T Terrorismus

Irene Bandhauer-Schöffmann

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DOI

10.34663/9783945561126-21

Citation

Bandhauer-Schöffmann, Irene (2016). T Terrorismus. In: Wissen Macht Geschlecht: Ein ABC der transnationalen Zeitgeschichte. Berlin: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften.

Weder auf politischer noch auf wissenschaftlicher Ebene lässt sich eine verbindliche Definition von Terrorismus ausmachen. Die seit den 1970er Jahren und insbesondere nach 9/11 boomende Terrorismusforschung konnte sich bis heute nicht auf Kernmerkmale einigen. Peter Waldmanns viel zitierte Definition – dass es sich bei Terrorismus um eine Form politischer Gewalt handelt, die von nicht-staatlichen Akteuren ausgeht, die planmäßig vorbereitete, schockierende Anschläge aus dem Untergrund gegen die politische Ordnung setzen – bleibt ebenso in Diskussion, wie die Versuche, Terrorismus als historisches Phänomen zu periodisieren oder einen „neuen“ vom „alten“ Terrorismus abzugrenzen.

David C. Rapoport ging von sich überlappenden „Wellen“ terroristischer Aktivitäten aus und sein Wellen-Modell wurde mit Technikgeschichte (technische Innovation, die bei terroristischen Anschlägen genutzt werden konnten), Politik- und Ideengeschichte untermauert. Für die Periodisierung des Terrorismus wird das Bild von fünf Wellen herangezogen, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts beginnen, denn zuvor hatte der Begriff Terrorismus nicht auf politische Gruppen verwiesen, sondern nur den staatlichen terreur der Französischen Revolution bezeichnet. Die erste Welle bezeichnet den anarchistischen und nationalistischen Terrorismus von 1870/80 bis 1914. Terroristische anarchistische Akteure und Akteurinnen vor allem in Russland, Osteuropa, aber auch in Frankreich, Spanien und Deutschland sowie gewalttätige Nationalisten am Balkan und im Osmanischen Reich waren länderübergreifend vernetzt und ihre terroristischen Aktivitäten erregten breite Aufmerksamkeit in der linken und liberalen Presse.

In der zweiten Welle, vom Ende des Ersten Weltkriegs bis in die 1930er Jahre, agierten rechtsnationalistische terroristische Akteure gegen die politischen Vertreter der neu gegründeten Staaten. Diese rechte terroristische Gewaltwelle war stark antikommunistisch und antisemitisch geprägt, oft paramilitärisch organisiert und betraf insbesondere Deutschland, Österreich und Italien, aber auch andere europäische Staaten, deren republikanische Ordnungen zerstört werden sollten. Der Rechtsterrorismus hatte eine Hochphase in der Zwischenkriegszeit, war aber auch danach weiter wirksam und ist seit den 1980er Jahren wieder im Zunehmen begriffen.

Die dritte Welle, die von den 1920/30er bis zu den 1990er Jahren reichte, ist die des antikolonialen Terrorismus, der nach dem Ersten Weltkrieg entstand und verstärkt nach dem Zweiten Weltkrieg in Erscheinung trat. Die antikolonialen terroristischen Bewegungen beeinflussten spätere Bewegungen des sozialrevolutionären Terrorismus, die jedoch nicht ethnische Perspektiven anlegten, sondern den Umsturz der kapitalistischen Gesellschaft intendierten. Beim palästinensischen Terrorismus lässt sich ein kontinuierlicher Übergang vom antikolonialen Terrorismus zum religiösen/islamistischen Terrorismus beobachten.

In der vierten Welle, die mit dem Aufbruch der Neuen Linken in den 1960er Jahren begann und bis in die 1990er Jahren dauerte, waren sozialrevolutionäre Terrorist_innen aktiv, denen es um eine Durchsetzung eines radikal-linken/kommunistischen Gesellschaftsmodell ging. Die Zeit dieser global vernetzten Bewegungen des Linksterrorismus war geprägt von der Entstehung einer neuen medialen Öffentlichkeit – verbunden mit der rasanten Ausweitung der TV-Kultur – und der steigenden Bedeutung der Vermittlung terroristischer Botschaften über Massenmedien.

Die fünfte und bislang letzte Welle wird mit religiös motiviertem Terrorismus beschrieben, der in den 1980er Jahren einsetzte und vor allem radikal islamistische Gruppen umfasst. Während der Linksterrorismus noch politische Botschaften an den jeweiligen Nationalstaat adressierte, gab es für den global vernetzten, religiös motivierten Terrorismus keinen erkennbaren Kommunikationspartner mehr. Die mediale Berichterstattung beschränkte sich auf einen emotionalisierten Opferdiskurs.

Nicht vorrangig die Taten der als Terrorist_innen eingestuften Akteure und Akteurinnen, sondern die kommunikativen Prozesse um diese Gewaltphänomene stehen heute im Mittelpunkt der (historischen) Terrorismusforschung, denn Terrorismus zielt nicht primär auf die eigentlichen Opfer, sondern ist als eine effiziente Kommunikationsstrategie (Peter Waldmann), als Theater der Angst (Beatrice de Graaf), als performativer Akt (Leith Passmore) zu verstehen. Terroristische Gewalttaten sind in erster Linie darauf angelegt, auf nicht direkt Betroffene zu wirken, indem durch die mediale Wahrnehmung und Deutung dieser Anschläge das Vertrauen der Bürger_innen in den Staat und seine Schutzfunktion untergraben wird.

Geschlechtergeschichtliche Perspektiven auf den Terrorismus von links

Die Geschlechtergeschichte betont, dass Terrorismus als vergeschlechtlichte Kommunikationsstrategie zu verstehen ist. Denn die Einstufung von gewalttätigen politischen Akteuren als „terroristisch“, findet in einer bürgerlichen Öffentlichkeit statt, die von Geschlechterdichotomien geprägt ist. Geschlechtergeschichtliche Forschungen zum Terrorismus (wie etwa die von Dominique Grisard, Sylvia Schraut, Patricia Melzer) gehen davon aus, dass Terrorismusdiskurse an der (Re-)Produktion der bürgerlichen Geschlechterordnung beteiligt waren/sind und dass die Kategorie Geschlecht für das Othering der Terrorist_innen zentral war/ist. In welcher Form Vorstellungen über die Geschlechter Eingang in die Bewertung terroristischer Handlungen gefunden haben, lässt sich am Beispiel des Linksterrorismus der 1970er Jahre beschreiben.

Die linksterroristischen Gruppen verstanden es, in den 1970er-Jahren eine effiziente transnationale Kommunikationsstrategie aufzubauen, die die nach 1968 entstandene Gegenöffentlichkeit nützen konnte. Involviert waren hier die sehr gut vernetzten Gruppen radikaler und gewaltbereiter Aktivist_innen, ihre Anwälte und die radikalen nicht-terroristischen Unterstützermilieus, in der BRD etwa die Rote Hilfe. Auch wenn die linksterroristischen Gruppen auf die Wahrung ihrer revolutionären Identität in einem nationalen Kontext bedacht waren und die ausufernde Memoirenliteratur zu den transnationalen Lernprozessen schweigt, lässt sich der Terrorismus der 1970er Jahre und dessen vergeschlechtlichte Deutungen nur als transnationales Phänomen begreifen.

Während in den 1970er Jahren eine Vergeschlechtlichung über angstbesetzte, aggressive Frauenbilder (Hexen, Amazonen, Flintenweiber, pervertierte Feministinnen, grausame Terror-Mädchen) erfolgte, ist die Vergeschlechtlichung der Terrorismusdiskussion in der Nachfolge von 9/11 viel mehr an Männerbildern ausgerichtet. Sicherheitsdiskurse nach 9/11 machten sich nicht mehr wie in den 1970er Jahren an bedrohlichen Frauen fest, sondern inszenieren bedrohte Frauen, die von westlichen Männern vor rückständigen, islamischen Männern beschützt werden müssten. Die unterstellte „Andersartigkeit“ der Terrorist_innen kann – wie Dominique Grisard gezeigt hat – nicht als Produkt sensationslüsterner Medien abgetan werden, sie wurde auch mit wissenschaftlichen Diskursen untermauert und juristisch sanktioniert. Seit Beginn der 1970er-Jahre hatten die Ermittlungsbehörden, Wissenschaft und Medien den Linksterrorismus in der BRD mit Frauenemanzipation verknüpft und die „Terroristinnen“ als Folge einer „pervertierten Emanzipation“ beschrieben.

„Wenn der Kampf gegen Terrorismus unversehens zum Kampf gegen Emanzipation ausartet, wenn die weiblichen Verdächtigen nicht nur wegen ihrer Straftaten, sondern darüber hinaus als unbotmäßige Frauen verfolgt und gebrandmarkt werden, dann richten sich diese Verfolgungen auch gegen mich und mein Bemühen um Veränderung,“ schrieb 1978 die Journalistin Susanne von Paczensky im Vorwort zum Sammelband „Frauen und Terror“, der in der dezidiert feministischen Verlagsreihe „Frauen aktuell“ erschien und intendierte, die „patriarchalischen Erklärungen“ zur Frauenbeteiligung am Linksterrorismus zurückzuweisen. Die Autorinnen – unter ihnen auch Christina Thürmer-Rohr, Margarete Mitscherlich – antworteten auf eine in der BRD seit 1972 im Gang befindliche öffentliche Diskussion, in der Frauenemanzipation und Linksterrorismus verknüpft wurden. In einem nicht namentlich gezeichneten, sich aber amtlich gebenden Buch, das sich „Der Baader-Meinhof-Report“ nannte und während des Bundeswahlkampfs 1972 auf den Markt kam, wurde den Terroristinnen „starke Emanzipationslust“ unterstellt und die Kinderläden als „Krippe der Linksradikalen und späteren Terroristen“ identifiziert. „Der Baader-Meinhof-Report“ beinhaltete Akten des Bundeskriminalamtes und des Verfassungsschutzes und bot im Dokumentenanhang eine „Analyse“ eines ungenannten Kriminalkommissars zum „Aktionsrat zur Befreiung der Frauen“, um noch einmal – quasi aktenbelegt – emanzipierte Frauen und die antiautoritäre Kindererziehung als Wurzeln des Terrorismus festzumachen.

Ausgangspunkt dieser vergeschlechtlichten Diskurse über den Linksterrorismus waren die USA. Ende der 1960er-Jahre hatten sich mit den neu entstandenen counter terrorism studies spezielle Diskurse über die Terroristin als das „radikal Andere“ herausgebildet. Die gewalttätige Frau verkörperte gleichzeitig gefährliche subversive Weiblichkeit (indem sie Weiblichkeit als Camouflage verwendet, wie beispielsweise die Bombe im Kinderwagen) und gender transgression, indem sie die heteronormativen Zuschreibungen (wie etwa die Friedfertigkeit der Frauen) durchbricht. Die Kriminologie in den USA begann genau zu dem Zeitpunkt sich intensiver mit den „Terroristinnen“ zu beschäftigen, als die Frauenbewegung als politische Kraft auftrat. Der unterstellte, explizite Zusammenhang zwischen dem Terrorismus, insbesondere der angeblich dramatisch ansteigenden Zahl von Frauen, die sich terroristischer Gewalt zuwandten, und der Frauenemanzipation wird von den USA aus eine bemerkenswerte Transfergeschichte erleben. Feminismus und Terrorismus wurden als „twin practices“ (Amanda Third) wahrgenommen. Diese diskursive Verknüpfung wurde später in jeweils unterschiedliche nationale Kontexte eingepasst.

Feminismus und Terrorismus wurden in zweierlei Weise diskursiv miteinander verknüpft: Einerseits wurde das Leben von Frauen im Untergrund als Emanzipationserfahrung präsentiert, andererseits wurde die Gleichung aufgestellt, dass feministisches Aufbegehren gegen patriarchale Strukturen der eigentliche politische Hintergrund für den Terrorismus sei und Terroristinnen eine pervertierte, exzessive Emanzipation verkörperten.

Die Darstellung des Lebens in terroristischen Organisationen als gelebte Frauenbefreiung, die sich mit den Berichten von Aktivistinnen (sei es der Weather Underground, der RAF oder der Brigate Rosse) leicht als reine Fiktion zurückweisen lässt, wurde ebenfalls von den USA ausgehend in andere Länder transferiert. In der BRD hatte Der Spiegel die These von der Emanzipation im Untergrund bereits 1972 lanciert, als anlässlich der Verhaftung von Andreas Baader die ehemalige Kurzzeit-Terroristin Beate Sturm zum Geschlechterverhältnis in der RAF interviewt wurde. Die Physikstudentin brachte in ihren Interviews ein durchaus romantisches Verständnis von der Gleichberechtigung der Geschlechter im Untergrund zum Ausdruck. Das fügte sich ein in die vergeschlechtlichten zeitgenössischen Deutungen.

Schlussfolgernd lässt sich festhalten, dass die politische Devianz in den Diskursen über Terrorismus immer mit Genderdevianz verknüpft war/ist. Terrorismus wurde und wird nicht nur als staatlicher Kontrollverlust und Angriff auf die bürgerlich-demokratische Gesellschaft gesehen, sondern auch als Angriff auf die Geschlechterordnung.

Literatur

Bandhauer-Schöffmann, Irene und Dirk van Laak, Hrsg. (2013). Der Linksterrorismus der 1970er-Jahre und die Ordnung der Geschlechter. Trier: WVT Wissenschaftlicher Verlag Trier.

Graaf, Beatrice de (2010). Theater van de angst. De strijd tegen terrorisme in Nederland, Duitsland, Italië en Amerika. Amsterdam: Boom.

Grisard, Dominique (2011). Gendering Terror. Eine Geschlechtergeschichte des Linksterrorismus in der Schweiz. Frankfurt am Main: Campus.

Melzer, Patricia (2015). Death in the Shape of a Young Girl. Women’s Political Violence in the Red Army Faction. New York: New York University Press.

Paczensky, Susanne von (1978). Frauen und Terror. Versuche, die Beteiligung von Frauen an Gewalttaten zu erklären. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Passmore, Leith (2011). Ulrike Meinhof and the Red Army Faction. Performing Terrorism. Basingstoke: Palgrave Macmillan.

Rapport, David C., Hrsg. (2006). Terrorism. London: Routledge.

Schraut, Sylvia und Klaus Weinhauer (2014). Terrorism, Gender, and History. Historical Social Research 39:7–16.

Terhoeven, Petra (2014). Deutscher Herbst in Europa. Der Linksterrorismus der siebziger Jahre als transnationales Phänomen. München: Oldenbourg.

Third, Amanda (2014). Gender and the Political. Deconstructing the Female Terrorist. New York: Palgrave Macmillan.

Waldmann, Peter (1998). Terrorismus. Provokation der Macht. München: Gerling-Akademie Verlag.