4.1 Private vs. staatliche Forschungsförderung
Die politischen und gesellschaftlichen Debatten um die private Finanzierung von Bildungs- und Forschungseinrichtungen in Deutschland waren in den letzten drei Jahrzehnten vor allem durch das Fehlen einer historischen Perspektive sowie einer stark verzerrten Wahrnehmung der viel gepriesenen, aber oftmals wenig verstandenen amerikanischen Bildungs- und Forschungslandschaft gekennzeichnet. Die fehlgeschlagene Einführung von Studiengebühren lässt dies deutlich werden.1 Unter Verweis auf das amerikanische Vorbild eingeführt, stieß diese Form der Mitfinanzierung einer Universitätsausbildung sehr schnell auf öffentlichen Protest. Studiengebühren, so der generelle Tenor, würden zu einer Ausgrenzung von sozial benachteiligten Studenten führen und damit die Spaltung der Gesellschaft vorantreiben. Dieser durchaus berechtigten Kritik wussten deutsche Politiker nichts entgegenzusetzen, weil sie sich weder der langen Geschichte von Studiengebühren an deutschen Universitäten bewusst waren, noch erkannt hatten, dass auch in den USA Studiengebühren nur einen Aspekt der Studienfinanzierung darstellen. Stipendien sowie staatlich garantierte und subventionierte Studienkredite gehören ebenso dazu.2 Eine historische Betrachtung der Studienfinanzierung in den USA lässt einen klaren Zusammenhang zwischen Einführung und Steigerung von Studiengebühren und der Einführung und dem Ansteigen von Stipendien erkennen. Staatliche Universitäten, die bis in die 1960er Jahre ihren Studenten ein kostenfreies Studium anboten, verfügten über nur wenige Stipendienstiftungen. Private Universitäten hingegen, die ihren Studenten wachsende Studiengebühren abverlangten, waren auf staatliche und private Stipendienprogramme angewiesen, ohne die sich Studenten keine Hochschulausbildung hätten leisten können. Wenn deutsche Bildungspolitiker und Bildungsforscher also etwas von den USA lernen sollten, dann doch vor allem, dass Studiengebühren nur dann Akzeptanz finden, wenn sie durch finanzielle Unterstützungen in Form von Stipendien und kostengünstigen Studienkrediten ausgeglichen werden.3
Auch wenn es um die Finanzierung von Bildungs- und Forschungseinrichtungen geht, scheinen wenig fundierte stereotype Annahmen über Wissenschaft und Forschung in den USA immer noch die deutsche Wahrnehmung der amerikanischen Forschungslandschaft zu dominieren. Allzu oft werden zum Beispiel aktuelle Perzeptionen in die Geschichte projeziert. Helga
Weder in den USA noch in Deutschland entwickelte sich eine klar und eindeutig getrennte Finanzierung von privaten und staatlichen Bildungseinrichtungen, wie am Beispiel der privaten Cornell Universität und der staatlichen Universität zu Leipzig kurz verdeutlicht werden soll. Die im Jahre 1865 mit einer Stiftung von 500.000 US-Dollar durch Ezra
Doch nicht nur die Hochschulen in beiden Ländern waren auf staatliche und private Zuschüsse angewiesen, auch Forschungseinrichtungen und Forschungsgesellschaften verließen sich auf diese Form der Mischfinanzierung. Während in den USA gegenwärtig die Rolle des Staats bei der Finanzierung von Bildung und Forschung vor dem Ersten Weltkrieg – vor allem durch konservative Kommentatoren – heruntergespielt wird, ist es in Deutschland die Rolle privater Geldgeber für Forschung und Bildung, die in Vergessenheit geraten ist oder aber als eine primitive Vorstufe der modernen staatlich-finanzierten Wissenschafts- und Bildungsförderung dargestellt wird. Doch bereits vor über zwanzig Jahren verwies Bernhard vom
Abb. 4.1: Robert von
4.2 Das KWG-Modell im internationalen Kontext
Die Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ist im Vergleich zu anderen durch Stiftungsvermögen beziehungsweise privat finanzierten Forschungseinrichtungen erstaunlich gut erforscht worden. Die von Lothar
In seiner Denkschrift von November 1909 entwickelte der Berliner Theologe Adolf von Harnack basierend auf früheren Plänen des Ministerialbeamten im preußischen Kultusministerium Hugo
Diese stiftungsfeindliche Einstellung bestimmte auch den letzten großen Rechtsstreit um ein Vermächtnis im Staat New York. Der New Yorker Millionär Samuel Jones
Damit war der Weg frei für die Gründung der millionenschweren Stiftungen von John D. Rockefeller (1839–1937) und Andrew
Das Deutsche Kaiserreich besaß gegenüber den USA allerdings einen gewaltigen Vorteil. Stiften und Spenden hatten in Deutschland eine jahrhundertelange Tradition und im Deutschland des 19. Jahrhunderts herrschte weder ein stiftungsfeindliches Klima noch machten die deutschen Einzelstaaten den Versuch, stifterische Aktivitäten einzudämmen. Daraus erklärt sich das gewaltige Anwachsen des Stiftungssektors in den einzelnen deutschen Bundesstaaten. Die im Stiftungssektor des Königreiches Bayern akkumulierten Kapitalien wurden nach Erhebungen des statistischen Landesamtes 1901 auf etwa 550 Millionen Mark geschätzt.23 Damit verfügten allein die bayrischen Stiftungen über mehr Anlagekapital als die deutsche Rentenversicherung im selben Jahr an Rücklagen gebildet hatte (etwa 370 Millionen Mark).24 Es fehlte Deutschland also weder an stiftungswilligen Bürgern noch an den notwendigen Stiftungskapitalien. Dank des industriellen Aufschwungs zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Deutschland ein reiches Land mit etwa 16.000 Millionären geworden.25 Insofern war der Anspruch, dass zunächst sechs Millionen Mark Stiftungskapital eingeworben werden müssten, bevor die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gegründet werden könnte, durchaus realistisch.26 Stattdessen bestand hierbei die Herausforderung darin, die potentiell verfügbaren Kapitalien auf dieses neue und vor allem national konzipierte Projekt zu lenken.
Die Förderung von Bildung und Wissenschaft war neben Kultur, Kunst und Sozialem eines der drei Kernfelder stifterischer Betätigung in den deutschen Staaten. Gymnasien, Hochschulen und Universitäten zählten gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu den Begünstigten stifterischer Aktivitäten und akkumulierten Stiftungskapitalien in Millionenhöhe. Von den etwa 600 Gymnasien Preußens verfügte mehr als die Hälfte (350) über umfangreiche Stiftungen, deren Stiftungskapital sich im Jahr 1901 auf eine Gesamtsumme von mehr als 19 Millionen Mark belief. Die wohl reichste der preußischen Bildungseinrichtungen war das im Jahr 1574 gegründete Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster, das im Jahr 1902 ein Stiftungskapital von mehr als einer Million Mark verwaltete.27 Und die Stipendienstiftungen der Berliner Universität beliefen sich 1914 auf über drei Millionen Mark.28 Insofern erschien das Projekt einer durch Stiftungen und Spenden finanzierten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft als keine große Herausforderung – selbst wenn dafür sechs Millionen Mark nötig waren.
Beim Stiften handelte es sich jedoch immer um einen Akt von Bürgern, die sich um die Finanzierung von Einrichtungen in ihrer unmittelbaren Umgebung und Kommune kümmerten. Die Bürger einer Stadt wie Berlin oder Leipzig stifteten für ihre Schulen, ihre Universität, ihre Museen oder ihre Krankenhäuser und sozialen Wohnungsunternehmen in ihrer Stadt. Nur in Ausnahmefällen kam es dazu, dass sich Stifter finanziell für die Einrichtungen einer Stadt oder Gemeinde verpflichtet fühlten, in der sie nicht (mehr) wohnten oder zu der sie keinen direkten geographischen oder biographischen Bezug hatten. Es kam vor, dass Stifter wie zum Beispiel der in London lebende deutschstämmige Chemiker und Industrielle Ludwig
4.3 Das Modell der KWG im nationalen Kontext
Das Projekt der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die als ein überregionales und sogar nationales Stiftungsprojekt angedacht war, stand im deutlichen Gegensatz zu der traditionell einheimisch orientierten Stiftungstradition in den deutschen Staaten. Auch wäre es falsch, vor 1914 von einem deutschen Stiftungswesen zu sprechen. Unterschiedliche Rechtstraditionen und Stiftungspraktiken hatten zur Ausprägung von einzelstaatlichen Stiftungskulturen – in Form einer bayerischen oder einer sächsischen Stiftungskultur – geführt. Nationale Projekte und Kampagnen wie etwa der Aufruf zur Errichtung von Stipendienstiftungen an der Universität Straßburg fanden nur wenig Resonanz im lokal verankerten Bürgertum der deutschen Großstädte und erwiesen sich daher oftmals als Fehlschlag.30 Insofern gab es zwar in Bezug auf die generelle Verfügbarkeit von Stiftungskapital durchaus günstige Ausgangsbedingungen, doch hinsichtlich der Praxis des Stiftens und Verortung der Stifter weniger förderliche Rahmenbedingungen.
Wenngleich einzelne Stifter wie der Privatbankier Leopold
Damit folgte die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft einem Stiftungsmodell, das sich vor allem im Bereich der Finanzierung bürgerlicher Museen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts fest etabliert hatte. Mit Ausnahme etwa des Städel’schen Kunstinstitutes in Frankfurt am Main und des Wallraf-Richartz-Museums in Köln verdankten bürgerliche Museen wie die Kunstmuseen in Leipzig, Hamburg und Bremen ihre Existenz den Aktivitäten von Museumsvereinen, die die Finanzierung von Sammlungen und Museumsgebäuden durch Mitgliedsbeiträge sowie mittels Schenkungen und Spenden ihrer Mitglieder über eine Kombination der Form des eingetragenen Vereins und der Aktiengesellschaft finanzierten. Diese bürgerlichen Museen entstanden in Auseinandersetzung mit dem etablierten feudalen Monopol an der Museumsgründung und Museumsfinanzierung, die ihren Ausdruck etwa in den königlichen Museen Berlins, Dresdens und Münchens fanden.35 Einer der ersten bürgerlichen Museumsvereine, der zum Vorbild für ähnliche Gründungen von Fördervereinen und Museen vor allem in den USA und Kanada wurde, war der im Jahre 1837 in Leipzig gegründete Kunstverein.36 Typisch für solche Vereine war die Zielsetzung des Museumbaus und der Finanzierung durch finanzkräftige Bürger, die im Gegenzug Anerkennung für ihre Aktivitäten als Stifter erwarteten. Diese Vereine boten Bürgern hierarchische Mitgliederstrukturen, die sich in verschiedenen Mitgliederklassen mit abgestuften Mitgliedsbeiträgen manifestierten, sowie entsprechenden Gegenleistungen in Form von Titeln und öffentlicher Anerkennung durch die namentliche Identifizierung der Beiträge von Stiftern in den Museumssammlungen (wie beispielsweise die Benennung von Museumsflügeln nach Stiftern, die Anbringung von Dankestafeln im Eingangsbereich der Museen, Verweise auf die Stifter eines Ausstellungsstückes durch erklärende Schilder) oder in den veröffentlichten Jahresberichten der Museumsvereine.37 Dieses Modell des kollektiven Stiftens war in deutschen bürgerlichen Museen entwickelt und in amerikanischen Museen vervollkommnet worden, bevor es gegen Ende des 19. Jahrhunderts vom Museumsreformer Woldemar von
Die starke Hierarchisierung von Fördervereinen und die Konzentrierung auf Millionäre als potentielle Vereinsmitglieder war, wie ein Blick auf die bereits existierenden Fördervereine zu kulturellen und wissenschaftlichen Zwecke sowie in die Vorschläge der in die Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft involvierten Personen zeigt, keineswegs ohne Alternative. Museumsvereine wie der Leipziger Kunstverein hatten oftmals Hunderte von Mitgliedern, die relativ geringe Mitgliedsbeiträge zahlten, sich aber darüber hinaus verpflichteten, dem Museum weitere Schenkungen zukommen zu lassen.40 Bereits im März 1910 hatte Walther
Abb. 4.2: Karikatur der Satirezeitschrift „Simplicissimus“ aus dem Jahre 1912 zur Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft: „Die drei Könige aus dem Morgenland bringen ihre Weihnachtsgeschenke.“
Die Modifikationen des deutschen Museumvereinsmodells in den USA beschränkten sich nicht nur auf die Hierarchisierung der Mitgliederstruktur von Fördervereinen. New Yorker Stifter hatten erfolgreich auf eine staatlich-private Partnerschaft der Museumsförderung hingearbeitet, die sich in der Finanzierung der Konstruktion der Museumsgebäude für das Metropolitan Museum of Art und das American Museum of Natural History niederschlugen. Eine derartige staatlich-private Kooperation fand sich auch in dem ersten Entwurf Harnacks für die Finanzierung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Auch wenn sich Harnack letztlich nicht mit seiner ursprünglichen Forderung nach einer paritätischen Finanzierung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft durch den Staat und Stifter gegen das preußische Finanzministerium, das unabsehbare Unterhaltungskosten auf den preußischen Staat zukommen sah, durchsetzen konnte, versicherte Wilhelm
Auch wenn die Organisationsform der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft viele Ähnlichkeiten mit anderen Fördervereinen aufwies, so zeigte sich in der Rolle des preußischen Staats bei der Vereinsgründung und der Einwerbung der Stiftungen und Spenden eine signifikante Besonderheit. Fördervereine waren in der Regel das Resultat eigenständigen bürgerlichen Handelns ohne staatliche Beteiligung. Im Fall der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft wurden nun erstmals alle Verwaltungsorgane des preußischen Staates in den Dienst zur Gründung der Gesellschaft und die Anwerbung von Stiftern gestellt. Regierungspräsidenten, Landräte und Oberbürgermeister in ganz Preußen wurden von Regierungsseite dazu aufgefordert, mit kapitalkräftigen und stiftungswilligen Personen in ihrem Amtsbereich Gespräche zu führen und sie zu Stiftungen und Spenden zu animieren. Dabei ging die preußische Regierung systematisch vor. Zunächst wurden basierend auf den Steuerlisten regionale Verzeichnisse der reichsten Bürger in den einzelnen preußischen Provinzen und Regierungsbezirken zusammengestellt, vom damaligen Düsseldorfer Oberpräsidenten sarkastisch als die „Einkreisung des Edelwildes“ bezeichnet.44 Daran schlossen sich persönliche Gespräche der höheren Regierungsbeamten vor Ort mit potentiellen Stiftern an. Im Ergebnis gelang es über zehn Millionen Mark an Stiftungs- und Spendengeldern einzuwerben.45
Allerdings stellte sich rasch heraus, dass die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft kaum Stifter außerhalb Preußens anzog und damit kaum den Anspruch einer nationalen Fördergemeinschaft für die Wissenschaft in Anspruch nehmen konnte. Lothar
Demgegenüber ist die geringe Beteiligung von Stiftern aus den Provinzen Pommern (2), Ostpreußen (1), Westpreußen (1) und Posen (0) keine Überraschung. Diese Regionen verfügten von jeher über keine nennenswerten Stiftungen oder finanzkräftige Stifter. 1865 befanden sich gerade einmal 2,5 Prozent der preußischen Stiftungen und Fördervereine in Pommern. Die Vergleichszahlen für Westpreußen beliefen sich auf 2,7 Prozent und für Posen sogar nur auf 1,6 Prozent. Lediglich Ostpreußen wies mit 5,5 Prozent einen höheren Anteil auf.49
Abb. 4.3: Senatssitzung der KWG am 11. Januar 1935: Franz von
4.4 Zum Profil der Stifter
Aus dieser regional ungleichen Verteilung lassen sich auch Rückschlüsse auf den sozialen und beruflichen Status der Stifter ziehen. Ostelbische Junker standen dem Projekt wohl desinteressiert bis ablehnend gegenüber.
Der Berliner Baumwollunternehmer James
an der LebenswirklichkeitArnholds allerdings vorbei und scheint auch für andere jüdische Stifter wenig plausibel. Arnhold war 61 Jahre alt, stand auf dem Höhepunkt seiner beruflichen Karriere und war in der Gesellschaft bestens integriert, als die KWG gegründet wurde. Eine weitere ‚Investition‘ in seinen guten Ruf hatte er ebenso wenig nötig wie etwa Franz von Mendelsohn, Paul von Schwabach oder James Simon [...] Der alte preußische Adel, der tiefsitzende antisemitische Vorbehalte pflegte, war durch Stiftungen dieser Geldmagnaten an eine ihnen gänzlich fernstehende Wissenschaftsorganisation ohnehin nicht zu beeindrucken.55
Auch wenn es den Initiatoren um die Etablierung einer nationalen Forschungsgemeinschaft ging, die es dem Deutschen Kaiserreich ermöglichen sollte, mit den anderen Konkurrenten in der wissenschaftlichen Forschung in Washington, Oxford, und Paris Schritt zu halten, gelang es ihnen nicht, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft als ein solches nationales Projekt an die potentiellen Stifter zu verkaufen. Stifter und Stiftungen waren zutiefst lokal verankert und überregionale Projekte hatten es daher von vornherein schwer. Die Entscheidung zugunsten einer elitären mehr oder weniger auf Millionäre begrenzten Fördergemeinschaft anstelle einer breitenwirksamen durch niedrigere Mitgliedsbeiträge finanzierten aber durch den nationalistischen Zeitgeist beförderten Vereinigung mag zu der geringen geographischen Streuung beigetragen haben. Die populäre, alle Gesellschaftsschichten und regionale Grenzen überschreitende Spendenaktion zugunsten der Weiterentwicklung von Zeppelin-Luftschiffen nach der Katastrophe von Echterdingen im August 1908 zeigt, dass breit angelegte Spendensammlungen durchaus beträchtliche Summen – hier waren es immerhin sechs Millionen Mark – aufbringen konnten und gleichzeitig zur Popularisierung eines Projektes, das in diesem Fall zu einem wahrhaft nationalem Projekt wurde, beitragen konnten.58
Die der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zugewendeten Spenden und Schenkungen sowie die staatliche Unterstützung stellten die neue Einrichtung zunächst auf sichere finanzielle Füße. Die Mischung aus Eigenmitteln der Gesellschaft, aus den Zinserträgen der angelegten Stiftungskapitalien sowie der Aufnahme- und Mitgliedsbeiträge, staatlichen Zuschüssen des Staates Preußen und der Reichsregierung sowie private Stiftungen wie zum Beispiel die
4.5 Der erster Weltkrieg und die Folgen
Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs und der Entscheidung der deutschen Regierung, den Krieg vor allem durch die Aufnahme von Kriegsanleihen bei der deutschen Bevölkerung zu finanzieren, veränderte sich die finanzielle Situation der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft rasch. Patriotismus und Kriegsbegeisterung sowie Druck der Landesregierungen überzeugten die Vorstände und Manager von Stiftungen und Fördervereinen in ganz Deutschland, ihre in staatlichen Wertpapieren angelegten Stiftungskapitalien für Kriegsanleihen einzusetzen.62 Stiftungen in Preußen erwarben mehr als 280 Millionen Mark der fünften bis neunten Kriegsanleihe und trugen damit 0,5 Prozent der durch diese Kriegsanleihen aufgebrachten 61 Milliarden Mark zur Finanzierung des Krieges bei.63 Auch wenn der Gesamtbeitrag des Stiftungssektors bei der Anlage von Kapital in Kriegsanleihen recht gering erscheinen mag, waren es in Fällen wie der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die nach Berechnungen von Lothar
Die Inflation der Nachkriegsjahre und vor allem die Entscheidung der Reichsregierung die Kriegsanleihen auf 2,5 Prozent der Schulden zu entwerten, führte zu einer massiven Abwertung des Stiftungskapitals der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Um wenigstens einen geringen Teil ihres Stiftungskapitals zu retten, hatte der Senat der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft entgegen geltenden Rechts, das die Anlage von Stiftungskapitalien in Industrieaktien verbot, im Herbst 1922 den Wertpapierbestand (Staatspapiere und Kriegsanleihen) mit einem Nominalwert von 18 Millionen Mark und einem Kurswert von 64 Millionen Mark verkauft und den Erlös in Aktien angelegt.67 Der Bericht über die 11. Hauptversammlung (1924) konstatierte dann mit Bezug auf die finanzielle Situation der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft:
Durch den Verfall der deutschen Währung im vergangenen Jahre ist auch das Vermögen der Gesellschaft auf einen Bruchteil seines früheren Wertes zusammengeschmolzen. Nach der Goldmark-Eröffnungsbilanz per 1. Januar 1924 beträgt das Gesamtvermögen rd. 400 000 Mk., worin Wertpapiere mit rd. 362 450 Mk. enthalten sind, gegenüber einem Vermögen von 10,5 Millionen im Geschäftsjahre 1914.68
Nach der Währungsstabilisierung entschied sich der Senat dazu, die erworbenen Aktien zu verkaufen und das Stiftungsvermögen wiederum in Staatspapieren anzulegen. Selbst nach der katastrophalen Erfahrung mit der Anlage von Stiftungskapitalien in Kriegsanleihen und der Entwertung dieser Anleihen durch die Regierung, die sich dadurch auf Kosten auch der Stiftungen entschuldete, herrschte in den 1920er Jahren immer noch die Illusion, dass Staatspapiere eine sicherere Anlage als Aktien wären. Zum 31. März 1926 belief sich der Wertpapierbestand der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft auf knapp über 600.000 Mark und das Gesamtvermögen auf etwa 1,3 Millionen Mark. Von einem Überschuss der Einnahmen konnte keine Rede mehr sein, denn die jährlichen Zinseinnahmen aus dem Stiftungskapital beliefen sich gerade einmal auf 53.000 Mark während die laufenden Ausgaben fast 1,6 Millionen Mark betrugen.69 Obwohl in den folgenden Jahren die Zinseinkünfte aus dem in Wertpapieren angelegten Stiftungskapital rasch anwuchsen und immerhin fast 250.000 Mark im Jahr 1929/30 erreichten, war dies bei weitem nicht ausreichend, um die laufenden Kosten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zu bestreiten.70 Auch die wachsenden Mitgliederzahlen – 1926 waren es 418 und 1930 waren es sogar 892 – konnten nur in geringem Umfang zur finanziellen Erholung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft beitragen, da die Zahlung eines Aufnahmebeitrags, der sich auf immerhin 20.000 Mark belaufen hatte, abgeschafft worden war. Während sich damit die Gesellschaft weiteren Kreisen öffnete, entgingen ihr durch diese Satzungsänderung wichtige Finanzquellen. Die Mitgliedsbeiträge stagnierten und brachten der Gesellschaft gegen Ende der 1920er Jahre insgesamt etwa 50.000 Mark jährlich.71 Auch das Profil der Mitgliedschaft veränderte sich entscheidend durch die Aufnahme einer größeren Zahl von korporativen Mitgliedern. Im Jahre 1930 waren 60 Mitglieder des Fördervereins Städte, 39 Provinzen, Kreise, und Landesversicherungsanstalten, 27 Interessenverbände einschließlich Gewerkschaften.72 Staatliche und kommunale Zuschüsse wurden daher für die Finanzierung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft immer wichtiger. Die Subventionen der preußischen und der deutschen Regierung stiegen von etwa einer Million Mark im Jahr 1924/25 auf circa 4,4 Millionen Mark im Jahr 1929/30 an.73
Die Betrachtung der Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Kontext der neueren Forschungen zum Stiften und Spenden im Kaiserreich lässt diese weltbekannte Forschungsfördereinrichtung in einem neuen Licht erscheinen. Auch wenn sie als ein nationales Projekt angelegt war, fand sie doch nur geringe Unterstützung außerhalb Berlins und des Rheinlandes. Vor allem Bankiers und Industrielle waren die Hauptstützen der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, während die traditionellen preußischen Eliten sich nicht an der Finanzierung dieser für sie irrelevanten Einrichtung beteiligten. Die Wahl des Modells Förderverein verband die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft mit der großen Zahl von Stiftungseinrichtungen im Kultur- und Sozialbereich, die sich oftmals auf Hunderte oder gar Tausende von Mitgliedern stützten. Während solche Fördervereine ein Beispiel gelebter Bürgergesellschaft und bürgerlicher Mitbestimmung bei der Gestaltung der wilhelminischen Gesellschaft abgaben, beschränkten die Organisatoren der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft den potentiellen Mitgliederkreis mehr oder weniger auf Millionäre. Damit vergaben sie die Chance, die Gesellschaft durch die Einbeziehung einer größeren Zahl von Bürgern auf eine breitere Mitgliederbasis zu stellen und darüber auch breite gesellschaftliche Akzeptanz für die hier betriebene Grundlagenforschung zu erlangen. Dass trotz dieser Einschränkung binnen kürzester Zeit mehr als zehn Millionen Mark an Stiftungen und Spenden zur Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zusammenkamen, belegt die generelle Stiftungsbereitschaft der wohlhabende Bürger ebenso wie den generellen Reichtum der deutschen Gesellschaft im frühen 20. Jahrhundert.
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Satzung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften; Burchardt (1975, 48f., 64f.).
Zur Geschichte des Leipziger Kunstvereins siehe Müller (1995); Menninger (1998, 76–105); Hommel (2000, 118–167).
Zur Diskussion um Gabe und Gegengabe siehe: Biggeleben (2006, 218–221).
Für die Entwicklung und den interkulturellen Transfer des Museumvereinsmodells siehe: Adam (2009a, 15–31).
Matthes (2000, 135–185); Frey (1999, 102–124).
Müller (1995, 46, 111–115).
Burchardt (1975, 34–52).
Burchardt (1975, 53f.).
Burchardt (1975, 70–71).
Diese Angaben beruhen auf der statistischen Auswertung des Buches Rauer, Preußisches Landbuch.
Diese Angaben beruhen auf der statistischen Auswertung des Buches Rauer, Preußisches Landbuch.
Burchardt (1975, 75–81).
Matthes (2000, 59, 288).
Matthes (2000, 59–61); vom Brocke (1990, 33).
Dorrmann (2002, 185–187).
3.-5. Jahresbericht der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, Berlin 1916, 40, Archiv der MPG.
3.-5. Jahresbericht der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, Berlin 1916, 40, Archiv der MPG.
Generell hierzu siehe: Adam (2008, 93–102; 2009b, 179–202).
Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Hauptabteilung I, Rep. 84a, Nr. 50078, Bl. 28.
Bericht über die 5. Hauptversammlung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, 4, MPG-Archiv, I. Abt., Rep. 1A, Nr. 100/1.
Bericht über die 11. Hauptversammlung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, 4 MPG-Archiv, I. Abt., Rep. 1A, Nr. 106/1; Protokoll über die Sitzung des Senats der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft am 4. Dezember 1922, in: Niederschriften von Sitzungen des Senats der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 1920–1925, 3–4, MPG-Archiv 37. SP. 2–5.
Bericht über die 11. Hauptversammlung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, 4. Siehe auch: Biedermann (2006, 17f.).
Bericht über die 14. Hauptversammlung der Kaiser Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften MPG-Archiv, I. Abt., Rep. 1A, Nr. 109/1.
Einnahmen der KWG nach den 9.–28. Hauptversammlungsberichten, MPG-Archiv, I. Abt., Rep.1A, Nr. 336/2.
Ebd.
Zusammenstellung der Zuschüsse von Reich und Preussen ab 1. Januar 1924, MPG-Archiv, I. Abt., Rep. 1A, Nr. 336/3.