2 Techniken für Grad 1

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10.34663/9783945561607-04

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Høyrup, Jens (2021). Techniken für Grad 1. In: Algebra in Keilschrift: Einführung in eine altbabylonische geometrische Technik. Berlin: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften.

Unser Hauptthema wird die Lösung quadratischer Gleichungen in der altbabylonischen Mathematik sein.1 Weil die Lösung quadratischer Gleichung aber oft Umformungen linearer Probleme erfordert, werden wir mit einem Text beginnen, der erklärt, wie Gleichungen ersten Grades umgeformt und gelöst wurden.

TMS XVI #1

(1)Den 4ten Teil der Breite habe ich von der Länge und der Breite herausgerissen: 45′. Du, 45′

(2)auf 4 erhöhe, 3 siehst Du. 3, was ist das? 4 und 1 setze,

(3)50′ und 5′, zum Herausreißen, setze. 5′ auf 4 erhöhe, 1 Breite. 20′ auf 4 erhöhe,

(4)1°20′ ⟨siehst⟩ Du,2 4 Breiten. 30′ auf 4 erhöhe, 2 ⟨siehst⟩ Du, 4 Längen. 20′, 1 Breite zum Herausreißen,

(5)von 1°20′, 4 Breiten, reiße heraus, 1 siehst Du. 2, die Länge, und 1, 3 Breiten, häufe an, 3 siehst Du.

(6)igi 4 spalte ab, 15′ siehst Du. 15′ auf 2, Längen, erhöhe, 30′ ⟨siehst⟩ Du, 30′ die Länge.

(7)15′ auf 1 erhöhe, 15′ der Beitrag der Breite. 30′ und 15′ lasse enthalten.

(8)Weil „Das 4tel der Breite, zum Herausreißen“, wie man Dir gesagt hat, von 4, 1 reiße heraus, 3 siehst Du.

(9)igi 4 ⟨spalte⟩ ab, 15′ siehst Du, 15′ auf 3 erhöhe, 45′ ⟨siehst⟩ Du, 45′ so viel wie Breiten.

(10)1, so viel wie Längen, setze. 20, die wahre Breite nimm, 20 auf 1′ erhöhe, 20′ siehst Du.

(11)20′ auf 45′ erhöhe, 15′ siehst Du. 15′ von 3015′ reiße heraus,

(12)30′ siehst Du, 30′ die Länge.

Dieser Text unterscheidet sich im Charakter von der großen Mehrheit altbabylonischer mathematischer Texte: er stellt kein Problem auf und löst keines. Stattdessen gibt er eine didaktische Erklärung der Konzepte und Prozeduren, welche dem Verständnis und der Vereinfachung eines bestimmten oft vorkommenden Gleichungstyps dienen.

Abb. 2.1: Die Geometrie von TMS XVI #1.

Abb. 2.1: Die Geometrie von TMS XVI #1.

Obwohl viele der Ausdrücke, die in der Übersetzung auftauchen, schon im Abschnitt „Eine neue Interpretation“ erklärt wurden, ist es wohl hilfreich, den Text Wort für Wort durchzugehen.

Zeile 1 formuliert eine Gleichung: Das 4tel der Breite, von der Länge und der Breite habe ich herausgerissen, 45′.

Die Gleichung dreht sich also um eine Länge und eine Breite. Dies bedeutet, dass das Objekt ein Rechteck ist – vom altbabylonischen Standpunkt aus ist das Rechteck die einfachste Figur, die nur von einer Länge und einer Breite festgelegt ist.3 Was die Notation der Zahlen angeht, siehe den Kasten „Das Sexagesimalsystem“ auf Seite 16. Bezeichnet ℓ die Länge und w die Breite, dann können wir die Gleichung in Symbolen so ausdrücken:

Etwas ist jedoch bei dieser Übersetzung verloren gegangen. Tatsächlich ist die Länge und die Breite ein verkürzter Ausdruck für das „Anhäufen“, die symmetrische Addition der beiden Größen (oder deren Maßzahlen; siehe Seite 21). Die Länge wird also nicht um die Breite erweitert, vielmehr werden die beiden Größen gleichberechtigt addiert, unabhängig vom Rechteck. Die einzige Rolle des Rechtecks ist es, seine Seiten als unbekannte Größen zur Verfügung zu stellen (siehe Abb. 2.1).

Abb. 2.2: „Die Gleichung” von TMS XVI #1.

Abb. 2.2: „Die Gleichung” von TMS XVI #1.

Sind die Länge und die Breite einmal „angehäuft“, ist es möglich, \frac{1}{4}w „herauszureißen“, weil diese Größe ein Teil der Breite und damit auch der Summe ist. Wir erinnern daran, dass „herausreißen“ die Umkehroperation von „hinzufügen“ ist, also die Entfernung einer Größe von einer anderen, von welche sie ein Teil ist (siehe Abb. 2.2).

Zeile 1 zeigt die Natur einer babylonischen Gleichung: eine Kombination messbarer Größen (oft, wie hier, geometrische Größen), für welche das Gesamtmaß gegeben ist. Alternativ sagt der Text, das Maß einer Kombination sei gleich der einer anderen, oder um wieviel sie die andere übertrifft. Dies ist nicht der Typ von Gleichungen, die in der heutigen Schulmathematik unterrichtet werden, bei denen es normalerweise um reine Zahlen geht – aber diese Gleichungen ähneln denjenigen, mit welchen Ingenieure, Physiker oder Wirtschaftswissenschaftler arbeiten. Im babylonischen Kontext von „Gleichungen“ zu sprechen ist also alles andere als anachronistisch.

Als nächstes fordern Zeilen 1 und 2 den Schüler auf, die 45′ (auf der rechten Seite der Version in moderner Symbolsprache) mit 4 zu multiplizieren: Du, 45′ auf 4 erhöhe, 3 siehst Du. „Erhöhen“ ist, wie wir auf Seite 15 gelernt haben, die Multiplikation einer konkreten Größe – hier die Zahl, welche eine zusammengesetzte Strecke darstellt. Das Ergebnis dieser Multiplikation ist 3, und der Text stellt eine rhetorische Frage: 3, was ist das?

Abb. 2.3: Interpretation von TMS XVI, Zeilen 1–3.

Abb. 2.3: Interpretation von TMS XVI, Zeilen 1–3.

Die Antwort zu dieser Frage findet man in Zeilen 2–5. 4 und 1 setze: Zuerst soll der Schüler 4 und 1 „setzen“. Etwas zu „setzen“ bedeutet, dem Objekt eine materielle Darstellung zu geben; hier soll die Zahl vermutlich an eine geeignete Stelle in der Figur geschrieben werden (Abb. 2.3 ist eine mögliche Interpretation).

Die Zahl „1“ entspricht der Tatsache, dass die Zahl 45′, die in der ursprünglichen Gleichung rechts steht, ebenso wie die Größen auf der linken Seite alle ein einziges Mal benutzt werden. Die Zahl „4“ wird „gesetzt“; weshalb werden wir gleich sehen, wenn wir erklären was passiert, wenn 45′ und die entsprechenden Größen 4 Mal genommen werden.

50′ und 5′, zum Herausreißen, setze: die Zahlen 50′ und 5′ werden auf das Niveau „1“ des Diagramms gesetzt. Dies sollte uns überraschen: es zeigt, dass der Schüler bereits wissen muss, dass die Breite 20′ und die Länge 30′ ist. Wüsste er das nicht, dann könnte er nicht verstehen, dass ℓ+w = 50′ und dass \frac{1}{4}w (das, was herausgerissen werden soll) 5′ ist. Um der Klarheit willen sind in unserem Diagramm nicht nur die Zahlen 50′ und 5′, sondern auch 30′ und 20′ auf Niveau „1“ eingezeichnet, obwohl der Text nicht von ihnen spricht.

Die Zeilen 3–5 zeigen noch überzeugender, dass der Text voraussetzt, dass der Schüler die Lösung des Problems (das also daher nur ein Quasi-Problem ist) bereits kennt. Das Ziel des Textes ist daher nicht, eine Lösung zu finden. Wie bereits gesagt, soll der Text die konzepte und die Verfahren erklären, um die Gleichung zu verstehen und reduzieren zu können.

Diese Zeilen erklären, warum und wie die Ausgangsgleichung

durch Multiplikation mit 4 in die Gleichung

transformiert wird.

Abb. 2.4: Interpretation von TMS XVI, Zeilen 3–5.

Abb. 2.4: Interpretation von TMS XVI, Zeilen 3–5.

Diese Rechnung kann in Abb. 2.4 verfolgt werden, wo die Zahlen auf dem Niveau „1“ mit 4 multipliziert werden und so diejenigen auf dem Niveau „4“ ergeben:

5′ auf 4 erhöhe, 1 Breite: 5′, also \frac{1}{4} der Breite, wird mit 4 multipliziert, was 20′ ergibt, also eine Breite.

20′ auf 4 erhöhe, 1°20′ ⟨siehst⟩ Du, 4 Breiten: 20′, also 1 Breite, wird mit 4 multipliziert, was´ 1°20′ ergibt, also 4 Breiten.

30′ auf 4 erhöhe, 2 ⟨siehst⟩ Du, 4 Längen: 30′, also 1 Länge, wird mit 4 multipliziert. Dies ergibt 2, also 4 Längen.

Nachdem alle Zahlen auf dem Niveau „1“ mit 4 multipliziert worden sind und wir nun die entsprechenden Zahlen auf Niveau „4“ kennen, sagt der Text (Zeilen 4 und 5), was bleibt, wenn 1 Breite von den 4 Breiten eliminiert wird: 20′, 1 Breite, zum Herausreißen, von 1°20′, 4 Breiten, reiße aus, 1 siehst Du

Schließlich werden die individuellen Komponenten der Summe 4ℓ +(4 - 1) w identifiziert, wie in Abb. 2.5 gezeigt wird: 2, die Längen, und 1, 3 Breiten, häufe an, 3 siehst Du: 2, also 4 Längen, und 1, also (4 - 1) = 3 Breiten, werden addiert. Dies ergibt die Zahl 3. Wir haben jetzt die Antwort auf die Frage aus Zeile 2 gefunden: 3 siehst Du. 3, was ist das?

Abb. 2.5: Interpretation von TMS XVI, Zeile 5.

Abb. 2.5: Interpretation von TMS XVI, Zeile 5.

Aber die Lektion endet hier nicht. Während Zeilen 1–5 erklären, wie die Gleichung (ℓ+w)-\frac{1}{4}w = 45′ in 4\cdot ℓ+(4-1)\cdot w = 3 umgewandelt werden kann, führt das, was in Zeilen 6–10 durch eine Division durch 4 folgt, zu einer Umformung dieser Gleichung in

Die Babylonier haben Divisionen durch 4 als Multiplikationen mit \frac{1}{4} ausgeführt. Daher sagt Zeile 6, dass \frac{1}{4}= 15′: igi 4 spalte ab, 15′ siehst Du. igi 4 kann in der Tabelle der igi gefunden werden, also der Reziprokentabelle (siehe Seite 24).

Abb. 2.6 zeigt, dass dies einer Rückkehr auf das Niveau „1“ entspricht:

15′ auf 2, Längen, erhöhe, 30′ ⟨siehst⟩ Du, 30′ die Länge: 2, also 4 Längen, multipliziert mit \frac{1}{4} gibt 30′, also 1 Länge.

Abb. 2.6: Interpretation von TMS XVI, Zeilen 6–12.

Abb. 2.6: Interpretation von TMS XVI, Zeilen 6–12.

15′ auf 1 erhöhe, 15′ der Beitrag der Breite. (Zeile 7): 1, also 3 Breiten, multipliziert mit \frac{1}{4} ergibt 15′, der Beitrag der Breite zur Summe 45′. Die Anzahl der Breiten´, welchem dieser Beitrag entspricht, wird in Zeilen 8 und 9 bestimmt. In der Zwischenzeit werden die Beiträge der Länge und der Breite wiederholt: 30′ und 15′ halte – eine Abkürzung für möge Dein Kopf halten, wie es in anderen Texten formuliert wird. Man beachte den Kontrast zur Behandlung der Zahlen 1, 4, 50′ und 5′, die zu Beginn „gesetzt“ wurden.

Der Beitrag der Breite ist also 15′. Das Ende von Zeile 9 zeigt an, dass die Anzahl der Breiten, welche dem entsprechen – der Koeffizient der Breite in unserer Sprache – gleich \frac{3}{4} (= 45′) ist: 45′ so viel wie Breiten. Das Argument dahinter ist bekannt als ein „einfacher falscher Ansatz“4.

Zeile 8 zitiert die Aufgabenstellung des Quasi-Problems als Rechtfertigung für das Vorgehen (solche Rechtfertigungen durch Zitate sind Standard): Weil „Das 4tel der Breite, zum Herausreißen“, wie man Dir gesagt hat. Wir müssen also herausfinden, wie viel von der Breite bleibt, wenn \frac{1}{4} entfernt wird.

Der Bequemlichkeit halber wird „gesetzt“, dass die Anzahl der Breiten 4 ist (dies ist der „falsche Ansatz“). \frac{1}{4} von 4 ist 1 (der Text gibt diese Zahl ohne Rechnung). Wenn diese eliminiert wird, bleiben 3: von 4, 1 reiße heraus, 3 siehst Du.

Um zu sehen, welchem Teil der falsch gesetzten 4 diese 3 entspricht, multiplizieren wir mit \frac{1}{4}. Obwohl dies bereits in Zeile 6 gesagt wurde, wird in Zeile 9 wiederholt, dass \frac{1}{4} der Zahl 15′ entspricht: igi 4 ⟨spalte⟩ ab, 15′ siehst Du.

Immer noch in Zeile 9 ergibt die Multiplikation mit 3 den Koeffizienten der Breite als 45′ (= \frac{3}{4}): 15′ auf 3 erhöhe, 45′ ⟨siehst⟩ Du, 45′ so viel wie Breiten.

Ohne Rechnung behauptet Zeile 10, dass der Koeffizient der Länge 1 ist. Wir wissen in der Tat aus Zeile 1, dass eine einzelne Länge zu den 45′ beiträgt, ohne Addition oder Subtraktion. Wir haben daher erklärt, wie die Gleichung

umgewandelt wird.

Der Schluss von Zeile 10 gibt uns ein kleines Rätsel: was ist der Zusammenhang zwischen der „wahren Breite“ und der Breite, die in den Gleichungen auftaucht?

Die Erklärung könnte die folgende sein: ein richtiges Feld könnte 30 [nindan] auf 20 [nindan] groß sein (ca. 180 m auf 120 m, also \frac{1}{3} bùr), aber sicherlich nicht 30′ auf 20′ (3 m auf 2 m). Auf der anderen Seite ist es unmöglich, ein Feld mit den Dimensionen 30×20 im Schulhof oder dem Hof des Lehrers zu zeichnen; tatsächlich ist ein Hof, der mit Sand bestreut ist, der plausibelste Träger der Zeichnungen, die beim Unterricht benutzt werden. Aber 30′ auf 20′ würde sehr gut passen (das wissen wir von ausgegrabenen Häusern), und diese Größenordnung ist diejenige, die normalerweise in mathematischen Aufgaben erscheint. Weil es keinen Unterschied beim Schreiben von 20 und 20′ gibt, ist dies nur eine mögliche Erklärung – aber eine plausible, weil keine Alternative vorhanden zu sein scheint .

Jedenfalls findet man in Zeile 11 wieder, dass die Breite 15′ beiträgt, nämlich durch Multiplikation von 20′ (der Breite) mit dem Koeffizienten 45′: 20′ auf 45′ erhöhe, 15′ siehst Du.

Am Schluss wird der Beitrag der Breite von 45′ eliminiert, das bereits in der Form 3015 geschrieben ist, also als die Summe von 30′ und 15′, in Übereinstimmung mit der Unterteilung, die man sich am Schluss von Zeile 7 gemerkt hat. 30′ bleibt als die Länge: 15′ von 3015′ reiße heraus, 30′ siehst Du, 30′ die Länge.

Alles in allem ist dies eine hübsche pädagogische Erklärung, die den Schüler an der Hand nimmt und ihn kreuz und quer durch das Thema „Wie man eine Gleichung ersten Grades umwandelt, und wie man versteht, was dabei vor sich geht“, führt.

Bevor wir den Text hinter uns lassen, verweilen wir noch bei den hier auftretenden Akteure, die auch in den meisten Texten, die ein Problem und das Verfahren zur Lösung beschreiben, auftreten.5 Zum einen beschreibt eine „Stimme“ in der ersten Person Singular die Situation, die er hergestellt hat, und formuliert die Frage. Dann adressiert eine andere Stimme den Schüler und gibt im Imperativ oder in der zweiten Person Singular Präsens Anweisungen; diese Stimme kann nicht mit der ersten identisch sein, die das Problem gestellt hat, weil es diese oft in der dritten Person zitiert, als „weil er gesagt hat“.

In einem schulischen Zusammenhang könnte man sich vorstellen, dass die Stimme, welche das Problem formuliert, diejenige des Lehrers ist, und diejenige, welche den Schüler anspricht, die eines Assistenten – „edubba Texte“6, literarische Texte über die Schule und das schulische Leben, erwähnen oft einen „älteren Bruder“, dessen Aufgabe es ist, Anweisungen zu geben. Der Ursprung des Schemas erscheint aber davon verschieden zu sein. Gewisse Texte aus dem frühen 18. Jahrhundert beginnen mit „Wenn Dich jemand fragt, ‚ich habe’ ...“. In diesen Texten ist der Fragesteller eine hypothetische Person die nicht zu der didaktischen Situation gehört – ein Vorwand für ein mathematisches Rätsel. Der anonyme Führer ist dann der Lehrer, ursprünglich wohl zu identifizieren mit einem Feldmessermeister, der den Lehrlingen das berufliche Handwerkszeug erklärt.

TMS VII #2

Dieser Text ist ziemlich verwickelt. Wer ihn zu undurchschaubar findet, kann ihn erst überspringen und dann hierher zurückkehren, wenn er sich mit der babylonischen Denkart vertraut gemacht hat.

(17)Das Viertel der Breite habe ich zur Länge hinzugefügt; dessen Siebtel

(18)bin ich bis 11 gegangen, über den Haufen

(19)von Länge und Breite ging es 5′ hinaus. Du, setze 4;

(20)7 setze; 11 setze; und 5′ setze.

(21)5′ auf 7 erhöhe, 35′ siehst Du.

(22)30′ und 5′ setze. 5′ auf 11 erhöhe, 55′ siehst Du.

(23)30′, 20′, und 5′, zum Herausreißen, setze. 5′ auf 4

(24)erhöhe, 20′ siehst Du, 20 die Breite. 30′ auf 4 erhöhe:

(25)2 siehst Du, 2, Längen. 20′ aus 20′ reiße heraus.

(26)30′ aus 2 reiße heraus, 1°30′ setze, und 5′ zu ¿50′, dem Haufen von Länge und Breite, füge hinzu?

(27)7 auf 4, vom Viertel, erhöhe, 28 siehst Du.

(28)11, den Haufen aus 28 reiße heraus, 17 siehst Du.

(29)Aus 4, vom Viertel, 1 reiße heraus, 3 siehst Du.

(30)igi 3 spalte ab, 20′ siehst Du. 20′ auf 17 erhöhe,

(31)5°40′ siehst Du, 5°40′, (für) die Länge. 20′ auf 5′, was darüber hinausgeht, erhöhe,

(32)1′40″ siehst Du, 1′40″, was zur Länge hinzugefügt werden soll. 5°40′, (für) die Länge,

(33)von 11, dem Haufen, reiße heraus, 5°20′ siehst Du.

(34)1′40″ zu 5′, was darüber hinausgeht, füge hinzu, 6′40″ siehst Du.

(35)6′40″, was von der Breite herauszureißen ist. 5′, der Schritt,

(36)auf 5°40′, Längen, erhöhe, 28′20″ siehst Du.

(37)1′40″, das von der Länge Hinzuzufügende, zu 28′20″ füge hinzu,

(38)30′ siehst Du, 30′ die Länge. 5′ auf 5°20′

(39)erhöhe: 26′40″ siehst Du. 6′40″,

(40)das aus der Breite Herauszureißende, aus 26′40″ reiße heraus,

(41)20′ siehst Du, 20′ die Breite.

Dies ist das zweite, schwierige Problem einer Tafel. Das erste, leichte (siehe Seite 124 für eine deutsche Übersetzung) kann wie folgt in mathematischer Symbolsprache ausgedrückt werden:

Vereinfachen ergibt die Gleichung

Dies ist eine „unbestimmte“ Gleichung und besitzt unendlich viele Lösungen. Wenn wir eine von ihnen (etwa ℓ_o,w_o) gefunden haben, dann kann man alle anderen in der Form ( k\cdot ℓ_o, k\cdot w_o) schreiben.

Der Text findet eine Lösung, indem er den ersten Faktor auf der linken gleich dem ersten Faktor auf der rechten Seite setzt (also ℓ= 6), und den zweiten Faktor links gleich dem zweiten Faktor rechts setzt (also ℓ+w=10, folglich w=4). Danach erhält man die Lösung, auf die man von Beginn an stillschweigend gezielt hat, durch „Erhöhen“ auf 5′ (der „Schritt“ \frac{1}{7}[ℓ +\frac{1}{4}w] der 10 mal „gegangen“ worden ist). In der Tat: ist ℓ = 6, w = 4, dann ist der „Schritt“ 1; wenn wir wollen, dass er 5′ ist (was den üblichen Dimensionen eines „Schulrechtecks“ ℓ=30′, w=20′ entspricht), dann muss die Lösung mit diesem Wert multipliziert werden. All dies – und dies ist nicht offensichtlich – ist nützlich zum Verständnis des zweiten Problems.

Das erste Problem ist „homogen“ – alle seine Terme haben Grad 1 in ℓ und w. Das zweite Problem, das wir oben übersetzt haben, ist inhomogen, und kann in Symbolen wie folgt ausgedrückt werden:

Abb. 2.7: Interpretation von TMS XII, Zeilen 21–23.

Abb. 2.7: Interpretation von TMS XII, Zeilen 21–23.

Wir bemerken, dass \frac{1}{4}w zur Länge „hinzugefügt“ wird; dass wir \frac{1}{7} des Ergebnisses nehmen, und dass wir danach diese Strecke 11 mal “gehen“. Das Ergebnis geht um 5′ über den Haufen von Länge und Breite hinaus. Der Haufen ist also kein Teil dessen, was sich aus der Wiederholung des Schritts ergibt – wäre es das, hätte man es „herausreißen“ können.

Die Lösung beginnt mit einer pädagogischen Erklärung im Stile von TMS XVI #1, dem vorhergehenden Quasi-Problem. Eine genaue Lektüre zeigt, dass die 5′, welche in Zeile 21 auf 7 erhöht werden, der „Schritt“ \frac{1}{7}[ℓ + \frac{1}{4}w] sein muss – das Erhöhen ist eine Verifikation, dass es wirklich das Siebtel ist – und nicht das „darüber Hinausgehende“ aus Zeile 20. Einmal mehr soll der Schüler davon ausgehen, dass der Text sich um das Rechteck \sqsubset \hspace{-1.99997pt}\sqsupset \!\! (30{′},~ 20{′}) dreht. Mit dieser Figur im Hinterkopf werden wir der Erklärung der Zeilen 21 bis 23 an der Abbildung 2.7 verfolgen können: wenn der „Schritt“ 5′ auf 7 „erhöht“ wird, erhalten wir 35′ (A), was in ℓ und \frac{1}{4} {w} zerlegt werden kann (B). Wird dies auf 11 „erhöht“, finden wir 55′ (C), was in ℓ, w, und 5′ aufgeteilt werden kann (D).

Als nächstes folgt die Vorschrift zur Lösung der Gleichung; diese ist immer noch so formuliert, dass die Lösung als bekannt angenommen wird. „Erhöhen“ auf 4 (Zeilen 23 bis 25) gibt das Äquivalent der folgenden symbolischen Gleichung

Weil der Autor unsere Symbolsprache nicht besitzt, spricht der Text von \frac{1}{4}w als 5′, findet, dass 4\cdot \frac{1}{4}w gleich 20′ ist, und identifiziert dies mit der Breite (Zeile 24); dann erscheint 4ℓ als 2, das die Länge repräsentieren soll (Zeile 25).

Mittels eines eleganten Tricks, der nicht ganz einfach zu verstehen ist, wird die Gleichung jetzt homogenisiert. Der Text zerlegt 4ℓ+w als

und „erhöht“ die ganze Gleichung auf 7. Wir können der Rechnung in moderner symbolischer Übersetzung folgen:

Die Babylonier haben allerdings nicht mit solchen Gleichungen gearbeitet; vermutlich haben sie die Zahlen entlang der Linien einer Zeichnung (siehe Abb. 2.8) aufgeschrieben. Dies ist der Grund, warum der „Koeffizient“ (4-1) nicht vor Zeile 29 zu erscheinen braucht.

Wie im ersten Problem des Texts wird eine Lösung der homogenen Gleichung durch Identifikation der Faktoren „auf der linken Seite“ mit denen „auf der rechten Seite“ gefunden (dies ist der Grund, warum die Faktoren auf der linken Seite der letzten Gleichung invertiert wurden): ℓ-1′40″ (jetzt „die Länge“ genannt und daher in Abbildung 2.8 mit \lambda bezeichnet) entspricht also 5°40′, während ℓ+w+5′ (als der „Haufen“ der neuen Länge \lambda und einer neuen Breite \phi bezeichnet, also \lambda +\phi ) ist gleich 11; \phi muss daher 11-5°40′=5°20′ sein.

Als nächstes bestimmt der Text das „Hinzuzufügende“ (wāṣbum) der Länge, also das, was zur Länge \lambda hinzugefügt werden muss, um die ursprüngliche Länge ℓ zu erhalten: dies ist gleich 1′40″, weil \lambda ={ℓ}- 1′40″ ist. Weiter findet der Text das „Herauszureißende“ (nāsum) der Breite, also das, was von der Breite \phi „herausgerissen“ werden muss, um w zu erhalten. Wegen ℓ+w+5′=11 muss w gleich 11 - ℓ - 5′ = 11-(\lambda +1′40″)-5′
= (11-\lambda ) - (1′40″ + 5′) = \phi -6′40″ sein; das zu „Herausreißende“ ist also 6′40″.

Aber das „Hinzufügen“ zu \lambda und das „Herausreißen“ von \phi gibt nur eine mögliche Lösung, nicht die angestrebte. Um die gewünschten Werte für ℓ und w zu erhalten, wird der Schritt 5′ (wie im ersten Problem) auf 5°40′ und 5°20 „erhöht“. Dies ergibt 28′20″ bzw. 26′40″; indem man dem ersten sein „Hinzuzufügendes“ hinzufügt und dem letzteren sein „Herauszureißendes“ herausreißt, erhalten wir endlich ℓ= 30′,\ w = 20′.

Abb. 2.8: Die Auflösung von TMS VII #2.

Abb. 2.8: Die Auflösung von TMS VII #2.

Wir müssen anerkennen, wie meisterhaft der Autor es versteht, bei seinem Verfahren die ihm bekannte Lösung zu vermeiden (außer zum Schluss, wo er den „Schritt“ braucht, um die gewünschte Lösung unter den unendlich vielen zu produzieren). Die numerischen Werte, die bekannt sind, ohne gegeben zu sein, dienen der pädagogischen Erklärung. Danach ist es ihre Funktion, Namen zur Verfügung zu stellen – da sie keine mathematischen Symbole wie ℓ und \lambda hatten, mussten die Babylonier Identifizierungen wie „die Länge 30′“ und „die Länge 5′40″“ benutzen (beides sind Längen, sodass der Name „Länge“ ohne Zusatz nicht ausreicht).

Numerische Werte dienen in vielen Texten der Identifizierung; dennoch sind Missverständnisse, die aus einer Verwechslung von gegebenen und lediglich bekannten Zahlen resultieren, sehr selten.

Fußnoten

Wie im Falle der „Algebra“ werden wir vorläufig so tun, als wüssten wir, was mit „Gleichung“ gemeint ist. Eine Untersuchung des vorliegenden Texts wird uns bald erlauben zu verstehen, in welchem Sinn die altbabylonischen Probleme als Gleichungen aufgefasst werden können.

„Du ⟨siehst⟩“ ist die Übersetzung von ta-⟨mar⟩. Der Schreiber lässt also kein Wort aus, sondern benutzt die erste Silbe, (welche die Information über das grammatische Geschlecht enthält) als Logogramm für das ganze Wort. Dies ist in den Texten aus Susa eine übliche Praxis und illustriert, dass die Benutzung von Logogrammen mit der Textart verbunden ist: nur in mathematischen Texten können wir relativ sicher sein, dass kein anderes Verb, das mit der Silbe ta beginnt, an dieser Stelle stehen kann.

Ein rechtwinkliges Dreieck ist ebenso durch eine Länge und eine Breite festgelegt (die beiden Katheten), und diese beiden Größen reichen aus, um es festzulegen (die dritte Seite, wenn sie denn erscheint, kann dann „die lange Seite“ sein). Aber ein Dreieck wird immer als solches eingeführt. Wenn es nicht praktisch rechtwinklig ist, gibt der Text eine Skizze.

Das Wort „praktisch“ ist zu beachten: Die Babylonier hatten kein Konzept eines Winkels als einer messbaren Größe, also nichts, was unserem „Winkel von 78°“ entsprechen würde. Aber sie unterschieden klar zwischen „guten“ und „schlechten“ Winkeln – wie verwenden hier das Wortspiel, dass das Gegenteil eines rechten Winkels ein falscher Winkel war.

Ein rechter Winkel ist einer, dessen Schenkel eine Fläche bestimmen – seien es die Seiten eines rechtwinkligen Dreiecks, die einen rechten Winkel bilden, die Seiten eines Rechtecks, oder die Höhe und die mittlere Grundseite eines rechtwinkligen Trapezes.

„Einfach“ deswegen, weil es auch einen „doppelten falschen Ansatz“ gibt, der zum Lösen komplexerer linearer Probleme benutzt werden kann. Dieser besteht darin, dass man zwei verschiedene Lösungen annimmt, die dann (wie in Legierungsaufgaben) so „gemischt“ werden, dass die beiden Fehler sich herausheben (in moderner Sprache läuft dies auf eine Art lineare Interpolation hinaus). Weil die Babylonier diese Technik nie benutzt haben, bezieht sich „falscher Ansatz“ im Folgenden immer auf den „einfachen falschen Ansatz“.

Das hier vorliegende Dokument benutzt viele Logogramme ohne phonetische oder grammatikalische Ergänzungen. Es ist jedoch genügend in akkadischer Silbenschrift geschrieben, das uns erlaubt, das übliche Schema wahrzunehmen, das folglich auch auf die Übersetzung übertragen ist.

Das sumerische Wort é.dub.ba bedeutet „Tafelhaus“, also „Schule“.