnern gehört Harnack selbst, der sich gegenüber seiner sonst eleganten Rhetorik zu äußerst negativen Äußerungen verstiegen hat, er spricht von einem Giftpilz und dass man sich vor dem Ästhetizismus bzw. Salonästhetizismus zu hüten habe – ich will den Invektiven nicht mehr Raum geben. Dahinter steht neben dem Unverständnis für die Mäzenin Hertz und ihr Lebenswerk auch eine Haltung traditioneller, philologischer und historischer Forschung gegenüber der jungen Kunstgeschichte, die sich gerade erst wenige Jahrzehnte als geisteswissenschaftliche Disziplin zu behaupten begonnen hatte, interessanterweise waren einige ihrer bedeutendsten, akademischen Begründer Zeitgenossen von Harnack.

Die zentrale Figur in den Versuchen, die Gründung eines römischen kunsthistorischen Instituts institutionell zu kontrollieren, war der Historiker Paul Fridolin Kehr (1860–1944), den ich hier primär wegen seiner Rolle in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ins Spiel bringe. Er war seit 1903 Direktor des Preußischen Historischen Instituts, der zweiten großen, deutschen bzw. preußischen Institutsgründung in Rom nach dem archäologischen Institut. Kehr versuchte in Rom bzw. Italien eine Struktur zu schaffen, die historische und kunsthistorische Forschung verband und die er selbst in der Hand haben wollte. Nach seinem Plan sollte es drei kunsthistorische Expertisen geben. Die eine wäre Süditalien, das Reich der Staufer, von ihm selbst geleitet und angesiedelt im Deutschen Historischen Institut. Die zweite wäre das Kunsthistorische Institut in Florenz, dem als Schwerpunkt Nord- und Oberitalien zugedacht war. Als dritten Schwerpunkt hätte man zugelassen, dass sich die Bibliotheca Hertziana mit Rom und Mittelitalien beschäftigte. Das Ganze zusammengefasst unter einer Leitung, die aus einem Dreiergremium bestehen sollte, deren capo supremo Paul Fridolin Kehr geworden wäre. Das hätte das schon florierende Kunsthistorische Institut zu einem unselbständigen Institut gemacht und die Hertziana erst gar nicht zu einer selbständigen Forschungsstätte werden lassen.

Abb. 10.2: Bibliotheca Hertziana, ca. 1913: Die Kunstmäzenin Henriette Hertz (1846–1913) hinterließ der KWG testamentarisch sowohl den Palazzo Zuccari als auch ihre kunsthistorische Bibliothek mit der Bestimmung, ein Forschungsinstitut für Kunst- und Kulturgeschichte zu errichten. Die „Bibliotheca Hertziana“ wurde 1913 unter der Leitung von Ernst Steinmann in Rom gegründet und widmete sich vor allem der Erforschung der italienischen und römischen Kunst der Nachantike, insbesondere der Renaissance und des Barock.

Abb. 10.2: Bibliotheca Hertziana, ca. 1913: Die Kunstmäzenin Henriette Hertz (1846–1913) hinterließ der KWG testamentarisch sowohl den Palazzo Zuccari als auch ihre kunsthistorische Bibliothek mit der Bestimmung, ein Forschungsinstitut für Kunst- und Kulturgeschichte zu errichten. Die „Bibliotheca Hertziana“ wurde 1913 unter der Leitung von Ernst Steinmann in Rom gegründet und widmete sich vor allem der Erforschung der italienischen und römischen Kunst der Nachantike, insbesondere der Renaissance und des Barock.

Woran dieser Plan gescheitert ist bzw. wie er verhindert wurde, steht hier nicht zur Diskussion. Interessant ist in diesem Zusammenhang vor allem, wie der Versuch, in Italien eine Ordnungsstruktur zu schaffen, aufs engste verflochten ist mit den Szenarien preußischer bzw. nationaler Politik im späten Kaiserreich. Ihre Protagonisten waren neben Harnack der 1908 verstorbene Friedrich Althoff und der Berliner Museumsdirektor Wilhelm von Bode (1845–1922), über lange Jahre Vorsitzender des Fördervereins des Florentiner Instituts, der dieses de iure und in vielem auch de facto leitete und seine Ausrichtung bestimmte. Bode war in diesem Punkt ein Gegner von Kehr und bemühte sich um die Autonomie primär des Florentiner Instituts, das wiederum durch die Personalunion von Museumsdirektion und Vereinsvorsitz eng an die Berliner Situation gebunden war. Während in der Gründungsphase des Kunsthistorischen Instituts der selbstgestellte Forschungsauftrag seiner Gründer, einer Gruppe bürgerlich liberaler Professoren, schlicht mit dem Wort „Kunstgeschichte“ bezeichnet wurde, ist die territoriale und epochale Aufteilung Italiens zwischen Hertziana, Kunsthistorischem Institut und Deutschem Historischen Institut ein Kompromiss, den Bode mittrug, um im Gegenzug die Selbständigkeit der kunsthistorischen Institute zu garantieren.

Die Hertziana ist ein Beispiel dafür, wie kontingent und nicht inhaltlich geplant geisteswissenschaftliche Präsenz innerhalb der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft war. Das heißt wiederum nicht, dass es in Fällen von naturwissenschaftlichen Instituten unbedingt anders gewesen wäre. Der Überblick von Renn, Kant und Kolboske in diesem Band zeigt, wie viel Realpolitik hier im Spiel war oder welche anderen Gründe es gab, Institute, die bereits existierten, zu übernehmen. Aber bei den geisteswissenschaftlichen Instituten geht es um einen äußerst kleinen Sektor, dort macht sich das Fehlen von übergreifenden, konzeptuellen Kriterien noch deutlicher bemerkbar, zumal Geisteswissenschaftler keinen Nobelpreis erhalten. Umso wichtiger ist es, zu rekonstruieren, welche Regulative es gab, welche persönlichen Netzwerke eine Rolle spielten, wie Wirtschaft, Politik und Wissenschaft ihre Interessen aushandelten und wie innerhalb der Leitung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Vertreter der Geisteswissenschaften, etwa von Theologie und Geschichte, ein Projekt einschätzten. Wie wir gesehen haben, war das Urteil von Harnack und von Kehr im Falle der Hertziana eher negativ und doch ist die Aufnahme vollzogen worden und daraus wurde eine bis jetzt hundertjährige, erfolgreiche Mitgliedschaft.

Der andere Fall, der hier angesprochen werden muss, ist das Institut für deutsche Geschichte, dessen Gründung Paul Fridolin Kehr betrieb. Wie Harnack oder Planck schaffte auch Kehr die Triangulation aus eigener Forschung, aus Institutionalisierung und aus Wissenschaftspolitik. Als Forscher war er radikaler Positivist, sein Ruf gründet auf der Edition von Papsturkunden und anderen Quellenwerken. Wie angesprochen, wollte er in Rom „aufräumen“, um sich zum „Papst“ einer großen Gesamtstruktur aller deutschen Institute zu machen, und zweitens eine Parallelstruktur in Berlin aufbauen, ja ein historisches Zentralinstitut in Deutschland gründen. Nachdem er mit diesem Versuch u.a. aufgrund des Widerstands von Gustav Krupp von Bohlen und Halbach just 1913 gescheitert war, ließ er in seinen Bemühungen und konzeptuellen Anpassungen an den unterstellten Zeitgeist bzw. die Erwartungen des Kaisers nicht nach, bis 1917 das Institut für Deutsche Geschichte in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gegründet wurde. Es war klein und hatte einen offenen Charakter. Es war in der Staatsbibliothek unter den Linden angesiedelt mit nur wenigen Mitarbeitern, manche von ihnen waren in europäischen Archiven unterwegs.

Dieses der selbst gestellten Forschungsaufgabe adäquate Modell zeigt die mögliche Vielfalt von Strukturen der einzelnen Institute schon in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Kehr will man zugute halten, dass er international gedacht hat. Zugleich gehörte auch er zu den Unterzeichnern des den 1. Weltkrieg befürwortenden Aufrufs der Kulturträger, seine Internationalität konzentriert sich in seinen Worten auf die „Eroberung“ italienischer, französischer und spanischer Archive, wenn auch mit friedlichen Mitteln. Kehr war als Historiker besonders interessiert an Reichsgeschichte, er wollte einen Satelliten in Madrid aufbauen, und zwar für das Studium der Korrespondenz und der diplomatischen Akten von Karl V (1500–1558). Das gelang ihm auch zum Teil, der Zusammenhalt des Instituts bestand primär in der Bindung teilweise rasch wechselnder Mitarbeiter an die autokratische Person von Kehr, der sich mit dem Nationalsozialismus zu arrangieren wusste und das Institut bis zu seinem Tod 1940 dominierte.

Mit dem knappen Blick auf die Bibliotheca Hertziana und das Kaiser-Wilhelm-Institut für Deutsche Geschichte sollten an den beiden ältesten geisteswissenschaftlichen Instituten der Gesellschaft zwei konträre Beispiele vorgestellt werden, wie geisteswissenschaftliche Forschung in die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gelangen konnte. Im Fall der Bibliotheca Hertziana handelte es sich um eine Erbschaft, eine private Finanzierung über ein Testament mit Auflagen, aber auch einer wertvollen Immobilie, einer Forschungssammlung und eines Stiftungskapitals sowie eines Gründungsdirektors (Ernst Steinmann). Trotz einer Verlegenheit, wie ein solches Institut im Ausland innerhalb der deutschen Wissenschaftslandschaft unterzubringen sei, war man etwas widerwillig bereit, es in die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft aufzunehmen, Kehr hatte eine ambivalente Rolle in dieser Geschichte. Und zweitens, von Kehr betrieben, der systematische, konzeptuell durchdachte, wenn auch immer wieder an die aktuellen Verhältnisse angepasste Versuch, innerhalb der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft historische Forschung zu platzieren, der 1917 in eine Institutsgründung mündete mit einer teilweise kreativen Ausgestaltung der inneren Struktur in den 1920er Jahren und ihrer politischen Gleichschaltung nach der Machtübernahme.

Damit ist kein vollständiges Bild der geisteswissenschaftlichen Aktivitäten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft der ersten 20 Jahre gewonnen, es gab weitere Planungen, die nicht unbedingt auf Institutsstrukturen hinausliefen, sondern das Engagement in Großprojekten betrafen. Das waren vor allem archäologische Projekte. Genannt seien die Erforschung indogermanischer Inschriften, ein Projekt zur Darstellung fremder Völker in der ägyptischen Spätantike sowie zur frühislamischen Archäologie. Es wäre von großem Interesse, die vorhandenen Archivbestände für diese temporären Projekte aufzuarbeiten. Damit ließe sich auch das Verhältnis der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zu den Akademien und deren Großprojekten deutlicher fassen, die Beziehung war ebenso osmotisch wie von dem Bedürfnis nach Abgrenzung geprägt, viele Forscher waren in beiden Bereichen aktiv.

Hier halte ich ein, denn es war nicht Ziel der vorausgehenden Bemerkungen, die geisteswissenschaftlichen Netzwerke im Umfeld der Gründung und in den ersten beiden Jahrzehnten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zu rekonstruieren. Vielmehr zielt mein Argument auf die Frage nach dem Ort geisteswissenschaftlicher Forschung innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft von ihrer Gründung bis in die Gegenwart und den Perspektiven für die Zukunft. Dazu galt es, die Dynamiken der Präsidentschaft Harnacks anzusprechen, die im weiteren Horizont der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft insgesamt von Renn, Kant und Kolboske in diesem Band eingehend untersucht werden. Es gab durchaus Potentiale für geisteswissenschaftliche Forschung in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die sicher auch mit der Gründungsfigur von Harnack zusammenhingen, und eine gewisse Weltoffenheit bei allem Patriotismus bei einer Generation von Forschern, die sich im Kaiserreich formiert hatten und ihre Projekte weiterverfolgten in der Weimarer Republik. Manche dachten europäisch und haben auch darüber hinaus an internationalen Netzwerken partizipiert. Manche von ihnen, ob Natur- oder Geisteswissenschaftler, waren nicht nur Forscher, sondern auch wissenschaftspolitisch hoch aktiv.

Ein Anliegen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft war es, in den Naturwissenschaften Voraussetzungen und Bedingungen für international kompetitive Spitzenforschung in Deutschland zu schaffen und zu garantieren. Zugleich fehlten in der frühen Phase der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft die Notwendigkeit wie die wirtschaftlichen und politischen Möglichkeiten für übergreifende Konzepte. Dass es diese kaum gab, ließ zugleich den auf ganz verschiedene Weise in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft etablierten und unterschiedlich strukturierten Instituten ihre Spielräume. Geschichtsforschung sowie Rechtsforschung standen durchaus auf der Agenda von Harnacks und anderer Protagonisten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, man sieht aber, wie schwierig dennoch etwa die Durchsetzung eines historischen Instituts war. Auch unter Historikern wurde das Kehr’sche Projekt kontrovers diskutiert, wiewohl es mit dem Schwerpunkt auf Quellenedition sich für außeruniversitäre Forschung anbot. Die ersten Gründungen von juristischen Instituten ab 1924 hatten primär ausländisches Recht oder Völkerrecht zum Thema, was nach Versailles nahe lag, zugleich auf lange Sicht eine große internationale Perspektive eröffnete.

Damit komme ich kurz zur Max-Planck-Gesellschaft: Das erste geisteswissenschaftliche Projekt der Max-Planck-Gesellschaft war die Neugründung eines historischen Instituts, die 1955 in Göttingen realisiert wurde, es setzte einen Teil der Forschungsprojekte des KWI für Deutsche Geschichte fort, namentlich die Germania Sacra, blieb also zunächst dem positivistischen, quelleneditorischen Geist und der Reichsgeschichte verschrieben bei einer gewissen Öffnung auf übergreifende historische Fragen. Wer die Gründung eines Instituts in der jungen Bundesrepublik erwartet hätte, das die neuen Tendenzen der französischen Annales Schule aufgegriffen oder die jüngste Zeitgeschichte in den Blick genommen hätte, wäre enttäuscht gewesen, auch wenn der Gründungsdirektor Hermann Heimpel (1901–1988), während des Zweiten Weltkriegs Professor in Straßburg, vor allem in seinen späten Jahren die Frage nach der Verantwortung und Schuld der Historiker im „Dritten Reich“ (einschließlich der eigenen) zumindest aufgeworfen hat. Mit seinen Nachfolgern sollte das Haus eine international bedeutende Rolle in der neuen Geschichtsforschung spielen, für die Mediävistik seien hier nur die mentalitäts- und kulturwissenschaftlichen Ansätze Gerhard Oexles genannt, Direktor am Institut bis zu seiner Schließung nach 2004. Es gibt im Übrigen seit etwa 1960 keine, bis zu einer Institutsgründung getriebenen Versuche innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft, Geisteswissenschaften im klassischen Sinn zu befördern. Philosophie, Theologie, Philologie oder andere Sprachwissenschaften waren als Disziplinen lange an den Hochschulen etabliert, also existierte nach dem Subsidiaritätskonzept auch kein entsprechender Bedarf.

In der Zeit der Präsidentschaft von Adolf Butenandt (1960–1972) nahmen die Geisteswissenschaften innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft gleichwohl einen Aufschwung. Die verschiedenen Projekte dieser Phase sollten bald einmal im Archiv recherchiert und im Zusammenhang untersucht werden. Genannt sei die auf lange Sicht erfolgreiche Gründung des Instituts für europäische Rechtsgeschichte 1964 in Frankfurt, die man im Horizont der neuen europäischen Ausrichtung der Bundesrepublik sehen kann, das Institut für Bildungsforschung, 1963 auf Betreiben von Hellmut Becker in Berlin als Reaktion auf die Bildungskrise in Deutschland und der westlichen Welt gegründet, und das 1970 in Starnberg realisierte Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt, ein Experiment im Schnittpunkt zwischen Geistes- und Sozialwissenschaften, das mit Jürgen Habermas und Carl Friedrich von Weizsäcker als Direktoren den großen gesellschaftlichen Umbrüchen und Herausforderungen Rechnung tragen wollte, aber nach zehn Jahren scheiterte, während die Bildungsforschung in Berlin mit einem veränderten, komplexen Forschungsprogramm weiter floriert. Ich will hier nicht den Überblick bis 1972 wiederholen, den Renn, Kant und Kolboske in diesem Band bieten, noch die Liste komplettieren durch einen Blick auf die letzten vierzig Jahre, von der Gründung des Instituts für Psycholinguistik 1980 oder des MPI für Wissenschaftsgeschichte 1994, das zu einem stark vernetzten Kerninstitut der Geisteswissenschaften in der Gesellschaft geworden ist, bis in die Gegenwart, mit Blick auch auf die Entwicklung der Sektion bis zu ihrer Umbenennung in Geistes-, Sozial- & Humanwissenschaften (GSHS) und darüber hinaus.

Erlaubt seien mir aber einige Bemerkungen zu der vielleicht überraschenden Übernahme eines geisteswissenschaftlichen Instituts durch die Max-Planck-Gesellschaft im Jahr 2002, des Kunsthistorischen Instituts in Florenz, dem wir schon im Kontext preußischer Kultur- und Wissenschaftspolitik mit den Protagonisten Kehr, Althoff und Bode in der Gründungszeit der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft begegnet sind. Zur Zeit der Übernahme durch die Max-Planck-Gesellschaft war es 105 Jahre alt, hatte mit staatlicher Förderung und seinem Trägerverein zunächst als privates Institut mit Unterbrechungen in den beiden Weltkriegen und seit den 1970er Jahren als Bundesinstitut eine umfassende Forschungsbibliothek und -photothek zur italienischen Kunstgeschichte mit den oben genannten Schwerpunkten aufgebaut. Es war nicht vorauszusehen, dass es zur Max-Planck-Gesellschaft finden sollte. Dies verdankt sich neben dem Betreiben des Instituts selbst vor allem der Bereitschaft des BMBF, das Kunsthistorische Institut unter Garantie seines Budgets auszugliedern, parallel zur Neustrukturierung der Deutschen Geisteswissenschaftlichen Institute im Ausland, die 2002 in der Max-Weber-Stiftung zusammengeführt wurden. Im Zug der Übernahme des Kunsthistorischen Instituts durch die Max-Planck-Gesellschaft wurde eine Diskussion geführt, die in manchem an jene der Gründungsphase der Bibliotheca Hertziana und an Kehrs oben angesprochene Bestrebungen erinnert, ob man die beiden Institute in Italien nicht besser zu einem zusammenführen solle. Dies wurde bis auf die Etablierung eines gemeinsamen Fachbeirates (bis 2012) vermieden, zu verschieden waren die Traditionen der Häuser und ihre Forschungsagenda.

Mit der Übernahme durch die Max-Planck-Gesellschaft bot sich dem Kunsthistorischen Institut die Chance zu einer Ausweitung seines wissenschaftlichen Profils. Es begann eine Phase der Öffnung unter anderem auf transkulturelle Fragestellungen und der Neubestimmung seiner Position in der internationalen kunstgeschichtlichen Forschung, die darzulegen allzu sehr ein Argumentieren pro domo wäre. Worauf es mir hier ankommt, ist etwas anderes: Die Existenz zweier Institute einer Disziplin wie der Kunstgeschichte ist durchaus eine Anomalie in der Max-Planck-Gesellschaft, sie verdankt sich einmal mehr weniger einer konzeptuellen Planung innerhalb der Sektion oder der Gesellschaft, als dem zunächst kontrovers diskutierten Aufnehmen eines Angebots etwa von Seiten der Politik oder der Wirtschaft. Es war nicht gebunden an ein neu formuliertes Konzept für das Institut, sondern gründete auf einer Evaluierung seiner aktuellen Forschung, schuf aber mit der Perspektive auf eine zweite Direktion und andere Vorzüge eines Max-Planck-Instituts den Spielraum für die angesprochene Öffnung am Institut selbst. Ganz anders liegt der Fall bei der Gründung des Instituts für empirische Ästhetik, mit den ersten beiden Abteilungen operativ seit dem Jahr 2013, der eine höchst intensive Debatte in den Gremien der Max-Planck-Gesellschaft vorausging. Sie basiert auf dem Vorschlag von Kollegen der Sektion und einem von ihnen vorgelegten Konzept. Bei der Diskussion in der GSHS bemerkte ein Mitglied, dass von den beiden historischen Zufällen der Kunsthistorie in der Max-Planck-Gesellschaft abgesehen, ästhetische Fragestellungen bisher nicht untersucht worden seien. Hier gebe es nun einmal eine Chance, solche planvoll auf den Weg zu bringen.

Diese Beobachtung ist historisch nicht falsch – weder für die Übernahme der Hertziana 1913 noch für jene des Kunsthistorischen Instituts 2002. Es hat sich nur auch gezeigt, dass es verschiedene Wege in die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und Max-Planck-Gesellschaft gab und gibt, und manche Übernahmen verdanken sich äußeren Gründen. Auch wenn sie dann einer Prüfung unterzogen wurden, sind sie nicht Teil eines übergreifenden Konzepts der Gesellschaft. Forciert gesagt, hat es ein solches nicht immer gegeben oder genauer verdankt sich die übergreifende Agenda einer subtilen Balance der Autonomie bzw. Eigendynamik einzelner Institute mit einem Zusammenspiel mehrerer Faktoren innerhalb und außerhalb der Gesellschaft und der grundsätzlichen Aufgabe der Förderung von Grundlagenforschung. Das wiederum betrifft die Planungsspielräume und die Rolle des Präsidiums und des Präsidenten, deren Wandel Renn, Kant und Kolboske für die verschiedenen Stationen von Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und Max-Planck-Gesellschaft skizzieren. Und an diesem Punkt wären wir wiederum bei dem zweiten Thema, das mich hier interessiert hat, den Sprachen und Bildern in den offiziellen Darstellungen des Forschungsauftrags und -profils durch die zentralen Organe der Max-Planck-Gesellschaft und ihre Vertreter, in der wiederum die Rolle der Max-Planck-Gesellschaft in der Gesellschaft insgesamt mit verhandelt und definiert wird.

Bleiben wir bei dem Aspekt der Max-Planck-Gesellschaft als Zusammenspiel der Institute, die ihre Präsenz in der Gesellschaft internen Planungsprozessen oder teilweise kontingenten anderen Gründen verdanken. Letztlich macht dies für den Erfolg eines Instituts keinen allzu großen Unterschied, weil Planung, Berufung und Ausarbeitung der Forschungsagenda durch die Gründungsdirektorinnen und -direktoren bzw. ihre Nachfolger eine Vielzahl von Weichenstellungen und Variablen enthalten, die für den Erfolg fundamental sind. Spezifischer die Geisteswissenschaften und die heutige Situation betreffend, ist der wichtige Punkt jetzt das Erreichen einer kritischen Masse an Instituten und die Neuformierung der transdisziplinären Geistes-, Sozial- und Humanwissenschaftlichen Sektion, was ihre innere Dynamik bereichert hat und eine Vielzahl möglicher Vernetzungen und transversaler Projekte in der und zwischen den Sektionen erlaubt, die internationalen Kooperationen der Institute haben ohnedies eine lange Tradition. Das schafft einen kreativen Raum für Projekte, die wie im Fall der empirischen Ästhetik oder des noch in Planung befindlichen Instituts für Geschichte und Naturwissenschaften neue, sektionsübergreifende Forschungsansätze für Institute, die geisteswissenschaftliche mit natur- und sozialwissenschaftlicher Forschung verbinden.

Dies bedeutet sowohl eine Stärkung der Geisteswissenschaften in der Max-Planck-Gesellschaft wie ihre partielle Neubestimmung jenseits disziplinärer Grenzen, wobei ihre Aufgabe auch in offiziellen Darstellungen nicht sein kann, ein Begleitprogramm als der Naturwissenschaften zu erscheinen, sondern eine eigene gesellschaftlich relevante Aufgabe zu übernehmen durchaus im Dialog zwischen den Disziplinen und Forschungsfeldern. Wenn ich mein Fach als Beispiel nehmen darf, meint dies etwa die Rolle der Kunstgeschichte bei der Wahrung, Deutung und Vermittlung des visuellen bzw. monumentalen Gedächtnisses der Kulturen (in Museen und cultural heritage), die Bildkompetenz unter anderem mit Blick auf Visualisierungen in den Naturwissenschaften, Kreativitätsforschung und die Erforschung ästhetischer Praktiken in globaler Perspektive.

Zusammenfassend gesagt: Auf der einen Seite stehen die Gründungsprozesse von Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und Max-Planck-Gesellschaft sowie die Aushandlungen ihrer Rolle in Staat und Gesellschaft in unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Konstellationen und Konjunkturen, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Kaiserreich, Weimar, Drittem Reich und den beiden Kriegen, der Max-Planck-Gesellschaft in der Bundesrepublik mit ihren verschiedenen Perioden vor und nach 1989. Sie sind verbunden mit allgemeinen wissenschaftspolitischen Weichenstellungen und Dynamiken, auch geprägt von Protagonisten, Gruppen und persönlichen Netzwerken, die durchaus international sein konnten. In diesem Horizont bilden sich Rhetoriken, Sprachregelungen und Repräsentationsformen von Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und Max-Planck-Gesellschaft in der Öffentlichkeit oder im Dialog mit Politik und Wirtschaft aus (immer wieder einmal gerne die humanistischen Topoi ins Feld führend: aie aristeuein). Dies bewegt sich in den letzten hundert Jahren zwischen den Polen, den selbstgestellten bzw. zugebilligten gesellschaftlichen Auftrag zu definieren, zu behaupten und weiter auszugestalten, oder sich politisch anzudienen bzw. opportun zu zeigen, Mischformen hat es gegeben.

Auf der anderen Seite steht ein je unterschiedliches, sich unterschiedlichen Gründungsmomenten und anderen, auch kontingenten Dynamiken verdankendes, sowie ständig in Veränderung begriffenes Ensemble von Instituten, das sich nicht leicht unter die Formel einer übergreifenden Forschungsagenda bringen lässt, gleichwohl auf jeder Stufe dazu einlädt, strukturell überblickt, gedeutet und von seinen Trägern weitergestaltet zu werden, insbesondere vom Präsidium mit seinen Potentialen oder auch Defiziten als solches bedacht und dargestellt sein will. Und dies im besten Fall in katalysatorischer Verschränkung und Ausbalancierung der beiden Dimensionen, darin besteht die Kunst der Darstellung der kreativen Vielfalt der Forschung in der Gesellschaft verbunden mit der notwendigen wissenschaftspolitischen und öffentlichkeitswirksamen „Stimme“. In der heutigen Situation, einem reich ausdifferenzierten Ensemble von ca. 80 Instituten mit ihrer Spitzenforschung und einer damit zugleich noch überschaubaren kritischen Masse lassen sich neue Verbindungen schaffen und übergreifende Forschungsfragen aufspüren, favorisiert durch die Begegnungen und den Dialog von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit ihren eigenen Planungen und Kontingenzen in den Korridoren von Sitzungen oder wo auch immer.