J Jubiläum

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DOI

10.34663/9783945561126-11

Citation

Heim, Susanne, Heumann, Ina, Hüntelmann, Axel C. and Kolboske, Birgit (2016). J Jubiläum. In: Wissen Macht Geschlecht: Ein ABC der transnationalen Zeitgeschichte. Berlin: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften.

Denkt man an Carola Sachse, so fallen einem mindestens zwei Phänomene ein, die treffend den Buchstaben J in einem ABC der transnationalen Zeitgeschichte vertreten könnten: Da wäre beispielsweise der weihnachtliche Julklapp eine eingehende Darstellung wert, der wiederholt in Berlin oder Wien in den über die Jahre verschieden zusammengesetzten Arbeitsgruppen Carola Sachses durchgeführt wurde. Beeindruckend waren dabei nicht nur die absonderlichen Objekte (Ina Heumann), die dort ans Tages- oder besser Kerzenlicht gebracht wurden, sondern auch das zu beobachtende Verhalten und die jeweiligen Strategien, die beim Kampf um Comics, Schallplatten, Plastikaquarien oder ein Stofftier namens Otto Hahn zum Einsatz gebracht wurden. Waren schon diese weihnachtlichen Julklapps überaus fröhliche Veranstaltungen, so werden sie – im besten Fall – in punkto Festlichkeit von einem weiteren Phänomen unter dem Buchstaben J noch überflügelt: dem Jubiläum.

Abb. 1: Das Team des Forschungsprogramms „Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus“ beim Julklapp 2003 zuhause bei Carola Sachse. (Privatfoto: Birgit Kolboske)

Abb. 1: Das Team des Forschungsprogramms „Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus“ beim Julklapp 2003 zuhause bei Carola Sachse. (Privatfoto: Birgit Kolboske)

Jubiläen kehren wie Julklapps regelmäßig wieder. Sie sind wie Sprungschanzen, die man in schöner Wiederholung hinuntersaust, um im Flug dann weit nach vorne und nach der Landung in Ruhe auch mehr oder weniger weit zurückzuschauen: Geburts-, Hochzeits- oder andere Jahrestage ehren Männer, die sich um die Wissenschaft oder gar ein ganzes Land verdient gemacht haben, seltener Frauen, und manchmal Orte, Ereignisse und Institutionen (Axel Hüntelmann). Jubiläen sind insofern Höhepunkte, sie schließen ab, schreiben gleichzeitig fest, was und wie erinnert werden soll und bergen doch die Chance, falls sie nicht zu kulturell eingefrorenen Veranstaltungen geworden sind, auch für Neues zu öffnen. Jubiläen sind zeithistorische Phänomene, ebenso wie das dazugehörige Genre der Festschrift, das, nach einem Knick um 1945, stetig auf zwei Höhepunkte zusteuert – 1970 und Ende der 1990er Jahre. Seit den 2000er Jahren geht die Publikation von Festschriften deutlich zurück – vermutlich ein Ausdruck des steigenden ökonomischen Drucks im Verlagswesen, im Buchhandel und der Wissenschaft. Denn sie brachten weder den Verlagen Gewinn, noch im Zeitalter der Impact-Faktoren den Akademiker_innen wissenschaftliche Meriten.

Dieser Band soll dem Trend entgegenwirken und ein Jubiläum im besten Sinne des Wortes begehen: Carola Sachses 65. Geburtstag, der mit dem 12. Jahrestag des Antritts ihrer Professur am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien einhergeht und ihren Übergang in das Leben als Pensionistin, wie es so schön auf österreichisch heißt, markiert. Es ist insofern ein Abschied, Rückblick und gleichzeitig Beginn eines neuen Lebensabschnitts.

Biographisches: Jubiläen über Jubiläen

Diese beiden Anlässe – Geburtstag und Annahme des Rufs nach Wien – reihen sich in weitere Jahrestage Carola Sachses ein. Anhand einer Auswahl von diesen wollen wir auf einige ihrer wichtigsten biographischen Stationen zurückblicken: Carola Sachses beruflicher Weg begann mit ihrem Staatsexamen für das Lehramt in Geschichte, Sozialkunde, Erziehungswissenschaften und Philosophie, das sie 1975 in Berlin abschloss. Nach einigen Jahren als Lehrerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Vergleichende Faschismusforschung des Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin sowie einem Stipendium am Hamburger Institut für Sozialforschung folgte ein weiteres Ereignis, das sich als Jubiläum feiern lässt: die Promotion, die sie 1987 an der Technischen Universität Berlin abschloss. Ihre Dissertation erschien wenig später unter dem Titel Siemens, der Nationalsozialismus und die moderne Familie. Eine Untersuchung zur sozialen Rationalisierung in Deutschland im 20. Jahrhundert. Die Habilitation schloss sich 2001 an, ebenfalls an der Technischen Universität Berlin, und wurde im Jahr darauf publiziert: Der Hausarbeitstag. Gleichberechtigung in Ost und West 1939–1994 (Irene Stoehr). Zwischen beiden Publikationen lagen nicht nur die Arbeit am Zentrum für internationale Frauen- und Geschlechterforschung an der Technischen Universität Berlin, sondern auch Carola Sachse erste Erfahrungen in der Wissenschaftsorganisation und -verwaltung, als Geschäftsführerin des Förderprogramms Frauenforschung des Berliner Senats. Bereits 2000 hatte Carola Sachse die Projektleitung des MPG-Forschungsprogramms zur „Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus“ übernommen (Birgit Kolboske), die sie bis Anfang 2004 innehatte. In diesem Kontext entstand eine Reihe von Veröffentlichungen, unter denen insbesondere der 2003 erschienene Band Die Verbindung nach Auschwitz. Biowissenschaften und Menschenversuche an Kaiser-Wilhelm-Instituten zu nennen ist.

In Wien baute Carola Sachse gemeinsam mit der Universität Heidelberg das von der Heinrich-Böll-Stiftung geförderte Graduiertenkolleg Überwindung von Diktaturen und Ausbau von Zivilgesellschaften auf, spielte als Antragstellerin und Fakultätsmitglied im Initiativkolleg Naturwissenschaften im historischen Kontext eine wesentliche Rolle (Mitchell Ash), war Mitglied im Beirat zur DFG-Forschergruppe zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1920–1970 und in der Historischen Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Robert-Koch-Instituts im Nationalsozialismus, um nur einige ihrer beruflichen Aktivitäten dieser Wiener Zeit zu nennen. Neben den beruflichen gab es auch private Jubeltage, wie etwa den Erfolg ihrer Tochter Anna als Rechtsanwältin oder die Geburt ihrer beiden Enkeltöchter (Karin Hausen).

Abb. 2: Carola Sachse mit ihren Enkeltöchtern Mia und Luca.(© Privatfoto: Anna Sachse)

Abb. 2: Carola Sachse mit ihren Enkeltöchtern Mia und Luca.(© Privatfoto: Anna Sachse)

Wissen – Macht – Geschlecht. Zeitgeschichte in transnationalen Bezügen

Im Zentrum dieser Festschrift stehen Begriffe, die mit Carola Sachses Arbeit und dem Themenfeld Wissen – Macht – Geschlecht. Zeitgeschichte in transnationalen Bezügen verbunden sind. Unter diesem Titel fasste Carola Sachse ihr Arbeitsprogramm an der Universität in Wien zusammen. Es konzentriert sich auf die transnational vergleichende Auseinandersetzung mit drei zentralen Phänomenen des langen 20. Jahrhunderts: dem beschleunigten Zuwachs wissenschaftlichen Wissens, dem hohen Ausmaß an Gewalt in Kriegen, Bürgerkriegen und Genoziden sowie dem Wandel der Geschlechterverhältnisse. Diese Themenstellung umfasste Carola Sachses bisherige in Hamburg und Berlin entstandenen Arbeiten, die einen Bogen schlagen von der Auseinandersetzung mit betrieblicher Sozial- und Geschlechterpolitik, über die Arbeitsmarktpolitik und den Forschungsschwerpunkt „Rationalisierung und Geschlecht“ bis hin zu den Herrschaftsmechanismen im Nationalsozialismus. Eckpfeiler des Arbeitsprogramms waren auch ihre wissenschaftsgeschichtlichen Publikationen, die im Zusammenhang mit der Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft entstanden sind. Wissen, Macht und Geschlecht als zeithistorische Problemstellung gab außerdem den Rahmen für die Projekte und Forschungsschwerpunkte vor, die sich in Wien anschlossen: zur Geschichte von Diktaturen und ihrer Überwindung (Edgar Wolfrum), über österreichische Kernforschung 1900–1945, den „Ergänzungsraum Südosteuropa“, zu Utopien, Menschenrechten und Geschlecht im 19. Jahrhundert und Geschlecht und Rasse im Nationalsozialismus. Auch die aktuell laufenden Forschungsprojekte zur Geschichte und Geschlechtergeschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (Roman Birke) und zur Geschichte der Pugwash-Konferenzen (Alison Kraft) beschäftigen sich mit der Verbindung von Wissen, Macht und Geschlecht im 20. Jahrhundert.

Zum Buch: ABC

Gibt es eine klarer strukturierte Ordnung als das Alphabet? Mit A und Z sind Anfang und Ende definiert, die Reihenfolge der 24 Buchstaben dazwischen steht unverrückbar fest. So gesehen folgt auch diese Festschrift einer Ordnung. Es gibt fraglos eine Vielzahl von möglichen As, Bs und Cs, die es unter den Stichworten Wissen, Macht und Geschlecht wert wären, zeithistorisch und transnational untersucht zu werden. Die hier vorliegende Auswahl ergibt sich aus den Arbeitsgebieten von Carola Sachse. Es ist sowohl in Bezug auf die Zusammenstellung der Themen als auch der Autor_innen eine von vielen Möglichkeiten und insofern auch Produkt der kollektiven Phantasie der Herausgeber_innen und deren keineswegs umfassenden Kenntnis jener Personen, die mit Carola Sachse im Laufe ihres Berufslebens in Arbeits- und Diskussionszusammenhängen gestanden haben. Es sind also noch viele andere Konstellationen möglich; die Vielfalt der Interessen und der intellektuellen Beziehungen der Jubilarin bieten hinreichend Stoff und Women-Power für einige künftige Jubiläumsbände.

Entstanden ist das Buch als eine wienerisch-berlinerische Kooperation. Uns alle verbindet, ebenso wie die Autor_innen, eine langjährige Beziehung zu Carola Sachse. Und so weit der Themenbogen von Aufbau Ost (Liz Harvey) über Eugenik (Hans-Walter Schmuhl), Kamerad /Kameradin (Dagmar Reese) und Lise Meitner (Ruth Sime) bis hin zu Terrorismus (Irene Bandhauer-Schöffmann), Urwald (Sonja Walch) und Vergessen (Dirk Rupnow) reicht, so heterogen und bunt ist auch die Zusammensetzung der Autor_innen. Neben Mitstreiterinnen aus Studienzeiten, ehemaligen studentischen Hilfskräften und Doktorand_innen versammelt das ABC Mitarbeiter_innen aus den unterschiedlichen Arbeitskontexten in Berlin und Wien – eine notwendigerweise unvollständige Heterogenität, die für sich genommen schon ein Stück (Berufs-)Lebensrückblick darstellt. Was in dieser Zusammenstellung auch deutlich wird und sich in der Zusammenarbeit mit Carola Sachse für alle von uns überaus fruchtbar zeigte: Wissenschaft ist mitnichten nur einsame Schreibtischproduktion, sondern auch in Zeiten von Exzellenz, Drittmitteln und Hochleistungsveröffentlichungen noch Anregung zu Gedankenaustausch und Diskussion in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen, die viel mehr Verbindungslinien aufweisen als die starre Ordnung des Alphabets.